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Wie wichtig ist Ehrlichkeit in der Partnerschaft?

Manchmal ist es in der Liebe leichter, sich um die Wahrheit herumzumogeln - mal aus Rücksicht, mal aus Feigheit. Ein Fehler, denn Ehrlichkeit gibt der Beziehung einen ganz neuen Kick.

Sebastian und ich sind seit neun Jahren zusammen, vor fünf Jahren haben wir geheiratet. Wie viele Brautpaare haben wir uns die Zeit vor der Hochzeit mit zermürbenden Auseinandersetzungen vertrieben: Wir diskutierten über Umfang und Inhalt der Gästeliste, über den Ort der Feierlichkeit, den Trauspruch und die Trauzeugen und darüber, wer wessen Namen annehmen würde. Aber nur ein einziges Mal haben wir uns richtig gestritten, nämlich als ich fand, es sei an der Zeit, Eheringe zu kaufen. Sebastian druckste herum. "Ich weiß gar nicht, ob ich einen will", sagte er. "Ich glaube, ich mag keine Eheringe." Ich konterte mit einem fünfminütigen Monolog, in dem Formulierungen wie "Liebe sichtbar machen", "zueinander stehen" und "Mut zur Verbindlichkeit" eine tragende Rolle spielten. Am nächsten Tag gingen wir zum Juwelier.

An einem Donnerstag knapp zwei Jahre später holte ich ihn nach einer Dienstreise vom Bahnhof ab. Er stieg aus dem Zug, und ich sah sofort: Der Ring fehlte. "Oh", sagte Sebastian, "ich glaube, er ist in meiner Hosentasche." War er nicht. Er lag im Koffer. Nachdem ich allerlei Ausreden wie "Ich habe ihn beim Duschen abgenommen" und "Er hat mich beim Telefonieren gestört" entkräftet hatte, kam die Wahrheit ans Licht: Sebastian nahm den Ehering ab, sobald er sich außer Sichtweite befand.

Immer ehrlich zu sein, ist ein unerfüllbares Ideal

Zu den Vertragsbedingungen einer Beziehung gehört die Abmachung: "Ich kann dir vertrauen!" Vor allem frisch Verliebte versprechen einander im Rausch der Verschmelzung, immer ehrlich zu sein. Ein unerfüllbares Ideal, so Diplom-Psychologe Oskar Holzberg: "Ein gewisses Maß an Unaufrichtigkeit ist fester Bestandteil der Konventionen, die unser Miteinander regeln. Und die verlieren auch in der Intimität einer Zweierbeziehung nicht völlig ihre Gültigkeit." Zur Liebe gehöre neben aller Offenheit eben auch Rücksichtnahme auf die Gefühle des geliebten Menschen.

Ehrlichkeit in grundlegenden Dingen ist wichtig

"Mit den Haaren kann ich mich echt nicht auf die Straße trauen, oder?" Auf solche Fragen erwarten wir keine ehrliche Antwort. Holzberg: "Zwischen keinem Paar gibt es totale Offenheit. Aber ich muss daran glauben können, dass der andere in grundlegenden Dingen ehrlich zu mir ist, um mich sicher zu fühlen." Doch was ist grundlegend und was nicht? Die einen Partner empfinden bereits einen verschwiegenen Partyflirt als Verrat, die anderen behaupten, sogar von Seitensprüngen nichts wissen zu wollen, und fordern Ehrlichkeit erst dann ein, wenn eine Affäre ernst zu werden droht. "Jedes Paar", so Holzberg, "hat sein eigenes Niveau, was Ehrlichkeit, Nähe und Vertrautheit angeht. Meist wissen beide genau, welche Heimlichkeiten für den anderen akzeptabel sind und welche nicht."

Sebastians Versteckspiel jedenfalls gehörte nach meinem Verständnis nicht unter die im Kleingedruckten tolerierten geringfügigen Vergehen, es bedeutete einen glasklaren Vertragsbruch. Ich möchte nicht alles wissen, was er denkt, sagt oder tut. Ich möchte nicht von jeder Intensitätsschwankung unterrichtet werden, der seine Liebe zu mir ausgesetzt ist. Wenn sich jedoch Sebastians Gefühle, seine Bedürfnisse oder Sehnsüchte so sehr verändern, dass das Bild, das ich von ihm habe, veraltet ist, dann erwarte ich, dass er mir die Chance gibt, es zu korrigieren: Ich möchte auf dem Laufenden darüber gehalten werden, mit wem ich eigentlich zusammenlebe.

Ich also war sprachlos: Nie im Leben hätte ich ihm solch eine absurde Heimlichkeit zugetraut. Und nun kam hinter dieser von mir geliebten Fassade ein kindischer Bubi zum Vorschein, ein ungefähr Achtjähriger, der sich die kratzige Wollmütze vom Kopf reißt, sobald seine Mutter ihn nicht mehr im Blick hat. Meine ersten Gedanken waren: "Absurd! Lächerlich! Mies!" Etwas später kam ein weiterer dazu: "Aufregend!" Wer war dieser Typ, der da vor mir stand und aussah wie mein Ehemann?

Wahrheit kann schockierend, schmerzhaft, kränkend sein

Die Wahrheit ist immer ein Abenteuer, das Gegenteil vom Alltäglichen. Wer der Wahrheit nachspürt, der zieht das Bühnenbild beiseite, vor dem die Liebe sich abspielt, manchmal so einstudiert und frei von jeder Improvisation, dass wir selbst nicht mehr wissen, ob sie Theater oder Wirklichkeit ist.

Der Experte warnt darum vor Ehrlichkeit um jeden Preis: "Wer dem anderen verletzende Wahrheiten zumutet, der muss sich im Klaren darüber sein, dass er einen Stein ins Rollen bringt, den er eventuell nicht mehr stoppen kann." Eine Freundin verfiel der Idee, vor ihrer Eheschließung reinen Tisch machen zu müssen: Sie gestand ihrem Fast-Mann, dass sie Jahre zuvor heimlich eine Schwangerschaft hatte unterbrechen lassen, die Folge eines ebenfalls verschwiegenen One-Night-Stands. Der zeigte sich völlig überfordert von diesem Bekenntnis, ließ die Hochzeit platzen und rätselt noch heute: "Es war alles gut so, wie es war. Warum hat sie nicht einfach weiter den Mund gehalten?"

Sinnlose und sinnvolle Ehrlichkeit

Ehrlichkeit, die Unabänderliches benennt und unnötig verletzend ist, ist sinnlos: "Ich finde dich nicht mehr begehrenswert, seit du nach der Schwangerschaft so dick geworden bist!" Solche Offenbarungen führen selten zu mehr Vertrauen zwischen Partnern. Regelrecht zerstörerisch wirkt sie, wenn sie zum Blitzableiter für angestaute Aggressionen wird: "Weißt du, was ich tatsächlich glaube? Deine dämliche Examensarbeit wirst du mit 65 noch nicht geschafft haben!"
Die Sorte Ehrlichkeit, die eine Beziehung auch dann voranbringen kann, wenn sie schmerzhaft wirkt, macht den Partner zum Eingeweihten, zum Verbündeten – lädt ihn ein, einen gemeinsamen Weg aus der Klemme zu finden. "Selbstöffnung" nennt der Psychologe die Fähigkeit, einem Gegenüber den eigenen inneren Zustand vermitteln zu können, um so Nähe zu schaffen: "Wenn sie gelingt, dann stärkt das die Bindung."

Sebastians Beichte war eine der wichtigsten Schritte, die wir als Paar miteinander machten. Er erzählte von sich wie niemals vorher: Von seinem diffusen Unbehagen, sich festzulegen. Von der Angst, mit mir darüber zu reden. Von der Beklemmung, die meine Ansprüche bei ihm auslösten, meine Pläne, unsere scheinbar voraussagbare Zukunft.

Ein Abenteuer, das sich lohnt

Es tat mir weh, dass Sebastian unsere Ehe nicht so euphorisch begonnen hatte wie ich und dass er mich hintergangen hatte. Es tat gut, dass er mir jetzt die ganze Wahrheit sagte. Das fiel ihm schwer, und darum war es wie ein besonderes Geschenk, das er mir machte. Ich sah ein, dass er ja versucht hatte, ehrlich zu sein, damals vor der Hochzeit: Ich hatte ihm keine Chance gegeben.

Sebastians Ehrlichkeit rührte mich. Und sie gab mir Mut, selbst ehrlich zu sein. Denn natürlich trage auch ich große und kleine Geheimnisse mit mir herum. Meist rede ich mir erfolgreich ein, sie seien unbedeutend, doch in diesen Tagen schien fast alles von Bedeutung: Sebastian und ich teilten unsere Sehnsüchte, unsere Ängste, unser Innerstes. Es war, als verliebten wir uns neu. Damals nahmen wir uns vor, frühzeitig aufrichtig zu sein, statt irgendwann mit schlechtem Gewissen beichten zu müssen. Das klappt oft, aber nicht immer.

Die Wahrheit ist ein Abenteuer, auf das einzulassen ich mich jedesmal aufs Neue zwingen muss, die mir auch Angst macht. Was ist, wenn Sebastian und ich uns so verändern, dass unsere Leben nicht mehr zueinander passen? Keine Ahnung. Aber eines glaube ich: Wer nicht immer neu wissen will, wie es in dem anderen aussieht, der liebt irgendwann jemanden, den es gar nicht gibt.

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