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"Ferienhäuser sind furchtbar - warum fahre ich trotzdem jedes Jahr hin?"

Vor- und Nachteile von Ferienhäusern: Haus in Sandstrand gemalt
© Lev Kropotov / Shutterstock
Stumpfe Klingen, kaputte Sonnenschirme, laminierte Anweisungen: Jeden Sommer erneuert Till Raether seine Hassliebe zu Ferienhäusern – und hofft doch immer wieder das Beste.

Habt ihr Messer mitgebracht?

Okay, das mit den Messern ist klar. Niemand hat je ein scharfes Messer in einem Ferienhaus gefunden. Ich weiß, dass die Messer auch im nächsten Ferienhaus stumpf sein werden. Wären sie plötzlich scharf, würde ich mich bei der Erstbenutzung aufs Schwerste verletzen, es wäre gefährlich und irrational.

Irrational ist aber auch, dass ich jeden Sommer aufs Neue vergesse, ein oder zwei scharfe Messer von zu Hause mit ins Ferienhaus zu bringen. Ich denke zwar an Essig und Öl und Salz und Pfeffer. Aber erst im letzten Supermarkt vor der Ankunft: Da war doch was, das fehlt doch immer, oder?

Essige, Öle, Brühen und Gute-Laune-Tees

Im neuen Ferienhaus finde ich dann im Küchenschrank als Erstes die Ecke, wo all die angebrochenen Essige und Öle und die Gute-Laune-Tees und die Oreganos und die Brühen der früheren Gäste zusammengepfercht sind. Was aber nie jemand zurücklässt, sind Spülmaschinen-Tabs und Waschpulver, hast du was mitgebracht? Ich auch nicht.

Ich miete oft Ferienhäuser, weil wir gern mit Freund*innen verreisen, und je mehr wir sind, desto preiswerter wird es, egal, ob in Südeuropa, an Nord- und Ostsee oder der Mecklenburger Seenplatte. Schweigen wir von der difizilen Diplomatie der Zimmeraufteilung und der speziellen Zu-kurz-Kommer-Furcht, die einen ergreift, wenn man hundert Kilometer vorm Ziel die Nachricht der anderen bekommt: Sind schon da...haben uns schon was überlegt wegen der Aufteilung ... habt ihr Messer dabei?

Der "optimism bias" ergreift Besitz von mir

Hier geht es darum, dass ich vom Erfahrungsstand her Ferienhaus-Pro bin. Aber nicht, was meine mentale Belastbarkeit angeht. Jedem neuen Ferienhaus nähere ich mich wieder mit der gleichen Erwartung: Es wird wunderbar sein. Die Hirnforschung nennt dies den "optimism bias", also: unsere Voreinstellung, trotz gegenteiliger Erfahrungen immer das Beste zu erwarten, kurz: schön blöd.

Denn jedes Ferienhaus wirft die gleichen Fragen auf: Habt ihr schon herausgefunden, wie die Dunstabzugshaube angeht? Welche Fernbedienung ist wofür?

Sind diese superweichen bzw. superharten Matratzen für die menschliche Anatomie gedacht oder für kafkaeske Verwandlungswesen mit Exoskeletten? 

Wo sind die guten Gläser? Was verbirgt sich hinter dieser einen abgeschlossenen Tür? (Die guten Gläser?) Warum gibt es mehr Gabeln als Löffel, mehr Deckel als Töpfe, mehr Siebe als Schüsseln, mehr kaputte Sonnenschirme als intakte?

Es trifft also mein Alltagsperfektionismusauf eine Umgebung, die durch starke Benutzung verschlissen ist. Die Besitzer*innen versuchen, das Chaos durch aufgeklebte oder laminierte Anweisungen zu kontrollieren ("Ich bin ein Klo und kein Mülleimer :)"), vergeblich.

Ferienhäuser zeigen mir, wie bequem und unflexibel ich geworden bin

Jeden Sommer fremdele ich ungefähr einen Tag mit der heruntergekommenen und doch kostspieligen neuen Umgebung, dann fange ich an, sie zu lieben. Sie sieht zwar nicht aus wie auf den Fotos, aber: anders schön.

Und jedes Ferienhaus lehrt mich aufs Neue, wie bequem ich mir das Leben zu Hause eingerichtet habe, wie unflexibel ich in meinem Sparschäler-Alltag geworden bin, wie kleinlich, und dass man Zwiebeln für zwei Wochen auch mit einem Messer würfeln kann, bei dem die Klinge so wenig Schneidkraft wie der Griff hat, und ein paar Wochen schmecken sie auf diese Art und Weise gequetscht und gerissen viel besser als zu Hause.

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BRIGITTE 18/2019

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