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Manhattan auf ex

Die Sehenswürdigkeiten schlafen schon, die Merkwürdigkeiten wachen gerade auf. Eine Kneipentour durch New York mit Rockstar Adam Green

Es ist Freitagabend, so um halb acht. Adam Green ist pünktlich, trägt eine rote Kunstlederjacke, Jeans und Schiebermütze. Sein Job: mir zeigen, wo man im East Village, seinem Viertel, abends so hingeht. "Wirklich Neues zu entdecken ist schwer", findet er und hat auch gleich eine einleuchtende Erklärung dafür: "Das Meiste ist ja schon da." Das Land zum Beispiel, in dem er vor 24 Jahren zur Welt kam. "Was soll das heißen, Kolumbus hat es gefunden? Das ist doch totaler Blödsinn." Unser Treffpunkt liegt mitten im East Village an der 16th Street, Ecke 6th Avenue. Von hier aus kann man die berühmten Wolkenkratzer sehen, die Bürotürme und Hotels, in denen sich das Big Business abspielt. Im East Village hingegen lebt man. Die Gebäude ringsum sind nicht so hoch. Mehrstöckige Miets- und Apartmenthäuser, viele kleinere Geschäfte, Autowerkstätten, Schulen, sogar ein bisschen Grün. Für Manhattaner Verhältnisse sind die Mieten hier relativ niedrig. Ein kuscheliges Eineinhalbzimmer-Apartment gibt's schon ab 1000 Dollar im Monat. Ich wäre da wohl eher ein Fall für die WG.

Kaffee und Burger zum aufwärmen

Wir haben einiges vor. Und im "Joe Junior's" gibt es die solide Grundlage für unseren Kneipenbummel. Mit seinen Holzpanelen und den merkwürdigen Topfpflanzen hat der Laden Ähnlichkeit mit dem Vereinsheim eines Regionalliga-Fußballclubs - nur dass draußen nicht Wattenscheid ist oder Regensburg, sondern New York. Ich fühle mich sofort wohl. Während wir verdammt gute Burger essen, erzählt Adam von wirklichen Neuentdeckungen. Seinem Bruder ist neulich eine gelungen. Joe Green ist Astrophysiker, drei Jahre älter als Adam, und hat einen richtig neuen, "noch ganz jungen" Planeten entdeckt, kaum 500 000 Jahre alt. "Er ist nach Hawaii geflogen, auf einen Berg geklettert und hat das alles mathematisch ausgerechnet." Bis auf den Titel des Magazins Discover hat es die Entdeckung geschafft. Wir zahlen übersichtliche 12 Dollar für zwei Burger und Kaffee satt und gehen weiter. Auf Adams Plan steht jetzt "Mc Sorley's Old Ale House", New Yorks ältestes Brauhaus, eine echte Institution und weit über die Stadt hinaus bekannt. Frauen war der Zutritt dort bis vor 30 Jahren verboten. Heute sind auch keine da. Kein Wunder, es dominiert der stark angetrunkene Typ Mann, so zwischen 20 und 50. Touristen aus dem Mittleren Westen, Rednecks, Stammtischpolitiker. Es ist zu laut, zu voll und vor allem zu proll. Nix für uns im Moment. Schnell raus hier.

Jimmy's? noch nie gesehen

Der Verkehr in den Straßen ist kurz vor 21 Uhr unverändert dicht. Viele Leute kommen erst jetzt von der Arbeit nach Hause, kaufen schnell noch was ein, sind auf einen Drink oder zum Essen verabredet. East Village, das Dorf mitten in der Metropole New York, ist noch angenehm lebendig. Ein gutes Gefühl, nachts durch volle Straßen zu gehen.

Wir biegen um eine Ecke, und in diesem Moment wird das Green'sche Theorem der Unentdeckbarkeit von Neuheiten widerlegt: Wir stehen vor einer Kneipe namens "Jimmy's". Adam hatte den Laden nicht auf dem Zettel, als es darum ging, eine kleine Vorauswahl an geeigneten Trinkhallen zu treffen. Er hatte ihn noch nie auf dem Zettel. Er kannte "Jimmy's" überhaupt nicht. Ein Grund mehr, da jetzt dringend reinzuschauen. Drinnen ist es warm, gemütlich und eng. Der Begriff "Loch" hört sich ja immer gleich so despektierlich an, aber das hier ist ein Loch im guten Sinne. "Noch nie gesehen", staunt Adam.

Überraschung. Dabei lebt er schon seit einem guten Jahr in dieser Gegend, dem East Village von Manhattan. 17th Street, zwischen der 2nd und 3rd Avenue, da hat er seine Wohnung, zusammen mit Freundin Lorybeth. Die ist nicht dabei, bei unserem kleinen Kneipenbummel. Das Mädchen geht schließlich einer geregelten Tätigkeit nach. Sie arbeitet bei einem Reiseveranstalter. Seit anderthalb Jahren sind die beiden ein Paar, und wegen Lorybeth ist Adam aus Brooklyn zurückgekehrt nach Manhattan. Für das gemeinsame Quartier war die East Side der logische Anlaufpunkt, schließlich hatte Green hier vor vier, fünf Jahren seine erste kleine Butze nach dem Auszug bei den Eltern. "Zum Weggehen ist die Gegend einfach ideal." Und, meine Güte, was hat der Jimmy bloß für Biere. Ein angeblich 600 Jahre altes Doppelbock aus Bayern, das muss doch gleich mal angetestet werden. Als Nächstes serviert der Starkbierspezialist ein "Rogue Old Crustaceon", mit 14 Dollar das teuerste auf der Karte, es ersetzt aber auch eine komplette Mahlzeit. Adam entscheidet sich danach für ein klassisches Weizenbier, als uns der Besitzer in ein noch spelunkigeres Nebenzimmer führt, den "Stage Room". Kleine Bühne, vielleicht Platz für 60 oder 80 Leute. "Hier könnte ich doch mal auftreten", freut sich der Herr Sänger. In seiner Heimat ist der Junge nämlich so gut wie unbekannt. Während es bei uns in Deutschland regelmäßig mittlere Zusammenrottungen gibt, wenn man ihn irgendwo sichtet, läuft Adam hier völlig anonym durch die Straßen. Also weiter.

New York

Hinkommen: Direktflüge von Frankfurt, Hamburg, Berlin, München, Düsseldorf.Preis: Wer früh bucht, zahlt ab ca. 350 Euro inklusive Gebühren.

Wohnen im East Village

Jazz on the Town 307 East 14th Street, Ecke 2nd Avenue. Junges Hostel. Alle Zimmer haben ein eigenes Bad und kosten ca. 80 Dollar pro Nacht.American Dream Hostel 168 East 24th Street. Freundliches Hostel, das seit 20 Jahren mit persönlicher Note von Eigentümer Lou Barretto betrieben wird. Es gibt einen Gemeinschaftsraum fürs Abendessen, das Frühstück wird serviert. Ab 40 Dollar pro Person und Nacht.Hotel on Rivington 107 Rivington Street. Wer es gediegener mag, ist hier richtig. Neues Designhotel. Moby hat hier die Fotos fürs Booklet seiner CD "Hotel" aufgenommen. Sehr angesagt. Sehr teuer. Doppelzimmer ab 300 Dollar pro Nacht.

Essen

Veniero's Pasticceria and Caffé 342 East 11th Street. Gegründet 1894. Die leckersten Kleinkuchen der Gegend.Joe Junior's 16th Street, Ecke 6th Avenue. Klassischer Diner mit Burger, Fritten und Shakes. Quasi Adams Kantine. Er wohnt nur einen Block weiter.Eisenberg's Sandwich Shop 174 5th Avenue zwischen 22nd and 23rd Street. Der Deli-Klassiker. Suppen, Sandwiches. Laden sieht schrasselig aus, Essen ist aber sehr lecker.

Weggehen

Adam Green empfiehlt:Jimmy's 43 East 7th Street. Kuschelige Kneipe. Schwer zu finden, aber es lohnt sich. Nicht nur wegen der über 30 Biersorten (meist kleine, unbekannte Marken aus Belgien oder Irland). Starkbierspezialist.Mc Sorley's Old Ale House 15 East 7th Street. Besser unter der Woche hingehen, weil es dann nicht so brechend voll ist - weder der Laden noch die Typen. Eine der bekanntesten Bierschänken New Yorks. Nur zwei Sorten: Helles und Dunkles. Bis vor 30 Jahren für Frauen verboten.Max Fish 178 Ludlow Street. Bisschen szenig, aber nicht übertrieben. Sehr gemütliches Trinklokal mit angenehm indie-angehauchtem Publikum. Flaschenbier aller Art. Aber auch gute Cocktails und Martinis.Bym weiß noch mehr:KGB Bar 85 East 4th Street. Im ehemaligen Büro der ukrainischen Kommunisten kann man unter Propagandapostern und toten Staatslenkern ein Dutzend verschiedene Wodkas probieren.Korova Milk Bar 200 Avenue A 12th Street. Benannt nach der Bar im Kultfilm "Clockwork Orange". Bisschen überstylt, aber tolle Martinis und Margaritas.The Raven 194 Avenue A East 12th Street. Angeberfreie Bar mit sehr gemischtem Publikum. Am besten mittwochs und freitags hingehen, wenn DJ Dandy Sex auflegt.

Einkaufen

The Village Scandal 19 East 7th Street. Hutladen. Breite Auswahl an Modellen für Männer und Frauen. Abgefahren.Treasure Trends 204 1st Avenue zwischen 12th und 13th Street. Secondhand-Dorado. Vintage-Zeugs. Chaotisch und cool.Rockit Scientist 33th Street St. Mark's Place zwischen 2nd und 3rd Avenue. Vinyl, CDs und DVDs. Riesenauswahl. Neu und gebraucht.Flohmarkt 6th Avenue zwischen 25th und 27th Street (nur am Wochenende).

Text Steffen Rüth

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