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Der Tod ist ganz warm Was mich der Besuch beim Bestatter über das Abschiednehmen lehrte

Trauer: verblühte Blume
© nonglak / Adobe Stock
Auf der Suche nach einem hilfreichen Umgang mit dem Tod und der Trauer, besucht unsere Autorin ein Bestattungsinstitut. Ein Treffen, das sich ganz anders anfühlt, als erwartet.

Es ist ein typischer Tag im November und ein typischer Tag in Hamburg: Es ist windig und es regnet von allen Seiten. Wie passend, denke ich, dieses graue, traurige Wetter, schließlich bin ich auf dem Weg zu einem Bestatter. Wer wie ich in der Nähe des größten Hamburger Friedhofs wohnt, ist oft mit dem Tod konfrontiert. Hier säumen die Grabsteine der Steinmetze die Hauptstraße, Särge, Kerzen und Urnen liegen als Dekor in den Schaufenstern. Aber dieses Haus, vor dem ich jetzt stehe, ist anders. 

Eine Verabredung mit den Verstorbenen

Als Bettina Strang vom Trostwerk Hamburg mir die Tür öffnet, betrete ich einen großzügigen Flur, der in sanften Erdtönen gehalten ist. Es riecht nach Holz und Wärme, so als ob irgendwo ein Feuer im Kamin prasselt und wir uns auf einen netten Plausch zum Tee verabredet hätten. Ein wenig ist es auch so. Sie führt mich in einen großen Raum, den Patio: Ein Holztisch, Kekse und duftender Tee, Kerzenschein und der Hamburger Regen, der unermüdlich auf das Glasdach prasselt. Normalerweise finden hier die Trauerfeiern statt, heute treffen wir uns zu dritt: Bettina, ich und der Tod. 

Ob ich die Räumlichkeiten sehen möchte, fragt sie mich. Ich sage sehr schnell "Ja" und merke dann, dass ich mich darauf eigentlich nicht so recht vorbereitet habe. Über den Tod zu sprechen, ist eine Sache, ihm ganz nah zu kommen, eine andere. Wir gehen in den kleinen angrenzenden Raum, in dem die Verstorbenen aufgebahrt werden, damit die Angehörigen Abschied nehmen können - wenn sie das möchten. In der Mitte steht ein geöffneter Sarg, weiß ausgekleidet, schlicht, aus hellem Holz. Unweigerlich denke ich an das letzte Mal, dass ich vor einem Sarg stand: Auf der Beerdigung meines Opas. Mein Opa – Er wird mir hier heute noch öfter begegnen.

Blumen im Ruheraum, Wertschätzung und Trost

Bettina zeigt mir das Lager und die Werkstatt, in der die Särge ausgekleidet werden, einige, wenige Modelle stehen nebenan, die Fahrzeuge, die Blumenbinderei. Sie erklärt mir die Abläufe, warum die Autos rot statt schwarz sind und dass sie deshalb schon das ein oder andere Mal Schwierigkeiten hatte, wenn sie ungünstig parken musste, weil das Auto nicht als Bestattungswagen erkennbar ist. Doch für die Angehörigen sei es schöner, das Nicht-schwarz. Sie zeigt mir den Raum, in dem die Totenfürsorge stattfindet, die Verstorbenen gewaschen und angekleidet werden, den Schrank, in dem die Urnen bis zur Bestattung aufbewahrt werden. Statt in einer externen Kühlhalle, befinden sich die Toten des Trostwerks hier, in einem gekühlten Ruheraum. 

Davor stehen wir nun. Neben der Tür hängt eine Zeichnung des Raumes, damit sich Angehörige – und jetzt auch ich – sich vorstellen können, wie es drinnen aussieht. Denn das, erklärt mir Bettina, ist für viele ganz essenziell, zu wissen, wer auf ihre Liebsten aufpasst und wo sie sind.

Es sieht da drinnen nicht aus wie in einer Pathologie. Wir haben keine Schubfächer. Die Verstorbenen liegen in ihrem eigenen Sarg in dem Raum. Außerdem lagert unsere Floristin hier ihre Blumen. Es ist ja im Grunde eine Art Kühlschrank. Die Temperatur liegt bei 5 ° C. Eine WinWin-Situation für die Blumen und die Toten, finde ich.

Es ist ein seltsames Gefühl, vor dieser Tür zu stehen und ein schöner Gedanke, dass dieser Raum von Blumen erfüllt ist. Tod und Leben kommen hier zusammen, so wie im gesamten Haus. Es ist eine Begegnungsstätte, die sich wie eine große Umarmung anfühlt. Aus jedem Wort Bettinas und jedem Stein dieses Hauses sprechen Wertschätzung für das gelebte Leben und Trost für die Hinterbliebenen. 

Abschiede sollen Erinnerungen schaffen

Man sagt ja, der Tod sei kalt. Doch dieser Ort hier ist warm. Ein Ort des Abschieds, an dem die Zeit still zu stehen scheint und an dem man sich davon so viel nehmen darf, wie man braucht. Das Trostwerk ist ein Abschiedshaus und die Menschen, die hier arbeiten, verstehen sich weniger als Bestatter:innen, sondern als Begleiter:innen. Man spürt, dass hier jedes Gefühl sein darf. Es ist traurig und schön und die Würdigung der Verstorbenen liegt in den Räumen, genauso wie die Dankbarkeit für das Leben. Die Abschiede sollen zu dem Menschen passen und eine Erinnerung schaffen, die nicht nur schwarz und düster ist. 

"Bei uns geht es um gelebte Abschiedskultur. Den Mut zur Begegnung mit dem Tod, die schönen Aspekte auch des Traurigen leben zu können. Und dazu zählt zum Beispiel einen Rahmen zu finden, in dem ich meinen Wunsch nach Abschied oder nach Kreativität in der Begegnung mit dem Tod verbinden kann", erklärt Bettina und erzählt von einem Mann, dessen Lebensinhalt sein Garten war. Aber nicht auf die blumige Art, sondern rustikal: Kartoffeln und Gemüse. Für seine Familie war klar: Eingeäschert wird er in seiner grünen Latzhose, mit Harke und in Gummistiefeln. Die Urne stammte aus einem Baumstamm und die Kapelle war während der Trauerfeier mit Gemüsekörben, Pilzen und Tomaten statt Blumen geschmückt. 

Wie schön, sage ich, das hätte meinem Opa auch gut gefallen.

"So wie die Leute gelebt haben, so sollen sie sich hier auch treffen."

Der Trauerprozess und die Aufklärungsarbeit stehen hier im Mittelpunkt. Nur Menschen, die über ihre Möglichkeiten aufgeklärt sind, hätten auch die Wahl, was sie für ihren Weg brauchen. "Hier haben beispielsweise am offenen Sarg schon Whisky-Verkostungen stattgefunden. So wie die Leute gelebt haben, so sollen sie sich hier auch treffen. Vielen ist auch nicht so bewusst, dass jemand, der zum Beispiel im Krankenhaus verstirbt, nochmal nach Hause geholt werden könnte, um Abschied zu nehmen. Das muss gar nicht hier sein. Wichtig ist für mich, im Fokus zu haben, was die Angehörigen brauchen. Was tut ihnen gut? Und das versuche ich als Bestatterin möglich zu machen."

Die Zeit zwischen Tod und Beisetzung sei ohnehin sehr anstrengend für die Hinterbliebenen und fühle sich an wie eine Zwischenzeit. Deswegen rät Bettina oft: "Nehmt euch euer Tempo, ihr habt Zeit."

"Du kannst den Schmerz nicht weg beerdigen.“

Ich kenne eigentlich niemanden, der oder die sich nach dem Tod eines nahestehenden Menschen wirklich viel Zeit genommen hat. Im Gegenteil: Alle wollten stets schnell die Beisetzung hinter sich bringen. Damit das geschafft ist.

Manche haben so großen Druck dahinter und denken, je schneller diese Beerdigung hinter mir liegt, desto schneller kann ich einen Schlusspunkt setzen. Das stimmt aber nicht. Du kannst den Schmerz nicht weg beerdigen.

Der Trauerweg beginne eigentlich erst nach der Beisetzung, sagt Bettina, "erst dann wird die Abwesenheit richtig spürbar. Während das Umfeld oft denkt, jetzt ist ja schon ein halbes Jahr vorbei, jetzt muss es doch langsam mal besser werden, begreifen die Hinterbliebenen erst, was das eigentlich heißt, dass der andere wirklich nicht mehr wiederkommt. Es ist ganz wichtig zu verstehen, dass jemand tot ist, um überhaupt irgendwann mal in dieser Realität anzukommen."

Und in der Realität folgen dann die ganzen ersten Male: das erste Weihnachten ohne den Menschen, Geburtstag, Hochzeitstag und schließlich der erste Todestag. 

Rituale geben Halt und Trost

"Umso bewusster man den Abschied gestaltet, desto mehr kann man daraus ziehen." Ein Grund, weshalb es für das Trostwerk so wichtig ist, den Tod erfahrbar zu machen und den Angehörigen die Chance zu bieten, zu erleben, dass da noch der vertraute Körper ist, aber doch ganz anders. Deshalb dürfen die Angehörigen hier bei allen Schritten dabei sein, wenn sie das möchten. Rituale wie die Totenfürsorge, noch einmal an den Sarg zu kommen, den Sarg zu bemalen, Sargbeigaben hineinzulegen oder mit ins Krematorium zu gehen und den Moment der Einäscherung selbst zu bestimmen, helfen dabei, den Tod in die eigene Realität zu integrieren. "Das kann für manche sehr wichtig sein, weil der Tod immer auch Kontrollverlust bedeutet und das kann oft den Impuls auslösen, möglichst viel kontrollieren zu wollen."

Du hast doch nicht nur diese eine Erinnerung an den Menschen, sondern ganz ganz viele.

Bei Bettina klingt all das ganz selbstverständlich, dass man seinen Verstorbenen nochmal sieht und Zeit mit ihm oder ihr verbringt, während ich immer das Gegenteil gehört habe: "Behalte Opa lieber so in Erinnerung, wie er war, als er noch lebte." Das klang für mich logisch. Aber Bettina erklärt: "Du hast doch nicht nur diese eine Erinnerung an den Menschen, sondern ganz ganz viele." Sie hat recht. Dennoch hätte ich davor Angst, sage ich.

Das sei ganz normal, antwortet Bettina, deswegen werden die Angehörigen hier gut begleitet und nicht jede:r braucht das. "Doch wenn man sich mit Ruhe und nach eigenem Tempo dem nähert, könne man erleben, dass sich die Beklemmung löst, dass man ganz ruhig am Sarg wird, dass man mit der Familie auch lachen kann. Da steckt sehr viel drin: erinnern, noch letzte Dinge tun, erleben, dass der Tod zum Leben gehört. Ich würde niemals wagen zu sagen, das soll jede:r machen. Aber ich glaube, es tut mehr Menschen gut, als sie vorher glauben."

Was denkt eine Bestatterin über den Tod?

Als wir zum Ende unseres Gespräches kommen, will ich noch wissen, was dieser Beruf mit ihr macht und frage, ob sich ihre Sicht auf das Leben verändert hat?

"Ja", sagt sie, sie glaube, dass sie eine viel größere Wertschätzung für das Leben habe, durch das Bewusstsein, wie dünn die Grenze ist. Eben noch da und dann plötzlich weg.

"Macht dir das Angst?", will ich wissen.

"Nein, zumindest nicht für sich selbst.", antwortet sie. Das Mysterium Tod fasziniere sie auf gewisse Art und Weise und sie fragt sich, was das eigentlich sei, dieses Leben oder dieses Beseelte? Und wo ist das hin? 

Vielleicht gibt es doch ein danach…?

"Ich bin kein Atheist", sagt Bettina. Sie glaube nicht, dass danach nichts mehr ist. "Dafür passieren auch immer viel zu viele Dinge, wo ich dann manchmal denke: 'Das kann doch jetzt nicht sein. Das ist hier gerade wie in einem schlechten Film, das ist so kitschig, dass es peinlich ist. Und wenn es jetzt nicht alle gesehen hätten, dann würde doch wieder jeder denken, sie wünscht sich da was.'" Was genau sie damit meint, frage ich. "Bestimmte Lichtverhältnisse bei Bestattungen, zum Beispiel. Der Himmel reißt auf, wenn du am Grab stehst und der Sonnenstrahl geht direkt auf das Grab, nicht das daneben, sondern genau das. Oder es ist Februar und ein Schmetterling fliegt vorbei. Das mag selektive Wahrnehmung sein, aber dafür passiert es mir irgendwie bei meinem täglichen Tun so häufig, dass ich denke, ich weiß nicht, wer da gerade seine Finger im Spiel hat. Muss ich auch gar nicht. Ich nehme das sehr gerne als nicht zufällig hin."

Warum auch nicht, ich finde, es ist ein schöner Gedanke. 

Und mir fällt wieder das Bild ein, dass ich kurz nach der Beerdigung meines Opas aufnahm. Wir gingen spazieren, auf den Wegen, die wir alle tausende Male gelaufen sind, an dem Fluss, in dem wir alle schon als Kinder geschwommen sind und auf den Stegen, auf denen wir auf das Wasser schauten und atmeten.

Sonnenuntergang
© Julia Ballerstädt / Privat

Bettina Strang istTeil des rund 20-köpfigen Teams des Trostwerks Hamburg, das individuelle, lebensfreundliche Abschiede anbietet. Das Trostwerk sieht sich jedoch nicht nur als Begleiter während der Anfangszeit, sondern setzt sich für eine neue Trauerkultur ein, die den Tod nicht länger aus dem Leben drängt. Stattdessen soll sie die Trauernden dazu ermutigen, gerade im Angesicht des Todes die eigene Lebendigkeit neu zu entdecken.

Brigitte

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