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Nachhaltig shoppen Auf Vintage-Schatzsuche in Schottland

Nachhaltig shoppen: Auf Vintage-Schatzsuche in Schottland
© Julia Rotter
In Edinburgh wurde BRIGITTE-Autorin Jana Felgenhauer vor vielen Jahren zum Vintage-Fan. Die Jagd nach Klamotten mit Geschichte ist seither ihre große Leidenschaft. Jetzt ist sie zurück.

Es sind endlose Reihen von Strickpullovern, die ich abgehe. Ich streife an knisternden Polyester-Kleidern aus den Achtzigern entlang, verrenke mir den Hals nach Kilts und Lederjacken, die weit oben hängen, halte mir vor einem Spiegel ein viktorianisches Spitzenkleid an. Stopp, ein alter Burberry-Trenchcoat! So einen suche ich schon lange. Neu kostet der etwa 2000 Euro, hier hängt er für 300 Pfund. Leider zu groß.

Das Motto: nicht suchen, sondern sich überraschen lassen

Ich stehe im "Armstrong Vintage", einem Secondhandladen in der Altstadt von Edinburgh, und fühle mich wie in einem Kostümfundus. Shop-Managerin Veronica Casey huscht zwischen den Gängen herum. Ob sie den Burberry auch in kleiner hat? Nein, leider nicht! Schade. Casey, die seit acht Jahren hier arbeitet, kennt die Sammlung. Zurzeit sei der Style der Neunziger und Nullerjahre gefragt: Cargo-Pants, bauchfreie Tops. Man muss aber danach suchen, denn die Kleidungsstücke sind weder nach Jahrzehnten geordnet noch nach Größen. "Wenn du etwas siehst, das du schön findest, probier es einfach an", sagt Casey. Das ist Teil des Konzepts: Ich soll überrascht werden, etwas finden, nachdem ich gerade nicht gesucht habe.

Kitsch & Kilts Alles zu finden bei "Armstrong Vintage"
Kitsch & Kilts Alles zu finden bei "Armstrong Vintage"
© Julia Rotter

Die Reise durch die Modegeschichte ist für mich auch eine in meine eigene Vergangenheit. Als Kleinstadtpflanze aus der Nähe von Görlitz zog ich nach dem Abi für ein paar Monate in die schottische Hauptstadt, jobbte in einem Hotel und haute den Großteil meines Lohns für Kleider raus. Gerade die Vintage-Läden fand ich faszinierend, so etwas gab es in meiner Heimat nicht. Vielleicht wollte ich mich in der neuen Umgebung auch neu erfinden, verrückter kleiden, mutiger sein.

Es war der Beginn einer Leidenschaft: Seitdem gibt es für mich keinen Städtetrip mehr ohne Suche nach einem textilen Souvenir. Gelegenheiten gibt es viele, schließlich ist Vintage-Mode heute so beliebt wie nie. Sie ist individuell und nachhaltig, gute Qualität gibt’s schon für wenig Geld und gratis dazu das Gefühl von etwas Nachhaltigkeit im globalen Fast-Fashion-Irrsinn. Ich habe noch Sachen von damals, aus Edinburgh – ein Led-Zeppelin-Shirt und ein rotes Barett –, die ich immer mal wieder trage und mich gedanklich in Edinburgh fühle.

Bummeln in Burgnähe Erinnerungen eintüten in den zahlreichen Souvenirshops der High Street
Bummeln in Burgnähe Erinnerungen eintüten in den zahlreichen Souvenirshops der High Street
© Julia Rotter

"Die Auswahl ist überirdisch"

Jetzt bin ich wieder hier. Die Stadt, die mich damals so überwältigt hat, kommt mir heute im Vergleich zu meinem Wohnort Hamburg klein vor. Ich laufe über Kopfsteinstolperpflaster ein paar Straßen weiter zum nächsten Shop, dem "Carnivàle": Retro-Kleider, ausgefallene Hüte, wunderschöne Strass-Broschen. An jedem Teil hängt ein handgeschriebenes Schild mit Preis und Herkunftsjahrzehnt. Ich probiere ein dunkelgrünes Fünfzigerjahre-Kleid an und habe, als ich mich vor dem Spiegel drehe, einen "Marvelous Mrs. Maisel"-Moment. Eine freundliche ältere Dame meint, dass mir die Farbe fantastisch stehe, ich fühle mich jedoch etwas verkleidet. Sie selbst ist auf der Suche nach einem Hochzeits-Outfit und gerät in Ekstase: "Die Auswahl ist überirdisch."

Nachhaltig shoppen: Auf Vintage-Schatzsuche in Schottland
© Julia Rotter

Sie hat recht, weshalb ich nach diesem Laden erst mal eine Klamotten-Pause brauche. Auf nach Calton Hill, dem Hügel, von dem man den besten Blick über die Stadt hat. Einmal drehen, und ich bekomme die ganze Bandbreite: den Hafen, den höchsten Berg der Umgebung "Arthur’s Seat", die Einkaufsmeile "Princes Street" und natürlich das mittelalterliche Edinburgh Castle, das finster auf einem Felsen über der Stadt thront. Die Sonne scheint, der Wind zerzaust die Haare. Menschen sitzen im Gras, turnen auf dem Säulen-Monument herum, machen Fotos. Beim Heruntergehen sehe ich den Dudelsackspieler, den ich schon von Weitem gehört habe, weil der Wind seine Musik den Hügel hinauftrug.

Am nächsten Tag fahre ich nach Stockbridge. In dem Nobelviertel im Nordwesten der Stadt, in dem Ferraris und Co. in den Einfahrten parken, geben die Reichen bestimmt gute Sachen an die zahlreichen Charity-Shops, die mit Vintage-Dingen Geld für wohltätige Organisationen sammeln. Mit dieser Hoffnung bin ich nicht allein, die Läden sind gut besucht und deswegen auch ganz schön abgegrast. Einen Schatz finde ich nicht, aber das Herumstromern macht trotzdem Spaß und erinnert an einen Flohmarktbesuch: Nippes, ein Sari, neben einem Brautkleid hängt ein Bowie-Shirt.

Nicht kleckern! Im edlen "The Witchery by the Castle"
Nicht kleckern! Im edlen "The Witchery by the Castle"
© Julia Rotter

Erst Cocktail-Laune, dann ein Abstecher zum Strand

Auf dem Weg bleibt mein Blick an einem auffälligen Holzschild kleben und ich stolpere mitten am Tag in die "St. Bernard’s Bar", die perfekt in die Stadt passt, weil sie gemütlich ist, aber auch ein wenig düster. Ein Tresen aus dunklem Holz, schwere Samtvorhänge, Brokat-Sofas, an der Wand Bilder vom verrückten Katzenmaler Louis Wain. Es läuft Billie Holiday, und Inhaber Hugo, der in Frack und Zylinder aussieht, wie aus einem viktorianischen Film entsprungen, betritt die Szene. "Es ist nie zu früh für einen Drink", sagt er und schon habe ich einen rosa leuchtenden Gin-Cocktail vor mir stehen.

Drinks please! Die "St. Bernard’s"-Bar ist eine Institution
Drinks please! Die "St. Bernard’s"-Bar ist eine Institution
© Julia Rotter

Mit pinkfarbenen Gedanken gehe ich noch einmal auf die Suche in den Shops in der St. Stephen Street. "Skinny Pig" etwa ist eine gänzlich polyesterfreie Zone, in der es fast nur gute Stücke aus Wolle und Seide gibt, dazu hochwertigen Modeschmuck. Ich kaufe ein Seidentuch und binde es mir gleich um den Kopf, um meine Haare wetterfest zu machen.

Pause am Portobello Beach
Pause am Portobello Beach
© Julia Rotter

Eigentlich wollte ich noch zu "Those Were The Days", dem Laden von Stylistin Claire Paterson, der mir bei meiner Internetrecherche ins Auge sprang, aber er ist heute leider geschlossen. Also beschließe ich, die Sonne zu nutzen, die in Edinburgh selten ausdauernd ist, und fahre mit dem Bus 40 Minuten zum "Portobello Beach". Mit einer riesigen Portion Fish & Chips setze ich mich an den Strand, kühle die müden Füße im Sand und schaue ein paar Wahnsinnigen dabei zu, wie sie sich in die eiskalten Wellen werfen. Der Strand ist vollgeknallt mit Menschen, Kinder buddeln im Sand, ein Hund düst einem Ball hinterher.

Manchmal kommt eben erst das Kleid und dann der Anlass

Als ich am nächsten Tag gegen Mittag wieder nach Stockbridge komme, dekoriert Claire Paterson gerade die Treppe vor ihrem Shop mit Blumentöpfen. Dass sie Stylistin und Vintage-Sammlerin ist, sieht man ihr an: Pagenschnitt in Knallorange, passender Lippenstift, quietschblaues Kleid, die Finger mit Schmuck behangen. Auch die Kleider sind teilweise sehr extravagant. Ich werfe mir ein blaues 60ies-Minikleid über, das ringsherum mit Federn geschmückt ist, probiere eine lange goldene Robe, in der ich mich sehr glamourös fühle, und werde in einem Hemdblusenkleid aus den Vierzigern sofort wieder geerdet – Atemnot. Wenn Kleider nur sprechen könnten: Welche Frau tanzte wohl einst in dem Federfummel? Wo kam das goldene Kleid zum Einsatz? Und was ist die Geschichte der Frau, die mal das Vierzigerjahre-Kleid besaß?

Jetzt noch ein Hut Von denen gibt’s bei "Carnivàle Vintage" genug
Jetzt noch ein Hut Von denen gibt’s bei "Carnivàle Vintage" genug
© Julia Rotter

Claire erzählt, dass sie überall auf der Welt nach ihren Schätzen sucht, auf Märkten, in Shops. Es ist ein Familienbusiness, ihr Mann hilft mit, ihre Mutter schneidert die Kleider wieder fit. Ich kann die Hände nicht von dem Federkleid lassen, das immerhin fast 200 Euro kostet, bezweifle aber, dass sich jemals ein Anlass dafür bieten wird. "Der Moment wird kommen!", sagt Claire und schwärmt von einem goldenen Kimono, der in ihrem Kleiderschrank noch auf seinen großen Auftritt wartet.

Auf dem Rückweg nehme ich aus Versehen den falschen Bus und lande vor einer Kirche, in der gerade ein riesiger Büchermarkt stattfindet. Reporterglück! Weil ich alte Magazine sammle, kaufe ich für wenige Pfund Frauenzeitschriften aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, verrückt, dass ich in den letzten Tagen einige Original-Kleider aus diesen Jahrzehnten anhatte. Geschichte ist hier in Edinburgh eben einfach überall.

Die Reisetipps für Edinburgh

Hinkommen & Rumkommen

Mehrere Airlines fliegen ab den meisten deutschen Flughäfen nach Edinburgh, Tickets ab ca. 70 Euro. In der Stadt kommt man mit Bussen und Straßenbahn überallhin. Ein Tagesticket kostet ca. 5 Euro, ein 5-Tages-Ticket mit Flughafenanbindung ca. 24 Euro.

Übernachten

Durchgestylt Die "Cheval Old Town Chambers"
Durchgestylt Die "Cheval Old Town Chambers"
© Julia Rotter

No. 53 Frederick Street. Blick aus dem Fenster über Dächer im Nebel – so muss Schottland sein! Zum Frühstück gibt‘s in diesem charmanten Bed&Breakfast buttrigen Toast, pochierte Eier und Pancakes. DZ/F ab ca. 180 Euro (53 Frederick St, Tel. 131 226 27 52, 53 frederickstreet.com).

Hotel Indigo Edinburgh – Princess Street. Schickes Boutique-Hotel mit Retro-Vibe, direkt auf der Shopping-Meile Princes Street. Aus den vorderen Zimmern hat man einen Wahnsinnsblick auf das Edinburgh Castle. DZ/F ab ca. 190 Euro (20 Princess St, Tel. 131 556 49 01, hiedinburgprincesstreet.co.uk).

Cheval Old Town Chambers. Auf der High Street, fünf Gehminuten von der Burg entfernt, reihen sich Pubs und Souvenirshops aneinander und an jeder Ecke steht ein Dudelsackspieler in voller Kilt-Montur. Mitten im Touri-Trubel kann man sich aber auf ein ruhiges Luxus-Apartment freuen, mit voll ausgestatteter Küche. DZ-Apartments ab ca. 240 Euro (329 High St, Tel. 131 510 54 99, chevalcollection.com).

Genießen

Seelenfrühstück im "The Milkman"
Seelenfrühstück im "The Milkman"
© Julia Rotter

The Milkman. Schon morgens um neun Uhr stehen Gäste und Jogger vor dem hippen Café Schlange und beißen, wenn sie dran waren, selig in eine Zimtschnecke (ca. 4 Euro) und schlürfen Kaffee aus fairem Handel. Es gibt zwei Filialen (Cockburn Street Nr. 7 und Nr. 52, themilkman.coffee).

Cowan & Sons. Im Nobelviertel Stockbridge lohnt sich ein Besuch in diesem familiengeführten Café mit Kunst-Ambiente. Neben dem fantastischen Vegan Ciabatta mit Portobello-Riesenpilzen (ca. 10 Euro) ist der Carrot-Cake (ca. 4 Euro) ein Muss: drei Zentimeter dicke Zuckerglasur, himmlisch gewürzt (33 Raeburn Pl, Stockbridge, cowanandsons.com).

The Witchery by the Castle. Weiße Tischdecken, üppige Blumenbuketts: richtig royal essen in prunkvoller Umgebung am Fuße der Burg. Auf der Weinkarte findet sich zwar auch eine Flasche Bordeaux für fast siebentausend Euro, das Essen ist aber zum Glück günstiger (Hauptgerichte ab ca. 30 Euro) und raffiniert (z. B. karamellisiertes Blumenkohl-Püree, Wildpilz-Lasagne). Tipp: Zum Lunch hingehen und ein Zwei-Gänge-Menü für ca. 35 Euro nehmen (352 Castlehill, thewitchery.com).

The Espy Bar&Restaurant. Hungrig nach einem Ausflug zum Portobello Beach mit viel Wind und Meerluft? Das australische Strandrestaurant füllt den Magen mit einer absurd großen Portion Fish & Chips. Medium Size (ca. 12 Euro) ist definitiv groß genug! Hundebesitzer:innen können mit ihrem Tierchen in einem eigenen Couch-Bereich Platz nehmen (62-64 Bath St, Portobello).

St. Bernard’s Bar. Wer Skurriles und Antiquitäten liebt, kann sich in einer ganz besonderen Bar in Stockbridge für ein bisschen Zeitreise-Feeling niederlassen. Es läuft mal Jazz, mal Indie, man darf aber auch eigene Vinyl-Platten mitbringen und beim Musikhören Cocktails schlürfen, zum Beispiel "Pink Side of the Moon"– ein Gin Tonic mit Erdbeeren und rosa Pfeffer für ca. 10 Euro (10 Raeburn Pl, Stockbridge).

Einkaufen

Armstrong Vintage. Der ultimative Ort für eine Klamotten-Schatzsuche, seit 1840 am historischen Grassmarket. Familie McMorris betreibt den Shop seit Generationen. Leute aus aller Welt kommen, um schrille Outfits für Kostümpartys zu finden oder nach individuellen Stücken zu suchen. Mittlerweile gibt es vier Filialen in der Stadt, jede hat eine etwas andere Ausrichtung (83 Grassmarket, armstrongsvintage.co.uk).

Little Blue Door Vintage. Discokugel, Zebrafell, "Like a Virgin"-Dudeln: In der Boutique der Schwestern Áine und Aisling geht es modetechnisch um die 80ies und 90ies – viel Farbe, viel Muster (25 Candlemaker Row, littlebluedoorvintage.com).

Hermann Brown. Auf dem Weg in die Umkleidekabine komme ich mit Verkäuferin Rachel (Karo-Look, Glitzerhaarband) ins Gespräch. Heute soll noch eine Lieferung mit Vintage-Klamotten von einem Filmset kommen. Spannend! Die Auswahl ist tragbar, der Laden klein und sehr aufgeräumt, als sei jedes Stück mit Bedacht auf einem Bügel gehängt worden (151 West Port).

Carnivàle Vintage. Exklusive Boutique mit Vintage-Mode und Accessoires aus viktorianischer Zeit bis in die 1990er-Jahre für Frauen und Männer (51 Bread St).

Skinny Pig. Mini-Shop in Stockbridge mit sehr guter Secondhand-Auswahl. Nicht alt genug, um Vintage zu sein, aber toll, um qualitativ hochwertige Stücke zu finden (29 St Stephen St, Strockbridge).

Telefon

Das Vereinigte Königreich hat die Landesvorwahl 00 44.

Gut zu wissen

Wenn das populäre "The Scottish Cafe and Restaurant" in der National Gallery überfüllt ist, kann man ein paar Meter weiter auf das kleine Café im nebenan gelegenen Park ausweichen und dort Kaffee, Waffeln und italienisches Eis genießen.

Brigitte

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