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"Was ich als junge Frau nicht sehen wollte: Wo das Geld ist, ist die Macht"

Über 15 Jahre lang kümmerte sie sich um die Kinder, während er Karriere machte, dann ging die Ehe zu Bruch. Nun muss sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen: Eine Ex-Hausfrau erzählt vom harten Weg aus der finanziellen Abhängigkeit.

Früher dachte ich immer, dass man im Laufe des Lebens konservativer wird. Dabei war es bei mir umgekehrt. Als junge Frau hatte ich viel traditionellere Vorstellungen als heute. Als ich 1996 mit Emma schwanger wurde, waren mein Mann und ich uns einig: Er arbeitet weiter und verdient möglichst viel Geld. Ich gebe meinen Job im Einzelhandel auf und kümmere mich um die Familie. Das war mein Bild vom idealen Leben. Zwei Jahre nach Emma wurde Max geboren. Ich bin nie im Haushalt aufgegangen, aber das Zusammensein mit den Kindern habe ich geliebt. Torben stieg wie geplant beruflich nach und nach auf, und wir kauften ein großes Haus mit schönem Garten.

Wann genau Unzufriedenheit in mein Leben zu sickern begann, kann ich nicht sagen. Ich weiß, dass es mich nach Emmas Einschulung anfing zu stören, wie selbstverständlich Torben morgens liegen blieb, während ich sie weckte und Schulbrote schmierte. Mir fiel auf, dass er sich nie kümmerte – um den Haushalt sowieso nicht, aber auch nicht um die Kinder, nicht mal am Wochenende. Alles überließ er mir. Vielleicht, dachte ich, bin ich für ihn nur noch die Frau, die dafür sorgt, dass es Essen gibt und die Kinder ihm nicht auf die Nerven gehen. Nachdem auch Max in die Schule gekommen war, sagte ich, dass ich wieder arbeiten möchte. Seine Antwort: "Ich will nicht, dass unsere Kinder fremdbetreut werden. Wir hatten uns doch geeinigt, dass du bei ihnen zu Hause bleibst." Die Jahre danach waren ein ständiges Ringen – mit Torben und meinem schlechten Gewissen: Ich begann mehrere Teilzeit-Jobs. Ich gab sie alle wieder auf, sobald ich das Gefühl hatte, die Familie würde darunter leiden: Mein Mann meckerte, weil ich am Wochenende nicht da war. Ein Kind sackte in der Schule ab. Ich hatte zu wenig Zeit, um frisch zu kochen. Ich ertrug es nicht, dass ich in meinen Augen keine perfekte Mutter mehr war. Und Torben unterstützte mich nie, er entmutigte mich immer erst mal: "Wie soll das gehen? Muss das denn sein?" Ich wurde innerlich immer kleiner, während er immer stärker wurde. Als ich eine eigene Lebensversicherung wollte, zur Altersvorsorge, antwortete er: "Wieso? Du hast doch mich." Da habe ich das allererste Mal an Trennung gedacht. Aber sofort war da der Gedanke: Das kann ich den Kindern nicht antun.

Als sie 15 und 13 waren, bewarb ich mich als Flugbegleiterin, bestand alle Bewerbungstests und war superstolz – aber für die Einarbeitung hätte ich acht Wochen in Frankfurt verbringen müssen. Torben behauptete, ich könne Emma und Max nicht so lange allein lassen und er könne sich unmöglich frei nehmen, um mich zu ersetzen – und außerdem: "Die fangen doch alle immer was mit den Piloten an!" Da wurde mir klar, dass Torben mich wohl all die Jahre auch deshalb vom Arbeiten abgehalten hatte, weil er glaubte, dass er mich so besser unter Kontrolle hat. Nach endlosen Diskussionen sagte ich den Job ab, maßlos frustriert. Ein paar Monate später verliebte ich mich in einen anderen, kurz darauf habe ich Torben gesagt, dass ich ihn verlassen werde. Im Sommer 2011 begann mein Weg in die Freiheit – ein harter Weg, der noch nicht zu Ende ist.

Erst rastete er aus, dann flehte er mich an, zu bleiben: Er bot plötzlich an, ein Sabbatjahr zu nehmen, damit ich arbeiten kann. Er ging mit mir zu einer Paartherapeutin, von der er hoffte, sie würde mich zum Bleiben bewegen. Aber das alles kam zu spät für mich, und so bin ich ausgezogen – zunächst ins Haus meiner Eltern. Da schlug Torbens angeblich noch so große Liebe um in Hass: Seitdem versucht er, mich zu zerstören. Er sperrte unser gemeinsames Konto und zahlte zunächst keinen Trennungsunterhalt, ich musste mir von meinen Eltern Geld leihen. Vor den Kindern gab er den betrogenen, unschuldig verlassenenen, leidenden Mann, während er andererseits auf einmal den perfekten Vater gab: Er, der sich nie gekümmert hatte, bot ihnen nun ein Highlight nach dem anderen – jede Woche Kino, Bowlen, frühstücken gehen, zwischendurch eine neue Spielekonsole. Er versuchte, sie auf seine Seite zu ziehen. Bei Emma klappte das nicht, sie hing weiter an mir, auch wenn sie natürlich traurig war über die Trennung. Aber Max solidarisierte sich mit seinem Vater, er distanzierte sich immer mehr von mir und warf mir vor: "Du hast alles kaputt gemacht!"

Im Winter 2011 bin ich in eine eigene Wohnung gezogen – mit dem anderen Mann war es da schon wieder vorbei, er war nur ein Sprungbrett gewesen. Emma zog zu mir, Max wollte mich nicht mehr sehen. Ich musste das Umgangsrecht mit ihm einklagen – für das Kind, für das ich 13 Jahre lang jeden Tag von morgens bis abends da gewesen war. Das war der absolute Tiefpunkt, es ging mir hundsmiserabel. Ich fing an, unter Panik-Attacken zu leiden, und machte den Fehler, Torben davon zu erzählen. Er machte sich Notizen zu unserem Gespräch und gab vor Gericht an, ich sei psychisch instabil. Der Richter entschied dennoch, dass Max alle zwei Wochen einen Tag und eine Nacht bei mir verbringen solle, und verpflichtete Torben und mich, an einer Mediation teilzunehmen, um einen Weg zu finden, wie wir Max aus unseren Konflikten heraushalten könnten. Aber Torben weigerte sich. Ich bin allein hingegangen und habe gelernt, darauf zu vertrauen, dass die Liebe, die ich meinem Sohn sein ganzes Leben lang gegeben hatte, irgendwann wieder zurückkommt zu mir: Ich habe ihn nicht aufgegeben. Es hat lange gedauert, und es war eine sehr schmerzhafte Zeit, aber heute haben wir wieder ein gutes Verhältnis. Max kommt oft zwischendurch mal bei mir vorbei – aber er wohnt nach wie vor mit Torben im Haus.

Dazu kamen die vielen Sorgen ums Geld. Ich habe nach dem reformierten Unterhaltsgesetz keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt, sagte mir mein Anwalt. Deshalb habe ich sofort nach meinem Auszug angefangen, eine Arbeit zu suchen. Aber es ist fast unmöglich, was zu finden, wenn man 15 Jahre lang komplett raus war aus dem Job. Du musst nehmen, was du bekommst. Zuerst habe ich als erfolgsabhängig bezahlte Außendienstmitarbeiterin gearbeitet, später dann habe ich eine Festanstellung gefunden, erst als Verkäuferin, dann als Filialleiterin – Vollzeit, täglich von 9 bis 18.30 Uhr.

Auch wenn ich diesen Weg freiwillig gewählt habe, obwohl die Kolleginnen nett sind, die Arbeit Spaß macht und mein Selbstbewusstsein stärkt: Es ist wahnsinnig hart, vom Alltag als Vollzeitmutter in einem großem Haus mit Garten und Putzfrau auf ein Leben mit Vollzeitjob, kleiner Wohnung und zu wenig Geld umzusteigen. Ich bin jeden Abend total erschöpft. Für die Kinder, Haushalt, Einkaufen, Kochen – für alles, was mir früher so wichtig war – hatte ich nur noch einen Bruchteil der gewohnten Zeit und deshalb ständig das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein. Als dann auch noch Emma sitzen blieb, da habe ich auf vier Tage reduziert, um mich mehr um sie kümmern zu können.

Für diese vier Tage bekomme ich pro Monat 1276 Euro ausbezahlt, dazu 590 Euro Unterhalt für Emma und ihr Kindergeld. Klingt nicht so schlecht, aber von den 2000 Euro muss ich allein 900 Euro Miete zahlen, so viel kostet nun mal eine Dreizimmerwohnung hier in diesem wohlhabenden Düsseldorfer Stadtteil, in dem meine Kinder zu Hause sind: Ich kann nicht einfach woandershin ziehen, wo es billiger wäre.

Das Auto brauche ich, um zur Arbeit zu kommen. Urlaub, Essengehen, Shoppen mit Freundinnen – was früher selbstverständlich zu meinem Leben gehörte, ist jetzt nicht mehr drin, während er die Kinder mit Geschenken überschüttet und tolle Reisen mit ihnen macht. Zwar gehört mir die Hälfte des Hauses. Aber erstens habe ich erst jetzt den Mut gehabt, Torben aufzufordern, es zu verkaufen oder mich auszubezahlen: Als die, die wegen eines anderen gegangen ist, habe ich mich anfangs nicht getraut, solche finanziellen Forderungen zu stellen. Zweitens ist das Geld, das im Haus steckt, eigentlich meine Altersvorsorge: Ich habe weder eine nennenswerte eigene Rente noch eine Lebensversicherung.

Was ich als naive junge Frau nicht sehen wollte: Wo das Geld ist, ist die Macht. Diese Macht habe ich Torben vollständig überlassen, das kostet er bis heute aus, das ist sein Druckmittel. Gerade hat er mich auf über 300 Euro Unterhalt für Max verklagt, weil der ja bei ihm lebt und ich Geld verdiene – wenig, aber doch mehr als den Selbstbehalt. Es macht mich so unbeschreiblich wütend: Torben verdient x-mal so viel wie ich, er fordert das Geld nicht, weil er es braucht, sondern weil er mich fertigmachen will – und manchmal gibt es ganz dunkle Momente, da fühlt es sich an, als würde er das schaffen. Dann denke ich: Wäre es besser gewesen, bei ihm zu bleiben – den Kindern zuliebe, aber auch meinetwegen? In einer unglücklichen Ehe zwar, aber ohne jede finanzielle Sorge?

Immer öfter allerdings bin ich mir sehr sicher, dass ich das Richtige getan habe. Ab und zu durchfahren mich neuerdings sogar Glücksblitze, wenn mir bewusst wird, was ich schon erreicht habe: eigenes Geld, eine eigene Wohnung, das wieder gute Verhältnis zu meinen Kindern – seit Kurzem sogar ein neuer Partner. Ja, es ist ein Kampf, der andauert, ich kämpfe mich Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit in die Freiheit hinein, und ich hab's immer noch nicht ganz geschafft: Ich brauche noch einen besser bezahlten Job. Erst dann kann ich endgültig durchatmen und Torben meinetwegen den Unterhalt bezahlen. Aber: Ich habe schon so viel geschafft, das macht mich stolz. Torben hat übrigens schon länger eine neue Freundin. Sie ist Flugbegleiterin. 

BRIGITTE Woman 02/15

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