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Paartherapeut klärt auf Warum Einsamkeit auch in einer Beziehung keine Seltenheit ist

Oskar Holzberg: Ein Hochzeitspaar
© Pavlo Melnyk / Adobe Stock
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: "Wer die Einsamkeit fürchtet, sollte nicht heiraten" (Anton Tschechow, Schriftsteller und Dramatiker.)

Kurz gesagt: Oh ja, alle, die länger in einer Liebesbeziehung leben, erfahren das.

Jetzt mal ausführlich: Wir Bindungstierchen brauchen andere Bindungstierchen, um unser Leben zu bewältigen und uns gut zu fühlen. Einsamkeit macht uns krank. Wir möchten uns innerlich tief verbunden fühlen, in Liebe, in Freundschaft, in einer zufälligen Begegnung. Wir möchten lieben, lachen, feiern, trauern, Schutz suchen und uns trösten lassen. Das macht uns aus. Das ist unser Wesen. Glückliche Einsiedler:innen sind äußerst selten, zumindest auf längere Zeit gesehen.

Was nicht heißt, dass Menschen nicht auch mal gern allein sind. Aber allein sein ist nicht gleichbedeutend mit einsam sein. All-Ein-Sein ist ein Zustand von Verbundenheit. Mit dem Leben, mit der Natur, mit der Stille, mit dem, was uns gerade begeistert. Es ist die innere Verbundenheit mit den Menschen, die wir lieben und die uns lieben. Und vor allem mit uns selbst.

Einsamkeit schlägt zu, wenn wir uns von unseren Liebespartner:innen abgeschnitten fühlen, von wichtigen Freundschaften oder in der Familie. Wenn wir uns missverstanden fühlen, streiten und nicht zueinander finden. Wenn unsere Liebesbeziehung unsicher wird und wir uns nicht mehr geborgen fühlen.

Natürlich können Singles grausam einsam sein. Aber wenn plötzlich ein Feind mit uns das Bett teilt und wir uns fragen, wohin die Liebe verschwunden ist oder ob es sie überhaupt je gab, dann trifft uns eine besondere Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die nie zur Ruhe kommt. Denn unsere Wahrnehmung beruht auf Unterschieden. Eine graues Feld vor einem weißen Hintergrund wirkt dunkler, ein graues Feld vor einem schwarzen Hintergrund dagegen heller. Hunger ist schrecklich. Aber hungrig vor Tellern mit köstlichen Speisen zu sitzen, die wir nicht anrühren können, ist Folter.

Der Hunger nach Zuwendung

Und Einsamkeit ist unser Hunger nach Zuwendung, Liebe und Verbindung. In einer gestressten Liebesbeziehung ist die Gegenwart des anderen ein ständiger Schmerz darüber, wie anders es sich einmal angefühlt hat. Wir verzweifeln, denn unser Versagen sitzt mit uns am Frühstückstisch. Als Verliebte waren wir überzeugt, das Tal der Einsamkeit für immer hinter uns gelassen zu haben. Und nun? Stürzen wir ab in Verlustängste und Hilflosigkeit. Je schlechter unsere frühen Beziehungserfahrungen sind, umso mehr geraten wir in Panik oder geben die Beziehung gleich auf.

Doch auch die beste Liebesbeziehung hat Krisen. Gute Beziehungen sind deswegen gut, weil darin mit schlechten Zeiten gut umgegangen wird. Wenn wir verlässliche, liebevolle Beziehungen erlebt haben, dann wissen wir das. Wir haben kein idealisiertes Bild von endlosem Beziehungsglück. Wir wissen, dass keine Beziehung der Welt uns alles geben kann, und werden unser Netzwerk mit guten Freund:innen nicht aufgeben.

Wenn wir uns jedoch an unsere Liebsten klammern und sie alles für uns sein sollen, wird Einsamkeit im Paarsein schnell unerträglich. Liebesbeziehungen sind sicher und erfüllend, wenn sich beide Partner:innen darauf einlassen. Doch werden wir uns nur wohlfühlen, wenn Liebe, Zuwendung und Anerkennung dazu führen, dass wir uns dadurch auch selbst mehr lieben. Wenn wir annehmen, dass wir liebenswert und liebesfähig sind. Anton Tschechow sagt uns, dass wir umso einsamer werden können, je verbundener wir uns fühlen. Und dass wir dann dringend eine andere gute Beziehung brauchen: die zu uns selbst.

Kolumnist Oskar Holzberg therapiert seit fast 30 Jahren Paare und schreibt darüber. Er sagt: "Liebe ist keine Illusion, aber wir haben zu viele Illusionen über die Liebe."

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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