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Eventuell-Vielleicht-Lesben "Viele sind überrascht, wenn sie beim ersten Mal zum Orgasmus kommen"

Eventuell-Vielleicht-Lesben: Drei Frauen laufen Hand in Hand
© Simona Pilolla 2/shutterstock
Frauen, die erst Männer und dann plötzlich Frauen lieben, gibt es immer öfter. BRIGITTE-Autorin Diana Huth über mögliche Gründe und darüber, wie es sich anfühlt, wenn man sich in eine dieser Eventuell-Vielleicht-Lesben verliebt.

Konventionen und klassische Konstellationen waren einmal

Dass ich lesbisch bin, weiß ich seit 18 Jahren. Ob ich auf Männer stehe, war nie die Frage. Das andere Geschlecht interessierte mich in etwa genauso sehr wie die Ergebnisse der Ersten Bundesliga. Also gar nicht. Einfacher gemacht hat das mein Leben nicht. In all den Jahren ging meine Achterbahn der Gefühle oft ganz schön hoch hinaus und dann rasant wieder runter. Ich liebte starke und schwache Frauen, kleine und große, sehr feminine - die Szene nennt sie "Femmes" oder "Lipstick Lesbians" - und burschikose, die "Tomboys". Jede war anders, jede war spannend.

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Aber plötzlich ist etwas anders, wenn ich neue Frauen kennenlerne. Es sind immer mehr darunter, die vorher in festen Beziehungen mit Männern steckten und nun die Seite wechseln wollen. Und das macht mein Leben noch weniger einfach.


Ich forsche nach den Gründen und spreche unter anderem mit der dänischen Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning. "Heutzutage ist nahezu alles erlaubt - Selbstbefriedigung, Fetisch, Polyamorie und eben auch Sex mit Partnern des eigenen Geschlechts", sagt sie. Es gebe eine neue Freizügigkeit, die sich durch alle Lebensbereiche zieht. Und neue Rollenbilder in der Sexualität gehörten eben dazu. Es geht nicht mehr um Konventionen, um klassische Konstellationen, um Mann oder Frau, sondern um Erfüllung. Und auf der Suche nach einem erfüllenden Leben stellen viele Frauen für sich fest: "Ich mag auch Frauen." 

Oft kommen die Frauen aus erstarrten Ehen, in denen es keine echte Verbindung mehr gab

Der Grund ist sicher auch, dass sie sich bei einer Frau verstanden fühlen. Oft kommen die neuen Eventuell-Vielleicht-Lesben aus Ehen oder Beziehungen, die schon lange erstarrt waren. Eine echte Verbindung gab es nicht mehr. Bei ihrem ersten Mal mit einer Frau sind sie oft aufgeregt, neugierig und dann überrascht, wie viel leichter es ist. Es ist intuitiver, vertrauter und ebenbürtiger. Eine Frau sagte einmal zu mir: "Das ist der beste Sex meines Lebens. Es ist wie mit der besten Freundin zu schlafen, aber dabei so verliebt wie nie zu sein." Weil man sich viel näher ist und zärtlicher miteinander umgeht. Ich glaube, danach suchen viele Frauen aus heterosexuellen Beziehungen - und sind umso glücklicher, wenn sie es auch finden.

Eventuell-Vielleicht-Lesben sind intensiver und lustvoller

Für mich selbst bedeutet das, dass die Begegnungen mit den Frauen, die vorher heterosexuell liebten, im Schnitt intensiver, lustvoller sind. Weil sie sich mehr hingeben. Mehr genießen. Weil der Sex für sie so aufregend ist wie der erste Sex überhaupt. Nur dass man nicht mehr unbeholfen aneinander rumfummelt wie als Teenager, sondern schon weiß, was Sache ist. Viele sind überrascht, wenn sie gleich beim ersten Mal zum Orgasmus kommen. Das schockiert mich dann immer ein bisschen. Mit der passenden Partnerin habe ich multiple Orgasmen und eine wahnsinnige Symbiose - das ist irre.

Nach einer ersten gemeinsamen Nacht hörte ich von den Eventuell-Vielleicht-Lesben oft: "Das ist viel weicher und viel zärtlicher als mit einem Mann." Dieses neue Gefühl ist dann gleich so überwältigend, dass sie es der ganzen Welt mitteilen wollen. Und das tun viele auch. Sicher auch inspiriert von Celebrities wie Cara Delevingne oder Kristen Stewart, die sich sehr öffentlich zu ihrer neuen Ausrichtung bekennen. Sich mit Frauen zu zeigen ist auch ein Zeitgeist-Phänomen.

Statt Versteckspiel heißt es heutzutage: Offenheit zu lesbischen Gefühlen

Das ist vielleicht der gravierendste Unterschied zu früher. Bis vor ein paar Jahren hatte ich das Gefühl, dass viele Frauen nicht offen zu ihren lesbischen Gefühlen standen. Man verabredete sich heimlich, weil es ja nicht alle wissen mussten. Andere führten jahrzehntelang ein Doppelleben und gönnten sich alle paar Monate einen lesbischen Seitensprung. Heute gibt es Frauen in meinem Bekanntenkreis, die mich voller Stolz anrufen, weil sie sich getrennt haben und jetzt lesbisch sind. Sie sind dankbar dafür, dass sie jetzt das Leben leben, was sie sich immer gewünscht hatten.

Was das für uns Lesben bedeutet? Es verändert die Art, sich zu verlieben und das zu zeigen. Manchmal macht es mir ein bisschen Angst. Ein Beispiel: Es gab da diese eine Frau, mit der ich zusammen war. Sie war verheiratet. Jahrelang unglücklich mit sich und ihrer Beziehung. Sex hatte sie höchstens noch einmal im Quartal. Und dann auch nur aus Pflichterfüllung, weil es eben dazugehört, wenn man zusammen ist. Mit Lust hatte das wenig zu tun. Irgendwann hat sie sich gefragt, ob das jetzt schon alles gewesen sein kann?

Wir trafen uns auf einer Party und küssten uns. Und aus den Küssen wurde bald schon mehr. "Das wird nur eine Bettgeschichte", sagten wir uns. Sie wollte sich ausprobieren, ich meinen Liebeskummer aus einer Ex-Beziehung heilen. Aber eigentlich war mir da schon klar, dass ich mich in sie verlieben könnte. Ich tat es und es wurde dramatisch.

Denn genau da lag und liegt so oft das Problem: Wer sich ausprobiert und seine Welt ganz neu entdeckt, der hat oftmals gar keine Lust, sich gleich wieder fest zu binden. Der will Abenteuer, rumexperimentieren und nicht den Alltag der nächsten Langzeitbeziehung. Ein Outing ist schwer genug, vor allem wenn es dem bisherigen Leben widerspricht. Deswegen befinden sich viele Neu-Lesben lange in dem "Eventuell-Vielleicht"-Status, den heute so viele Beziehungen innehaben. Man ist dann irgendwie zusammen, aber trotzdem noch Single. Bloß nicht zu verbindlich werden. Und dieses Hin und Her führt schnell zu einem gebrochenen Herzen.

Offenheit ist ein Privileg unserer Zeit

Andererseits finde ich es auch toll, wenn Menschen sich ausprobieren und mutig neue Wege gehen. Davon bin ich gern ein Teil. Und das ist natürlich ein sehr wichtiger Punkt, sagt auch Ann-Marlene Henning: "Es geht gar nicht so sehr um Neu- oder Alt-Lesben, Männer oder Frauen, Jung oder Alt, sondern viel mehr darum, sich selbst zu kennen und das den anderen sehen und spüren zu lassen."

Und am Ende denke ich, gerade die Lesbenszene, die sehr häufig mehr Toleranz und Akzeptanz fordert, sollte liberal und offen mit den Frauen umgehen, die sich erst mal ausprobieren wollen. Dass es diese Offenheit gibt, ist ein Privileg unserer Zeit.

Diana Huth/ Brigitte 07/2018

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