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„Und wie war das bei euch?“ Warum wir Kennenlerngeschichten so lieben

„Und wie war das bei euch?“: Warum wir Kennenlerngeschichten so lieben
© Barbara Digital
„Naaaa, wie habt ihr euch kennengelernt?“ Nichts scheint spannender als diese eine Frage. Als würde sie alles über ein Paar preisgeben. Aber tut sie das wirklich?
von Marie Stadler

Früher oder später kommt sie immer, die Frage aller Fragen. Wer als Paar unter Leute geht, kennt sie ganz sicher: Naaaa? Wie war das bei euch damals? Wie habt ihr euch kennengelernt? Und dann immer dieses enthusiastisch-erwartungsvolle, fast gruselige Lächeln, das dir sagt: Hab bloß eine ordentliche Antwort. Denn mit dieser Frage werde ich ALLES über euch erfahren. Das bedeutet Angstschweiß für Internetbekanntschaften und Paare, die halt einfach so und großes Tamtam zusammenkamen, weil sie sich im Büro gut verstanden haben oder immer schon irgendwie Freunde waren. Wenn diese Paare dann einfach so die Wahrheit sagen, ist die Enttäuschung groß. Kein gemeinsamer Tauchgang mit weißen Haien, kein zufälliges Treffen bei Sonnenuntergang an der Seine? Nicht mal eine Geschichte, in der das Wort Seelenverwandtschaft oder eine lebensrettende Mund-zu-Mund-Beatmung vorkommt? Gähn!!!

Auch die Experten finden es spannend

„Auch Paarberater und Therapeuten fragen meist erst einmal nach der Kennenlerngeschichte“, erzählt Paarberater Eric Hegmann. Das tun sie aber keineswegs, um zu erfahren, wie viel Hollywood-Potenzial der Anfang der Liebesgeschichte zu bieten hat. Es geht ihnen vielmehr darum, WIE die Geschichte erzählt wird. Erzählt das Paar gemeinsam? Interagieren sie? Wie gehen sie mit Unstimmigkeiten um? Haben sie einen ähnlichen Humor? All das und noch viel mehr kann die Erzählung der ersten gemeinsamen Schritte offenbaren. Der amerikanische emeritierte Professor John Gottman machte ganze Studien zum Thema und fand heraus, dass die meisten langfristig glücklichen Paare ihre Geschichte auf eine ganz bestimmte Weise erzählten. Sie sprachen beim Erzählen in der Wir-Form, nutzten nur selten „er“, „sie“ oder „ich“. Die Partner, die so voneinander sprachen und sich als Einheit präsentierten, blieben statistisch gesehen länger ein Paar und waren glücklicher als die anderen. „Durch das „wir“ bringen sie eine grundlegende Einstellung zur Partnerschaft zum Ausdruck“, erklärt Eric Hegemann. „Eine Einstellung, die besonders tragfähig ist“.

Aber was ist denn tragfähig?

Ganz schwierig findet Eric Hegemann die „Disneyfizierung der Liebe“, wie er es nennt. „Menschen, die glauben, dass das Schicksal diesen einen Menschen für sie bereithält, diese eine große Liebe wie man sie aus Disneyfilmen kennt, haben eine große Erwartungshaltung an die Liebe“, sagt er und erklärt, warum das so gefährlich ist. „Die Liebe, die wie ein Feuerwerk beginnt, beruht zunächst einmal auf sexueller Anziehung. Die ist nicht komplett irrelevant, aber nicht im Ansatz so wichtig wie eine wirklich tiefe Freundschaft, die beide Partner verbindet. Und diese Freundschaft kann ganz unspektakulär beginnen und muss wachsen. Das braucht Zeit.“ Paare, die zu viel auf die ganz großen Gefühle am Anfang geben, sind nach einigen Jahren oft enttäuscht, wenn das Level des Glücks nicht auf Dauer haltbar ist. Es gibt sogar Studien, die belegen, dass Paare, die sich für die Hochzeit mächtig ins Zeug gelegt und dafür sogar verschuldet haben, sich statistisch gesehen eher wieder scheiden lassen, als Paare, die die Feier klein und bezahlbar gehalten haben. „Da geht es wieder um das Thema Sicherheit“, sagt der Beziehungsexperte. „Was wir suchen, ist kein Höhenflug, sondern Vertrauen und commitment.“

Und immer wieder die gleiche Geschichte

Ist die Kennenlerngeschichte also egal? Ach was! Man darf ihr nur nicht zu viel Bedeutung beimessen. Eigentlich wissen wir ja im Grunde auch, dass der Anfang einer Geschichte nicht wirklich viel aussagt. Und trotzdem hören wir sie gerne immer wieder. Wir lesen Bücher über den Anfang, schauen Filme über den Anfang. Jedem Anfang, wie Hermann Hesse so schön sagte, liegt eben irgendwie ein Zauber inne. Und auch, wenn es ein Disneyzauber ist, ist er doch irgendwie rührend. Wenn er dann noch in Wir-Form erzählt wird, können wir sogar auf ein Happy End hoffen. Ein bisschen Disney hat ja auch noch keinem geschadet. Solange wir die Realität mit alten Socken auf dem Sofa, strittigen Erziehungsfragen und nervigen Schwiegermüttern auch gut aushalten. Nur Disney ist halt nicht. Echte Freunde halten auch die Outtakes nach dem Abspann aus. Und darauf kommt es an!

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