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Depressiver Partner Auch meine Welt war grau in grau

Depressiver Partner: schwarz weißes double exposure einer Frau, die die Hände vor das Gesicht hält
© vika_hova / Adobe Stock
Wie führt man eine Beziehung mit einem depressiven Mann? Über den heiklen Ritt zwischen Gehen, Bleiben, Hilfe und Selbstschutz in der Partnerschaft.

Es hätte so schön sein können. Nach vier Jahren Fernbeziehung war Matthias* zu Carola* gezogen. Endlich auch am Montag gemeinsam einschlafen oder spontan nach Feierabend an den See. Fehlte nur noch ein neuer Job für ihn. Doch der war nicht so leicht zu finden. Nur eine kleine Krise, dachte Carola.

"Wenn man sich nur selten sieht, zeigt sich jeder von seiner Sonnenseite. Ich hatte ihn als eloquent, einfühlsam und diskussionsfreudig kennengelernt", erinnert sie sich. Der Mann, der jetzt auf ihrem Sofa saß, hielt Monologe, war antriebslos, begann, sie zu kontrollieren, schlief nachts schlecht und seltener mit ihr. Sie versuchte zu helfen, suchte Stellenangebote und Fortbildungen. Er blockte ab. Manchmal ging sie jetzt nach der Arbeit lieber mit Kolleg:innen etwas trinken und fühlte sich wie eine Verräterin. Er brauchte sie doch. Irgendwann ging er tatsächlich zum Therapeuten, nahm Medikamente, warf bald alles wieder hin, sagte: Der versteht mich nicht. Die Tabletten machen mich erst recht krank. Carola dachte über Trennung nach, heimlich, halbherzig, mit Schuldgefühlen.

Eine akute Depression ist wie eine kratzige, graue Decke, die allen die Luft nehmen kann, nicht nur den Betroffenen, auch ihren Partner:innen und Familien. Nach Angaben der Deutschen Depressionshilfe erkranken rund acht Prozent aller Erwachsenen im Laufe ihres Lebens, der Statistik nach sind es mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer.

Das Bild von Männlichkeit und Stärke

In Wirklichkeit, glaubt Elisabeth Schramm, psychologische Psychotherapeutin und Professorin am Uniklinikum Freiburg, ist der Gender Gap weniger tief. Denn viele Betroffene tauchen in der Statistik nicht auf: "Für die Mehrheit ist es noch immer ein größeres Tabu, sich einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen. Es kratzt an ihrem Bild von Männlichkeit und Stärke." Auch wenn seit ein paar Jahren einiges im Wandel ist: Der Schock nach dem Suizid des Hannoveraner Torwarts Robert Enke 2009 hat das Thema präsenter gemacht, Blogs und Bücher von männlichen Autoren haben das Bewusstsein geschärft, dass Depression viele Facetten hat. Aktuell ist der Komiker Kurt Krömer mit einem Bericht über seine Erkrankung in den Bestsellerlisten. Männer leiden nicht weniger, aber oft auf andere Weise. Und das hat Folgen für ihr Umfeld.

Die Geschichte von Carola und Matthias ist typisch. Oft deuten zuerst anhaltende körperliche Symptome darauf hin, dass etwas nicht stimmt: Männer schlafen schlecht, klagen über Kopf- und Bauchschmerzen, trinken zu viel bis zur Alkoholsucht. Oft sind sie dabei weniger still und passiv, als es dem Klischee eines depressiven Menschen entspricht. Elisabeth Schramm spricht vom "externalisierenden Spektrum" und meint damit: Gereiztheit, Wutausbrüche, Impulsivität. "Ich war ständig wie auf Zehenspitzen unterwegs", sagt Carola, "ein falsches Wort von mir, und er war sofort auf hundertachtzig." Genauso typisch ist auch Carolas erste Reaktion, sagt Schramm: "Frauen fühlen sich für das Wohlergehen anderer verantwortlich. Sie setzen meist alle Hebel in Bewegung, kümmern sich, umsorgen den Partner. Im umgekehrten Fall ist das Muster meist anders: Partner depressiver Frauen gehen eher auf Abwehr und glauben, man würde ihnen die Schuld geben am Zustand ihrer Frau."

Dabei ist es erst mal ein Segen, wenn eine Frau ihrem Mann den Rücken stärkt und sagt: Du schläfst so schlecht, bist bedrückt und reizbar, du solltest mit einem Profi sprechen, ich begleite dich, wenn du möchtest. Aber Unterstützung kann auch das Gegenteil bewirken. Nämlich wenn Frauen den Alltag ihres Mannes organisieren, als wäre er ein Kind, seine Krankheit nach außen vertuschen und so das Unglück eher stabilisieren. Bei Partnerinnen von Suchtkranken spricht man von Co-Abhängigen, hier könnte man von Co-Depressiven sprechen.

Vertrautes Terrain

Oft ist ein solches Verhalten die Folge eigener, innerer Muster. Häufig, sagt Schramm, verlieben sich gerade Frauen, die sich von Kind an stark für andere verantwortlich gefühlt haben, für kranke Geschwister oder belastete Eltern, in Männer mit einer depressiven Neigung. Schließlich finden sie sich in einer Situation wieder, die zwar bedrückend, aber auf eine verquere Weise vertrautes Terrain ist.

Dabei bedroht die Krankheit so gut wie alles, was die Zweisamkeit ausmacht. Gespräche? "Nee, lass mal." Unternehmungen mit Freunden? "Mir ist nicht so" (oder passiv-aggressiv: "Ja, geh dich nur ohne mich amüsieren" oder "Hast du schon einen Neuen?"). Sex? Mal wieder zu schlapp. Geschlechtergerechte Arbeitsteilung? Von wegen: Nun müssen Frauen zu Hause alles allein stemmen.

Das hat Lara erlebt. Ihr Mann Arne hatte schon immer seine grauen Phasen, doch nach der Geburt des gemeinsamen Babys wurde es schlimmer denn je. "Ich hatte schwere Geburtsverletzungen, musste mich um ein Neugeborenes kümmern und er saß apathisch auf dem Sofa und daddelte an der Konsole. Es war, als hätte ich ein zweites Kind." Dazu kam die Sorge: War Arne überhaupt in der Lage, feinfühlig mit einem kleinen Baby umzugehen? Das wiederum fand er übergriffig, erzählt Lara: "Er sagte immer wieder: Du bist doch nicht meine Mutter! Aber er konnte sich ja nicht einmal um sich selbst kümmern." Es dauerte ein gutes Jahr, bis er sich selbst eingestand: Ja, ich brauche Hilfe.

Nicht alles abnehmen

Und wieder war es Lara, die das gemeinsame Leben managte, Informationen sammelte, nach Therapieplätzen suchte – und immer weiter in den Teufelskreis aus Hilfe und Entmündigung rutschte. Elisabeth Schramm kennt diese Erzählungen. "Wir raten den Partnerinnen immer: Nehmen Sie ihm nur das ab, was er wirklich nicht leisten kann. Sonst schwächen Sie sein Gefühl für Selbstwirksamkeit." Ganz alltäglich: Du bist nicht in der Lage, dich um den Abwasch zu kümmern? Dann räum eben nur die Spülmaschine aus, ich stelle das Geschirr in den Schrank. Du bist zu schlapp, um spazieren zu gehen? Dann komm wenigstens mit raus auf den Balkon und zieh dir etwas an. "Es ist nachweislich so: Wenn Frauen ihren Partner zu sehr aus der Verantwortung entlassen, kommt es eher zu Rückfällen."

Zweiter, fataler Fehler: Vor lauter Hilfe für den depressiven Mann und der eigenen, alltäglichen To-do-Liste die Selbstfürsorge aus den Augen verlieren. Das heißt nicht nur, eigene Interessen pflegen, zum Sport oder ins Museum gehen, um den Kopf freizubekommen. Sondern auch: sich Hilfe holen, praktisch und psychisch. Lara erinnert sich: "Wenn ich mit Freundinnen telefoniert habe, wollten die immer wissen: Wie geht es Arne? Mittlerweile antworte ich: Frag doch mal, wie es mir geht."

Und, auch das wagen Frauen oft viel zu spät: Grenzen ziehen. Vor allem gegenüber Männern, die ihr Unglück aggressiv macht. Das hat Carola erlebt. Eine Weile ging es ihrem Freund besser, sie schöpfte Hoffnung, dann kehrten die verdrängten Dämonen zurück. Vorwürfe aus dem Nichts, böse Worte. Am wenigsten ertrug er, wenn es Carola gut ging. Irgendwann wurde er im Streit so ausfallend, dass er ihr einen Holzclog an den Kopf warf. Und sie mit einer Platzwunde in der Notaufnahme landete. "Ich kann das heute kaum glauben, aber damals habe ich ihn gedeckt und mir eine Erklärung für die Verletzung zurechtgelegt."

Den richtigen Weg finden

Doch ein paar Monate später fuhr sie allein von einem Fest nach Hause. Sie hatte gelacht, getanzt, sich unterhalten. Und merkte plötzlich: So, wie ich heute Abend war, das bin eigentlich ich. "Depression ist ansteckend", sagt sie, "zunehmend habe ich die Welt selbst nur noch grau in grau gesehen." Und plötzlich gab es nur noch einen Weg, so hart er sein mochte. Am Abend, ehe sie Matthias verließ, rief sie seine Schwester an und sagte: Komm bitte, kümmer dich um ihn. Einer muss die Verantwortung übernehmen. Aber ich kann es nicht mehr.

Auch Lara ist schon einmal aus- und dann doch wieder eingezogen. Sie will den Kampf weiterführen, für Arne, für sich, für ihr Kind. "Es gibt ja immer wieder Momente, in denen etwas von früher aufblitzt und er der ist, den ich kenne und liebe." Wenn er in guten Phasen mit dem Sohn spielt, wenn sie ans Meer fahren und er sich am Glitzern der Wellen freuen kann. Doch ihrem Mann fehlt noch immer der richtige Therapieplatz; die Wartelisten sind lang. "Ich möchte ihm so gern helfen, wieder er selbst zu sein", sagt Lara. Man möchte hinzufügen: Aber dir selbst hoffentlich auch.

Hilfen für Angehörige

Selbstcoaching: Der "Familiencoach Depression" ist ein Online-Angebot, das Elisabeth Schramm zusammen mit der AOK entwickelt hat und das für alle zugänglich ist (gemeinsam-durch-die-depression.de oder depression.aok.de).

Information: Broschüren für Angehörige, Beratung per Infotelefon und Online-Foren bietet auch die Stiftung Deutsche Depressionshilfe (deutsche-depressionshilfe.de).

Lesetipps: "Wenn der Mensch, den du liebst, depressiv ist" von Laura Epstein Rosen und Yavier F. Amador (Rowohlt), "Depressionen verstehen: Hilfe für Angehörige und Freunde" von Selina Vogt (Nymphenburger), "Leben mit einem depressiven Partner" von Ulrike Borst (Patmos)

*Namen sind auf Wunsch der Betroffenen geändert

Brigitte

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