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Beziehungsende Tipps von der Paartherapeutin

Beziehungsende: Paar in der Krise
© LightField Studios / Shutterstock
Wenn eine Beziehung in die Brüche geht, ist das für alle Beteiligten schmerzhaft. Das Mitgefühl gehört jedoch meist denjenigen, die verlassen werden. Die Paartherapeutin Sissel Gran richtet den Blick auf die vermeintlich Bösen: die, die gehen - und will sie rehabilitieren.

Frau Gran, Sie haben sich in Ihrem Buch intensiv mit Menschen befasst, die ihren Partner verlassen. Intuitiv denkt man doch: Die oder der, der sitzen gelassen wird, braucht mehr Zuwendung.

Da gibt es eine große Leerstelle in unserer Gesellschaft. Wenn eine Person, die im Freundeskreis den Eindruck macht, eigentlich ganz in Ordnung zu sein, verlassen wird, fragen alle entgeistert: Warum? Die Leute denken: Wieso muss man sich von jemandem trennen, der kein Psychopath ist, nicht gewalttätig ist oder keine Drogen nimmt? Einen hochproblematischen Partner zu verlassen wird im Allgemeinen gutgeheißen. Ich wollte aber denen eine Stimme geben, die einen scheinbar netten oder sympathischen Menschen verlassen. Ich bin in den 40 Jahren, in denen ich als Paartherapeutin arbeite, vielen begegnet, die aus einer Beziehung ausbrechen mussten, die einfach nicht anders konnten. Und immer lag die Sympathie bei denen, die zurückblieben.

Weil deren Schicksal mehr berührt?

Natürlich. Verlassen zu werden ist auch etwas extrem Schmerzliches, ein Schock. Da bricht ein großes Stück heraus, man fühlt sich völlig schutzlos. All das veranlasst uns fast instinktiv, Mitleid mit den Verlassenen zu haben, sie beschützen zu wollen. Aber das ist nur die eine Seite der Story. Die kennen wir gut. Darüber wurden viel Dramen und ganze Opern geschrieben.

Aber wir wissen nichts über die andere Seite.

Diese Menschen haben meist einen sehr langen Prozess durchlaufen, manchmal über viele Jahre. In denen sie davon geträumt haben, dass die Beziehung sich verändert, sich Dinge verbessern. Oft sind sie die Verlassenen, während die Beziehung nach außen scheinbar intakt ist. Sie haben oft das Gespräch gesucht, probiert, Dinge auf den Tisch zu bringen – erfolglos. Alle, die ich für mein Buch interviewt habe, kommen immer wieder auf ein zentrales Gefühl zurück: totale Einsamkeit. Sie nennen Adjektive wie isoliert, unsichtbar, unwichtig. Und während sie immer mehr schwinden, verlieren sie zunehmend die Hoffnung auf eine gute Zweisamkeit. Bis sie schließlich gehen.

Sie sind eine Fürsprecherin für die Ausbrechenden geworden. In Ihrem Buch schreiben Sie, wie erschüttert diese durch die Trennung oft sind.

Viele von ihnen müssen heftig weinen, wenn sie davon erzählen, wie hart sowohl das ewige Aushalten als auch der endgültige Schritt zum Bruch waren. Es kostet unfassbar viel Kraft, ein emotionales Band zu einem Menschen, den man einmal geliebt hat, zu zerreißen. Das Erstaunliche ist: Sie brechen auch lange danach noch in Tränen aus – wenn die Trennung schon länger zurückliegt. Sogar, wenn sie längst wieder verheiratet sind oder es ihnen jetzt gut geht, können sie sich genau an die Trauer von damals erinnern, kurz bevor sie gegangen sind. Es war, als würden sie sterben.

Ist Ausbrechen am Ende ein Überlebensinstinkt?

Genau. Keiner erzählte: Wir haben so viel gestritten. Alle beschreiben einen Drang, das eigene Leben retten zu müssen. Nicht mehr wie unter einer Beatmungsmaske zu liegen, weil man keine Luft mehr bekommt. Das ist eine dramatische Metapher, aber sie trifft zu. Die Betroffenen können kaum noch richtig atmen.

Wie können wir ein anderes Bild in unsere Köpfe kriegen – vom kitschigen "Bis dass der Tod uns scheidet" zum realistischeren "Es hat leider nicht funktioniert"?

Das Lebewesen Mensch ist mit Hoffnung ausgestattet. Sie macht, dass wir nicht leichtfertig aufgeben. Auch in schwierigen Beziehungen gibt es immer wieder gute Momente, Lichtblicke, die uns hoffen lassen. Wie kleine Belohnungen, die immer wieder ausgegeben werden. Es heißt ja oft bei einer Trennung, jemand hätte zu schnell aufgegeben. Ich sehe das nicht so. Ich erkenne in der Rückschau oft, dass ein langer, einsamer Kampf vorausgegangen ist.

Gehen wir zu denjenigen, die verlassen werden. Sie scheinen ja im Vorfeld oft eine Verbundenheit oder Nähe verweigert zu haben?

Wir sprechen hier von Menschen, die in ihrem Innersten sehr unsicher sind, die in ihrer Kindheit keine gute Bindungserfahrung gemacht haben. Sie fühlen sich nie sicher, schauen permanent nach Anzeichen, ob man sie im Stich lässt. Ich hatte einen Mann in meiner Praxis, dessen Frau ständig fürchtete, verlassen zu werden. Es nützte nichts, wie sehr er ihr beteuerte, dass er sie liebe. Wenn er nicht adäquat reagierte, geriet sie in Panik, fing an zu weinen, schrie. Warf ihm vor, jemand anderen zu haben. Es ist wahnsinnig schwer, mit so jemandem zusammenzuleben. Nur in seltenen Fällen gewinnen diese Menschen Vertrauen zum stabileren Part.

Am besten also Reißaus nehmen?

Ja, am Ende führt es sonst zum Zusammenbruch des gesunden Partners. Das Verhalten des anderen ist sehr kontrollierend. Das kann einen ruinieren. Das Schlimme daran ist, dass sich der Stabilere in diesem engen Geflecht irgendwann sehr einsam fühlt. Er wird ja permanent verkannt.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Ihre Klienten hätten oft das Gefühl gehabt, als wären sie ausradiert worden.

Genau. Sie gehen, weil sie unsichtbar geworden sind. Sie erkennen sich plötzlich nicht mehr. Das ist gefährlich, weil das an den Selbstwert geht.

Und trotzdem wird eine Mutter von vier Kindern, die aus einer Ehe ausbricht, in der sie entsetzlich unglücklich war, verurteilt: "Wie kann sie nur? War doch so eine gute Ehe!"

Weil die Umstehenden fürchten, dass ihnen das auch passieren könnte. Ich sage immer, Scheidungen sind ansteckend. Das macht den Leuten Angst. Sie schützen sich, indem sie den Ausbrechenden dämonisieren. Es heißt dann: Mit der ist etwas nicht in Ordnung. Wie kann man einen so tollen Mann verlassen? Würde man aber anerkennen, dass die Frau und Mutter ein ganz normaler Mensch ist und ihre Gründe womöglich nachvollziehbar sind – dann müssten alle der Wahrheit ins Gesicht schauen. Die lautet: Das kann jedem passieren. Aus diesem Grund möchte auch keiner ihre Geschichte hören.

Was wäre es für eine Geschichte?

Es mag seltsam klingen, aber viele können nicht wirklich beschreiben, warum sie gegangen sind. Interessant ist auch, dass sie selten schlecht von ihren Ex-Partnern sprechen. Es heißt dann: Er war in Ordnung. Oder: Sie war eine nette Frau. Man versteht nicht genau, was eigentlich vorgefallen ist. Sie können zwar formulieren: Ich fühlte mich wie ein Möbelstück in dieser Ehe. Er hat nie mit mir über Dinge gesprochen, die mir wichtig waren. Aber nicht: Mein Mann war ein mieser Typ.

Warum binden wir uns an Menschen, die am Ende nicht zu uns passen?

Es ist wirklich zu dumm. (Lacht.) Wir alle machen diesen Fehler, auch mir ist es oft passiert. Wenn wir uns verlieben, vergrößern wir unser Selbst. Es macht uns stärker, schöner, mutiger. Es heißt ja immer, Liebe macht blind. Aber ich glaube, ein ganz anderer Zustand ist viel wichtiger: Man fühlt sich geborgen und gesehen. Früher hätte man aber eine Ehe niemals aus Liebesgründen geschlossen, heute ist das der einzige Grund. Wir heiraten nur, wenn wir in den anderen verliebt sind. Vor 200 Jahren wäre das aber der denkbar schlechteste Grund gewesen.

Weil Liebe selten von Dauer ist?

Das Problem ist eher die Verliebtheit. Ich glaube, wir verlieben uns oft, obwohl wir in dem Moment gar nicht reif für eine Beziehung sind. Entweder sind wir zu jung, basteln gerade an unserer Karriere, sind gerade verlassen worden, stecken in einer Depression und so weiter. Trotzdem begegnet man plötzlich jemandem, ohne damit gerechnet zu haben. Und verliebt sich, aus den seltsamsten Gründen. Man fühlt sich plötzlich wieder lebendig, was natürlich wahnsinnig verlockend ist. Aber leider ist man vielleicht auf die falsche Person gestoßen. Es muss sich nämlich keinesfalls um Mr. Right handeln.

Was wären Alarmzeichen dafür, dass ich in einer Beziehung bin, die nicht funktionieren wird?

Wenn sich der andere nicht wirklich für das interessiert, was man sagt. Oder relativ schnell aufhört, etwas Nettes zu einem zu sagen, sich zu bedanken oder einen anzuschauen. Es wird immer riskant, wenn der andere einen als selbstverständlich betrachtet. Da gilt die Formel: Wenn zwei zusammenbleiben wollen, müssen sie sich gegenseitig ein Gefühl der Wichtigkeit geben. Jeder muss beim anderen die Nummer eins sein.

Und was brauchen wir für eine Liebe, die lange hält?

Liebe beruht auf einem ungeschriebenen emotionalen Vertrag. Der hat zwei einfache Regeln: Die erste betrifft die Bindung und lautet, für den anderen da zu sein, besonders, wenn er einen braucht. Die zweite Regel betrifft unsere Identität. Da geht es um das Gefühl, dass die andere Person weiß, wer ich bin. Unsere Sehnsucht, verstanden zu werden. Nach dem Motto: Ich muss wissen, dass du weißt, dass ich Tee trinke und nicht Kaffee. Wer sich an die Regeln hält – also wirklich für den anderen da zu sein und Augenzeuge von dessen Leben zu sein, kann wenig falsch machen. Beides versichert uns: Das Leben ist nicht vergeblich.

Muss man miteinander sprechen können?

Wenn ein Paar guten Smalltalk hat, ist das ein gutes Zeichen. Über Kleinigkeiten, wie der Tag verlaufen ist. Wenn zwei sich unterhalten können, interessieren sie sich dafür, was im Kopf des anderen vor sich geht. Das ist wie eine Brücke, ein Trip in den Raum des anderen. Am besten mehrmals am Tag!

Was, wenn man eines Tages merkt, Kommunikation ist schwierig? Kann man sich dann in einer neuen Sprache üben?

Ich bin jetzt mit meinem Mann, der mein absoluter Favorit ist, seit 25 Jahren verheiratet. Er ist Chirurg und kein Smalltalker. Am Anfang hat es mich sehr wütend gemacht, wenn er in seine Zeitung schaute und nichts sagte. Obwohl ich verstand, dass er mich nicht ausschließen wollte, sondern einfach nur sehr mit etwas beschäftigt war. Aber ich wusste, dass uns dieses Schweigen als Paar nicht guttat. Ich forderte also: Hallo, sprich mit mir! Er antwortete dann sehr ruhig: Ich kann nicht denken, wenn du schreist. Mein Gehirn wird dann zu Zement. Und ich weiß dann buchstäblich nichts zu sagen. Also musste ich eine andere Brücke schlagen. Heute sage ich ganz ruhig: Liebling, hör mir zu. Ich hätte gern deine Aufmerksamkeit. Aber ich habe viele Jahre gebraucht, um das zu hinzukriegen.

Und was ist mit Erotik und Sex?

Sehr viele Paare geben offen zu, dass für sie Verbundenheit und Freundlichkeit ausschlaggebend sind, nicht der aufregende Sex. Umarmungen, körperliche Nähe ja, aber nicht zwingend die erotische Anziehung, die sie in jüngeren Jahren hatten. Enge Verbundenheit und leidenschaftlicher Sex schließen sich eher aus. Sehr viele Menschen haben sehr wenig Sex, wenn sie lange zusammen sind. Obwohl sie ein starkes Gefühl von Liebe haben, Seite an Seite auf dem Sofa sitzen, sich an den Händen halten, sich berühren können.

Alles in Ordnung also?

Eigentlich ja. Die berühmte New Yorker Paartherapeutin Ester Perel hält es für eine Tatsache, dass die Leidenschaft in sicheren und auch liebevollen Beziehungen verschwindet. Es gibt aber viele Kollegen, die diesen Schluss sehr ärgerlich finden. Weil sie davon ausgehen: Wenn die Beziehung ein sicherer Ort ist, dann wird der Sex immer gut sein. Weil man ja dem Partner immer mitteilen kann, welche Bedürfnisse und Fantasien man hat. Ich beobachte ähnlich wie Perel, dass das nicht stimmt. In langjährigen Beziehungen kollidieren Liebe und Leidenschaft leider. Das ist traurig. Vor allem, wenn Paare erst 45 oder 50 Jahre alt sind. Aber es passiert. Das fühlt sich wie ein großer Verlust an. Vielen denken dann: Wir müssen uns dringend Hilfe holen, das kann nicht sein. Aber es ist nicht gewährleistet, dass der Sex zurückkommt.

Was wäre, wenn wir nicht dauernd eingeredet bekämen, Sex muss ewig prickelnd sein? Was ja sowieso nicht der Realität entspricht.

Dann wäre es einfacher. Aus meiner Praxis weiß ich: Wer den nachlassenden Sex nicht verwinden kann, hat ein großes Problem. Ich sage gern zu meinen Freundinnen, denen der Sex fehlt – oft übrigens, weil sie alleinstehend sind: Warum seid ihr so ungehalten darüber? Ihr hattet so viel Sex in eurem Leben, so viel Spaß! Ihr seid für so viele Jahre erotische Wesen gewesen, habt nichts ausgelassen. Seid doch in den verbleibenden Jahren bescheidener! Wenn das passende Date nicht mehr auftaucht, vergesst es einfach! Fangt etwas anderes mit eurem Leben an!

Und was erwidern sie?

Manchmal sagt eine: Du hast recht. Wir hatten wirklich eine gute Zeit. Jetzt ist es eigentlich auch ganz schön, meinen Körper für mich zu haben.

"ICH VERLASSE DICH, WEIL ICH LEBEN WILL" ist im Herder Verlag erschienen (24 Euro). Sissel Gran porträtiert darin sehr bewegend und hellsichtig Menschen, die aus Beziehungen ausgebrochen sind. Gerade schreibt sie an einem Buch darüber, warum Liebe und Leidenschaft auf Dauer so schwer zu vereinbaren sind.

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