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Hilfe, mein Mann geht in Rente

Hilfe, mein Mann geht in Rente
© GettyImages
So mit 40, da hört sich das mit dem Ruhestand noch herrlich an. Mit 50 sogar noch ein bisschen herrlicher, aber ab 60, da wird die Sache plötzlich greifbar. Da ist man schon so lange durch die Welt gehetzt, dass einem das Wort "Zeit" schon fast ein bisschen Angst macht. Noch mehr Angst macht vielen Frauen allerdings die Kombination "Mann und Zeit".
von Marie Stadler

Statistisch gesehen ist der Mann normalerweise etwa vier Jahre älter als seine Frau. Das wird über die Jahre immer irrelevanter, doch wenn ER dann auf die 65 zugeht, während SIE gerade ihren 60. gefeiert hat, bekommt das Ganze wieder eine Relevanz. Viele Frauen macht die Vorstellung eines Rentners im Haus nervös. Dabei ist es fast unerheblich, ob sie noch voll im Berufsleben stehen oder den Haushalt schmeißen. Dass plötzlich von morgens bis abends jemand zuhause ist, alles mitbekommt und sich einbringen möchte, macht erst einmal Angst. "Das ist kein Wunder", erklärt Heilpraktiker Murat Gündogdu, der jahrelang Paare in Umbruchssituationen und Krisen beraten hat. "Dass der Mann plötzlich rund um die Uhr da ist, ist zum einen eine ganz ungewohnte Situation und schmeißt die eigenen Rituale durcheinander. Zum anderen erfordert es einen ganz anderen Teamgeist." Gerade bei Paaren, die ein sehr traditionelles Rollenverhältnis pflegen, bringt der Ruhestand des Mannes manchmal das gesamte Grundgerüst zum Wackeln.

Jeder Neuanfang ist eine Chance

"Dass sich alles ändert, kann aber auch eine tolle Chance sein!", ermutigt Murat Gündogdu. Bei vielen Paaren hat er erlebt, dass der Ruhestand ein tieferes Verständnis füreinander mit sich gebracht hat. "Viele Paare lernen sich noch einmal ganz neu kennen, wenn der Druck und die Eile aus dem Leben verschwinden und man sich in ganz ungewohnten Situationen erlebt." Damit das "neue Kennenlernen" gelingt, braucht das Paar aber eine gute Kommunikationskultur. "Jede Beziehung ist einzigartig", sagt der Experte. "Das einzige Grundrezept, das für alle gilt, ist: Bleibt im Gespräch." Er empfiehlt, sich nicht erst mit dem Thema auseinanderzusetzen, wenn es soweit ist. Denn wer jahrelang von morgens bis abends gearbeitet hat, kann mit Renteneintritt in ein tiefes Loch fallen. Mit diesem Loch rechnen die Wenigsten, doch oft ist es dann doch plötzlich da. Das ist dann nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, um sich ganz neu zu finden und neue Wege zu gehen. Was dann trägt, ist eine Struktur, die man sich möglichst schon vorher aufgebaut hat. Struktur, das kann zum Beispiel ein soziales Umfeld außerhalb der Firma sein oder ein Hobby, dem man sich schon vor Renteneintritt gewidmet hat. 

Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann

Wer 30 oder 40 Jahre verheiratet ist, der hat Strategien entwickelt, miteinander auszukommen. Machtkämpfe und Grundsatzdiskussionen werden in den meisten langjährigen Beziehungen nach und nach ersetzt durch Rituale und Gewohnheit. Man arrangiert sich und jeder weiß, was er von dem anderen erwarten kann. Mit der Rente kommen dann aber plötzlich wieder viele Fragezeichen auf. Der Haushalt zum Beispiel: Teilen wir den gerecht auf? Kann man mit 65 noch lernen, wie man bügelt? Ist es ok, dass sie nicht weiß, welche Versicherungen abgeschlossen wurden und er die Waschmaschine nicht bedienen kann? "Diese Fragen sind sehr komplex", sagt Gündogdu. "Ok ist im Grunde alles, was sich für beide gut anfühlt. Wenn sie ihn gerne bekocht und er gern Herr über die Akten ist, dann ist das in Ordnung. Schwierig wird es, wenn einer von beiden unglücklich ist." Und das kann viele Ursachen haben und ist ganz individuell. Es gibt Frauen, die die Aufgaben gerechter verteilt haben wollen und solche, die sich in ihrem Hoheitsgebiet bedroht fühlen, wenn der Mann plötzlich mitmischen will. Manche Männer wollen sich mehr einbringen, andere fühlen sich vom neuen Thema Haushalt überfordert.

Abhängigkeit ist normal, muss aber Grenzen haben

In Beziehungen, in denen die Partner schon immer die gleichen Aufgaben erledigt haben, ist der Umbruch nicht so schwierig. Die Frau ist es gewohnt, dass der Haushalt nicht nur ihr Revier ist, der Mann kennt sich aus und fühlt sich nicht inkompetent. Schwieriger wird es, wenn der Haushalt bisher Hoheitsgebiet der Frau war. Da erfordert es viel Fingerspitzengefühl auf beiden Seiten, um sich neu zu ordnen. Alles beim Alten zu belassen, kann Gündogdu aber nicht empfehlen. "Das mag sich für den Moment vielleicht gewohnt und richtig anfühlen. Aber langfristig kann das nach hinten losgehen." Denn die Wahrscheinlichkeit, dass beide Partner bis ins hohe Alter die feste Rollenverteilung aufrechterhalten können, ist gering. Allein schon ein längerer Krankenhausaufenthalt kann zum Desaster werden, wenn dem Partner die Kompetenz fehlt, zu kochen, Überweisungen zu machen oder die Toilette zu putzen. "Das führt dann zu einer ungesunden Abhängigkeit und einer Verlustangst, die weit über den emotionalen Aspekt hinausgeht." Murat Gündogdu empfiehlt auch, sich ein vom Partner unabhängiges Umfeld aufzubauen. "Denn nur, wenn ich auch ohne meinen Partner Dinge erlebe, habe ich ihm etwas zu erzählen." Genauso wichtig wie Distanz findet er aber Nähe. "Es ist immer wieder schade, wie unwichtig manchen Partnern mit der Zeit Körperkontakt wird. Dabei kann eine zärtliche Umarmung oder Sexualität das Wir-Gefühl ungemein stärken."

Alles braucht seine Zeit

Ganz egal, ob man einen Mann mit Hummeln im Hintern oder ein gemütliches Exemplar geheiratet hat, die Umgewöhnung vom Vollzeitjob in den Ruhestand braucht Zeit. "Dass da erstmal viel diskutiert wird, ist völlig normal und zeugt davon, dass die Beziehung noch lebendig ist", tröstet Gündogdu. "Wichtig ist, dass man ehrlich mit sich selbst und dem Partner ist und dass man sich immer wieder in den anderen reinversetzt. Dann kommt der Hausfrieden irgendwann von ganz alleine wieder."

Unser Tipp für besonders anstrengende Tage: Gemeinsam mit einer Tüte Chips aufs Sofa kuscheln und "Pappa ante Portas" gucken. Danach fühlt sich alles viel normaler an.

Wer vor dem Filmabend für klare Verhältnisse sorgen möchte, hier unsere Top 3 Reset-Strategien in Sachen Haushalt:

Schreibt beide jede Aufgabe auf, die ihr in den letzten Jahren erledigt habt und solche, die dazukommen. Schneidet jede Aufgabe als Schnipsel aus und wählt abwechselnd einzelne Aufgaben, die ihr zukünftig übernehmen wollt. So bekommt jeder ein paar beliebte und ein paar Hass-Aufgaben. Gerechter geht es nicht. Am besten macht ihr das regelmäßig, zum Beispiel immer am Neujahrstag, um Abwechslung reinzubringen.

Macht jeweils eine Woche eine Hospitanz bei Eurem Partner. Schaut Euch gegenseitig über die Schulter und macht Euch mit dem Verantwortungsbereich des anderen vertraut. Danach habt ihr beide den Durchblick und könnt fair aufteilen, wer in Zukunft was erledigt. Und im Notfall wisst ihr beide bestens Bescheid, was zu tun ist, wenn der Trockner mal wieder spinnt oder was der Typ am Telefon von der Allianz von euch will.

Empfiehlt sich nur, wenn die Frau noch arbeitet, wenn der Mann in Rente geht: Die Mutprobe. Bedeutet im Klartext, dass der Mann erstmal übernimmt. Alles. Komplett. Ohne Wenn und Aber. Die Frau geht zur Arbeit, der Mann rockt den Haushalt. Aber Achtung, Ladies! Das verlangt nicht nur dem Mann einiges ab, sondern auch euch. Denn Loslassen ist gar nicht so einfach!

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