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Mein Mann, die Quarantäne und ich

Mein Mann, die Quarantäne und ich: Mann und Frau
© Kichigin / Shutterstock
Während die Welt unter "Social Distancing" leidet, wünscht sich BRIGITTE-Redakteurin Alexandra Zykunov nichts sehnlicher als Distanz herbei. Sie befürchtet sonst "Unsocial Divorcing".

Wenn du das liest, könnten der Mann und ich getrennt sein. "In China explodiert die Scheidungsrate", rief er mir vor vielen Wochen (in gefühlt einem anderen Leben) zwischen unseren Routinen von Job, Kinder abholen und Abendessen zu. Ich räumte die Küche auf, er bespaßte die Kids und ich wiegte mich in Sicherheit, dass wir die paar Wochen Shutdown leicht meistern würden. Als ob!

Social Aufeinanderhanging – Die Paarantäne

Heute möchte ich allen Promis, die seit Ewigkeiten in Videos runterbeten, wie man doch einfach eine neue Sprache lernen sollte (ja, wie viele denn noch?!), ins Gesicht springen. Vom "Social Distancing" merke ich jedenfalls nichts mehr. Dafür sehr viel "Social Aufeinanderhanging", gefolgt vom "Social Fighting" und einem geiernden "Social Divorcing" am anderen Ende des Hausflurs.

Nach Wochen des Homeoffice-mit-Kids-Debakels kam nämlich ein neues Problem dazu: die "Paarantäne". Die fühlt sich an, als würden der Mann und ich in Frührente geschickt. Wir hocken aufeinander, in Küche, Bad, Schlaf- und Kinderzimmern, sehen, hören, riechen alles, was man an einem Acht-Stunden-Tag in einem netten, aufgeräumten und krümelfreien Büro so schön ausblenden kann. Was passiert zum Beispiel, wenn man feststellt, dass die eigentlich gedachte Aufgabenverteilung von 50/50 gar nicht so gegeben ist? Wenn die Geschirrladungen einer vierköpfigen Familie explodieren, ich dreimal am Tag den Geschirrspüler ausräume und klar wird, dass der Mann ("Wo lagen noch mal die Tabs?") es das letzte Mal vor hundert Jahren gemacht hat? Es sind meist Extremsituationen, die solche Ungleichheiten ans Tageslicht bringen.

Ich meine, ja, er fährt die Hälfte des Tages mit den Kindern weg, damit ich arbeiten kann, ja, er geht mehr einkaufen und ja, er bringt sie jeden zweiten Abend ins Bett. Was aber, wenn der Mann damit seinen Teil der Carearbeit als erledigt sieht – und Bastelnachschub, löchrige Hosen oder Bettwäscheladungen mir überlässt? Dazu Kurzarbeit, die ständige Sorge um die eigenen Eltern – all das gehört zum sogenannten Dichtestress, der in den vergangenen Wochen Paare so richtig zur Weißglut getrieben hat. Was man sonst nur von Tieren kennt, die zusammengepfercht werden, mit Symptomen wie Apathie oder Aggression, lässt sich nun also am Homo sapiens beobachten.

Die aktuelle Situation ist einfach ein großer Stressauslöser

"Mehr Toleranz, weniger Nörgeleien", schlagen die Ratgeber vor. Wie zur Hölle soll man das denn machen, wenn im Hausflur wochenlang seine miefige Sporttasche herumliegt, mit der ich ihn nur noch bewerfen möchte? "Wir müssen dem anderen jetzt noch mehr Raum lassen", sagt Psychologe Philipp Herzberg von der Helmut-Schmidt-Universität. "Also nicht ständig ins andere Zimmer rennen, dort auch nicht nach dem Ladekabel suchen und auch nicht bitten, mal eben kurz auf die Kinder aufzupassen." Und: lieber beim Spazieren streiten. Bitte was? Was nach einem schlechten Corona-Witz klingt, ist sogar belegt: Man konzentriert sich aufs Laufen, geht nebeneinander, sodass dieses frontal Aggressive verschwindet.

Stellt sich trotzdem die Frage, wie viel Streit eigentlich noch okay ist. Die aus der Konfliktforschung bekannte Gottman-Konstante, benannt nach dem Psychologen John Gottman, besagt, dass man fünf schöne Dinge erlebt haben sollte, bis einmal die Fetzen fliegen dürfen. Fünf schöne Dinge – muss gerade noch jemand lachen? "Ja, wir streiten jetzt öfter, das müssen wir akzeptieren", sagt Herzberg. Aber eine Konstante sei eine Konstante, auch in Corona-Zeiten. Häufen sich die Konflikte, sollten wir eben die netten Erlebnisse vermehren. Ah, ja.

Wenn jetzt nur nicht die Grundsatzdebatten losgehen würden. Wenn er sich Abend für Abend freut, keinen Freizeitstress mehr zu haben, ich aber seit Wochen ums abendliche Versacken mit Freundinnen trauere. Wenn er seine Kraft aus der intensiven Zeit mit den Kindern zieht, ich Brettspielpanikattacken habe und er mir vorwirft, Prioritäten falsch zu setzen. Wie schafft man es da, nicht die ganze Beziehung anzuzweifeln? Durch Empathie, sagt Herzberg. Warum reagiert der, die andere so? Was braucht er oder sie? Und: Werden diese Probleme nach Corona wirklich noch wichtig sein? "Die aktuelle Situation ist einfach ein großer Stressauslöser. Das kennen Menschen entweder von bedrohlichen Situationen – oder auch von simplen Familienfesten. An Ostern hätten wir uns ja auch gestritten, aber wir hätten gewusst, es wird vorübergehen. Und so ist es jetzt eben auch."

Umgang mit der Krise

Ganz ehrlich: Als ich über seine stinkende Sporttasche ausgeflippt bin, war mir das alles egal. Ich hasste einfach alles, wofür sie in ihrer Mir-doch-egal-Mentalität stand. "Weißt du was, Alex, ich wünsche dir einen anderen Mann, damit du endlich siehst, was du an mir mal hattest!", schmetterte er mir entgegen. Danach saß ich zwei Stunden heulend in unserer seelenverlassenen Kita.

Ich weiß, das sind alles Privilegiertenprobleme, kein Vergleich zu prekären Familiensituationen, das müssen wir uns viel öfter vor Augen halten. "Am Ende hilft es, sich zu fragen: Wenn ich mit dem Partner noch länger zusammenrücke, macht mich das fertig oder ziehe ich daraus auch irgendwo meine Kraft?" Gute Frage ...

Am nächsten Tag hat der Mann sich entschuldigt. Per WhatsApp, immerhin. "Ich will keine neue Diskussion", sagte ich abends, "aber du musst wirklich verstehen, dass ich mit der Krise anders umgehe. Nicht jeder ist wie du. Und du musst bitte noch mehr im Haushalt übernehmen. Ich sehe ja, was du schon alles machst ..." (durch die Zähne dann) "… ich sollte es wohl auch öfter sagen." Boah, wie mich das nervt, dieses pädagogisch wertvolle "Ich sehe dich"! Wahrscheinlich weil ich auch nichts anderes hören will als genau das. Wir alle tun das. Zu allen Zeiten. Corona hin oder her.

Achtung, Spoiler: Nach vielen Wochen "Paarantäne" sind Alexanda Zykunov und ihr Mann noch zusammen. Er schickt ihr immer wieder Artikel über ihr "privilegiertes Wohlfühljammern” und sie ihm Ehetipps für gegenseitiges Anerkennen. Auch eine Art Kommunikation ...

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BRIGITTE 11/2020

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