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Katja Lewina: Wie eine offene Beziehung funktionieren kann

Katja Lewina: Frau hält Hand
© GBALLGIGGS / Shutterstock
Als Autorin Katja Lewina, 35, erfährt, dass ihr Mann sie betrügt, scheint das das Ende ihrer Ehe zu sein.Doch dann gehen sie einen Deal ein: offene Beziehung, für beide. Seit zwei Jahren liebt sie jetzt zwei Männer. Das ist oft kompliziert. Aber noch öfter: genau richtig.

"Ich will ins Schwimmbad", kräht ein Kind am Frühstückstisch. "Und L. soll mitkommen!" L. ist mein Freund, seit zwei Jahren schon. Für meine Kinder ist er eine Bezugsperson, meine Mutter kennt ihn, wir haben Urlaube zusammen verbracht — eine ganz normale Beziehung halt. Nur dass es da noch meinen Ehemann gibt. Und dass alle voneinander wissen.

Aber alles auf Anfang. Es ist jetzt fünf Jahre her, dass mich ein Unbekannter anrief und erklärte: "Ihr Mann schläft seit Monaten mit meiner Freundin. Ich finde, Sie sollten das wissen." Das ist verrückt, dachte ich. Drei Kinder, große Wohnung, nach all den Jahren immer noch Spaß im Bett – das würde mein Mann nie aufs Spiel setzen! Dann begann die Stimme zu weinen und diktierte mir den Namen der anderen Frau. Die Wahrheit starrte mich von einem gekritzelten Blatt Papier aus an. An diesem Tag hätte mit unserer Ehe Schluss sein können. Stattdessen kratzten wir die nächsten Monate unsere Herzen voreinander aus. Und merkten, dass wir in unserer Wohlfühlblase einen Dreck voneinander wussten: Hätte sich einer von uns je getraut "Mir fehlt etwas" zu sagen? Oder "Unser Alltag erdrückt mich"? Wir konnten nur noch radikal ehrlich zueinander sein – was wir wollten, wie wir es wollten und mit wem.

Natürlich waren wir zuerst auch mal eifersüchtig, mussten Grenzen ausloten, um uns zu schützen. Anfangs war es uns wichtig, dass keiner von uns woanders übernachtet oder dass keine Dates in unsere Wohnung kommen. Ein bisschen Abenteuer außerhalb des Alltags, das war alles. Und es ging erstaunlich gut. Wenn der Mann nach einem Date nach Hause kam mit einem süffisanten Grinsen, wusste ich, dass er trotzdem zu mir gehörte, zu uns, zu den Kids und unter meine Bettdecke.

Ein bisschen Abenteuer außerhalb des Alltags, das war alles.

Als ich also vor zwei Jahren L. auf einer Party kennenlernte, hielt ich eine offizielle Dreiecksgeschichte für undenkbar. Doch im Gegensatz zu all den Typen vor ihm erledigte sich die Nummer mit L. nicht einfach von selbst. Er wollte sich auf mich einlassen, auf meinen Mann, auf unsere Konstellation und unsere drei Kinder, 12, 8 und 6. Heute liest L. ihnen stundenlang Asterix-Comics vor oder geht mit zum Schwimmen, sie wissen, dass er mein Freund ist und dass das mit uns durchaus romantischen Charakter hat. Und ja, auch meinen Geburtstag feierten wir neulich alle (!) zusammen.

Trotzdem mache ich vor den Kindern Unterschiede zwischen den beiden Männern. Ich vermeide es zum Beispiel, mit L. in ihrem Beisein die gleichen Zärtlichkeiten auszutauschen wie mit meinem Mann. Zur Begrüßung gibt es Küsse auf die Wangen, Rum­knutschen geht gar nicht. Er hat eher die klassische "Freund der Familie"- Rolle, damit fühlen wir uns alle am wohlsten. Einmal hat das 8-jährige Kind völlig unaufgeregt gefragt, wen ich denn jetzt mehr liebe, Papa oder L. Da blieb mir echt mein Brötchen im Hals stecken. "Natürlich Papa!", sagte ich. Unsere Kinder wissen sehr genau, dass unsere Familie und Ehe immer die oberste Priorität haben. Trotzdem fragte ich mich gleichzeitig, ob ich meine Kinder jetzt fürs Leben traumatisiere. Zum Glück kapierte ich aber, dass es um einen Realitätsabgleich ging. Kinder wachsen mit dieser Disney-Idee von Partnerschaft auf: Da finden sich zwei und alles wird gut. Das, was wir machen, ist nach diesen Maßstäben ein Ding der Unmöglichkeit. Zum Glück saß mein Mann mit am Tisch. Zusammen erklärten wir ihnen dann, dass man durchaus auch Gefühle für mehrere Personen haben kann, genauso wie man auch verschiedene Freundinnen und Freunde hat. Das fanden sie schlüssig.

Ich weiß schon, was jetzt kommt: "Das ist doch irre, das liest sich so, als ob bei denen immer alles paletti wäre." Natürlich ist es das nicht! Schräge Situationen gibt es immer. Wenn ich L. aus Versehen mit dem Namen meines Mannes anspreche. Oder als mein Mann mal früher als geplant nach Hause kam, während ich nackt und mein Freund in Boxershorts auf dem Sofa saßen. Zum Glück können wir über solche fast schon filmreifen Szenen lachen. Ein bisschen schade finde ich es manchmal schon, dass die beiden ohne mich wohl kein Bier trinken gehen würden. Für gemeinsame Abendessen und Geburtstagsfeiern reicht die Sympathie dann aber auf jeden Fall aus.

Probleme mit unserer Konstellation habe tatsächlich eher ich.

Weil – und ich weiß, das ist Meckern auf hohem Niveau – zwei Beziehungen zu führen gar nicht mal so leicht ist. Zumindest wenn man noch drei Kinder hat, einen Job und seinen Hintern ab und zu mal durch den Park jagen will. Ich habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich eine Freundin treffe, statt zu L. zu fahren. Oder wenn ich mit L. einen Kurztrip mache, statt zu Hause bei meiner Familie zu sein. Ich muss immer zusehen, dass niemand zu kurz kommt. Dabei vergesse ich mich selbst oft. Gerade am Anfang, als L. und ich noch volle Pulle in unserer Verliebtheit schwelgten, lebte ich absolut über meine Grenzen: Aufstehen um 6.30 Uhr, Kinder fertig machen, arbeiten bis 15.30 Uhr, im Wechsel mit meinem Mann Kinder holen oder eben weiterarbeiten, einkaufen, kochen, vorlesen, um 20 Uhr Kinder schlafen bringen, danach (oder zwischendurch) noch zu L. sausen. Ich quetschte ihn so lange in jede sich bietende Lücke, bis ich komplett ausgebrannt war.

Also hieß es: Bedürfnisse kommunizieren, Meinungen aushalten, Kompromisse finden. Gleichzeitig waren Problemgespräche echt das Letzte, was ich mit ihm führen wollte. L. sollte doch meine kleine romantische Alltagsflucht sein! Aber er wollte mehr Auseinandersetzung, mehr Sicherheit, mehr Kommunikation. Berechtigterweise. Nur wurde mir alles zu viel. Bis ich nach ein paar zermürbenden Monaten "Das wird mir zu anstrengend" sagte und mich von L. trennte. Aber so richtig durchziehen konnte ich das nicht. Gott sei Dank! Stattdessen habe ich gelernt, mehr auf mich zu achten, und L. ließ mir mehr Raum. Meist haben wir ein, zwei Dates die Woche, Übernachtungen sind super selten und deshalb super heilig. Eine der wenigen Regeln, die wir haben, ist, dass meine Ehe oberste Priorität hat. Denn wenn es mit meinem Mann nicht läuft, wozu dann das alles? Der einzige ernsthafte Konflikt, den ich heute noch mit L. habe, und das ist fast schon lustig, ist Eifersucht. Bei ihm richtet die sich nicht auf meinen Mann, sondern auf die anderen! Ich meine, es ist jetzt nicht so, dass ich auf Teufel komm raus zusätzlich noch mit anderen Männern schlafen muss, aber es auch theoretisch nicht mehr zu können, gefällt mir ganz und gar nicht. Für L. habe ich beschlossen, mich zurückzunehmen. Für die Ewigkeit gilt das sicher nicht.

Eine der wenigen Regeln, die wir haben, ist, dass meine Ehe oberste Priorität hat.

Andererseits hat es mich auch wirklich fertiggemacht, wenn er andere Frauen gedatet hat. Mir ist klar: Wenn aus denen was wird, kann ich einpacken. Der Gedanke, L. loslassen zu müssen, tut höllisch weh. Trotzdem frage ich mich, ob ich das nicht irgendwann muss. Wenn er eine eigene Familie will. Oder einfach eine Freundin, mit der er Zeit verbringen kann, ohne vorher drei verschiedene Kalender zu checken. Aber wenn mein Mann und ich darüber reden, dass wir eine neue Wohnung brauchen, und er witzelt, dass dann auch unbedingt ein Zimmer für L. frei bleiben muss, ist da dieses Fünkchen Hoffnung, wo ich ihm um den Hals falle und mir erlaube zu glauben, dass man vielleicht doch all das haben kann, was und mit wem man will.

Warum ist weibliche Sexualität immer noch so ein Tabu? In "Sie hat Bock" (224 S., 20 Euro, DuMont) zeigt Katja Lewina kurzweilig auf, wie Rollenklischees uns sexuell verhunzt haben.

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BRIGITTE 10/2020

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