Hoffen alleine reicht nicht
Misstrauen Sie zur Abwechslung mal Ihren Gefühlen. Dass wir uns in jemanden verlieben, der unsere Liebe nicht erwidert, ist vermutlich den meisten von uns schon einmal passiert. Davon gibt es allerdings noch eine Steigerung: wenn wir uns tatsächlich in einer Art Beziehung wiederfinden, in der wir die Einzige sind, die liebt. Während unser Geliebter nur eine Sex-Partnerin, Sympathieträgerin oder stets abrufbereite Freizeitpartnerin in uns sieht und die Beziehung nie mehr als eine "Freundschaft plus" für ihn sein kann. Eine Weile hoffen wir noch, dass sich die Gefühle des anderen verändern. Doch wenn sich unsere Hoffnung nicht erfüllt, wissen wir eigentlich genau, dass wir uns lösen sollten.
Nur: wir können es nicht. Wir können nicht gehen, weil wir so viele Gefühle für ihn haben. Aber ist es wirklich allein die Liebe, die uns hält? Oder haben wir vielleicht nur so eine riesige Angst, einen Schlussstrich zu ziehen, weil wir den grausamen Trennungsschmerz fürchten und die Einsamkeit, die vor uns liegen könnte?
Man muss der Wahrheit ins Auge blicken
Trennungen sind das Erdbeben unserer Seele, und mancher erträgt lieber den Schmerz der unerwiderten Gefühle als die Hölle des Liebeskummers. Dann müssen wir uns mit unseren Verlustängsten auseinandersetzen. Häufig verdient aber nicht alles, was wir Liebe nennen, diesen Namen. Wir können in ein altes Muster geraten sein und verwechseln Liebe mit Sehnsucht. War unsere Kindheit vom ewigen Ringen um die Zuneigung der Eltern bestimmt? Kennen wir Liebe nur als unerfülltes Begehren? In solchen Fällen sollten wir uns dem alten Schmerz stellen anstatt ihn endlos zu wiederholen. Oder aber es sind unsere Emotionen selbst, die uns in die Irre leiten. Wenn wir Jahre um jemanden gekämpft haben, glorifizieren wir diese einseitige Liebesbeziehung allein deshalb, weil wir alles überbewerten, in das wir viel Energie gesteckt haben. Wir rechtfertigen damit unbewusst den Aufwand, den wir betrieben haben. Es erscheint uns falsch, den anderen jetzt zu verlassen – außerdem müssten wir uns dann ja eingestehen, dass wir uns geirrt haben.
Es ist uns so wichtig, verlässlich für uns selbst zu sein, dass wir dafür selbst die Realität verbiegen und an unserer einmal getroffenen Entscheidung festhalten, obwohl sie sich gerade schmerzhaft als falsch erweist. Forscher wie der Psychologe Daniel Kahneman haben aufgezeigt, dass wir zu falschen Urteilen neigen und unsere Wahrnehmung dabei verzerren. So haben wir alle die Tendenz, sichtbare Verluste zu vermeiden. Und daher halten wir nicht nur Aktien zu lange, die immer weiter an Wert verlieren. Wir halten auch an Beziehungen fest, in der unsere Liebe keine Chance mehr hat.
![Die wichtigste Vokabel in 5 Sprachen der Liebe: Verliebtes Pärchen mit Ballon](https://image.brigitte.de/11486348/t/Ld/v3/w960/r1.7778/-/video-sprachen-der-liebe.jpg)
Es mag etwas irritierend klingen, aber wir können auch dem, was wir Liebe nennen, nicht immer vertrauen. Wenn ich mit Menschen spreche, die in einer unglücklichen, einseitigen Beziehung gefangen sind, ist "Liebe" oft das einzige von ihnen genannte Argument, warum sie daran festhalten. Da hilft es genau zu erfragen, was tatsächlich in der Beziehung erlebt wird, das so geliebt wird. Und darauf gibt es dann oft keine gute Antwort mehr.
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