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"Er hat mich verlassen - und keiner darf es erfahren"

"Er hat mich verlassen - und keiner darf es erfahren"
© prokop / photocase.de
Verlassen zu werden ist schrecklich. Doch wie geht man mit der Trauer um, wenn niemand etwas merken darf? Eine heimliche Geliebte erzählt.

Am dritten Abend in meinem Leben ohne Sebastian saß ich bei uns zu Hause auf dem Sofa und fragte meine Tochter Lateinvokabeln ab. Sie stotterte, konnte mehr als die Hälfte nicht. Ich fragte weiter und immer weiter, nur um nicht an das eine zu denken: Er ist nicht mehr da. Er wird nie wieder da sein. Er hat Schluss gemacht.

"Sag mal, was ist eigentlich mit dir los?", fragte meine Tochter, "Warum schimpfst du nicht, obwohl ich heute so schlecht bin?" Ich blickte sie an, schluckte die Tränen herunter und merkte, dass ich keine Kraft mehr hatte, weder zum Zetern noch für irgendwelche Lügen. Meine ganze Energie ging nur dafür drauf, sie nicht merken zu lassen, dass ihre Mutter Liebeskummer hatte. Niemand wusste von meiner Beziehung mit Sebastian. Niemand hatte eine Ahnung, wie sehr ich ihn liebte. Und deshalb durfte auch niemand merken, wie sehr ich um ihn trauerte. Am wenigsten meine Töchter.

Ich bin verheiratet, unsere Zwillinge sind 13 Jahre alt. Als Sebastian in mein Leben trat, lief es in meiner Ehe schon länger gar nicht gut. Eigentlich hatten mein Mann und ich uns schon seit Jahren allmählich als Liebespaar aus den Augen verloren. Er war ständig unterwegs, ich fühlte mich oft allein gelassen. Wir stritten viel, weil er so wenig Zeit für mich und die Kinder hatte, ausgerechnet jetzt, wo es begann, schwierig zu werden - das "Pubertäts-Getue" unserer Töchter war in seinen Augen offensichtlich meine Sache.

Und dann kam Sebastian, fünf Jahre jünger als ich, gut aussehend, witzig, Single und und zu alldem auch noch stark interessiert. Ich traf ihn auf einem Fest von Bekannten, zu dem ich allein gegangen war. Ich war wahrhaftig nicht auf der Suche nach einem anderen Mann, aber seine Aufmerksamkeit tat mir gut. Und als er mich fragte, ob wir uns nicht zum Abendessen treffen wollten, sagte ich zu.

Schon am ersten Abend landete ich in seinem Bett. Mein Doppelleben begann. Wir trafen uns einmal die Woche und verbrachten einen Abend zusammen. Das fiel nicht weiter auf. Ich hatte immer Ausreden, traf mich angeblich mal mit Freundinnen, gab vor, allein ins Kino zu wollen oder noch einen beruflichen Termin zu haben. Ich arbeite als Steuerberaterin und muss abends manchmal noch zu Klienten. Im Nachhinein wundere ich mich selbst darüber, wie leichtsinnig ich war. Der Gedanke, dass unsere Affäre auffliegen könnte, kam mir damals gar nicht in den Sinn. Ich hatte mich richtig verliebt. Und dennoch wusste ich: Jetzt aus meiner Ehe auszubrechen, ausgerechnet jetzt meinen pubertierenden Töchtern eine Trennung zuzumuten - das bringe ich nicht fertig. Deshalb erzählte ich niemandem von Sebastian. Nicht mal meiner besten Freundin. Er war mein Geheimnis.

Ein gutes Jahr dauerte unsere heimliche Liebesbeziehung. Sebastian wusste, dass ich mich nicht trennen wollte. Über die Zukunft sprachen wir beide nie, wir genossen es einfach, uns zu haben. Dann bekam Sebastian einen Job in einer anderen Stadt, mehr als tausend Kilometer weit weg von mir. Anfangs dachten wir noch, wir könnten uns weiter sehen, nur eben seltener. Aber ich merkte ziemlich schnell, dass sein Interesse an mir nachließ. Früher schrieben wir uns täglich mehrmals Mails oder SMS, plötzlich meldete er sich nur noch sporadisch. Und schließlich rief er an: "Ich glaube, es hat keinen Sinn mehr."

Ich hatte damit gerechnet, dass es eines Tages soweit sein würde. Aber auf das taube Gefühl, das dieses letzte Gespräch in meinem Körper hinterließ, war ich nicht eingestellt. Bloß nicht heulen, dachte ich. Bloß nicht nachdenken. Die Kinder kommen gleich nach Hause. Also riss ich mich zusammen. Ging arbeiten, erledigte den Haushalt, kochte für meine Familie, so wie immer. Meine Hände arbeiteten präzise vor sich hin, und ich sah mir selbst von außen zu, so als wäre ich aus meinem eigenen Körper getreten und zu einem funktionierenden Automaten mutiert. Meine Gefühle hatte ich weggedrückt. Vorläufig.

Wie lange dauert normalerweise die Trauerphase nach einer Trennung? Mein letzter Liebeskummer liegt lange zurück, fast 20 Jahre. Damals war ich 22 und hatte die Beziehung zu einem viel älteren, schwierigen Mann gerade beendet und mir ein wahres Fest an Selbstmitleid gegönnt: hatte im Bett gelegen, mich von Freundinnen trösten lassen, meine Mutter brachte Hühnersuppe und Schokolade vorbei. Und ich tauchte nach drei durchweinten Tagen und Nächten wieder auf, fühlte mich geliebt und gehätschelt und hatte das Gefühl: Mein Leben geht weiter. Mit Sebastian war es anders. Die Liebe war heimlich gewesen, die Trauer musste es auch sein.

In der ersten Nacht nach der Trennung konnte ich nicht einmal weinen, ich fühlte mich nur stumpf. Glücklicherweise war mein Mann nicht da, er hatte sich für zwei Tage auf eine Dienstreise verabschiedet. Später gab es Nächte, in denen ich sogar erleichtert war, meinen Mann neben mir atmen zu hören, ihn zu spüren, auch wenn ich ihm nicht erzählen konnte, warum es mir nicht gut ging. Manchmal schliefen wir sogar miteinander - wie in der Zeit mit Sebastian auch. Nur dass ich jetzt kein schlechtes Gewissen mehr dabei hatte, sondern mich nur leer und traurig fühlte. Rückblickend habe ich das Gefühl, er war in dieser Zeit besonders zärtlich zu mir, vielleicht hat er gespürt, wie schlecht es mir ging, vielleicht wollte er mir zeigen, dass er für mich da ist. So seltsam es klingt: Damals legte er die Saat dafür, dass es mit uns beiden wieder weitergehen konnte. Er stellte nie Fragen. Darüber war ich froh.

Psychologen behaupten, Liebeskummer verläuft in drei Phasen: Nach der Trennung kommt erst die Verzweiflung, dann die Wut, schließlich die Akzeptanz. Ich glaube, über Phase eins bin ich so lange nicht hinausgekommen, weil ich meine Trauer nicht bearbeitete, sondern immer nur kleine, alltagstaugliche Scheibchen von ihr absäbelte. Vielleicht ging es auch der Geliebten von Horst Seehofer so: Sie musste die Trauer so lange verheimlichen, bis sich dieses Gefühl in Wut verwandelte und dann zu einem öffentlichen Racheakt wurde. Ich wurde zur Meisterin des Sich-Zusammenreißens. Ich verbarg meine Gefühle vor allen Menschen, die ich kannte. Und die Verzweiflung ließ ich nur dann zu, wenn mich keiner beobachtete.

Vielleicht muss man, um ein Unglück in den Griff zu bekommen, sich einmal ganz darauf einlassen, in die Tiefe seiner Seele absinken, um dann wieder aufzutauchen. Doch ich erlaubte mir nie, richtig um Sebastian zu trauern, aus Angst, entdeckt zu werden. Ich weinte gelegentlich auf dem Klo im Büro, wenn der Kloß im Hals zu dick wurde. Heimlich surfte ich im Internet, las in Chatforen, was andere verlassene Frauen gegen ihren Schmerz unternahmen. Doch ich bekam mein Unglück nicht in den Griff. "Warum bist du so traurig?", fragten mich meine Kinder. Und ich mogelte mich heraus: mit Heuschnupfen für die verquollenen Augen, mit zu viel zu tun für die Niedergeschlagenheit, mit schlecht geschlafen für die Gereiztheit.

Nach einem knappen halben Jahr hielt ich es nicht mehr aus. Ich rief meine Uralt-Freundin in Würzburg an und erzählte ihr alles. Plötzlich war es mir egal, was sie darüber dachte. Es machte mir nichts mehr aus, ob sie mich für meinen Seitensprung verurteilen würde. Sie aber sagte nur: "Komm her." Drei Tage verschob ich die Trauer noch, dann packte ich meinen Koffer mit all den Dingen, die Sebastian mir im Laufe der Zeit geschenkt oder geschickt hatte: Mails, Fotos, CDs. Abends auf dem Sofa erzählte ich ihr alles: von der Liebe und dem Schmerz, vom Ende und der Heimlichkeit. Anfangs klang meine Stimme in meinen Ohren faktisch und ruhig, fast emotionslos. Immer noch sah ich mir selbst von oben zu. Und plötzlich kamen die Tränen. Sie ließ mich reden und weinen, und ich merkte, wie ich allmählich wieder eins wurde, wie sich der funktionierende Automat wieder in eine Frau mit Seele verwandelte.

Abends las ich die Mails, wühlte in den Fotos, packte alles in einen Karton und deponierte Sebastians Relikte im Keller meiner Freundin. So konnte ich sie aufheben, ohne dass sie je einer finden würde. Von da an ging es mir besser. Nicht, dass die miesen Gefühle einfach weg gewesen wären. Meine Trauer musste ich auch weiterhin portionieren und vor meiner Familie verheimlichen. Aber ich hatte etwas Wichtiges gespürt: nämlich die Tiefe meines Unglücks. Und die Möglichkeit, sie zuzulassen, wenigstens einmal.

Interview: "Wer heimlich trauert, lernt auch seine Stärken kennen"

Warum es besser ist, im Verborgenen zu leiden: ein Gespräch mit dem Autor und Psychoanalytiker Dr. Wolfgang Schmidbauer

BRIGITTE: Wer heimlich geliebt hat, wagt es konsequenterweise auch nicht, offen zu trauern. Funktioniert das?

Schmidbauer: Absolut. Ich plädiere immer dafür, solchen Liebeskummer heimlich oder bestenfalls mit einer eingeweihten Freundin durchzustehen. Das ist in jedem Fall das kleinere Übel, als damit an die Öffentlichkeit zu gehen oder gar den Partner mit dem Ende der Nebenbeziehung zu belasten. Das halte ich für unfair und nicht besonders verantwortungsbewusst. Damit würde die Betroffene noch viel mehr kaputt machen - und die noch bestehende Beziehung mit aufs Spiel setzen.

BRIGITTE: Ist es schwerer, Liebeskummer allein, ohne Unterstützung, zu bewältigen?

Schmidbauer: Nicht schwerer - aber anders. Hinter heimlichem Kummer steckt ein interessanter Mechanismus. Während die Fremdbeziehung anhält, quälen sich die meisten Fremdgeher mit Vorwürfen. Die verschwinden ja nicht einfach, nur weil die Beziehung beendet ist. Der Verrat bleibt bestehen. Viele halten deshalb an ihrem Liebeskummer fest, um ihre Schuld zu sühnen. Nach dem Motto: "Ich bin fremdgegangen. Jetzt geschieht es mir recht, dass ich so leide."

BRIGITTE: Wird man denn auf diese Weise wenigstens das schlechte Gewissen los?

Schmidbauer: Nein. Man kann es nicht durch Schmerz abgelten. Da hilft nur: geduldig warten, bis das Gewissen Ruhe gibt - und irgendwann auch der Kummer. Letztlich kann man daran auch wachsen. Ich gebrauche manchmal eine Metapher für den heimlichen Liebeskummer: Diese Liebe stirbt wie ein Tier, das sich in einen Winkel verkriecht und nicht gesehen werden will. Das hat etwas Einsames, aber auch Heroisches.

BRIGITTE: Macht einsames Trauern stärker?

Schmidbauer: Ja. Weil Menschen damit neue Seiten an sich entdecken. Es braucht Willen, Stärke und Autonomie, um eine heimliche Liebesbeziehung zu beginnen. Dieses Lebensgefühl sorgt für einen Höhenflug. Wenn dann die Liebe stirbt, fehlt einem zunächst die Luft unter den Flügeln, weil plötzlich dieses Gefühl der Autonomie weg ist. Die Trauer allein zu verarbeiten bedeutet aber, dass man sich ein Stück dieses Lebensgefühls zurückholt, sich seines Willens bewusst wird, seine Stärken kennen lernt. Und das kann ein echter Gewinn für die Persönlichkeit sein.

Protokoll/Interview: Nadja Toller

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