Anzeige

Toskana: Freie Fahrt ins Glück

Diese Geschichte erzählt von Petra Reskis Vespa-Fahrt durch das Chianti-Gebiet in der Toskana. Von Zypressenhainen, Olivenhainen und Weinbergen. Und einer höchst eigenwilligen Winzerin.

image

Kurz hinter San Gimignano fühle ich mich wieder wie 16. Als ich hinter meiner Freundin Ingrid auf ihrer rosametallicfarbenen Honda saß, die Schule schwänzte und 12 Kilometer weit fuhr, nur um einen Cappuccino zu trinken. Alles ist wieder da: der Geruch von frisch geschnittenem Gras und von Akazienblüten, der Wind, der über Hügel fährt und dabei Bürstenstriche auf dem Grün hinterlässt. Unweit von Castellina Chianti, bei Kilometer 23,8 unserer Tour, erliege ich auf einem schnurgeraden Straßenstück dem "Rausch der Geschwindigkeit". Nicht umsonst heißt Vespa Wespe. Also drehe ich auf und sirre mit 75 km/h an den Rebstöcken jenes Weines vorbei, an dem sich einst die Liebe der Deutschen zu Italien entzündete: Chianti Classico, der nur hier entsteht, im Land des Gallo Nero. Der schwarze Hahn ist Sinnbild des Chianti-Gebietes, das nicht nur streng und zentimetergenau bemessen ist - kontrolliertes und garantiertes Anbaugebiet! -, sondern auch weniger kurvenreich als der Rest der Toskana-Tour.

Meine Vespa ist ferrarirot und, anders als in Deutschland, wo ein Roller irgendwann noch peinlicher war als ein Opel Kadett, in Italien nie aus der Mode gekommen. Sie gehört zur italienischen Mythologie genau wie Cappuccino und Carabinieri und Sophia Loren, die sich vor Marcello Mastroianni langsam die Strümpfe auszieht. Egal ob Studenten mit Antiglobalisierungs-Dreadlocks, Wirtschaftsanwälte in Nadelstreifen, Sekretärinnen in Bleistiftröcken und mit Stilettos: Ganz Italien fährt Vespa. Und in der Toskana verleiht sie ein gewisses Überlegenheitsgefühl. Besonders dann, wenn man am Ortseingang von Volterra an der Autoschlange vor der Tiefgarage vorbeifahren kann.

image

Während ich das römische Amphitheater Vallebona bewundere, über dem sich die Schwalben herabstürzen, und mich Volterra nach allen Regeln der toskanischen Kunst besticht - mit Tuffsteinbögen über gotischen Fenstern, mit Palazzi und Fliederbüschen, die aus Mauernischen wachsen -, kann ich es kaum abwarten, wieder auf der Vespa zu sitzen. Und zu fahren, fahren, fahren. Die Idee zu einer Vespa-Wein-Tour hatten eine Italienerin aus dem Piemont, Roberta Ferrero, und ihr belgischer Ehemann, Jean Devos. Sie sorgen nicht nur dafür, dass die Vespas vor dem Hotel auf uns warten, sondern auch, dass man sich auf der Suche nach der schönen, aber wenig befahrenen Straße nicht erst mit unhandlichen Karten herumschlagen muss. Dafür gibt es das Vespa-Roadbook. Es beschreibt detailliert Tagesausflüge und wo und warum man abbiegen muss. Vom Ausgangspunkt San Gimignano sind vier verschiedene Routen ausgearbeitet: von der Etrusker-Tour bis zur Chianti-Tour mitsamt empfehlenswerten Weinkellereien sowie Restaurantvorschlägen.

image

Das Tempo der Vespa ist gemächlich genug, um zypressenbestandene Hügel, Olivenhaine, Weinberge, Mohnblumenfelder und Festungsmauern im Vorbeifahren wahrnehmen zu können. Und die Anhöhen sind sanft genug geschwungen, um von der Vespa bezwungen zu werden. Überhaupt muss an dieser Stelle der toskanische Hügel gerühmt werden. Als Gott die Hügel verteilte, da wählte er die anmutigsten für diese Region aus. Solchen Gedanken hängt man nach, wenn man auf der Vespa sitzt. Sinniert über den Begriff "Kulturlandschaft". Darüber, dass die Einzigartigkeit der Toskana in ihrer Harmonie liegt und in der Gewissheit, dass hier nichts dem Zufall überlassen wurde. In diesem Boden stecken die Renaissance, die Medici, die Aufklärung. Die Frage nach dem Wesen der Schönheit. Nach idealen Maßen und Proportionen. Und jede Menge Bruderkriege. Siena gegen Florenz, Lucca gegen Pisa. Auf dem Rückweg nach San Gimignano müssen wir vor dem Ort unsere kulturhistorischen Überlegungen unterbrechen, weil wir an der Piazzale Martiri Montemaggio nicht ins Zentrum fahren, sondern hinter der Station der Carabinieri rechts abbiegen.

image

Signor Sergio wartet auf uns auf dem Weingut Montenidoli, was so viel heißt wie "Berg der kleinen Nester". Er führt uns durch die Kellerei, vorbei an den Stahltanks und Eichenfässern, in denen Weißweine wie der Vernaccia di San Gimignano reifen und Rotweine aus den so typischen Toskana-Trauben Sangiovese, Canaiolo und Malvasia. Das erklärt Signor Sergio, wobei er es nicht versäumt, in jedem Nebensatz einzuflechten, dass seine Frau Elisabetta den Wein anbaut, mit der er vor 40 Jahren hier hinzog.

An ihren Schuhen klebt noch die rote Erde des Weinbergs, als Elisabetta Fagiuoli uns begrüßt und zur Weinprobe bittet. Elisabetta ist eine schöne alte Dame mit dunklen, von silbrigen Fäden durchzogenen Haaren und schwarzen Augen: Elisabetta hat alle im Griff, ihre albanischen Arbeiter, ihren Ehemann, uns. Wie hypnotisiert lauschen wir ihr, als sie von den Tränen des Bacchus spricht und von den römischen Münzen, die sie unter den Wurzeln eines Olivenbaums fand, als sie von den Tempelrittern erzählt, die hier herrschten, und von dem Meer, das diese Täler einst bedeckte.

image

Die Erde ist für Elisabetta ein Wesen, mit dem sie Zwiesprache hält. Ihre Weine stellt sie vor wie eine Erzieherin ihre Zöglinge: "Ich mache vier verschiedene Vernaccia, und der hier, der Vernaccia Tradizionale DOCG, ist der brutalste! Und da, der rote, der Garrulo, der ist etwas geschwätzig, aber ich mag ihn so, wie er ist." Elisabetta Fagiuoli stammt aus einer alten norditalienischen Winzerfamilie, und es versteht sich von selbst, dass in diesem Weinberg weder Pestizide zum Einsatz kommen noch Önologen, die den Wein am Computer entwerfen: "Die Erde macht den Wein", ruft Elisabetta, "und nicht der Önologe!" Dann verspottet sie noch kurz die Mode der schweren Rotweine: "Die Weine der Toskana sind zu Marmeladen geworden!" Wir nippen am geschwätzigen Garrulo und am brutalen Vernaccia und könnten Elisabetta stundenlang zuhören. Am nächsten Tag fahren wir in Richtung Montespertoli, einer der weiteren toskanischen Weinhauptstädte, zu unserer nächsten Etappe: Certaldo, das oben auf einem Hügel sitzt und sich so pittoresk toskanisch gibt, dass man es kaum noch aushalten kann. Auf dem Dach des Palazzo Pretorio dreht sich eine Wetterfahne aus Blech, auf den Mauern leuchten frisch restaurierte Fresken, und das Bocaccio-Haus, wo der Autor des "Decamerone" geboren wurde, lebte und verstarb, ist soeben getüncht worden. In solchen Schmuckstückdörfern wie Certaldo oder dem Festungsdorf Monteriggioni schlägt der toskanische Drang zur Harmonie und Anmut allerdings etwas über die Stränge, und ich wünsche mir etwas Unordnung in dieses Idyll aus Weinverkostungen, Landhotels und Delikatessenläden, in denen die Leberwurst in Designergläsern verkauft wird.

image

Und dann gelangen wir in das Dorf Castel San Gimignano. Wir stellen die Vespas vor einer Bar ab, vor deren Tür ein verblichener Fliegenvorhang hängt. Der Barmann ist schlecht gelaunt ("Entscheide dich endlich! Willst du den Espresso macchiato oder nicht?"), und auf einer Hauswand klebt ein Plakat, das für ein Musikfest wirbt und aussieht, als hätten die 50er Jahre nie aufgehört. "Musik für alle" steht unter dem Plakat. Ein verrostetes Schild verkündet, dass es sich bei diesem Haus um die Casa del Popolo handelt: das Haus des Volkes, in das einst die Arbeiter einkehrten. Gegenüber tritt eine Frau aus der Tür und hängt Unterhosen auf einem Wäscheständer auf, der mitten auf der Straße steht. Es sind Damenunterhosen. Riesige Damenunterhosen.

Wir steigen wieder auf unsere Vespas, überholen ein paar Rennräder und verzeihen der Toskana alles, auch die Leberwürste im Designerglas. Solange hier solche Damenunterhosen aufgehängt werden, ist die Toskana noch nicht verloren. Musik für alle!

Reise-Infos Toskana

Chianti auf zwei Rädern. Das hier beschriebene Programm kann man bei Olimar buchen: ab/bis San Gimignano, 5 Übernachtungen/Frühstück, 4 Tage Vespa inkl. Versicherungen, Roadbook mit Tipps zu Weingütern und Routenvorschlägen, ab 425 Euro pro Person/DZ; täglich von März bis Mitte November (www.olimar.com).

Weingüter in der Toskana

Kellerei Montenidoli Im Herzen der Toskana, zwischen Florenz und Siena. Für Weinverkostungen stets einen Tag vorher anrufen, am besten nach 17 Uhr. Elisabetta Fagiuoli spricht auch Englisch und Französisch (San Gimignano, Tel. 05 77/94 15 65, www.montenidoli.com).

Kellerei Castello Sonnino Liegt im Weinanbaugebiet von Montespertoli und ist besonders sehenswert: Der Weinkeller befindet sich im Schlosskeller. Seit 1820 baut die Familie des Barons Alessandro de Renzis Sonnino Wein an - Chianti Montespertoli und vor allem den San Leone aus Merlot-Trauben, Sangiovese und Petit Verdot. Weine, die allesamt preisgekrönt und vom Feinschmecker-Führer "Veronelli" hoch gelobt wurden. Die Weinprobe wird von der Baronessa höchstselbst mit größtem Fachverstand und besten Englischkenntnissen geleitet. Anwesend ist dabei stets die riesige Mastiff- Dogge Rosa, die zur Familie gehört (Fattoria Castello Sonnino di Alessandro De Renzis Sonnino, Via Volterrana Nord, 10, Montespertoli, Tel. 05 71/60 91 98, www.castellosonnino.it).

Castello di Nippozzano Inmitten herrlicher Zypressen und Olivenbäume thront auf einer Höhe von 400 Meter diese ehemalige Verteidigungsburg aus dem Jahr 1000. Heute werden hier die Rotweine des Gutes hergestellt und gelagert. BRIGITTE-Leserinnen können das Weingut zum Sonderpreis von 15 Euro pro Person inkl. Snacks und Weinverkostung besichtigen (von Mai bis September samstagnachmittags und sonntags geschlossen, in den übrigen Monaten sonntags und montags). Das Angebot ist bis September 2007 gültig. Weinprobe und Besuch des Kellers bitte unbedingt anmelden unter enoteca.nipozzano@frescobaldi.it oder Telefon 00 39/05 58/31 10 50, Stichwort "BRIGITTE". Anfahrtsbeschreibung im Internet: www.frescobaldi.it/frescobaldi/de/nipozzano_de.swf

Text: Petra Reski Fotos: Gianni Occipinti BRIGITTE Heft 19/2006

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel