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Paartherapeut verrät Stirbt die Liebe, wenn wir uns zu gut kennen?

Oskar Holzberg: ein Paar sitzt am Strand
© jackfrog / Adobe Stock
In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: "Wenn einer sagt, ich kenne dich, dann hört er auf zu lieben" (Max Frisch, Schriftsteller)

Kurz gesagt: Jemanden zu kennen klingt immer nach einer gefährlichen Illusion.

Jetzt mal ausführlich: Er sagt, er brauche mehr Zeit für sich. Sie wolle immer alles gemeinsam machen, und jetzt höre er schon wieder diese Stimme in sich, die sagt, dass er ihr das nicht abschlagen kann, weil es sie sonst verletzten würde. Sie schaut ihn an und sagt: "Das habe ich noch nie so von dir gehört. Ich wusste ich gar nicht, dass das in dir vorgeht."

Obwohl damit natürlich noch lange nicht gelöst ist, wie die beiden in ihrer Partnerschaft in Zukunft mit diesem Thema umgehen werden, ist so ein Moment doch stets ein wichtiger, fast beglückender in einer Paartherapie: Wenn etwas sichtbar wird, was verdeckt war. Wenn wir etwas voneinander lernen, was wir nicht wussten. Wenn wir unser Bild vom anderen verändern, erweitern können. Wenn sich die Illusion auflöst, dass wir einander durch und durch kennen.

Es ist eine Illusion, der wir leicht verfallen. Denn ich weiß ja von dir, dass du auf Rotwein allergisch reagierst, ab 23 Uhr kaum noch ansprechbar bist und es dir praktisch unmöglich ist, dich zu entschuldigen. So etwas zu wissen macht unser Zusammenleben einfacher, es lässt sich so auch mancher Konflikt vermeiden. Aber natürlich verändern wir uns im Laufe der Jahre. Und wir sind als Menschen viel zu komplex und vielschichtig, als dass wir alles übereinander wissen könnten, auch wenn wir das Gefühl haben, dass wir unsere Liebste besser kennen als sie sich selbst.

Bilder und Vorstellungen

Aber diese Illusion ist die Gefahr. Ich kenne deine kalte, abweisende Seite. Und jedes Mal, wenn ich mit meinen Wünschen nicht bei dir ankomme, dann sehe ich darin wieder deine Verschlossenheit, deine Kühle. Wir leben nicht mit unseren Partner:innen. Wir leben mit den Bildern, den Vorstellungen, die wir voneinander haben. Aus den Vorstellungen werden Eigenschaften, die wir einander zuschreiben. Manche sind liebenswert. Andere finden wir schwer erträglich. Unter ihnen leidet die Liebe. Sie stehen zwischen uns. Je häufiger wir unsere einseitige Sicht aufeinander bestätigt glauben, umso schwieriger wird es zwischen uns. Irgendwann resigniere ich und beginne von einem wärmeren, zugewandteren Gegenüber zu träumen. Ich höre auf zu lieben. Und im Extrem finde ich dieses Gegenüber irgendwo, weil ich es in dir nicht mehr sehen konnte.

Unser Gehirn reagiert auf Neues, Ungewöhnliches. Und es gibt an jedem, jeder Liebespartner:in immer wieder genug Neues zu entdecken. Doch entdecken können wir nur, wenn wir hinsehen. Liebe ist neugierig, weil Liebe Offenheit bedeutet. Wir brauchen den offenen Blick aufeinander. Sonst glauben wir immer noch, er liebe Caffè Latte, obwohl er längst lieber Espresso trinkt. Oder sie höre so gerne Adele, wo sie doch jetzt auf Taylor Swift steht. Da hilft es, wenn wir immer wieder unsere inneren Gedanken, Fantasien und Gefühle teilen.

Doch es geht um noch mehr. Wenn wir nicht aufpassen, verschwinden wir füreinander im Alltagsgrau, wie unter einer Wolkendecke, durch die kein romantisches Licht, kein erotisches Strahlen mehr hervorbricht. Wir müssen deshalb kein Rollenspiel inszenieren und einander wie Unbekannte an der Hotelbar zum One-Night-Stand begegnen. Es hilft, wenn wir einander manchmal so neugierig und distanziert ansehen, wie es Fremde tun würden. Denn unser Begehren braucht neben aller Liebe auch den distanzierten Blick aufeinander. Wenn wir denken, wir kennen einander, dann sind wir wirklich dabei, mit dem Lieben aufzuhören.

Kolumnist Oskar Holzberg therapiert seit fast 30 Jahren Paare und schreibt darüber. Er sagt: "Liebe ist keine Illusion, aber wir haben zu viele Illusionen über die Liebe."

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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