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Usbekistan Eine Reise entlang der Seidenstraße

Usbekistan: Sehenswürdigkeit
© Gulliver Theiss
Träumen dürfen wir ja noch! Zum Beispiel von der Seidenstraße, die den Mittelmeeraum mit Ostasien verband. BRIGITTE-Autorin Christine Hohwieler reiste entlang der legendären Handelsroute durch Usbekistan und fühlte sich in spröden Wüsten und prachtvollen Städten ganz klein vor lauter Prunk.

Sie ist wirklich keine Schönheit, diese Halbwüste Kysylkum. Seit Stunden holpern wir im Bus über löchrigen Asphalt, gucken müde aus dem Fenster und entdecken am Straßenrand wenig, was den Blick fesselt. Nur Kameldornbüsche, vereinzelte Lehmhütten und ein paar zer­zauste Ziegen. Auf die Gruppe jedenfalls wirkt sich die karge Weite leicht stimmungsdämpfend aus.

"Ein bisschen anders hab ich mir Usbekistan ja schon vorgestellt ", murmelt einer meiner Mitreisenden, als wir in der Mittagshitze an einer Raststätte nahe dem Fluss Amudarja Pause machen und unser Fahrer Jamal Aprikosen und Instantkaffee verteilt. Ein paar andere nicken: "Mehr Kamele ", "mehr Verschleierte ", "mehr Sanddünen "und "insgesamt mehr wie in der Mongolei "– so die staubgetrübte Zwischenbilanz an Tag vier unserer Rundreise zu den Highlights der Seidenstraße.

Irgendwie verständlich. Die Bilder, die zum Stichwort in den Köpfen reisefreudiger Menschen entstehen, sind einfach zu prächtig, um der Realität standzuhalten. Bei "Seidenstraße "denkt jeder automatisch an deren Blütezeit vor 1000 Jahren, an Karawanen und Abenteurer, an Porzellan und Samt und Seide – eine märchenhaft-wilde Mischung aus "Tausendundeine Nacht "und Dschingis Khan mit einer Prise Marco Polo. Im wahren Leben aber landet man zu Beginn einer Usbekistan-Reise in der Hauptstadt Taschkent – und macht erst mal dicke Backen.

Statt Orient-Flair gibt es kilometerlange Wohnsied­lungen. Sechsspurige Alleen. Protzige Ostblock-Verwaltungsgebäude. "Immerhin gelten die Plattenbauten hier als die schönsten der Welt ", erklärt unser Reiseleiter Vahob grinsend und deutet ein ums andere Mal auf mosaikverzierte Hochhausfassaden mit Betonerkern und Treppentürmen, die beim Wiederaufbau der Stadt nach dem schweren Erdbeben 1966 entstanden sind. Wir sind auf dem Weg zum Tschor-Su-Basar. Als wir die riesige zentrale Markthalle betreten, wird es plötzlich wunderbar bunt. Berge von Granatäpfeln und Erdbeeren und Tomaten türmen sich gleich am Eingang vor uns auf. An jedem zweiten Stand werden wir trotz Sprachbarriere mit expressiven Gesten eingeladen: Wollt ihr davon probieren, wer hat Lust, einen Teigfladen zu kneten, willst du vielleicht den netten Metzger hier – ja genau, den da – heiraten? Für mich ist das allemal ein gelungener Auftakt. Taschkent hat zwar einen sehr rauen Charme, aber inmitten der vergnügten Marktleute fange ich schon mal an, seine Bewohner ins Herz zu schließen.

Aprikosen auf Markt
Köstliche Aprikosen reifen im warmen Klima heran und werden getrocknet auf den Märkten verkauft.
© Gulliver Theiss

Am Abend fliegen wir weiter nach Chiwa, einer Stadt mit 2500 Jahren Geschichte. Zu den Hoch-Zeiten der Seidenstraße war sie ein wichtiges Handelszentrum und Umschlagplatz für Sklaven. Heute gehört Chiwas Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe und ist ein Touristenmagnet. Schon morgens um zehn schieben sich Reisegruppen und Großfamilien durch das Eingangstor der mächtigen Befestigungsmauer, hinter der sich der historische Stadtkern verbirgt.

Wir werfen uns gleich nach dem Frühstück mit ins Getümmel. Zwischen perfekt restaurierten Moscheen, Minaretten und Koranschulen reihen sich dicht an dicht die Souvenir­stände. Junge Frauen demonstrieren in schattigen Innenhöfen, wie Seidenteppiche geknüpft werden, einen Hof weiter entstehen in Handarbeit reich verzierte hölzerne Koran-Ständer. Es ist schön und schräg zugleich. Und anders als in Taschkent kann ich mir beim Schlendern in diesen wuseligen Gassen mühelos vorstellen, wie bärtige Männer in weiten Ge­wändern hier einst miteinander gefeilscht haben.

Usbekistan hat die Größe von Schweden, allerdings bestehen 80 Prozent der Fläche aus Wüsten- und Steppenlandschaften. Die Halbwüste Kisilkum, die wir auf dem Weg von Chiwa nach Buchara durchzuckeln, zieht sich vom geschrumpften Aralsee fast bis nach China. Und doch ist sie es, die mir das erste wahre Seidenstraßen-Glücksgefühl beschert. Diese glucksende Freude nämlich, die Menschen wohl zu allen Zeiten empfunden haben, wenn endlich wie aus dem Nichts eine Oase vor ihren Augen aufgetaucht ist. Zu wissen: Es ist geschafft. Gebt uns Wasser!

Munira leert einen Eimer mit Schwung über meinem Körper und ruft: "Relax! "Das fällt mir schwer, denn ich liege nackt auf dem steinernen Boden einer dunklen Katakombe, nur ein winziges Fenster oben in der Kuppel des Frauen-Hamams lässt trübes Tageslicht hinein. Munira ist eine kleine, üppige Person mit goldenen Vorderzähnen. Außer einem Kopftuch und einer Unterhose hat sie nichts an, und jetzt rückt sie mir mit einer Spüli-Flasche und einem rauen Schwamm zu Leibe. Erst schrubbt sie meine Vorderseite, dann die Rückseite, dann setze ich mich in eine gemauerte Nische, und Munira drückt meinen Kopf zwischen ihre Brüste, um mir Haare und Nacken zu waschen. Immer wieder kippt sie Eimer mit heißem Wasser über mir aus oder bellt Befehle: "sit ", "lay down ", "stand up, "drink tea "! Wir schwitzen und ächzen beide, und je länger die Prozedur dauert, desto verzückter bin ich: In einem muslimischem Land, in dem das Straßenbild von knöchellangen Gewändern geprägt ist, erfahre ich Momente von so ungewohnter körperlicher Intimität mit einer fast nackten Frau, wie ich sie in keinem westlichen Wellness-Tempel erlebt hätte.

Ich kann gar nicht aufhören zu grinsen, als ich nach anderthalb Stunden sehr sauber aus dem dunklen Bau ins Sonnenlicht taumele und direkt auf das Kalon-Minarett zusteuere – 46 Meter hoch und Wahrzeichen der Stadt. Buchara ist ohne Frage der Ort in Usbekistan, in den man sich auf den ersten Blick verliebt. Das liegt nicht nur an den großen, betörend schönen Moscheen und Medresen – Koranschulen, die hier in der Altstadt in großer Zahl zu finden sind –, sondern vor allem am Labi Hauz mit seinem quirligen Treiben. Rund um das künstliche Wasserbecken mit dazu­gehörigem Park gibt es Freiluft-Teestuben und Souvenirshops in düsteren Kammern, die früher mal Studierstuben für Koranschüler waren. Alte Männer spielen an den Tischen Domino, Kinder flitzen auf Rollerblades über den Platz, und immer wieder laufen Brautpaare vorbei, die sich an Denkmälern fotografieren lassen wollen.

Handelsroute
Die historische Seidenstraße führte von China bis ans Mittelmeer.
© Gulliver Theiss

"Die sind ganz bestimmt nicht von hier, das sind Russinnen ", sagt Marat mit Blick auf die volle Tanzfläche des Open-Air-Lokals "Labi Hauz "direkt am Wasserbecken, dessen laute Musik mich von einem opulenten Dachterrassen-Abendessen hergelockt hat. "Bei uns tanzen Frauen mit Frauen und Männer mit Männern – nicht gemischt, erst recht nicht, wenn Fremde dabei sind. "Marat ist Anfang 30 und Polizist, er stand plötzlich neben mir und fing in überraschend gutem Englisch ein Gespräch an. Nun erklärt er mir, dass die neu geschaffene Touristenpolizei, zu der er gehört, in der Hauptsaison in Zivil über die Sicherheit der immer zahlreicher werdenden internationalen Gäste wacht. Er selbst habe als Student davon geträumt, ins Ausland zu reisen, sagt Marat. Am liebsten nach London oder Venedig, auch Deutschland interessiere ihn sehr. "Aber daraus wird nichts. Als Polizist ist es mir nicht erlaubt, das Land zu verlassen. "Marat arbeitet in der Saison sieben Tage die Woche, 16 Stunden am Tag, erst im Hochsommer hat er wieder freie Tage. "Ich liebe meinen Job ", sagt er auf meine Frage, ob das nicht ein bisschen viel sei. "Sicherheit ist sehr wichtig. "

Usbekistan ist ein berüchtigter Polizeistaat – vor allem die politische Kaste des Landes ist gut abge­sichert. Unter dem Regime des 2016 verstorbenen Diktators Islam Karimow wurden Wahlen manipuliert, Gegner systematisch gefoltert. Seit jedoch Schawkat Mirsijojew an der Macht ist, hat sich einiges verändert. Der neue Präsident hat eine Internetplattform für Bürgereingaben eingerichtet – eine Art Online-Klagemauer. 80 Prozent der Menschen in Usbekistan sind Muslime, aber erst seit gut einem Jahr darf im streng laizistischen Land, das Religion und Staat trennt, wieder der Muezzin zum Gebet rufen. Facebook und Skype sind seit 2018 nicht mehr blockiert.

Wer mit einer Reisegruppe nach Usbekistan kommt, begegnet herzlichen, sehr gastfreund­lichen Menschen. Und kann jeden Tag riesige, gut gewürzte Lammspieße essen. Vor allem aber lässt sich in diesem Land auf Schritt und Tritt monumentale islamische Baukunst bestaunen. Bemerkenswerte Gebäude mit Mosaiken in schimmernden Blautönen. Mit kunstvoll geschnitzten Terrakotta-Ecksäulen. Kuppeln voller Majo­liken und gold­bestäubter Sterne. Das alles ist herrlich anzuschauen, dennoch stelle ich im Verlauf unserer Tour eine gewisse Ermüdung fest. Die Mausoleen, Zitadellen und Sommerpaläste schieben sich in meinem Kopf zu einer unübersichtlichen Prunksiedlung zusammen. Deshalb freue ich mich zwar auf unseren Aufenthalt im sagenumwobenen Samarkand, aber nicht wegen seines berühmten Registan-Platzes. Sondern weil es hier laut unserem Guide Vahob das beste "Plow ", das typische Reisgericht Usbekistans, zu essen gibt.

Frau vor Mausoleum
BRIGITTE-Autorin Christine Hohwieler vor einem Mausoleum in Samarkand.
© Gulliver Theiss

Tatsächlich aber wird selbst der größte Banause ganz still und ehrfürchtig, wenn er im späten Nachmittagslicht auf dem vielleicht schönsten Platz der Welt steht. Wie ein kleiner Wurm fühle ich mich angesichts der drei monumentalen Medresen – ein begeisterter kleiner Wurm, denn die Pracht ist so groß, die Musterflut und die Farben an Toren und Türmen sind so herrlich und verschwenderisch, dass man auch als nicht gläubiger Mensch davon überwältigt ist. Man kann sich das so vorstellen, als würde auf der Kölner Domplatte nicht ein Dom stehen, sondern drei von der Sorte. Da würde sogar ich beten – sicherheitshalber.

"Berberitzen ", ruft Petra, und alle am Tisch lachen laut und nicken. Ja, das ist es, Berberitzen sind die kleinen säuerlichen Dinger in diesem köstlichen Plow à la Samarkand, das Jasur mit seiner Familie auf Vorbestellung für Reisegruppen zubereitet. Wir sitzen an einem langen Tisch im üppig bepflanzten Innenhof seines Hauses und machen uns über das usbekische Nationalgericht her, das in einem gusseisernen Topf über offener Flamme für uns gekocht wurde und mit reichlich kaltem Weißwein auf den Tisch kommt. Wir essen so begeistert und lachen so ausdauernd, dass die vornehmen Engländer an der kleineren Nachbartafel mit wohligem Entsetzen die Köpfe schütteln. Aber auch nüchtern betrachtet wirkt niemand in unserer Gruppe mehr sonderlich betrübt darüber, dass Usbekistan so ist, wie es ist – und so wenig von der Mongolei hat. Dort hätte man uns an einem Abend wie heute womöglich "Boodog "serviert. Geröstetes Murmeltier.

Christines Tipps für Usbekistan

Hinkommen

Rundreise. Die von uns beschriebene Gruppen-Busreise "Höhepunkte Usbekistans entlang der Seidenstrasse "wird von SKR in Kleingruppen mit maximal zwölf Teilnehmern angeboten. 11 Reisetage im DZ inkl. Flug und teilweise HP ab 1759 Euro. Die Tour lässt sich auch als Individualreise mit Reiseleiter buchen. In diesem Jahr sind noch et­liche Termine buchbar. Ab wann tatsächlich wieder gereist werden kann, war zum Redaktionsschluss allerdings noch nicht absehbar.

Übernachten

Hotel Fatima. Mitten im städtischen Trubel von Buchara, ganz nah am Wasserbecken Labi Hauz gelegen, aber trotzdem ein perfekter Rückzugsort mit üppig bepflanztem Innenhof. Die Zimmer sind groß und geräumig. DZ/F ab ca. 57 Euro.

Genießen

Restaurant Old Bukhara. Gefüllte Teigtaschen, Fleischspieße oder Fisch serviert man hier, doch auch als Vegetarierin kann man wunderbar schlemmen. Besonders lecker: der "Borsch ", ein Rote-Bete-Eintopf. Besonders schön: die Dachterrasse mit Blick über die Altstadt.

Café Wishbone In Usbekistan trinkt man Tee – außer bei Gertrud Schrenk, einer deutschen Künstlerin, die das erste Kaffeehaus im Land eröffnet hat. Selbstgebackenes wie Apfelstrudel gibt es hier – und perfekten Cappuccino.

Einkaufen

Keramik. Die Teller mit Motiven jener blauen Majoliken, die auch Kuppeln schmücken, gibt es z. B. an Ständen vor dem Ismail-­Samani-Mausoleum in Buchara. In leuchtenden Farben, von Hand gefertigt und auch sonst überall im Land erhältlich.

Baumwolltücher. Die berühmten "Suzanis "sind ein unwiderstehliches Souvenir: Die mit Seidenfäden von Hand bestickten Tücher zeigen Ornamente und symbolhafte Motive, meist mit dabei sind Granatäpfel (stehen für Fruchtbarkeit) und Paprika (gegen böse Geister). Eine große Auswahl bildschöner Suzanis findet man im Ark, der Festung von Buchara.

Lesestoff

Das Sympathie-Magazin "Seidenstraße verstehen "spannt den Bogen von alter Nomadenkultur zur politischen Situation heute. 

Unbedingt probieren

Sonnengereifte Granatäpfel, die es auf allen Märkten im Land gibt.

Reisezeit

Angenehm ist es von Mai bis Juni oder von September bis November.

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BRIGITTE 14/2020

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