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Santo Antão Sehnsucht nach den Kapverden

Santo Antao: Die große Wanderlust
Gen Himmel strebt auf Santo Antão auch das Zuckerrohr, das wie hier im Paúl-Tal im Inselnorden fast fünf Meter hoch steht
© Oliver Soulas
Manche Orte stellen was mit einem an. So ging es auch Susanne Arndt, die sich die Kapverden-Insel Santo Antão vor der afrikanischen Westküste erwanderte.

Die Kapverden gehen ans Herz und in die Beine. Jedenfalls wird mir seltsam melancholisch zumute, als wir an unserem letzten Abend beim Festival im Park von Mindelo auf São Vicente den sehnsuchtsvollen Liedern der legendären Cesária Évora lauschen, die sich eine junge Sängerin aus der Seele presst. Ich möchte tanzen, aber meine Beine gehorchen mir nicht – eine Woche wandern, drüben auf Santo Antão, der zweitgrößten der 15 kapverdischen Inseln, haben die Knie weich werden lassen. Oder ist es doch der Gesang?

Santo Antao: Die große Wanderlust
Aussichtsreich Die Häuser des "Mamiwata Ecovillage"
© Oliver Soulas

Santo Antão: Aufwachen im Paradies

Alles, was ich momentan weiß, ist: Dieses Paradies, von dem alle reden? Es existiert. Hier westlich vom Senegal im Atlantischen Ozean. Zumindest ein Stück davon verbirgt sich auf Santo Antão, wo es neben guter Musik einsame Gebirgspfade in extravagant erodierten Bergen gibt, Täler voller Tropenfrüchte, weltoffene Menschen und umwerfende Unterkünfte.

Schon früh am ersten Morgen im lang gezogenen Tal Ribeira Grande wird mir das klar. Es ist noch nicht ganz fünf, als die Grillen beginnen, die steinerne Stille der Nacht in Stücke zu sägen. Ich setze mich vor mein Häuschen am Hang und sehe zu, wie die Sonne die Wolken wachkitzelt, die sich am Abend im Tal zur Ruhe gelegt haben. Von ihrer Reise übers Meer bringen sie die Feuchtigkeit mit, die das vulkanische Gebirge um mich herum so ansehnlich begrünt. Als Nächstes scheucht die Sonne die Spatzen zum Frühstück an die Aloevera-Blüten, das Pfauenpärchen, das zum Hotel gehört, ist auch schon wach und flattert auf mein Dach. Bom dia, belo mundo!

Santo Antao: Die große Wanderlust
Die hübsche Ferienanlange "Pedracin Village" fügt sich geschmeidig in die Bergwelt im Norden von Santo Antão ein
© Oliver Soulas

Fotograf Oliver und ich haben auf Santo Antão mehrere Unterkünfte gebucht, von denen aus wir jeden Morgen zu einer Tageswanderung aufbrechen wollen. Aber ich mag jetzt nicht warten, bis er wach wird, und laufe schon mal kurz runter zu den brausebonbonbunten Würfelhäusern am Flussbett. Alles noch ruhig, nur eine Frau sitzt vor einem Haus und schält Maniok. Wir kommen ins Gespräch, und als ich erwähne, dass ich in Hamburg wohne, springt sie auf: "Dort leben mein Onkel und meine Cousine, komm rein!" Sie schenkt mir von ihrem Zuckerrohrschnaps ein – "voilà, selbst gemachter Ponche mit Maracuja aus dem Garten!" Großer Mund, großes Lachen. Kleid, Leggings, Flipflops, Nagellack, alles ist so schwarz wie Mariannes Haar.

Die Jahre in Paris sieht man der 69-Jährigen an, denke ich, als sie auf Französisch erzählt, dass sie dort – wie viele Kapverdierinnen – als Kinderfrau gearbeitet hat. Ich hatte bereits gelesen, dass die Mehrheit der Bevölkerung im Ausland lebt, vertrieben durch Hunger und Armut. Seit einigen Jahren jedoch geht es bergauf mit den Kapverden, 2008 wurde die ehemalige portugiesische Kolonie zu einem Land mit mittlerem Einkommen hochgestuft. "Warum ausgerechnet Frankreich?", frage ich. "Weil die Sprache dem Portugiesischen ähnelt und viele Familien Kinderfrauen brauchen!" Offensichtlich hat Marianne es zu etwas Wohlstand gebracht, stolz zeigt sie mir ihr schönes Haus und zum Abschied steckt sie mir noch Mangos zu. Diese Frau ist gelebte "Morabeza" – das kapverdische Wort für alles, was schön ist im Leben: Gastfreundschaft, Gelassenheit, Lebensfreude.

Santo Antao: Die große Wanderlust
Abenteuerlich Ein einsamer Kopfsteinpflasterpfad schlängelt sich auf Santo Antão die Steilküste bis zum nördlichsten Punkt Ponta do Sol entlang
© Oliver Soulas

"Sodade" nach den Kapverden

Die Mangos sind der perfekte Snack auf unserer heutigen Wanderung über den Bergkamm, der uns vom Meer trennt. Das Gepäck haben Oliver und ich mit dem Taxi zum nächsten Hotel geschickt. Nach schweißtreibendem Auf und Ab erwartet uns das "Mamiwata Ecovillage" mit weißen Hausquadern, die an der Westküste auf dunklen Terrassen über dem mächtigen Ozean balancieren. Und Koch Gustavo, der uns mit Hibiskussaft begrüßt. Nach dem Essen erzählt er, dass er in Mosambik gelebt hat, in Lissabon, Shanghai, Luxemburg, Marokko, Spanien, Kuba, Peru ... Hausdame Adila unterbricht: "Wo auf der Welt ein Hafen ist, findest du mindestens einen Kapverdier – aber alle kommen irgendwann zurück nach Hause!"

Wer auf einer Insel mitten im Atlantik geboren wurde, weiß offenbar ziemlich genau, was "Sodade" ist, wie die Sehnsucht hier heißt, denn das Meer pflegt die Menschen in alle Winde zu zerstreuen. Adila hat in Hamburg gelebt und ist erst kürzlich zurückgekehrt. Während alle ihre Geschichten erzählen, brüllt der Atlantik wie ein vernachlässigtes Kind, und in der Nacht lässt er mich kaum schlafen. Noch nie habe ich so unmittelbar gespürt, auf einer Insel zu sein.

Wanderung durch eine wuchtige Welt aus Anthrazit

Entsprechend gerädert bin ich, als wir am Morgen zu unserer Küstenwanderung nach Ponta do Sol im äußersten Norden aufbrechen. Ein Pflasterpfad aus Basalt führt uns durch eine wuchtige Welt aus Anthrazit. Sklaven mussten ihn bauen, damit ihre portugiesischen Herren Bananen und Leder zum Hafen transportieren konnten. Unter uns sprüht das Meer Salznebel an die Steilküste, der sich auf die Zunge legt. Der Pfad wird zum Kreuzweg, und bei der Tafel mit dem Text "Jesus stürzt zum dritten Mal" möchte ich auch am liebsten stürzen und nicht mehr aufstehen. Doch wie häufig im Leben wird Mühsal belohnt: heute mit dem Blick auf das bunte Dorf Fontainhas, das auf einer Bergrippe über dem Ozean tanzt, inmitten fruchtbarer Terrassen und raschelnder Palmen. Es päppelt uns auf mit Guavensaft und "Cachupa", dem kräftigenden Gericht aus Mais und Bohnen, und – natürlich – kapverdischer Sehnsuchtsmusik.

Abstieg vom 1500 Meter hohen Cova-Krater

An diesem Abend bezwingt meine Müdigkeit den Atlantik, ich schlafe ozeantief und fühle mich super fit, als wir uns morgens wieder verabschieden. Wir wollen zum 1500 Meter hohen Cova-Krater, um von dort ins Paúl-Tal abzusteigen, und werden mit der Verheißung "Wenn ihr aus dem Krater rauskommt, erwartet euch der Machu-Picchu-Moment!" entlassen. Peruanische Anden-Herrlichkeit auf den Kapverden? Wir sind gespannt. Die kreisrunde Caldera, in der Gemüse und Cashewnüsse angebaut werden, ist schnell durchquert, und dann stehen wir da und beäugen schweigend die Fantasy-Film-Landschaft zu unseren Füßen – irgendwas zwischen Mittelerde und Jurassic Park.

Aus den Spielzeugdörfern unten ist nur ein Hahn zu hören, aber schon nach ein, zwei Stunden Abstieg kündigen auch Kaffeesträucher, Klavieretüden und Mangobäume die Existenz von Menschen an. Erst als wir ins Meer aus meterhohem Zuckerrohr eintauchen, dessen Blüten sich wie silberne Staubwedel im Wind wiegen, merke ich, dass ich nicht mehr kann. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ein Abstieg so anstrengend sein kann. Wir halten ein Sammeltaxi an, klettern auf die Ladefläche und fahren das letzte Stück, Haare im Wind, Grinsen im Gesicht.

Santo Antao: Die große Wanderlust
Unwirklich Auf uralten Terrassenfeldern werden Yams und Maniok angebaut
© Oliver Soulas

Zum Abschied schenkt uns die Insel noch eine zauberhafte Ziegenumarmung. Der Abstieg vom Machu Picchu in den Jurassic Park ist uns dermaßen in die Beine gegangen, dass wir am letzten Tag maximal auf ein Gaspedal treten wollen. Und so fahren wir im gemieteten Jeep über eine Art "Star Wars"-Wüstenplaneten im trockenen Westen. Die Hochebene wird nur von Ziegen und Hirten bewohnt, die einen Käse produzieren, der selbst im fernen Italien gefeiert wird, wie uns ein Schild verrät. Als eine Staubwolke auf uns zurollt, bleiben wir verdutzt stehen: Ohne zu zögern teilt sich eine Ziegenherde vor unserer Kühlerhaube und schließt sich wieder am Heck, ein vielbeiniger Organismus aus Fell. Kein Wunder, dass nach all dem die Sodade beim Festival von Mindelo auf São Vicente mein Herz trifft. Obwohl ich nicht hier geboren wurde, habe ich jetzt schon Sehnsucht nach den Kapverden. Dabei bin ich noch nicht mal weg.

Unsere Reisetipps für die Kapverden

Hinkommen und rumkommen

Wanderreise. Bei der individuellen Wanderreise auf der zweitgrößten Kapverden-Insel "Santo Antão – Auf alten Pfaden" werden die Unterkünfte vorab nach Wunsch gebucht, vor Ort sucht man dann mithilfe von Wanderkarten aus, welche Touren man unternehmen will. 15 Tage mit Badestopp auf der Insel São Vicente ohne internationale Flüge und Transfers ab 690 Euro p. P. im DZ/F (seabreeze.travel).

Flug plus Fähre. Mit "TAP Air Portugal" über Lissabon auf die Insel São Vicente (ab ca. 580 Euro). Von dort mit der Fähre nach Santo Antão (zweimal täglich, eine Stunde Fahrt, ca. 7 Euro).

Übernachten

Santo Antao: Die große Wanderlust
Mit tollem Blick über die Bucht von Mindelo: die "Terra Lodge" auf São Vicente. DZ/F ab 99 Euro (terralodge.net)
© Oliver Soulas

Pedracin Village. Urige Natursteinhäuschen, toller Bergblick, auch von Pool und Restaurant aus, und im Garten wachsen Bananen, Papaya und Maniok für die Küche. Haus/F ab ca. 53 Euro (Santo Antão, Ribeira Grande, Boca de Coruja, Tel. 224 20 20, u. a. über tui.com).

Aldeia Manga Eco Lodge. Eine Handvoll schöner Lehm- und Steinhäuser liegen mit viel Privatsphäre in einem Garten verstreut, drum herum die Berghänge des Paúl-Tals. Naturpool mit Liegen und Hängematten. Paradiesisch! Haus/F ab 78 Euro (Santo Antão, Paúl, Lombo Comprido, Tel. 223 18 80, aldeia-manga.com).

Mamiwata Ecovillage. An der Felsküste von Santo Antão hat die kapverdische Architektin Eloise 14 minimalistische Hausquader auf Steinterrassen verteilt. DZ/F ab ca. 110 Euro (bei Chã de Igreja, Tel. 23 82 26 11 22, mamiwata-ecovillage.com oder reisenmitsinnen.de).

Genießen

Oft hat man keine andere Wahl, als im Hotel zu essen – was uns aber immer sehr gut geschmeckt hat. Hier ein paar Tipps für unterwegs:

Bar Tchu. Vor der bunten Bar werden frische Säfte serviert, zur Stärkung gibt es "Cachupa", das Nationalgericht aus Mais und Bohnen für 5,50 Euro (Santo Antão, Fontainhas).

Casa Maracujá. Auf der begrünten Dachterrasse relaxen Wander:innen nach der Paúl-Tal-Tour bei gegrilltem Fisch (ab 7 Euro) und frischem Maracujasaft (Santo Antão, Pombas).

Mercado Municipal. In der zweistöckigen Markthalle von 1784 gibt es Obst, Gemüse, Kräuter und Souvenirs wie Körbe oder die Chili-Soße "Piri Piri". Die Frauen vom "Café Verde" servieren regionalen Kaffee und Bio-Leckereien, z. B. Pfannkuchen mit Eis für 2 Euro (São Vicente, Mindelo, Rua Lisboa).

Einkaufen

Genuine Shop. Taschen, Kleider oder Kissenbezüge (ab 3,50 Euro) aus bunten Stoffen (Santo Antão, Ponta do Sol, zwischen Fischereihafen und Praça Municipal).

Capvertdesign. In dem schicken Store auf São Vicente kann man sich vor dem Rückflug mit Souvenirs eindecken, z. B. mit kapverdischer Musik oder hübsch verpacktem Kaffee (Mindelo, 10/12 Rua da Luz, capvertdesign.com).

Touren

Vom Cova-Krater ins Paúl-Tal. Auf Santo Antão gibt es viele spektakuläre Wanderungen aller Schwierigkeitsgrade – ikonisch ist diese ca. fünfstündige Tour.

Von Chã de Igreja nach Ponta do Sol. Ein Kopfsteinpflasterpfad führt an der imposanten Steilküste mit schwarzen Stränden entlang. Drei kleine Orte laden zum Rasten ein, u. a. Fontainhas, das Dorf mit der wahrscheinlich spektakulärsten Lage des gesamten Archipels (ca. 5 Stunden).

Westliche Hochebene. Wer Wüsten mag, kann in Porto Novo einen Jeep mieten (z. B. im "Santantao Art Resort", Tel. 222 26 75) und in die Mondlandschaft im Westen Santo Antãos mit ihren Vulkankegeln fahren (Fahrzeit hin und zurück ca. 2 bis 3 Stunden).

Hätte ich das gewusst …

Tatsächlich ist es uns keinmal gelungen, Geld am Automaten abzuheben. Unterkunft, Essen im Hotel, Fähre und Mietwagen kann man mit Kreditkarte bezahlen, für kleinere Ausgaben macht es aber Sinn, ein paar Euro-Scheine einzustecken, um sie dann in Kap-Verde-Escudos zu wechseln.

Unbedingt mitnehmen

Der "Wanderführer Santo Antão – Cabo Verde" von Pitt Reitmeier und Lucete Fortes beschreibt 66 Touren (19,80 Euro, zugehörige Wanderkarte 15,80 Euro, AB Kartenverlag).

Telefon

Internationale Vorwahl: 002 38, bei Handy-Gesprächen auch im Inland mitwählen. Roaming am besten ausschalten und zum Telefonieren und Surfen das WLAN im Hotel nutzen, sonst wird’s schnell teuer.

Brigitte

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