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Eine Mutter erzählt: Ich liebe den Freund meines Sohnes

Ich liebe den Freund meines Sohnes: Pärchen am Strand, sie halten Händchen
© NadyaEugene / Shutterstock
Caroline, 59, und Jeremiah, 33, sind seit vielen Jahren ein Paar, aber das soll geheim bleiben. Nicht nur, weil Jeremiah der besten Freund von Carolines Sohn ist ...

Ich weiß noch, wie wir Jeremiah am Flugplatz abholten. Die ganze Familie war gespannt, wie unser 18-jähriger Austauschschüler aus den USA so sein würde. Und dann sahen wir ihn: buntes Flatterhemd, lange, dunkle Haare und ein umwerfendes Lachen. Er hat unsere Herzen im Sturm erobert. Wir waren anfangs fast ein bisschen eingeschüchtert von seiner Intelligenz und Weltläufigkeit.

Er kannte Budapest, Paris, Rom, London besser als wir, sprach fließend Ungarisch, Spanisch, Französisch. Dabei war er total bodenständig. Das Erste, was er nach seiner Ankunft machte, war, unsere völlig verschneite Einfahrt freizuschaufeln, in Sandalen! Ich glaube, wir waren alle ein bisschen in ihn verliebt. Für unseren Sohn Lukas war er bald wie ein Bruder. Nach sechs Monaten reiste er wieder ab. Er ging aufs College, blieb aber immer in Kontakt mit uns. Das nächste Mal besuchte er uns zwei Jahre später. Da war meine Ehe das reinste Desaster.

Als ich jemanden brauchte, trat er wieder in mein Leben

Mein Mann, 17 Jahre älter als ich, kritisierte an allem herum, wurde immer härter, kleinlicher, zynischer. Irgendwann begann er eine Affäre. Ich ging zur Paartherapie, aber ohne ihn. Er meinte, dass er "so was" nicht braucht. Er brauchte mich auch nicht mehr in seiner Agentur und kündigte mir von heute auf morgen. Ich war deprimiert. Bis Jeremiah kam. Es war, als ob jemand das Licht anknipst.

Ich habe Jeremiah damals nicht viel von meinem Leben erzählt. Das musste ich gar nicht. Wir gingen ins Kino und in Ausstellungen, machten lange Spaziergänge und redeten über Gott und die Welt. Auf einem dieser Spaziergänge nahm er mich plötzlich in den Arm und küsste mich. Das kam schon sehr überraschend, aber irgendwie fühlte es sich auch wie die natürlichste Sache der Welt an. Seither sind wir ein Paar.

Jeremiah ist neben meinem Sohn der wichtigste Mensch in meinem Leben. Mein Geliebter, mein bester Freund, der Mann meines Lebens. Aber das weiß keiner außer uns. In den ersten Jahren haben wir uns nicht oft gesehen. Er studierte in den USA, wir trafen uns auf Reisen. Erst seit vier Jahren leben wir in der gleichen Stadt, aber in getrennten Wohnungen. Wir gehen mit unserer Beziehung sehr diskret um. Jeremiah hat kein Problem damit, mit mir in der Öffentlichkeit Arm in Arm zu gehen, aber ich lasse das nur zu, wenn wir mal spät abends aus einem Restaurant nach Hause laufen.

Vielleicht ist es romantisch. Vielleicht nur ein Schutz.

Es heißt, dass eine geheime Liebe besonders romantisch ist und deshalb manchmal länger hält. Das kann sein. Allerdings bin ich nicht sehr romantisch veranlagt und Jeremiah auch nicht. Aber vielleicht kann diese Liebe im Verborgenen ein mögliches Ende erträglich machen, für uns beide. Sie ist ein Schutz, auch vor abfälligen Bemerkungen und Blicken. Im Kino finden die Leute so eine Liebesgeschichte toll und mutig, aber nicht im wirklichen Leben.

Ich habe Angst, dass sich meine Freunde zurückziehen, und vor allem, dass sich mein Sohn Lukas von mir abwendet. Jeremiah ist sich zwar sicher, dass Lukas es längst ahnt, aber ich glaube das nicht. Und ich finde es so, wie es zwischen Jeremiah und mir ist, schön und richtig. Ich war über 20 Jahre verheiratet, jetzt brauche ich keinen gemeinsamen Alltag mit einem Partner mehr. Selbst wenn Jeremiah und ich offen zusammen wären, würde ich nicht mit ihm zusammenwohnen wollen. Ich bin gern für mich und vermisse nichts.

Demnächst erwarten mein Sohn und seine Frau ihr erstes Kind, Jeremiah soll Patenonkel werden. Ich habe keine Ahnung, wie das alles weitergeht. Trotzdem glaube ich nicht, dass Eltern verpflichtet sind, ihren erwachsenen Kindern auch über den Teil ihres Privatlebens Auskunft zu geben, der sie nicht betrifft und letztlich nichts angeht. Umgekehrt gilt das doch genauso. Und selbst, wenn ich es Lukas jetzt erzählen würde und er kein Problem mit unserer Beziehung hätte, wäre er vermutlich enttäuscht, dass ich ihm aus Angst jahrelang nicht die Wahrheit gesagt habe. Und es gibt eben auch seine Frau, und ich habe große Zweifel, dass sie und ihre Familie das verstehen.

Was mich gerade mehr beschäftigt, ist, dass Jeremiah meinetwegen keine Familie gründet. Er wäre ein toller Vater. Wenn wir über die Zukunft sprechen, sagt er, "egal, was kommt, ich werde dich immer lieben." Tatsächlich weiß ich das. Vielleicht sind wir irgendwann kein Liebespaar mehr, aber wir werden immer füreinander da sein.

Brigitte 03/2019

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