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"Du bist doch so eine tolle Frau"

Das ist der Standard-Trost für frisch Getrennte. Und wer ihm auf den Leim geht, hat gute Chancen, noch lange Single zu bleiben, meint Brigitte-Mitarbeiterin Ulrike Thomassen.

Vor einem guten Jahr hat sich mein Mann in eine andere Frau verliebt. Seit einem knappen Jahr bin ich Single. Die drei Sätze, die ich mir seither in aufsteigender Rangfolge am häufigsten anhören musste, lauten: "Männer sind das Letzte", dicht gefolgt von "Männer sind das Allerletzte", aber uneinholbarer Spitzenreiter der meistgesagten Sätze ist: "Du bist doch so eine tolle Frau."

Ich hasse diesen Satz. Auch wenn er nett gemeint ist. Was soll man darauf antworten? "Danke, aber besonders toll fühle ich mich im Moment nicht"? Oder: "Ja, finde ich auch, und stell dir vor: Die andere ist nicht halb so toll wie ich, aber irgendwie hat es wohl gereicht"? Oder: "Stimmt genau, und deshalb ist das alles gar kein Problem, weil die Typen werden mir ab jetzt die Bude einrennen"?

Der Satz ist total bescheuert und komplett bedeutungslos. Selbst wenn ich das wäre, eine tolle Frau, so hat es mich doch vor nichts bewahrt. Ich habe Fehler gemacht, falsche Erwartungen gehabt, Enttäuschungen erlebt, was halt so passiert in vielen Jahren Ehe. Es sagt nichts über die Qualität meiner Beziehung aus und warum sie gescheitert ist. Es erspart mir keinen Kummer, höchstens habe ich als vermeintlich tolle Frau einen Ruf zu verlieren, wenn ich dann doch in dem emotionalen Sumpf versinke, den ich, stark, wie ich bin, ja eigentlich erhobenen Hauptes durchschreiten sollte. Was die Männer betrifft - ich habe seit meiner Trennung ein paar getroffen. Auch sie sagten, sie fänden mich toll. Vielleicht dachten sie, dass ich das hören will. Oder sie wollten keine unnötige Zeit verschwenden und suchten einen Türöffner. Und jetzt trinken wir aus, prost, schöne Frau, und dann gehen wir noch zu mir, gell?

Was genau soll das überhaupt sein, eine tolle Frau? Der Titel wird verdächtig gern und schnell vergeben. Meistens reicht ein zusammengerührter Mix aus Berufstätigkeit und trendfarbener Handtasche, skandinavische Krimis lesen und dem frühen Harald Schmidt nachtrauern, Pasta mögen und samstags Bundesliga schauen. Kind muss nicht, rundet das Bild aber ab. Irgendwie zeitgemäß, zupackend und unkompliziert. Toll!

Mal abgesehen von den Menschen, die mir wirklich nahestehen: Wenn Leute sagen, ich sei eine tolle Frau, wollen sie es in der Regel so genau nicht wissen. Sie wollen nicht wirklich von mir erfahren, was los ist in meinem Leben. Es ist ein plattes, gedankenloses Kompliment, aber kein Gesprächsauftakt. Und es klänge anders, wenn jemand vorher mal fünf Minuten über mich nachgedacht hätte. "Du bist eine starke Frau, du hast viele gute Eigenschaften, das wird dir helfen in dieser schweren Zeit", so könnte ein Satz klingen, der Mut macht. Gern auch: "Du bist eine gut aussehende Frau, das wird es dir leichter machen, Männer kennen zu lernen, wenn du so weit bist." Das ist einerseits schmeichelhaft, aber es folgt auch etwas daraus, es macht eine Perspektive auf, hat mit mir zu tun. Aber vielleicht steckt ja nicht nur Nachlässigkeit hinter der tollen Frau, sondern vor allem Angst. Vielleicht sagen sie: "Du bist doch eine tolle Frau" und denken: "O Gott, kann mir das auch passieren?", sie sind in Gedanken bei sich und allem, was noch schiefgehen wird in ihrem Leben, egal, wie sehr sie sich bemühen, und damit wollen sie sich lieber nicht befassen. Wer diesen Satz sagt, will schnell weg, will sich keine Sorgen machen müssen. Und das ist noch der harmlose Teil der Veranstaltung.

Viel schlimmer ist es, wenn man der Sache auf den Leim geht. Wenn man es oft genug gehört hat und irgendwann selbst daran glaubt. Wer das Label "tolle Frau" für sich in Anspruch nimmt, sitzt in der Falle. Der wird erstens nicht glücklich und hat zweitens gute Chancen, für die nächsten zehn Jahre oder sogar noch länger Single zu bleiben.

Ich habe die ersten drei Monate nach meiner Trennung damit verbracht, meine Wunden zu lecken. Die nächsten drei Monate habe ich darauf verwendet, meine Fassade aufzupolieren. Ich habe mir neue Klamotten gekauft und mich mit Verve in den Job gestürzt. Ich bin abends ausgegangen, habe launige Witze über blöde Männer gemacht und mich von allen dafür bewundern lassen, wie unglaublich souverän ich diese Krise bewältige. Richtig gut ging es mir noch nicht, aber ein bisschen super fand ich mich schon - und hing mit einem Fuß in der Falle.

Frauen, die mit beiden Füßen drin sind, erkennt man daran, dass sie Sätze sagen wie: "Männer haben einfach Angst vor starken Frauen." Oder: "Da draußen laufen doch nur Spacken rum." Und dann erklären sie wortreich, warum sie es gar nicht einsehen, Kompromisse zu machen. Ich kenne viele Frauen, die das sagen und glauben. Sie sind beruflich erfolgreich oder attraktiv oder haben einen illustren Freundeskreis oder alles zusammen. Damit sie noch toller werden, gehen sie zum Power-Yoga und lesen die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Dann werfen sie ihr Tollsein in die Waagschale und erwarten einen angemessenen Gegenwert: den tollen Mann.

Mir ist tatsächlich einer über den Weg gelaufen. Erfolgreich. Schmuck. Großartiger Tänzer. Sexy. Wir sind zusammen ins Kino gegangen und ins Theater oder zum Essen, aber hauptsächlich waren wir abendfüllend toll. Das war in den dritten drei Monaten nach meiner Trennung. Eine Zeit, in der ich mich oft gefragt habe, warum der tolle Mann und ich nicht endlich Fahrtgeschwindigkeit aufnehmen. Wir trafen uns immer wieder, und irgendwann ist mir klar geworden, dass er und ich, dass wir beide so intensiv mit dem Tollsein beschäftigt waren, dass dabei alles andere auf der Strecke blieb.

Wir haben uns dekorative Anekdoten aus unserem Leben erzählt und von Reisen und eindrucksvollen Leuten gesprochen, aber offen waren wir nicht. Ich habe ihm gesagt, dass ich noch gar nicht über eine neue Beziehung nachdenke, aber dass ich mich am liebsten kopflos in ihn verlieben würde, habe ich natürlich für mich behalten. Ich wollte mir keine Blöße geben und nie diejenige sein, die zuerst anruft. Und er? Blieb in der Deckung. Nach all den Wochen wusste ich nicht wesentlich mehr über ihn als nach unserer ersten Begegnung. Es gab kein Risiko, keine Hingabe, keine Neugier, nichts von dem, was einen Mann für eine Frau aufregend macht und umgekehrt. Ganz abgesehen davon war der Typ einfach nur ein hübscher Angeber und trotzdem ein Geschenk des Himmels. Ich hatte Spaß mit ihm zu einer Zeit, die wenig Spaßiges zu bieten hatte. Vor allem aber hat er mir die Augen geöffnet: Seit dieser Episode weiß ich, wie ich nicht enden will.

Ich will nicht, dass mir die wirklichen tollen Männer durch die Lappen gehen, weil ich bei der Partnersuche nach merkantilen Gesichtspunkten vorgehe und vergeblich nach verborgenen Schätzen hinter Hochglanzverpackungen bohre. Würde ich weiterhin meine Zeit damit verbringen, möglichst makellos zu werden, damit es an mir nix zu meckern gibt, wäre absolut nichts gewonnen. Denn wenn ich irgendwann alle Gipfel des Tollseins erklommen hätte, müsste ich mich nur darüber empören, warum niemand das wirklich zu würdigen weiß und keiner mir gewachsen ist. Ich bin keine tolle Frau und will es auch nicht werden. Ich bin eine selbstbewusste Frau und manchmal eine traurige. Ich bin eine ratlose und überforderte Frau, eine ungehaltene Frau, eine zupackende Frau, eine fröhliche Frau. Und zwischendurch, zum Glück immer seltener, bin ich eine Frau, die daran verzweifelt, dass ihr Mann gegangen ist.

Die letzten drei Monate habe ich überwiegend damit verbracht, mir all das genauer anzuschauen. Ich entdecke eine ganze Menge Schwächen, und langsam lerne ich sie besser kennen. Noch mag ich sie nicht besonders. Aber da werde ich auch noch hinkommen. Und dann bin ich im Rennen. Wer Schwächen mag, hat auf der Suche nach dem richtigen Mann eine verdammt große Auswahl.

Text: Ulrike Thomassen Ein Artikel aus der BRIGITTE 02/09

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