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Whale Watching im Mittelmeer: Wo bleibt Moby Dick?

Auf einem Boot durchs Mittelmeer kreuzen, Sonne, Wind und Wellen genießen - und dabei gefährdete Tiere schützen: Das alles kann man auf einem Walforschungsschiff. Wer mitfährt, braucht Teamgeist, Talent fürs Gemüseschnippeln und gute Augen für den Ausguck. Und ein bisschen Geduld.

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Ich stelle mir die nächsten Tage vor: 14 Menschen werden sich eine Woche lang jeden Zentimeter auf dem Walforschungsschiff "Pelagos" teilen: neun Gäste und die Crew.

Eine Kajüte ist kein Wohnzimmer, nur ein schmaler Gang mit vier Kojen. Wir teilen uns ein winziges Bad. Wer Platz braucht und Nähe nicht gut erträgt, das sollte man vorher wissen, wird sich auf einem Schiff, das gerade einmal 21 Meter lang ist, nicht wohl fühlen.

Die Nacht ist kurz an Bord. Um sechs Uhr huschen Schritte über Deck. Holger, Unternehmer aus Frankfurt, und Philip, Student kurz vor dem Examen, sind zum Küchendienst eingeteilt. Um halb sieben steht das Frühstück draußen auf dem großen Tisch. Kaffee, Tee und Milch. Honig und Marmelade, Käse, Brot und Zwieback. Mit einem Milchkaffee in der Morgensonne sitzen und sich vom Wasser schaukeln lassen - das ist eine ganz besondere Art von Glück.

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Niemand hat uns vor der Reise geglaubt, dass es tatsächlich Wale gibt im Mittelmeer. Aber: Es gibt sie, 21 Arten sogar. Am Ende der Reise werden wir eine ganze Menge über diese geheimnisvollen Riesen wissen, weil uns Forschungsleiterin Sabina Airoldi täglich eine kleine Wal-Lektion erteilt. Zum Beispiel lernen wir, dass Pottwalbullen bis zu 18 Meter lang werden und bis zu 50 Tonnen wiegen. Pottwale können bis zu 3000 Meter tief tauchen und länger als anderthalb Stunden in Dunkelheit und eisiger Kälte verweilen.

Mein erster Wal war ein toter Wal auf einem russischen Walfänger, der in Cuxhaven angelegt hatte. Eine graue Masse Fleisch, auseinandergehackt, nur noch Blut und Speck. Ich war klein damals, brach vor Entsetzen in Tränen aus und las danach alles, was es über Wale, diese außergewöhnlichen Säugetiere, zu lesen gibt. Ihre Urahnen sind vor 50 Millionen Jahren vom Land ins Wasser gegangen, weil dort genug Nahrung war. Damals in Cuxhaven ist der Wunsch entstanden: Einmal im Leben möchte ich einen lebendigen Wal sehen.

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Leinen los! Um acht Uhr früh verlassen wir San Remo, unseren Heimathafen an der italienischen Riviera. Wir schauen zurück: Langsam verschwimmt die Küste im Morgennebel. Vor uns liegt das Ligurische Meer. Wasser bis zum Horizont. Im Ligurischen Meer, seit 1999 ein internationales Walschutzgebiet, leben etwa 4000 Finnwale, dagegen halten sich Pottwale hier nur zeitweise auf.

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Drei Bordsprachen haben wir: Englisch, Deutsch und Italienisch. In allen drei Sprachen beschwören wir täglich die Wale, aus der Tiefe aufzutauchen und sich zu zeigen. Weil wir einerseits normale Touristen sind und andererseits Teilnehmer einer Forschungsreise, werden wechselnde Teams für alle Arbeiten gebildet, die an Bord anfallen: Nachtwache schieben, Ausguck halten, kochen, putzen. Am Ende der Reise wird es Lieblingsteams geben und Lieblingsarbeiten und jede Menge getauschter Dienste.

Ein Blick auf den Dienstplan: Nach dem Frühstück habe ich Ausguck mit Archi auf dem Oberdeck. Der Maschinenschlosser aus Österreich träumt seit vielen Jahren von Walen. Unsere Aufgabe besteht darin, das Meer mit den Augen systematisch nach allem abzusuchen, was uns auffällt: Wale, fliegende Fische, Delfine, Schiffe, die sich nähern, Müll. Wir haben gelernt, das Meer zu überblicken, als sei es eine große Uhr. Mein Gebiet ist die Wasserfläche von zwölf bis sechs. Archi, der mit dem Rücken zu mir steht, lässt seinen Blick zwischen sechs und zwölf Uhr schweifen. Wer etwas sieht, schreit nicht lauthals "Da! Da! Da!", sondern macht Meldung, als würde die Uhrzeit verkündet. Für mich ist geradeaus drei Uhr, links davon ein Uhr oder zwei. Sehe ich etwas sehr weit rechts, rufe ich auf Englisch vier Uhr, fünf Uhr oder sechs.

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Breitbeinig auf dem Oberdeck stehen, den Körper dem Wellengang anpassen, den Blick auf unendlich stellen und schauen, ob irgendwo am Horizont ein Blas auftaucht. Der Blas, haben wir gelernt, ist die ausgeatmete Luft, die der Wal beim Auftauchen ausstößt. In der Sonne stehen, das Gesicht in den Wind halten - ich liebe diesen Dienst. Beobachten, sich konzentrieren, nicht sprechen müssen oder nur das, was zum Thema gehört - das ist Entspannung pur. Für Archi wäre die Begegnung mit einem Wal fast etwas Heiliges. "Du bist ein Säugetier", würde er dem Wal gern sagen, "und ich bin auch ein Säugetier, und nie im Leben könnte ich dir etwas antun."

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Unser Schiff zieht 300 Meter Kabel mit zwei Unterwassermikrofonen hinter sich her. Nino Pierantonio, Meeresbiologe an Bord der "Pelagos", nimmt die Geräusche auf, die Wale unter Wasser machen, und spielt sie uns vor. Nino kann zwölf verschiedene Walsprachen voneinander unterscheiden. Das monotone Klack-Geräusch der Pottwale etwa verrät ihm, was die Tiere tun. Ob sie jagen, ob sie auftauchen oder ob sie sich zu orientieren versuchen - das funktioniert so ähnlich wie bei einem Echolot auf einem Schiff. Je mehr Forscher wie Nino über Wale wissen, desto besser können sie sagen, was zum Schutz dieser Tiere notwendig ist.

Ein kurzer Blick auf unseren Dienstplan: Am nächsten Tag habe ich Küchendienst mit Philip. Frühstück machen heißt das und abdecken, abspülen - und dann erst einmal eine lange Pause bis zur Vorbereitung des Mittagessens. Vier Stunden einfach nur faulenzen. Danach schneiden wir an Deck Berge von Gemüse in kleine Streifen. Zuarbeit für Kapitän Paolo, der sich als exzellenter Koch erweist. Heute bereitet er für uns den großen Schwertfisch vor, den er von einem Freund geschenkt bekommen hat.

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Beim Küchendienst lernen wir das Schiff als riesigen Stauraum kennen. Hinter jeder Wand, unter jedem Sitz stapeln sich enorme Vorräte an Brot und Reis, Nudeln, Zucker, Salz, Kakao und Tee. In großen Kühlschränken lagern Gemüse und Fleisch, Milch und Sahne - einfach alles, was 14 Menschen in einer Woche brauchen.

Das größte Erlebnis an diesem Tag beginnt mit einem Schrei: "Delfine! Da! Da! Da!" Was heißt hier: Dadada? Christina, Fotografin aus Hamburg, korrigiert sich sofort: "Delfine zwischen neun und zehn Uhr." Wir lassen die Messer fallen und stürzen an die Reling. Erst sind es drei Delfine, dann vier, dann fünf. Zum Schluss tauchen zehn Delfine unter unserem Schiff durch, springen hoch bis zur Reling, als probten sie für eine Zirkusnummer, dann lassen sie sich übermütig ins Wasser klatschen. Sie bleiben länger als eine Stunde unsere Begleiter.

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Mittwoch. Donnerstag. Jeden Abend vor dem Einschlafen sagt Christina: "Schon wieder keinen Wal gesehen." Zwar haben wir gelernt, dass auch Delfine Wale sind - aber so ein "richtig großer Wal" ist doch etwas völlig anderes. Auch am Freitag: kein Wal in Sicht. Unsere Blicke aufs Wasser werden immer sehnsüchtiger. Wir sehen Wale in jeder grauen Welle und in jeder Wolke.

Meine Nachtschicht mit Arnold, Informatiker aus Köln, beginnt zwei Stunden nach Mitternacht. Das Ruder bewegt sich jetzt, ohne von einer Hand gelenkt zu werden. Wir segeln mit dem Autopiloten und fühlen uns dabei ein bisschen wie auf einem Geisterschiff.

Forschungsleiterin Sabina wiederholt bei jedem Schichtwechsel die eiserne Regel: Der Bug der "Pelagos" ist bei Dunkelheit tabu, denn wer nachts über Bord fällt, ist verloren. Und wenn er schreit? Sie sagt: "Glaubt mir das. Wind und Wellen sind lauter als jeder Schrei." Wir starren aufs Wasser, suchen es mit den Augen ab, wie wir das gelernt haben. Von zwölf bis sechs, von sechs bis zwölf. Wir fahren auf einer großen Uhr übers Meer und hätten so gern einen Wal, der uns begleitet.

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Es ist Samstag. Der letzte Tag der Reise beginnt wie immer. Wir liegen in den Kojen und horchen auf die Schritte, die das Frühstück ankündigen. Die Wale haben wir aufgegeben. Wir peilen San Remo an. Wir dösen dem Abend und der letzten Nacht entgegen. Kurz vor dem Abendessen dann der Schrei: "Blas!", schreit Philip. Wo? "Elf Uhr!" Wir stürzen an die Reling. Der Blas der Wale ist schmal und lang und zeigt schräg nach vorn in die Luft: Das sind Pottwale, die Moby Dicks der Meere. "Schreib!", sagt Sabina und drückt mir Bleistift und den Statistikbogen in die Hand. "Trag ein: vier Pottwale um 18.07 Uhr. Wassertiefe: 375 Meter. Blaszeit: zwölf Sekunden. Fünf Pottwale um 18.20 Uhr. Wassertiefe 350 Meter." Nino überträgt die Geräusche, die das Unterwassermikrofon einfängt, an Bord. Sie sind laut und überall zu hören: klack, klack, klack.

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Die Sonne wird blass, dann orange, dann ist der Himmel rot wie Glut. "Kommt", flüstert Paolo Pinto, unser Kapitän. "Kommt her, wir sind doch Freunde." Vorsichtig lenkt er die "Pelagos" näher an die Wale heran. Um 20.04 Uhr treiben 16 Wale vor uns im Wasser. 16! Gewaltige Tiere mit grauen, glänzenden Körpern.

Eine Stunde lang bleiben sie nah am Schiff, dann entfernen sie sich ohne Hast. Stumm sehen wir ihnen nach. Sabina hat Tränen in den Augen. So etwas hat sie in ihrer ganzen Forschungszeit noch nie gesehen. Klack. Klack. Klack. Das Meer sieht aus, als würde es brennen. Andächtig stehen wir an der Reling und trauen unseren Augen nicht. Vier der riesigen Kastenköpfe kommen zurück. Sie umrunden unser Schiff, als wollten sie uns in ihre Familie aufnehmen. Dann tauchen sie geschmeidig ab und gleiten wie über eine Rutsche auf den Meeresgrund.

Spät am Abend sitzen wir unter Deck vor dem Computer und betrachten die Aufzeichnung des Hydrofons. Kleine, regelmäßige Ausschläge. Klack. Klack. Klack. Nie mehr werden wir dieses Geräusch vergessen. Wir lächeln in den Bildschirm, als sähen wir dort die schönste Liebesgeschichte der Welt.

Aktiv-Urlaub für die Umwelt

Wale ortenBis zu zwölf Laien können auf einem Walforschungsschiff im Mittelmeer mitfahren und dabei wissenschaftliche Aufgaben erfüllen; die Fahrten starten zwischen Juni und Ende September ab San Remo (Italien), Kalamos (Griechenland) und Losinj (Kroatien). Sechs bis zwölf Tage inklusive Unterbringung, Mahlzeiten und Vorträgen kosten 550 bis 875 Euro (Wal- und Delfinschutzorganisation WDCS, Julia Neider, Altostraße 43, 81245 München, Tel. 089/61 00 23 95, www.wdcs-de.org).

Tiere zählenIm Biosphärenreservat Südost-Rügen sind von Februar bis Oktober so genannte Urlaubs-Ranger gefragt, etwa um die Be- stände von Tierarten wie der Uferschwalbe und die Quartiere der Zwergfledermaus zu erfassen oder die Wasserqualität zu prüfen. Die Agentur "Discover Rügen" erstellt jede Woche ein Programm mit Exkursionen, für die man sich anmelden kann - für Gäste des Ostseebads Göhren zum Großteil kostenlos (Discover Rügen, Haus Strandeck, Strandstraße 12, 18586 Ostseebad Göhren, Tel. 03 83 08/66 66 24, www.discover-ruegen.org).

Bäume pflanzenWaldarbeiten wie zum Beispiel das Pflanzen und Pflegen von jungen Bäumen stehen im Mittelpunkt eines Bergwaldprojekts in Deutschland, der Schweiz und in Österreich. Man kann aber auch beim Bau von Wegen mit anpacken oder bei der Renaturierung von Bächen helfen. Verpflegung und Unterkunft sind frei (Bergwaldprojekt, Pickelstraße 2, 97080 Würzburg, Tel. 09 31/ 452 62 61, www.bergwaldprojekt.de).

Spuren lesenFauna und Flora von Nationalparks in Großbritannien und Deutschland nehmen die Freiwilligen von "Biosphere Expeditions" an einem Schnupperwochenende unter die Lupe. Wer Lust hat, noch mehr Tierspuren zu lesen oder Vögel zu zählen, kann sein Engagement auf Monate ausdehnen - weltweit (Biosphere Expeditions Deutschland, Finkenstraße 4, 72124 Pliezhausen, Tel. 071 27/98 02 42, www.biosphere-expeditions.org).

Wetter verstehenWie wird aus strahlendem Sonnenschein plötzlich ein heftiges Gewitter? Die Antwort darauf und noch viel mehr über das Geschehen am Himmel lernt man auf einer Bergwanderung in Bayern. "Das Wetter in den Alpen" ist eines von acht Angeboten, das drei Jugendherbergen unter dem Motto "Alpiner Studienplatz" für Schulklassen und in den Ferien auch für Familien organisieren, inklusive einer Nachtwanderung zu den Flugplätzen von Fledermäusen (Koordination: Gerhard Weiser, Tel. 088 21/ 967 05 16, www.garmisch.jugendherberge.de, www.mittenwald.jugendherberge.de, www.oberammergau.jugendherberge.de).

Text: Monika Held Fotos: Christina Körte, iStockphoto.com Ein Artikel aus der BRIGITTE 19/08

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