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Mentale Gesundheit Warum ich den Begriff Selfcare nicht mehr benutzen werde

Frau sitzt auf einem Bett und meditiert
© Olena Bloshchynska / Adobe Stock
Selfcare ist wichtig für die Gesundheit und für das Miteinander in der Gesellschaft. Das sieht unsere Autorin genauso. Trotzdem will sie den Begriff nicht mehr verwenden. Warum?

Das Wort Selfcare wird – zumindest habe ich das Gefühl – seit Beginn der Corona-Pandemie häufiger verwendet als zuvor. Das mag zum einen daran liegen, dass wir im Lockdown mehr Zeit zu Hause verbracht haben und unsere Wohnungen zu Wellness-Tempeln umfunktionierten. Zum anderen aber vielleicht auch an der Tatsache, dass mehr und mehr über das Thema mentale Gesundheit gesprochen wird. So weit, so gut. Auch ich benutzte den Begriff eine Zeit lang inflationär. Wenn mich jemand nach meinen Wochenend-Plänen befragte, lautete die Antwort häufig: Selfcare betreiben. Heute will ich den Begriff am liebsten gar nicht mehr in den Mund nehmen.

Der Ursprung des Begriffs "Selfcare"

Selfcare bedeutet übersetzt "Selbstfürsorge". Also das Kümmern um sich selbst. Was viele nicht wissen: Das Wort hat einen politischen Ursprung. In den 60er und 70er Jahren diente "Selfcare" als Verlangen Schwarzer Communities, die vom amerikanischen Gesundheitssystem benachteiligt wurden. Im Zuge der Civil Rights Movements gelang es Schwarzen Communities, ihre eigenen Krankenhäuser zu bilden, um Menschen die gesundheitliche Versorgung zu sichern, die ihnen seitens des Staates untersagt wurde. Beim Begriff Selfcare ging es also erstmal nicht um das mentale Wohlbefinden, sondern ums reine Überleben. Dass es Menschen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch gut geht, kam erst mit dem Begriff "Wellness" der damaligen Hippie-Bewegungen hinzu. Und dann kamen die 80er und 90er Jahre.

Selfcare ist konsumierbar und ungesund

Seit dem späten 20. Jahrhundert ist Selfcare in erster Linie eins: konsumierbar. Und damit ist es ein Privileg. Wir kaufen uns teures Badesalz, in der Hoffnung, dass es uns die nötige Entspannung vom Arbeitsalltag schenkt. Wir müssen mindestens dreimal im Jahr in den Urlaub fahren, um "abzuschalten" (aber hängen dabei trotzdem die ganze Zeit am Handy). Wir belegen Yoga- und Meditationskurse, um zu uns zu finden und tragen Gesichtsmasken auf, damit man uns den Stress, dem wir uns tagtäglich aussetzen, bloß nicht ansieht. Bei Selfcare geht es heute nicht mehr um benachteiligte Gruppen, die ums Überleben kämpfen, sondern um Selbstoptimierung und Selbstdarstellung. Es geht darum, als Arbeitskraft zu funktionieren und bloß allen Überforderungen entgegenzuwirken und vor allem geht es ums Geld verdienen, anstatt auf die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten hinzuweisen.

Auch die derzeitige "That Girl"-Bewegung auf TikTok ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie falsch unser Verständnis von Selfcare ist. Frühes Aufstehen, Smoothies, Meditation, Sport und gesunde Ernährung werden als der einzig wahre, gesunde Lifestyle indoktriniert. Das ist nicht nur eine Abweichung von der Realität, sondern befeuert erst recht den Selbstoptimierungswahn. Es wird das Gefühl ausgelöst, niemals schön genug, schlank genug oder reich genug zu sein. Das Ergebnis des Ganzen ist die Abbildung eines privilegierten Stereotypen. Letztlich empfindet sich jede Person, die diesem vermeintlichen Ideal nicht entspricht, als nicht stark oder fleißig genug. Wie denn auch, wenn Kim Kardashian, eines der größten Vorbilder einer ganzen Generation, ihrer Anhängerschaft predigt: "get your fucking ass up and work" (dt. beweg deinen Arsch und arbeite) und zudem noch ein Schönheitsideal vertritt, was ohne Beauty-Eingriff für niemanden zu erreichen ist. Dabei definiert das alles in keinster Weise uns als Person und die Qualität unseres Lebens.

Wie Selbstfürsorge aussehen sollte

Dieser Text ist kein Plädoyer dafür, sich von der Selbstfürsorge abzuwenden. Ganz im Gegenteil. Selbstfürsorge ist wichtig. Um solidarisch miteinander zu leben, müssen wir uns auch um uns selbst kümmern. Das geht aber nicht mit dieser effizienten, oberflächlichen als "Selfcare" getarnten kapitalistischen Selbstoptimierung. Wir brauchen eine andere Art der Selbstfürsorge. Eine, die nicht ausschließlich Menschen mit bestimmten Privilegien vorbehalten ist, sondern eine, die für alle Menschen zugänglich ist.

Selbstfürsorge hat in meinen Augen rein gar nichts mit Konsum zu tun. Ja, ich gehe gerne zum Yoga und ja, ich meditiere, um zu entspannen. Doch hierbei handelt es sich um reine Symptombekämpfung. Eine Betäubungscreme sozusagen. Um uns aber nachhaltig um uns selbst zu kümmern, müssen wir an unser Innerstes. Uns selbst den Raum zugestehen, den uns die Gesellschaft gerne mal verwehrt. Unsere Gefühle wahrnehmen und akzeptieren, ohne sie zu bewerten. Uns selbst Wertschätzung entgegenbringen, die nicht an Bedingungen geknüpft ist. Müde sein, ohne dagegen anzukämpfen.

Vielleicht sollten wir aufhören, über Selfcare zu reden, sondern uns darin üben, unsere Grenzen zu wahren. Uns Pausen gönnen, wenn wir uns ausgelaugt fühlen. Unsere Gefühle ergründen, wenn wir nicht wissen, weshalb wir traurig sind. Mit Psychotherapeut:innen sprechen, wenn wir alleine nicht weiterkommen. Uns mit unserem Innersten befassen, anstatt jede Leere in uns mit Konsumgütern und Ablenkung zu stillen.

Wenn mich also demnächst jemand fragt, was ich am Wochenende mache, dann werde ich antworten: meine Grenzen wahren.

Verwendete Quelle: neuenarrative.de

Brigitte

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