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Witwe mit 44: "Keine Konvention, kein Schwarz. Ich wollte leben"

Witwe mit 44: "Keine Konventionen, keine schwarzen Kleider. Ich wollte leben."
© Dominik Butzmann
Die Autorin Brenda Strohmaier hat ihren Mann Volker verloren und danach ihr Leben radikal geändert. Wir haben mit ihr über originelle Grabsteine, Sexpartys und Marie Kondo gesprochen.
von Tina Epking (Interview)

In ihrem neuen Buch "Nur über seine Leiche. Wie ich meinen Mann verlor – und verdammt viel übers Leben lernte" schreibt die Autorin Brenda Strohmaier über den Tod und die Krankheit ihres Mannes. Das ist zunächst einmal viel amüsanter als man es bei diesem Thema erwartet, vor allem aber ist es extrem klug und ziemlich lehrreich – nicht nur für Witwen. 

Dein Buch heißt "Nur über seine Leiche. Wie ich meinen Mann verlor – und verdammt viel übers Leben lernte". Was war denn deine wichtigste Lektion?

Brenda Strohmaier: Was ich auf jeden Fall gelernt habe, ist, dass die Trauer nicht überall ist. Wenn ich in mich hinein fühlte, merkte ich, dass es doch einige Teile gibt, die nicht trauern. Und Volker fehlte mir anfangs zwar fast immer und bei vielem, aber manchmal fehlte er eben auch nicht. Eine Trauerberaterin hat mir geraten, den toten Partner nicht zu verklären, das half. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass ich das irgendwie schaffen werde, egal, wie schwer es war.

Tatsächlich schreibst du sogar, dass es Vorteile hat, eine Witwe zu sein. Welche denn?

Eine Witwe ist VIP. Mir wurde in der Zeit nach Volkers Tod so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie noch nie zuvor. Nachdem ich einer Frau aus dem Servicecenter der Fluggesellschaft am Telefon erzählt hatte, dass ich den Flug nach Israel nicht antreten könne, weil mein Mann gestorben sei, hat sie mir sofort beide Flüge erstattet. Ohne Nachfragen. Ärzte verfassten auf einmal für mich in ihrem Urlaub Gutachten für die Rentenkasse, die Hausverwaltung rief nach 17 Uhr zurück. Sogar die Telekom spurte bei dem Satz: "Mein Mann ist gerade gestorben, ich brauche ihre Hilfe". Das Mitgefühl kannte wirklich keine Grenzen.

Ist deine Trauer eigentlich mit der Zeit weniger geworden?

Auch nach fast drei Jahren ist die Trauer natürlich nicht weg, die geht ja nie weg. Aber sie verändert sich sehr. Am Anfang konnte ich kaum weinen, ich fühlte mich fast nicht depressiv genug, musste pausenlos irgendwas machen, um mich abzulenken. Die Trauerberaterin sagte, dass diese Art Action-Trauern eher typisch Mann ist. Ich hatte wohl Angst, dass ich es nicht aushalten kann, wenn ich den Schmerz zulasse. Aber nach und nach kam er doch. Richtig schlimm wurde es noch mal, als ich das Buch abgeschlossen hatte, fast zwei Jahre nach seinem Tod. Was mir sehr hilft, ist, dass ich kürzlich einen Mann kennengelernt habe, den ich sehr mag. Seitdem wird es tatsächlich leichter. Dennoch fehlt mir Volker manchmal. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich über ihn sprechen kann. 

Hat es dir beim Abschied geholfen, dass Volker lange krank war?

Ich war fast schon erstaunt, wie schlimm es sich dann doch anfühlte, als er starb. Auch wenn er zehn Jahre lang schwer krank war und mir immer klar war, dass er nicht alt werden würde. Auf einmal war er weg, und ich war allein. Und der Akt des Sterbens, dieser Tod auf der Intensivstation, war die krasseste Erfahrung, die ich in meinem Leben gemacht habe. Ich war lange wie in einer Schockstarre, immer wieder kamen die Bilder des sterbenden Volkers in mir hoch.

"Ich habe quasi mit Volker im Gepäck eine Weltreise gemacht. "

Was hat dir nach seinem Tod am meisten geholfen?

Jeder Einzelne, der kondolierte und mitfühlte, hat mir geholfen. Und vor allem meine engen Freunde. Ich bin so dankbar dafür, dass ich die habe, es war immer ein Mitmensch da, wenn ich einen brauchte. Ich habe wochenlang nicht gekocht, weil immer jemand etwas für mich gemacht hat. Einfach das Dasein der anderen hat mir sehr geholfen.

Was genau hast du selbst gemacht, damit es dir besser geht?

Mir war schnell klar, dass ich nicht so weitermachen will, als wäre nichts geschehen. Dass Volker, dieser Mensch, der so gern auf der Welt war, gestorben ist, sagte mir, dass ich mich erst recht ins Leben stürzen muss. Meine Chefs haben mir auch direkt ein Sabbatical genehmigt, fünf Monate hatte ich frei. In dieser Zeit habe ich in Brüssel und Los Angeles gewohnt, bin durch Japan, Indonesien und Australien gereist. Dabei hatte ich zwei Fotos dabei, die ich immer zuerst ausgepackt habe: Eins von Volker und eins von uns beiden. Ich habe quasi mit Volker im Gepäck eine Weltreise gemacht. 

Wann hast du wieder angefangen zu daten?

Nach genau neun Monaten hatte ich ein erstes Date, aber das blieb ohne Folgen. Ich war wohl noch nicht bereit für eine neue Liebe, aber ich wollte schnell wieder rausgehen, ich wollte leben. Ich wollte keine schwarzen Kleider anziehen und jahrelang nur trauern. Da ich beruflich als schreibende Redakteurin auch für das Thema Sexualität zuständig bin, konnte ich mich auf dem Gebiet sogar dienstlich fortbilden: 2017 gab es lauter neue Sexpartys in Berlin, darüber wollte ich schreiben. Ich habe dann eine Frau dorthin begleitet, und plötzlich verschwand diese Protagonistin. Ich wartete und wartete – und fand mich schließlich in den Armen einer fremden Frau. In die habe ich mich verliebt, und eine Weile haben wir uns regelmäßig getroffen. Mir ist insgesamt nach Volkers Tod aufgefallen, dass ich mich nicht an Konventionen halten will, nur weil man das eben tut. Das Leben ist zu kurz dafür, wir müssen alle sterben.

"Meine Heilige heißt Marie Kondo"

Hat Volkers Tod dich mutig gemacht?

Ich war eigentlich schon immer mutig. Es gehört ja auch Mut dazu, sich auf einen schwer kranken Mann einzulassen. Gleich unser zweites Date fand im Krankenhaus statt, weil mit seinem Körper so viel im Argen lag. Wir haben uns 2005 kennengelernt, 2006 hatte er den ersten Herzinfarkt, 2009 seine Lebertransplantation wegen einer seltenen Krankheit namens Primär Sklerosierende Cholangitis. Seine Krankheit hat mir meine eigene Verwundbarkeit gezeigt, aber ich weiß auch, dass ich etwas ganz Schreckliches überstehen kann. Das hat mich selbstbewusster, stärker gemacht. 

Volkers Grab nimmt ein ganzes Kapitel in deinem Buch ein. Warum?

Weil ich mich lange damit beschäftigt habe. Ich wollte erst etwas ganz Traditionelles, etwas Zeitloses, aber ich habe nicht das gefunden, was mir gefiel. Irgendwann war ich bei einem Steinmetz, der empfahl mir fränkischen Muschelkalk als Material für die schlichte Einfassung, für die ich mich entscheiden hatte. Das ist das Material, aus dem das Olympiastadion in Berlin gemacht ist. Und weil ein Grab eh geformt ist wie ein Fußballfeld, habe ich den Steinmetz gebeten, ein stilisiertes Tor in die Einfassung zu meißeln. Ich fand das sehr passend, weil Volker ein großer Hertha-Fan war. Am Ende habe ich, die eigentlich nie etwas mit Fußball am Hut hatte, sogar Original-Rollrasen aus dem Stadion für Volkers Grab besorgt. Mittlerweile bin ich übrigens auch ein bisschen Hertha-Fan. 

Außerdem bist du Fan von Marie Kondo...

Vor dem Tod aufzuräumen ist wahnsinnig hilfreich. Wir hatten beide vor längerer Zeit nach Anleitung von Marie Kondo, der japanischen Aufräummissionarin, unsere Wohnung ausgemistet. Deswegen war es sehr leicht, Volkers Nachlass zu sortieren. Man will sich ja nach so einem Schicksalsschlag nicht noch Gedanken darüber machen müssen, wo die Sachen sind, die man braucht, um alles zu regeln. Volker hatte bei unserer Aktion wirklich alles sehr ordentlich sortiert. Also von wegen Jungfrau Maria. Meine Heilige heißt Marie Kondo.

Witwe mit 44: "Nach seinem Tod war ich Marie Kondo sehr dankbar!"
© Dominik Butzmann

Brenda Strohmaier, geboren 1971, ist Stilredakteurin bei der WELT, nebenbei promovierte sie in Stadtsoziologie. Seit 2005 war sie mit dem Filmkritiker Volker Gunske liiert, seit 2015 verheiratet, 2016 wurde sie Witwe. Seitdem versucht sie diesem Familienstand neuen Glamour zu verleihen. 

Witwe mit 44: "Keine Konvention, kein Schwarz. Ich wollte leben"
© PR

"Nur über meine Leiche. Wie ich meinen Mann verlor – und verdammt viel übers Leben lernte" ist im Februar 2019 im Penguin Verlag erschienen und kostet 14 Euro. 

Barbara

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