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Back to Basics Liebe wie am Anfang

Back to Basics: Ein älteres Paar lächelt sich liebevoll an
© Lumos sp / Adobe Stock
Unsere Idee von dem einen Menschen, der uns für immer glücklich macht, macht uns häufig unglücklich. Zeit, uns von ihr zu verabschieden und die "kleine Liebe" zu leben, meint der Paartherapeut Oskar Holzberg.

Brigitte: Du sagst, es sei Zeit für eine neue Art der Liebe. Warum?

Oskar Holzberg: Wir suchen in der Liebe immer noch den ganz großen Knall, ewig und unbedingt soll unser Glück sein. Wir wollen jemanden finden, mit dem wir völlig eins sind und der so gut zu uns passt, dass wir schlagartig selbstverwirklicht sind. Das hat auch damit zu tun, dass wir in einer Optimierungsgesellschaft leben, in der wir immer das Beste aus allem rausholen wollen.

Und das ist verwerflich?

Nein, das nicht, aber es ist ein Überanspruch. Wir können uns gar nicht mehr auf eine Beziehung einlassen, wenn wir nicht das Gefühl haben: Das ist es jetzt! Das ist die absolute Liebe! Ein Viertel aller Paare lassen sich heute scheiden, obwohl sie sich eigentlich ganz zufrieden fühlen. Sie trennen sich nicht, weil sie so unglücklich in ihrer Beziehung sind, sondern, weil sie glauben, anderswo noch glücklicher werden zu können.

Ja, das kommt mir bekannt vor.

Es lässt sich aber nie wirklich einlösen. Bislang rupfen wir nur die Blätter vom romantischen Mythos, ohne am Stamm der großen Liebe zu sägen. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, sich von ihr zu verabschieden – um sie zu erhalten.

Das musst du bitte erklären.

Es geht nicht darum, die großen Gefühle abzuschaffen, sondern darum, ihnen wieder mehr Raum zu geben, indem wir die Liebe zurück auf den Boden holen. Ich plädiere darum für die "kleine Liebe".

Du meinst: lieber Wolke vier mit dir, als ganz allein auf Wolke sieben?

So in etwa! Die kleine Liebe mag weniger schillernd sein, kommt bescheidender daher, reflektierter, und, ja, ist sicher auch oft mühsamer. Sie ist weniger Schicksal, aber dafür mehr Möglichkeit. Ich finde sogar, dass sie uns eine große Freiheit gibt: sich ständig und immer wieder neu füreinander zu entscheiden.

Eine schöne Theorie. Und die Praxis?

Die meisten Menschen, mit denen ich arbeite, sind seit vielen Jahren ein Paar – und haben den Schritt ohnehin schon gemacht. Sie haben ihre Ansprüche reduziert. Für sie ist wichtig, dass sie sich aufeinander verlassen können und eine vertraute Verbindung haben. Es geht gar nicht mehr um den Überschwang der Gefühle. Aber trotzdem ist immer wieder die Neigung da, sich zum Beispiel in Affären zu stürzen, um genau das zu suchen. Das ist natürlich auch ein Gradmesser dafür, dass das Gefühl aufkommt, in der Beziehung sei etwas nicht in Ordnung.

Das stimmt ja dann wohl auch oft, oder?

Das mag sein. Aber mir geht es um eine realistische Einschätzung. Das Wegfallen der großen Gefühle heißt nicht automatisch, dass in einer Beziehung etwas nicht stimmt. Gesellschaftlich haben wir ja auch lange auf Wachstum gesetzt und sind jetzt an einen Punkt gekommen, an dem wir merken: Das haut überhaupt nicht hin. Wir zerstören unsere Umwelt, unsere Lebensgrundlage. Ich finde, es ist an der Zeit, umzudenken. Nachhaltiger über unsere Beziehungen nachzudenken.

Was braucht eine Liebesbeziehung denn, um nachhaltig zu sein?

Da sind Faktoren wie ein starkes Commitment oder eine gute Krisen-Kommunikation wichtig. Im Zentrum von allem steht wohl die Verletzlichkeit. Damit meine ich, dass wir uns immer wieder einander öffnen, sonst verlieren wir uns auf Dauer. Und zwar nicht nur unsere Gedanken, Gefühle und Fantasien ausschütten vorm anderen, sondern auch sagen, was in uns geschieht: Quälen mich diese Gedanken, bin ich irritiert über sie, was möchte ich dir damit zeigen, wenn ich sie mit dir teile? Ganz wichtig für mehr Nachhaltigkeit in der Beziehung ist aber auch, dass wir nicht erwarten können, immer alles richtig zu machen.

Wie meinst du das?

Ich werde immer wieder von Klient:innen gefragt: Wie mache ich es denn richtig? Es gibt kein "Richtig". Shit happens, da führt kein Weg drum herum. Man wird in Beziehungen immer in Situationen kommen, die schwierig sind. Wir können aber lernen, aus ihnen herauszukommen. Dinge sinnvoller und weniger sinnvoll zu machen. Wieder und wieder. Und bestenfalls die Zuversicht entwickeln, dass es immer eine Lösung gibt.

Oft vergleicht man sich ja auch mit anderen Paaren und denkt: Mensch, wieso läuft das bei denen so harmonisch und bei uns nicht?

Es gibt nur eine unumstößliche Wahrheit in der Liebe. Nämlich, dass es keine unumstößliche Wahrheit gibt. Jedes Paar ist anders und muss seinen ganz eigenen Weg finden. Ich erlebe ja viele Paare in der Therapie, und manchmal denke ich: Wow, das ist ja super, wie die das regeln, da kann ich mir noch ’ne Scheibe von abschneiden. Andere Paare leben ganz zufrieden mit Lösungen, die für mich überhaupt nichts wären. Aber oft machen die Partner gerade einen Schritt aufeinander zu und im nächsten Moment fragen sie danach, wie sie es ab jetzt richtig machen können. Sodass sie gar nicht erst Probleme haben. Als gäbe es für alles die perfekte Lösung und sie müssten die nur lernen. So stellen sie sich nur selbst unter Druck.

Beziehung ist also vor allem ein immer währendes "Trial and Error"?

Ja, denn Kommunikation wird immer wieder scheitern, egal, was wir uns vornehmen. Neurowissenschaftliche Forschungen sagen: Jeder von uns konstruiert im Grunde ständig seine eigene Welt aufgrund der Erfahrungen, die wir bislang gemacht haben. Gerade in einer intimen Beziehung müssen wir diese Wahrnehmungen immer wieder miteinander klären. Wir denken noch zu oft: Der/die andere muss doch wissen, was ich fühle, denke, mag …! Da ist er wieder, der Schatten der großen Liebe, die wortloses Verstehen verspricht.

Warum haben wir mit Freunden – die uns ja auch oft sehr nahestehen – diese Dissonanzen eigentlich nicht?

Wir können mit guten Freunden genauso viel teilen wie mit unseren Partner:innen, aber die Erwartungen, was sie gefühlsmäßig in uns auslösen sollen, sind nicht so hoch. Dieses Gefühl der Erfüllung, dieses Gefühl, wirklich am absolut richtigen Ort zu sein. Wir haben da eine viel größere Bereitschaft einzusehen, dass nicht alles mit einem Menschen geht.

Was kann man denn aus Freundschaften für die Liebe lernen?

Wie suchen wir uns denn unsere Freunde aus? Es sind Menschen, mit denen wir uns gut verstehen, bestimmte Themen teilen und auf einer Wellenlänge sind. Wir haben häufig Partner, die wir als Freunde gar nicht in Betracht ziehen würden, wenn wir da die gleichen Kriterien anlegen würden.

Stimmt, spannend!

Meist spielt eben die Erotik eine große Rolle, das ist auch gut so, aber es täte uns vielleicht gut, mehr darüber zu reflektieren, was wir eigentlich für einen Menschen suchen, statt einem von neurotischen Impulsen getriebenen Gefühl nachzugeben.

Neurotisch?

Wir gehen nach einer gewissen Intensität des Gefühls, nach einem Erregungszustand. In den geraten wir aber auch, wenn wir auf Muster treffen, die wir etwa von früher kennen. Ein Beispiel: Ich hatte diese leicht ablehnende Mutter, die nie ganz zu erreichen war, und treffe als Mann auf diese faszinierend kühle Frau. Das löst dann in mir eine ganze Menge aus. Ich bin wieder in diesem Zustand von früher: Da muss ich durch, das krieg ich hin, die werde ich knacken! Wir nehmen das als Liebeszustand wahr, aber es ist eigentlich neurotisch.

Stimmt, das passiert einem bei Freunden nicht …

Da geht es von Anfang an meist darum, wie wohl wir uns mit dem anderen fühlen – und genau da dürfen wir bei der Partnerwahl auch ansetzen. Nichts spricht dagegen, sich unsterblich zu verlieben. Aber wenn wir dann in der Beziehung sind, sollten wir schauen, ob wir einem Ideal hinterherlaufen oder im Partner wirklich einen guten Freund oder eine gute Freundin gefunden haben. Jemand, der unterstützend ist und unser Bestes will.

Oskar Holzberg

… ist seit vielen Jahren BRIGITTE-Kolumnist und einer der bekanntesten Paartherapeuten Deutschlands. Er hat seine Praxis in Hamburg und ist seit fast 40 Jahren verheiratet.

"Ich werde immer wieder gefragt: Wie mache ich es denn richtig? Aber es gibt kein 'Richtig'"

Noch mehr über die Vorteile der "kleinen Liebe" in Oskar Holzbergs neuem Buch:" Liebe braucht Liebe: Beziehungen auf Dauer lebendig halten" (320 S., 20 Euro, Kailash).

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt "Neue Schlüsselsätze der Liebe" (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben
Brigitte

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