Anzeige

"Die große Liebe gibt es wirklich"

Verliebtes Paar im Bett formt Herz mit Händen
© Andrey_Popov / Shutterstock
Der Paartherapeut Wolfgang Hantel-Quitmann über Partnersuche, die Psychologie der Partnerwahl, Männer- und Frauenklischees und die große Liebe.

BRIGITTE.de: Herr Hantel-Quitmann, stimmt es, dass Männer sich vor allem in lange Beine verlieben und Frauen in ein dickes Portemonnaie?

Wolfgang Hantel-Quitmann: Das Klischee trifft auf Männer eher zu als auf Frauen. Befragt man Männer, was ihnen an Frauen wichtig ist, kommen oft Antworten wie: Sie soll sexy sein, eine gute Figur haben. Für viele Frauen hingegen ist der berufliche Erfolg des Mannes heute kein zentrales Thema mehr. Männer der Güteklasse A sind für sie diejenigen, die Verlässlichkeit und Verantwortlichkeit mitbringen.

BRIGITTE.de: Die berühmten inneren Werte also. Und die sind Männern egal?

Hantel-Quitmann: Natürlich nicht! So blöd sind Männer nun auch wieder nicht. Aber intelligente Frauen jagen vielen Männern Angst ein. Besonders die Karrierefrau der Altersklasse 35+ ist daher in einer Notsituation: Die guten Männer sind abgefischt, und der Rest hat Angst vor ihnen.

BRIGITTE.de: Möglicherweise einer der Gründe dafür, dass es so viele Singles gibt?

Hantel-Quitmann: Die meisten Singles sind nicht allein - sie sind mit ihrem Idealpartner verheiratet, haben ein idealisiertes Bild von einem Partner, von Partnerschaften und auch von sich selbst. Sie sehen sich selbst als Prinzessin, warten auf den Traumprinzen, stellen sich Partnerschaft als kleines Königreich vor - und werden dann natürlich enttäuscht.

BRIGITTE.de: Wie schafft man es, sich von diesen überzogenen Ansprüchen zu trennen?

Hantel-Quitmann: Reflektieren Sie Ihre Ideale! Ja, ich habe Macken, Prinzen sind verdammt selten, und Paarbeziehungen bestehen vor allem daraus, dass man sich zusammen rauft. Viele denken auch zu stark in Einzelaspekten. Es gibt immer einen intelligenteren, einen schöneren Menschen als den eigenen Partner. Aber am Ende ist es die Mischung, die zählt!

BRIGITTE.de: Die perfekte Mischung, der Partner, der zu mir passt - Online-Partnerbörsen versprechen Hilfe bei der Suche nach ihm. Was halten Sie davon?

Hantel-Quitmann: Online-Partnerbörsen funktionieren nach dem Ähnlichkeitsprinzip: Beide spielen Golf, beide lieben Impressionisten - also werden sie "gematcht". Dabei erzeugt gerade Unterschiedlichkeit den Reiz, die Herausforderung, die Spannung in Beziehungen.

BRIGITTE.de: Sie glauben also nicht an das alte Sprichwort "Gleich und gleich gesellt sich gern"?

Hantel-Quitmann: Eher: Gegensätze von Gleichem ziehen sich an. Wir wissen nämlich sehr wohl, dass Menschen Ähnlichkeit suchen, wenn es um Persönlichkeit geht und um persönliche Themen. Aber damit ist nicht Tennisspielen gemeint!

BRIGITTE.de: Sondern?

Hantel-Quitmann: Sondern dass man sich verstanden fühlt. Dass man durch ein Lebens- oder Liebesthema verbunden ist, auch wenn man vielleicht unterschiedlich an dieses Thema herangeht. So ein Lebens- oder Liebesthema kann ein sehr konkretes Ziel sein: Wir wollen ein Haus bauen, ein Kind bekommen, die Welt zu einem besseren Ort machen. Aber auch das Thema Nähe/Distanz ist ein Beispiel für ein solches Liebesthema: "Wie bekomme ich in einer Beziehung möglichst viel Nähe hin - bei so viel Distanz, wie ich brauche?"

BRIGITTE.de: Ist das nicht reichlich theoretisch?

Hantel-Quitmann: Die Lebens- oder Liebesthemen existieren nicht ausformuliert in den Köpfen des Paares. Und doch spielen sie psychologisch gesehen bei der Partnerwahl eine maßgebliche Rolle. Ich will Ihnen von einem Paar erzählen, das sich von mir beraten ließ: Der Mann hat die Flucht vor seiner dominanten Mutter ergriffen, die Frau wiederum ist ein Trennungskind. Er kennt sich aus mit Nähe, sucht Distanz; bei ihr ist es umgekehrt. Diese gegenseitige Herausforderung sorgt für Dynamik, die beiden können viel voneinander lernen.

BRIGITTE.de: Das klingt nach viel Reibungspotenzial - eine harmonische Beziehung würde man sich doch sicher anders vorstellen...

Hantel-Quitmann: Streit an sich ist ja nichts Negatives! Beim positiven Streit steht das Ringen im Mittelpunkt: der Versuch, zu einer Lösung zu kommen. Solche Gespräche - ich nenne sie "wesentliche Gespräche" - bringen die Beziehung voran. Ohnehin reden Paare zu wenig miteinander: durchschnittlich nur acht bis zehn Minuten pro Tag. Und das schließt schon Dialoge mit ein wie: "Wo ist die Zeitung?" oder "Ist noch Käse im Kühlschrank?"

BRIGITTE.de: Alltag, Streit, "wesentliche Gespräche" - das hört sich eher nach Arbeit an als nach Romantik. Glauben Sie als Psychologe eigentlich an die große Liebe?

Hantel-Quitmann: Die große Liebe gibt es wirklich. Ich weiß, wovon ich spreche: Ich bin seit 34 Jahren mit meiner Frau zusammen und habe vier Kinder.

BRIGITTE.de: Und woran erkenne ich meine große Liebe?

Hantel-Quitmann: Bei der großen Liebe entsteht sehr schnell ein großes Gefühl der Vertrautheit: Wir kennen uns erst seit drei Wochen, aber es kommt mir vor, als wären es schon mehrere Jahre. Das kommt daher, weil die große Liebe schöne Erinnerungen an vorhergehende Beziehungen weckt. Eine Frau fühlt sich vielleicht durch ihren Partner an das liebevolle Verhältnis zu ihrem Vater erinnert, der immer da war, wenn sie ihn brauchte.

BRIGITTE.de: Nun habe ich sie also getroffen - die große Liebe. Wird nun alles gut?

Hantel-Quitmann: Nur wenn wir es immer wieder neu schaffen, gemeinsame Liebes- und Lebensthemen zu finden. Menschen verändern sich! In 30 Jahren Ehe durchlaufen die Partner drei, vier, fünf große Entwicklungsphasen. Daher ist es wichtig, einander immer wieder neu zu wählen, sich bewusst füreinander zu entscheiden.

BRIGITTE.de: Wann wird in einer solchen langen Beziehung aus Verliebtheit eigentlich Liebe?

Hantel-Quitmann: Verliebte Liebe ist eine Idealisierung des Partners, eine Projektion der eigenen Sehnsüchte auf den anderen. Man könnte sagen: Man ist verliebt in das Bild, das man vom anderen hat. Gelebte Liebe geht einen Schritt weiter. Sie sagt: Ich habe mein Bild vom anderen überprüft - und festgestellt: Es stimmt!

Wolfgang Hantel-Quitmann ist Familien- und Paartherapeut und Professor für Klinische Psychologie und Familienpsychologie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Er hat mehrere Bücher zum Thema Partnerschaft geschrieben, unter anderem: "Der Geheimplan der Liebe. Zur Psychologie der Partnerwahl."

Interview: Angelika Unger

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel