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Die Wahrheit in meiner Ehe

Eine Beziehung muss nicht alle Bedürfnisse befriedigen, sagt der Paarpsychologe Dr. Roland Weber. Ein Interview über falsche Ansprüche und den richtigen Zeitpunkt für die Wahrheit.

"Viele Paare sind nicht bereit, an der Liebe zu leiden"

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Dr. Roland Weber, 57, ist systemischer Paar- und Familientherapeut. Er leitet die Familienberatungs- und Behandlungsstelle Stuttgart. Von ihm gibt es auch ein neues Buch: "Wenn die Liebe Hilfe braucht. Das Partnerschaftsbuch mit Tests und Übungen", erschienen bei Klett-Cotta, 160 Seiten, 12,90 Euro

Brigitte.de: Dr. Weber, stellen Sie sich vor, in Ihre Sprechstunde kommt eines dieser Traumpaare, das alle für beneidenswert und glücklich halten. Nur: Die beiden haben Probleme, von denen - wie so oft - keiner weiß. Täuscht so ein Paar nicht seine Umgebung?

Roland Weber: Dass viele Paare ihre Probleme nicht an die große Glocke hängen, ist keine Täuschung, sondern ein Zeichen von Loyalität mit dem Partner. Diese Loyalität bedeutet: Mir liegt an unserer Beziehung, unsere Probleme gehen nur uns etwas an. Es dominiert ein Wir-Gefühl.

Brigitte.de: Im geschützten Raum der Beratung sprechen die Paare, Freunde und Bekannte aber denken oft weiterhin: Bei denen ist alles in Ordnung, und wir sind das einzige Paar, in dessen Beziehung es knirscht.

Roland Weber: Es ist gut, dass es diesen geschützten Rahmen und professionelle Hilfe gibt. Freunde sind häufig überfordert mit Hinweisen darauf, dass es bei einem Paar kriselt. Wenn eine Frau ihrer Freundin beispielsweise andeutet, dass es im Bett nicht mehr läuft, kann die Freundin so ein Gespräch als bedrohlich empfinden. Denn es wirft die Frage auf: Wie ist das bei mir?

Brigitte.de: Wir behalten unsere Ehe-Wahrheiten aus Rücksicht auf andere Paare für uns?

Roland Weber: Nein. Wenn Paare nicht mit der Wahrheit herausrücken, dann aus Angst vor einer ehrlichen Bestandsaufnahme. Denn die kann die Beziehung bestätigen oder in Frage stellen. Ein weiterer Grund: In unserer erfolgsorientierten Zeit ist kein Platz für Niederlagen. Erzähle ich, dass etwas schiefläuft in meiner Beziehung, gestehe ich mein Scheitern. Wer mag das schon?

Brigitte.de: Als Paar kann man an vielem scheitern: an der Kommunikation miteinander, an zu viel Nähe, an Einsamkeit . . .

Roland Weber: . . . an der Überschätzung der Liebe und an noch einigen Punkten mehr. Die schlimmste Form des Scheiterns ist aber für die meisten die Trennung; das wird als persönliches Scheitern auf der ganzen Linie erlebt. Dabei ließe sich eine Trennung oft verhindern.

Brigitte.de: Indem man einen Termin beim Paartherapeuten vereinbart? In der Öffentlichkeit entsteht oft der Eindruck, jedes Paar kann glücklich sein, wenn es nur hart genug an sich arbeitet.

Roland Weber: Das ist ein Irrtum - der dazu führt, sich dauernd anzustrengen und unzufrieden zu sein. An einer Partnerschaft kann man bewusst nur in Teilbereichen arbeiten, zum Beispiel an der Kommunikation. Und es ist eben nicht in allen Fällen möglich, eine Partnerschaft zu retten. Es gibt übrigens Untersuchungen, wie viele Paare sich nach einer Therapie trennen. Das sind immerhin noch ein Drittel, aber diese Paare trennen sich in der Regel friedlicher als andere Paare. Was ich allerdings klar sagen möchte: Viele Paare werfen die Flinte vorzeitig ins Korn. Immer mehr Ehen werden schon vor dem verflixten siebten Jahr geschieden, der Anteil liegt mittlerweile bei rund einem Viertel aller Scheidungen. Diese früh geschiedenen Paare nehmen sich die Chance, sich gemeinsam zu entwickeln.

Brigitte.de: In Ihrem Buch formulieren Sie recht krass: "Viele Paare sind heute nicht mehr bereit, an der Liebe zu leiden."

Roland Weber: Überall, wo Menschen aufeinandertreffen und ehrlich miteinander umgehen, sind Konflikte und damit auch ein gewisses Maß an Leiden unausweichlich. Warum soll das in einer Partnerschaft anders sein, nur weil diese zwei Menschen sich lieben?

Brigitte.de: Wer in einer guten Beziehung lebt, denkt also nicht an Trennung?

Roland Weber: Der Gedanke an Trennung ist ganz normal, auch in guten Beziehungen. So ein Trennungsgedanke ist meistens etwas Spontanes, Vorübergehendes. Paare trennen sich nicht wegen Alltagsstreitigkeiten, man geht nicht auseinander, weil man sich nicht auf ein Urlaubsziel einigen kann - aber vielleicht wegen der dahintersteckenden Machtkämpfe. Wenn der Gedanke auftritt, sollte man prüfen, ob es wirklich um die Trennung vom Partner geht oder um den Abschied von Träumen, Illusionen und festgefahrenen Rollen. Der Trennungsgedanke zeigt meist den Wunsch nach Veränderung oder einem Kurswechsel.

Brigitte.de: Sie selbst formulieren gern Paar-Sätze: Ein Paar hat einen Konflikt, ein Paar sucht Hilfe. Müsste es nicht heißen: die Ehefrau? Es sind doch meist die Frauen, die Defizite in ihrer Beziehung empfinden und die darüber reden wollen.

Roland Weber: Es hat sich etwas verändert in den letzten Jahren, was ich sehr gut und beachtenswert finde: Paare suchen heute früher professionelle Hilfe als in der Vergangenheit, sie tun dies viel selbstverständlicher - und Männer kommen stärker von sich aus mit, sie sind aktiver und reden auch leichter.

Brigitte.de: Ja, wenn die Männer erst mal da sind. Was ist mit den Frauen, die ihren Partner bitten: "Lass uns zur Beratung gehen", und er sagt kategorisch "Nein"?

Roland Weber: Diesen Frauen bleibt keine andere Möglichkeit, als etwas für sich selbst zu tun. Was im Idealfall Paare miteinander erforschen, kann die Frau - oder der Mann - auch erst mal für sich allein herausfinden: Wie wichtig ist mir, das, was mich stört, jetzt zu klären? Warum ist aus Sicht meines Partners offenbar alles in Ordnung? Was hat das, was mir missbehagt, mit mir zu tun, mit meiner Kindheit, mit alten Verletzungen? Wird mein Partner von meinen Wünschen überfordert? Oder kennt er sie gar nicht?

Brigitte.de: Man macht sich also auf die Suche nach der eigenen Ehe-Wahrheit - die man manchmal erst erkennt, wenn man sie ausspricht. Wenn man etwa der besten Freundin gesteht: Bei uns lebt jeder neben dem anderen her. Wie verarbeitet man diese Wahrheit?

Roland Weber: Zunächst kann es einfach mal entlastend sein, sein Herz auszuschütten. Man kann dabei auch spüren, wie ernst es einem mit dem Gesagten ist. Aber dann geht es darum, auszuhalten, dass es die eigene Wahrheit ist, die man im Wortsinne in die Welt gesetzt hat. Es ist wichtig, dann nicht zurückzuschrecken, die Probleme kleinzureden, zu verdrängen. Hier fängt die eigentliche Arbeit an. Und was für das Paar gilt, gilt auch für den Einzelnen: Es ist sinnvoll, die eigenen Ansprüche zu überprüfen.

Brigitte.de: Welche Ansprüche?

Roland Weber: Als Allererstes den Anspruch auf die immerwährende romantische Liebe.

Brigitte.de: Das fällt schwer: Liebesfilme à la Hollywood oder Rosamunde Pilcher gaukeln uns diese Liebe nun mal vor. . .

Roland Weber: Wer das tatsächlich zum Vorbild nimmt, verwechselt Anspruch und Wirklichkeit.

Brigitte.de: Wir täten also gut daran, uns weniger an anderen zu orientieren?

Roland Weber: Jedes Paar sollte seine eigene Wahrheit finden. Und jedes Paar sollte sich fragen: Muss unsere Beziehung alle Bedürfnisse befriedigen, die vorstellbar sind? Zum Beispiel: Vertrautheit und tollen Sex, zu dem immer eine Portion Fremdheit gehört. Eine Familie mit mehreren Kindern und Karriere beider Partner. Ein Mann mit einer starken Schulter und der einfühlsame Gesprächspartner. Es ist ein bisschen vermessen, alles mit einem Partner haben zu wollen.

Brigitte.de: Wenn Mann und Frau als Paar an diesen Fragen arbeiten, erscheint das einleuchtend. Wenn eine Frau das allein tut, weil der Partner nicht bereit dazu ist, besteht dann nicht die Gefahr, dass sie einfach nur zurücksteckt?

Roland Weber: Nur, wenn sie von ihrem Mann sehr abhängig ist. Es ist doch so: Auch bei einem Paar muss jeder für sich herausfinden, was gut an dieser Beziehung ist. Dazu gehört auch, zu schauen, was bislang der Zweck der Partnerschaft war: Kinder haben? Kinderlos reisen und Karriere machen?

Brigitte.de: Der Zweck der Partnerschaft - das hört sich aber nüchtern an.

Roland Weber: Das mag sein, und wenn Paartherapeuten sagen: Im Zweck der Liebesbeziehung liegt eine ungeheure Stärke, aber auch eine Begrenzung - dann erschreckt Sie das vielleicht noch mehr, weil das so wenig mit unserer Vorstellung von der romantischen Liebe zu tun hat.

Brigitte.de: Können sich Paare wirklich mit dem Gedanken anfreunden, eine so zweckorientierte, vernünftige Zweisamkeit zu pflegen? Wo bleibt da die Leidenschaft?

Roland Weber: Keiner zwingt ein Paar, nicht leidenschaftlich zu sein. Aber ich weiß, was Sie meinen: Die Leidenschaft lässt in Langzeitbeziehungen nach. Frisch Verliebte haben viel Sex, sie bauen ihre Bindung damit auf. Länger zusammenlebende Paare sind auf den Sex als Bindemittel nicht mehr angewiesen, sie erleben Zugehörigkeit auch anders.

Brigitte.de: Aber nicht alle Paare können sich mit fehlendem oder wenig aufregendem Sex anfreunden. Das ist sicher ein besonders heikler Punkt, wahrscheinlich kursiert auch deswegen schon lange diese Geschichte, die fast wie ein Witz erzählt wird: Ein Paar kommt zum Therapeuten, der sagt: "Auch Sie beide können wieder ein aufregendes Sexleben haben. Ich gebe Ihnen die Hausaufgabe: Verabreden Sie sich in Ihrem eigenen Schlafzimmer wie mit einem Fremden, jeder bringt etwas Schönes mit." Am Ende sitzt dieses Paar in der Küche und lacht.

Roland Weber: Also, von Hausaufgaben sprechen ich und die meisten meiner Kollegen natürlich nie, wir sind Therapeuten, keine Lehrer. Wir schauen mit jedem Paar individuell, was hilfreich sein könnte - Erotik und leidenschaftlicher Sex braucht Freiheit und den Mut, gemeinsam etwas auszuprobieren. Vielleicht findet ein Paar ja auch für sich heraus: Uns beiden ist Sexualität gar nicht so wichtig. Wenn ein Paar nicht vorzeitig aufgibt, wenn es nach Verliebtsein, Enttäuschung und Machtkampf allmählich zu einem realistischen Miteinander kommt, hat es sich irgendwann von den meisten Klischees gelöst, die suggerieren, wie ein ideales Paar sein soll. Natürlich kann sich ein Paar auch für getrennte Schlafzimmer entscheiden und sich trotzdem lieben. Und es wird diesem Paar dann zu Recht auch ganz egal sein, was Eltern oder Freunde dazu sagen.

BRIGITTE Heft 21/2007

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