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"Heimspiel" von Lisa Ortgies: Schatz, mach Du doch mal!

Die WDR-Moderatorin Lisa Ortgies hat mit "Heimspiel" ein Buch geschrieben, das Mütter wie Väter lesen sollten. Es ist ein Plädoyer für die emanzipierte Familie, die es aktuell ungefähr so oft gibt wie einen Regenbogen im Winter. BRIGITTE.de hat mit der Journalistin gesprochen.

BRIGITTE.de: Frau Ortgies, was genau war der Anlass für Ihr Buch "Heimspiel", das für eine gerechte Aufgabenverteilung in der Familie kämpft: Hatten Sie so viele nölende Freundinnen um sich?

Lisa Ortgies: Es ist das Thema unserer Gesellschaft. Überall habe ich wahnsinnig viel Erschöpfung beobachtet, eine Riesen-Wut bei Frauen, Streit unter Paaren und kaputte Beziehungen. Nach meinem Gefühl ist es heute schwieriger als Familie zu leben als noch vor einem Jahrzehnt.

BRIGITTE.de: Das widerspricht dem, was die Familienministerin als Erfolg feiert. Halten Sie deren Ziele für weltfremd?

Lisa Ortgies: Vieles überholt schlicht die Realität. Alles prima Ideen, aber bei der Umsetzung geht man von einer gleichberechtigten Familienwelt aus, die so nicht existiert. Wir können nicht so schnell aufholen, was vier Jahrzehnte brach lag. Die Familienpolitik macht uns weiß: 'Jetzt ist ja alles geregelt.' Stimmt aber nicht! Die Kinderbetreuung ist nicht in notwendigem Maße gegeben, die Arbeitsstrukturen sind nicht angemessen, die Wirtschaft finanziert die nötigen Umstrukturierungen nicht mit, und die Einsicht der Männer hat sich größtenteils auch noch nicht gewandelt. So manche ältere Feministin hat mit dem Thema leider so wenig Berührung wie ein kinderloser Mann. Deshalb wird es Zeit, dass andere dafür eintreten.

BRIGITTE.de: Sie haben für Ihr Buch sehr viele Informationen gesammelt, Studien gelesen, mit Paaren gesprochen und mit Familienforschern. Was raten Sie nun modernen Frauen, die an Familiengründung denken?

Lisa Ortgies: Bevor das erste Kind kommt, gibt es unter den wenigsten Paaren Absprachen für die Zeit als Familie. Das wird als spießig empfunden, dabei ist das total wichtig. Alles andere endet zum Nachteil der Frauen: Sie stillt ja eh, also bleibt sie zu Hause. Wer alles auf sich zukommen lässt, endet als Familie in der Traditionalisierungs-Falle. Und das führt in der Regel bei zuvor selbständigen Frauen zu Frust und Wut.

BRIGITTE.de: Und wer kann jetzt das Ruder herumreißen?

Lisa Ortgies: Wenn sich jemand bewegen muss, dann sind es jetzt die Männer und die Wirtschaft. Väter müssen sich zum Beispiel gegenüber dem Arbeitgeber als Familienmenschen positionieren und sich aktiv in Haushalt und Familie einmischen. Leider machen sie das selten freiwillig. Also müssen Frauen Druck machen. Das Diskutieren über solche Themen ist anstrengend, und ich verstehe jede Frau, die sagt, das ewige Aushandeln ist mir zu mühsam. Aber wer durchhält, wird belohnt. Und hoffentlich ändert sich so die Einstellung bei immer mehr Männern.

BRIGITTE.de: Da ist aber in der Gesellschaft noch viel zu tun: Aktuell werden die Männer beklatscht, wenn sie mal zwei Monate aussetzen, die Frau wird von anderen Müttern angefeindet, wenn sie es sich erlaubt, nicht nur für die Kinder zu leben.

Lisa Ortgies: Ein Irrsinn, ich weiß. Als ich mein Kind mit elf Monaten in die Krippe gab, haben manche Frauen nicht mehr mit mir gesprochen. Da war ich ein sozialer Outlaw. Mir haben Frauen in einem gutbetuchten Stadtteil in Hamburg gesagt: "Hier in der Ecke gibt es zwei Kindergärten. Der eine ist gut, der andere ist für soziale Problemfälle: Da arbeiten die Mütter." Frauen müssen endlich kapieren, dass ihr eigener Frust nicht die Frauen treffen sollte, die ein anderes Lebensmodell wählen.

BRIGITTE.de: In Ihrem Buch fordern Sie dazu auf, sich die eigene Wut zunutze zu machen.

Lisa Ortgies: Beim Mutter-Bashing wird nur brauchbare Energie verschossen. Auch die Wut auf den Partner ist oft falsch und lässt nur Familien zerbrechen. Frauen müssen sich endlich dort aufregen, wo es sinnvoll ist: Bei ihrem Arbeitgeber, wenn der mal wieder eine Konferenz auf den Nachmittag legt, wenn man als Frau die Kinder hat, bei dem Arbeitgeber des Mannes, der hilfswillige Männer nicht so handeln lässt, wie sie es möchten, bei den Politikern, in der Wirtschaft. Es existiert immer noch der Irrglaube, dass der am produktivsten arbeitet, der am längsten im Büro sitzt. In Wahrheit arbeiten die Teilzeit-Menschen am produktivsten. Und auch ein Vater, der für sein Kind mal früher Schluss macht, wird seinen Job nicht einfach liegen lassen, sondern vorher oder abends machen.

BRIGITTE.de: Woher rührt diese Uneinsichtigkeit bei vielen Vorgesetzten? Daher, dass die meisten eine Frau zu Hause haben, die nicht arbeitet?

Lisa Ortgies: Die meisten Chefs sind ein traditionelles Modell gefahren und bereuen mit 50 oft, wie schlecht ihr Kontakt zu den eigenen Kindern ist. Ich habe mit vielen gesprochen, die sind wirklich traurig über die verpasste Zeit. Wenn ihnen dann ein junger Vater gegenübersitzt, der einen anderen Weg gehen will, gibt das bei einem Chef mit diesem Hintergrund einen Stich. Und dann gibt es die reflexartige Reaktion: "Warum soll der beides haben? Ich musste auch mein Familienleben opfern." In der Arbeitswelt muss sich noch viel tun. An sich sollte es auch einen Kündigungsschutz für werdende Väter geben. Sie glauben nicht, wie oft ich von Vätern hörte, die die Kündigung erhielten, nachdem sie nur laut geäußert hatten, für das Kind eine Weile zu Hause bleiben zu wollen.

BRIGITTE.de: Was halten Sie von dem neuen Unterhaltsrecht, nach dem der Mann seine Ex-Frau nicht mehr finanziell unterstützen muss, weil er noch Geld für eine Zweitfamilie haben soll: Ein Schritt hin zur emanzipierten Familie?

Lisa Ortgies: Wenn man es richtig versteht, ja. Das neue Recht müsste jeder Frau sagen: Schließt einen Ehevertrag ab! Arbeitet! Wenn ihr nicht selbst für euch sorgt, macht es keiner! Jede Frau hofft natürlich, dass ihre Ehe hält und das Unterhaltsrecht gar nicht greift, aber die Scheidungsrate geht hoch. Trotzdem verstehe ich unter dem neuen Unterhaltsrecht ohne Stichtag und ohne Übergangsregelung keine gute Frauenpolitik. Sollen nun die abgestraft werden, die sich geopfert haben und mit Kindern zu Hause geblieben sind oder nur Teilzeit gearbeitet haben? Man kann doch nicht all die Frauen im Regen stehen lassen, die bisher nicht gearbeitet haben! Wir hatten das Thema auch in meiner Sendung "Frau TV". Selten gab es so oft Post. Und immer wieder war der Satz von Frauen zu lesen: "Ich habe die Arschkarte gezogen." Verständlicherweise. Wenn das so voranschreitet, ist unter Frauen eine gewaltige Altersarmut zu erwarten.

BRIGITTE.de: Ihr Buch macht einen beim Lesen oft wütend, aber es wirkt auch erschlagend. Man fragt sich schnell: Wo soll ich überhaupt ansetzen?

Lisa Ortgies: Bei all dem Zweckoptimismus und der familienfreundlichen Folklore wollte ich das Pendel jetzt mal in die andere Richtung drücken und mit der Realität um die Ecke kommen. Nehmen wir nur das Buch "Bitterfotze" von der Schwedin Maria Sveland. Die ist 1974 geboren und schreibt über ihren Frust, wenn man als Paar versucht, gleichberechtigt zu leben. Sie hat es richtig gemacht und sich als Frau einfach mal ausgekotzt. Das müsste viel häufiger passieren. Jede Frau sollte wissen: Man ist in der Situation nicht alleine!

BRIGITTE.de: Noch gibt kaum eine Mutter zu, dass sie an Grenzen stößt. Nie würde eine Übermutter wie Angelina Jolie sagen, dass die Kinder sie auch mal nerven und sie selbst ab und an völlig fertig ist.

Lisa Ortgies: Dabei wäre es so erleichternd. Ich habe in meinem Buch deshalb auch viele Promis zitiert, die mal etwas in der Richtung gesagt haben. Wenn eine Schauspielerin wie Maria Furtwängler darüber genervt ist, dass sie immer die Schulbrote schmieren muss, dann entspannt das doch jede andere Mutter. Ich sage ganz offen, dass ich zu Hause oft gefrustet war. Schon nach drei Baby-Monaten habe ich gedacht: Ich kann nichts mehr, ich bin nichts mehr wert. Das Glück mit dem Kind war bei mir immer punktuell auch von Depressionen begleitet. Ich fühlte mich wie ein Arbeitsloser, der seiner Aufgabe beraubt worden ist.

BRIGITTE.de: Haben Sie selbst denn eine emanzipierte Familie hinbekommen?

Lisa Ortgies: Wir sind so gestartet, dass ich schon gearbeitet habe, als mein Mann noch promoviert hat. Das war schon mal gut. Mit ihm musste ich zum Glück auch nie über das Thema Haushalt diskutieren. Wir sind immer erschüttert, wenn wir bei Leuten zum Essen eingeladen sind, die Frau nur herumwirbelt und der Mann sich den ganzen Abend nicht bewegt, weder Flaschen holt noch den Tisch abräumt. Wir teilen uns das auf, auch was die Betreuung unserer beiden Kinder angeht.

BRIGITTE.de: Aber Sie behaupten jetzt nicht, dass der Weg dahin ohne große Diskussionen abgelaufen ist.

Lisa Ortgies: Auf keinen Fall. Es ist ja schlimm, dass alle immer offiziell erzählen, ihre Ehe laufe super, das Kind mache beide glücklich usw. Deshalb bin ich da jetzt extra sehr offen, um das Tabu mal zu brechen: Auch wir waren als Paar einige Male an der Grenze und fragten uns: "Macht das alles noch Sinn hier?" Auch wir haben darüber diskutiert: Wer ist nachts häufiger aufgestanden? Als ich Chefredakteurin bei "Emma" wurde, hat mein Mann seine Arbeitszeit reduziert. Diese Erfahrung war interessant, denn plötzlich kam ich nach der Woche nach Hause und dachte, ich habe Anspruch auf Ruhe, während er sagte: "Machst du jetzt wenigstens mal am Wochenende etwas?" Das hat mir gezeigt: Das Verhalten von Mutter und Vater hat mit ihrer aktuellen Rolle zu tun, nicht mit dem Geschlecht. Und ich kann jetzt auch verstehen, unter welchem Druck man steht, wenn man der Hauptverdiener der Familie ist.

BRIGITTE.de: Was kann das Buch bewirken, wenn man es vor dem ersten Kind liest? Entspannung? Weniger Selbstzweifel?

Lisa Ortgies: Das wäre wünschenswert. Ich habe mich bei meinem ersten Kind zunächst anstecken lassen von diesem Frühförderungswahn, von den Erziehungsratgebern und all dem Quatsch. Ich frage mich, wie wir alle zu einigermaßen verstandesbegabten Menschen herangewachsen sind ohne diese Kurse. Heute kann ich selbstbewusst sagen: Ich weiß nicht, welche die beste Vorschule ist oder warum die rote Kinderzahnpasta beim Test weniger gut abgeschnitten hat, aber ich lasse es mir gerne erzählen. Das war aber ein langer Prozess bis dahin.

BRIGITTE.de: Würden Sie sagen, die zwei Monate Elternzeit für Väter reichen aus, um die Einsicht der Männer zu verändern und dort auch einen Wandel anzustoßen?

Lisa Ortgies: Es ist ein goldrichtiger Anfang. So können sie überhaupt nur verstehen, was es heißt, ein Kleinkind den ganzen Tag zu betreuen. Nur so kann sich etwas verändern. Aber sicher ist es noch zu früh, in die Jubelchöre über neue Väter einzusteigen. So weit sind die meisten noch nicht.

BRIGITTE.de: Sie schreiben, dass bei Männern, die sich länger um ihre Kinder kümmerten, eine neue Krankheit entdeckt worden ist: Das Atlas Syndrom. Es äußere sich durch Erschöpfung, schlechter Laune und Lustlosigkeit.

Lisa Ortgies: Sobald Männer auch mal müde von den Kindern sind, liegt eine ernst zu nehmende Krankheit vor. Das ist doch der Hammer, oder?

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Interview: Andrea Hacke

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