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Paris: Drei Gesichter einer Stadt

Eine Stadt und ihre Persönlichkeiten: Drei BRIGITTE-Autorinnen waren in Paris unterwegs, um die wilde Seite bei Nacht, das Alltagsgesicht und das Image als Dame mit Stil kennenzulernen.

1. Paris, die Party-Queen

Auf ihrer Nightlife-Tour wurde BRIGITTE-Mitarbeiterin Kristina Maroldt mehr als einmal die Tür vor der Nase zugeknallt. Zum Glück!

Es ist Sonntagmorgen, halb vier, als sich unsere Augen treffen. Ich lächele. Er hebt die Braue und - blickt über mich hinweg. Innerlich heule ich auf: Die Chance der Nacht, vermasselt! Hätte ich ihm zuzwinkern sollen? Stehe ich unklug? Links von mir drängelt ein Elvis-Tollen-Träger im Armani- Anzug, rechts drückt eine Brünette mit Hasenohren-Haarreif. Dazwischen ich: Leinenkleid, Hektikflecken. Nicht die beste Voraussetzung, wenn man vor dem hipsten Pariser Club darauf hofft, dass einen der Türsteher hereinwinkt. Bin ich drin oder draußen?

Foto-Show: Drei Gesichter von Paris

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Um diese Frage dreht sich alles beim Nachtleben. Nicht nur in Paris. Doch hier, wo "Elite" nie Schimpfwort war, sondern stets Kompliment, ist die Selektion gnadenlos. Klar, man sollte da drüberstehen. Doch mich reizten verschlossene Türen schon immer. Hinter eine durfte ich heute schon blicken: Auf den Sofas im "Showcase", einem ehemaligen Bootsschuppen unter dem Pont Alexandre III., räkelten sich Elfchen und auf Punk gestylte Jungmänner. Doch man sagte mir, dies sei nur das Vorspiel, "le Before". Die wahre Party steige im "Baron" nahe des Trocadéro. Kate Moss habe sich angekündigt. Nichts wie hin, dachte ich.

Wieso gibt sie sich dann heute so zickig? Schon als ich aus dem "Showcase" trat, schlugen mir zwei Taxifahrer die Tür vor der Nase zu. Die letzte Metro war weg, die nächste Fahrradstation nicht in Sicht. Doch ich dachte an Kate Moss. Und machte mich zu Fuß auf den Weg, trotz Highheels. Vielleicht ist ja diese Humpeltour durch das 8. Arrondissement schuld daran, dass ich nun vor dem "Baron" die Geduld verliere.

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Ein dutzend Partygänger ist bereits an mir vorbeigezogen - nicht, ohne dem Türsteher dankbare "Bisous" auf die Wangen zu drücken. Mich hingegen drückt jetzt mein Stolz. Dann eben nicht. Zwei Straßen weiter ist eine Fahrradstation, ich fahre zurück in den Osten. So leicht fliegt das Rad durch die Nacht, so samtig orange strahlen die Laternen, dass ich der Stadt den Elitenkult bald wieder verzeihe. Am Quai unterhalb der Nationalbibliothek wartet das "Batofar" am Ufer der Seine, ein ehemaliges Feuerschiff. Von jedem Deck schallt Musik, die Menschen winken, ich soll an Bord kommen, Eintritt frei. Ich laufe über den Steg, kein Türsteher hält mich auf. Und wir wirbeln zum Wummern und Knarzen, das aus den Boxen dröhnt. Bis ich mich mit dem letzten Gin Tonic in der Hand an die Reling lehne und beobachte, wie die Lichter erlöschen. Ich denke an Jacques Dutronc: "Fünf Uhr, Paris erwacht", sang er einst, "der Eiffelturm hat kalte Füße." Ich grinse: stand wohl zu lange vor der falschen Tür, der Arme.

2. Paris, die Nachbarin

Das ganz private Gesicht der Stadt suchte BRIGITTE-Mitarbeiterin Andin Tegen. Und wurde heimisch bei Fremden

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Diesen Mann also habe ich gebucht: Roger Lothon, 59 Jahre alt, klein, schmal, hohe Wangenknochen. Er ist Patissier in Rente, wirkt aber wie ein Wissenschaftler, der über die Arbeit ständig das Essen vergisst. Lächelfalten zeichnen Strahlen um seine Augen, als er im Türrahmen seiner Maisonette-Wohnung steht. Doch obwohl er mich freundlich begrüßt, steigt Skepsis in mir auf: Ist er der richtige Mann für meinen Plan?

Um mein Vorhaben zu verstehen, muss man wissen, wie es bisher lief mit Paris und mir. Jedes Mal, wenn ich die Stadt besuchte, zeigte sie mir ein anderes Gesicht: Sie protzte mit Second-Empire-Bauten und breiten Boulevards. Sie gab sich kühl-distanziert - die Einzige, die mich anlächelte, war die Mona Lisa, und bei ihr fragte ich mich, warum. Paris war elegant wie Coco Chanel, intellektuell wie Sartre; unglaublich höflich - außer sehr guten Bekannten wird hier jeder gesiezt. Eines aber offenbarte mir die Schöne an der Seine bisher nie: ihr Alltagsgesicht. Und deshalb bin ich diesmal da. Ich möchte Paris im Morgenmantel sehen, bei der Arbeit und müde am Abendbrottisch. Ich will, dass diese Stadt mich endlich mal duzt.

Der Mann, der das ermöglichen soll, ist Roger Lothon. Er und seine Frau Caterine, 56, sind Mitglieder im Verein Meeting the French. Eine Art Reisebüro, über das Einheimische in ihrer Wohnung ein Zimmer anbieten, Führungen durch ihre Lieblingsviertel oder Essenseinladungen zu Hause. Gegen Bezahlung - und weil sie Fremden die private Seite der Stadt zeigen wollen.

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Das 13. Arrondissement im Südosten, in dem die Wohnung der Lothons liegt, hätte ich ansonsten wohl nie besucht: Hier steht die Französische Nationalbibliothek. Hier landeten 1783 die ersten Ballonfahrer der Geschichte. Doch die Gegend hat keine Touristenattraktionen, ist ein unspektakuläres Neubauviertel. Roger Lothon bittet mich in die 100-Quadratmeter- Wohnung, die hell und einladend wirkt: weiße Wände, haselnussbraunes Laminat, im Wohnzimmer steht eine rote Couchgarnitur, darüber prangen Nachdrucke deutscher Expressionisten. Im unteren Geschoss neben dem Salon ist mein Zimmer: Über einem Artdéco-Sekretär hängt ein Holzspiegel aus Indien, gegenüber thront einladend ein Doppelbett. Doch das Beste ist die Glastür, die auf eine Terrasse voller Blumen führt: Von hier sieht man sogar auf die Seine!

Auf den ersten Blick wirkt dieses Alltags-Antlitz sympathisch. Gern würde ich es genauer betrachten. Doch Lothon wippt schon auf den Absätzen, sagt: "So, wollen wir los?" Wir steigen in das labyrinthartige Metro-Geflecht hinab, fahren in den Norden zur Station Porte du Pré-Saint- Gervais. Wie eine Insel liegt hier, zwischen Pariser Jugendstil-Straßenzügen und stabförmigen Hochhausbauten, Lothons Lieblingsviertel: Kopfsteinpflastergassen winden sich zwischen Häusern hindurch, die kleinen Villen ähneln. Jedes sieht anders aus, hat eine andere Farbe, einen anderen Giebel, Verzierungen oder Pflanzenbewuchs. Über die Gartenzäune wuchern Efeu und wilder Wein. Die Wipfel der Bäume am Straßenrand sind vielerorts so dicht, dass grüne Tunnel entstehen. Es ist still, es riecht nach Jasmin und Laub.

Mouzaïa, so heißt diese Gegend, wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut und war ein Arbeiterviertel.

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Heute können es sich nur reiche Leute leisten, hier zu wohnen. Doch herumflanieren kostet nichts - und Lothon tut das oft, seit er mit 18 Jahren nach Paris kam: "Die Gegend erinnert mich an mein Geburtsdorf in der Normandie. Hierher flüchte ich, wenn Paris zu hektisch wird." Auf seine hemdsärmelige Art strahlt das Viertel mehr Ruhe und Authentizität aus als viele Parks der Stadt.

Doch zum Träumen bleibt wenig Zeit - weiter geht's ins Viertel St. Michel. Lothon will mir zeigen, wie sein Paris schmeckt: Zwischen Buchläden, Bäckereien und Wohnhäusern liegt seine Lieblings-Patisserie Gérard Mulot. In den Auslagen thront eine wuchtige Etagère mit rosafarbenen, gelben und braunen Makronen. Er zeigt auf eine Torte, auf deren hellgrüner Cremefüllung Erd- und Himbeeren in sorgfältigen Kreisen drapiert sind: Allein bis die unterste Blätterteigschicht zusammengerührt und gebacken ist, dauert es zwei bis drei Stunden. "Und insgesamt braucht man zum Zubereiten einen halben Tag." Schon vom Kochen war er immer begeistert: "Das Essen meiner Mutter war so gut, dass ich und meine beiden Brüder Bäcker, Fleischer und Konditor wurden." Und Torten mit so vielen Schichten zu kreieren, das ist für ihn eine Kunst. Zumal in Paris, der Welthauptstadt der Patissiers! Und seit Roger Lothon 14 Jahre alt war, fühlte er sich zum Künstler berufen.

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Ich kaufe mir Nusssplitter; setze mich, während er heimgeht, noch an die Seine. Die Pralinen schmecken nach Schokolade, ein wenig Orangeat, einem Hauch Alkohol. Sehr fein. Nicht so plump wie manche zu Hause - nach viel mehr Zutaten. Ich muss beim Kauen an die zarten Muster der Pariser Jugendstilbalkone denken, an zierliche Französinnen mit raffiniertem Chic. Als ich nach Hause komme, liegen die Lothons vor dem Sofa und schauen fern. Ich bin zu müde, um mich dazuzusetzen, schließe leise meine Tür. Doch noch lange höre ich die Schritte der Lothons durch die dünnen Wände, wie bei Freunden.

Am nächsten Morgen sitzt Caterine Lothon im seidenen Morgenmantel am Frühstückstisch. Ihr müder Blick fällt durch eine randlose Brille. Die Lothons haben Toast, Kaffee in Schalen und etwas Marmelade aufgedeckt und mir zuliebe auch einen Teller - sie selbst schmieren ihren Toast auf dem Untersetzer: "So macht man es in Frankreich", sagt Caterine. Nach dem Frühstück schlendert sie zähneputzend umher. Ihre Langsamkeit, ihre Familiarität, sie stecken an. Ich setze mich auf die Couch. Und ziehe meine Schuhe aus.

3. Paris, die Modediva

BRIGITTE-Mitarbeiterin Sina Teigelkötter ging dorthin, wo Mode gemacht wird: in die Ateliers und Werkstätten der einheimischen Designer

Bei meinem letzten Besuch in Paris traf ich Karl. Zufällig, bei "Colette". Zu diesem Trend-Gemischtwarenladen geht man, wenn man wissen will, was "en vogue" ist. Karl Lagerfeld stand bei den neuesten Röhrenjeans und ließ sich von sehr knabenhaften Verkäufern ausgiebig beraten. Zwischen all den Schaufensterpuppen wirkte der große Modeschöpfer klein. Wild diskutierte er mit seiner Entourage; wanderte um die Objekte herum, als habe er nicht Hosen, sondern Skulpturen vor sich.

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"In Paris ist Mode Teil der Kultur", sagt Jacqueline Sablayrolles. "Spätestens, seit der Sonnenkönig Ludwig XIV. sich selbst zur Stilikone und Mode damit zur Staatsaffäre machte, um seine Macht zu stärken." Jacqueline ist meine Mode-Fremdenführerin. Wer Paris abseits der großen Kaufhäuser kennen lernen möchte, kann sie buchen. Sie ist Schweizerin, sieht aber aus wie eine Schulbuch-Französin im dezent-eleganten schwarzen Ensemble. Wir starten am Palais Royal. Schräg gegenüber der Comédie Française, wo im 17. Jahrhundert Molière der Gesellschaft mit seinen Komödien den Spiegel vorhielt, hat der Designer Marc Jacobs einen Flagship-Store eröffnet. "Paris ist ein großes Theater", sagt Jacqueline. "Und es ist wichtig, für jedes Stück richtig angezogen zu sein." Was "richtig" ist, unterscheidet sich allerdings von Arrondissement zu Arrondissement. Was im luxuriösen Faubourg Saint-Honoré gerade schick genug ist, wirkt im trendbewussten Haut Marais overdressed und vorgestrig. Hier, im 1. Arrondissement, muss es etwas mehr sein - schließlich sind wir nahe des goldenen Dreiecks, das die teuren Shopping- Avenuen Montaigne, George V. und Francois 1er bilden. Also gehen wir zu Ana Quasoar. Ihr Ladenatelier öffnet sie nur "sur rendez-vous", schließlich braucht sie Ruhe, um die glänzenden, bestickten oder federbesetzten Abend- und Cocktailkleider zu entwerfen, die sie "rêves à porter" nennt, tragbare Träume.

Eben noch hat die kleine Frau ein Stück Seide auf einer Schneiderpuppe drapiert, jetzt plaudert sie ein wenig aus der Nähstube: Ihre Mode sei wie die Pariserin, stilvoll, überraschend, immer sexy, nie vulgär. Raffiniert, oui, das allerdings. Tatsache - ein cremefarbenes Cocktailkleidchen flirtet durchtrieben mit mir. Was ich dafür anlegen müsste? 950 Euro. Dafür könnte ich aber sicher sein, auf der nächsten Gala als Einzige dieses Kleid zu tragen. Wenn ich auf Galas ginge. So verlasse ich Anas Laden ohne das kleine Weiße.

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"Wussten Sie, dass es in Paris mal eine Art Mode-Ministerin gab?", fragt Jacqueline, als wir durch die Galerie Vivienne, eine der alten Pariser Ladenpassagen, schlendern. "Rose Bertin, die Hof- Modistin Marie Antoinettes, kleidete im 18. Jahrhundert die Königin ein - und entschied so, was im ganzen Land Trend war. Wie Karl Lagerfeld heute."

Ach ja, Karl. Gestern, bei einem Abstecher ins Bastille-Viertel, musste ich oft an ihn denken. Ich hatte mich für die Führung "Haute-Couture-Handwerk" angemeldet. Als ich die Räume der Stickerei Cécile Henri betrat, hoben sich ein paar Köpfe, grüßten und schauten wieder nach unten auf Pailletten, Perlen und Plättchen. Die werden hier zu Mustern arrangiert und verstickt. Später schmücken sie die Kreationen von Chanel, Dior, Givenchy oder Lacroix.

Woran genau gerade gearbeitet wird, durfte mir Sébastien Barilleau, der Leiter des Stickerei-Ateliers, nicht in jedem Fall verraten. Zu groß ist die Angst der Couturiers vor Ideenklau. Dafür führte er mich durch die Werkstatt, erklärte die Arbeitsschritte: "Bis zu 800 Stunden sind für eine Kreation nötig!" Wie lange es so aufwändige Handarbeit noch geben wird, ist fraglich. Die Glanzzeit der Haute Couture ist vorbei, nur noch sechs Stickereien dieser Art gibt es in Paris. Man könne einen Teil der Produktion nach China auslagern, überlegte ich laut. "Niemals!", sagte Sebastien: "Wir müssen unser Wissen hüten, das ist unser Reichtum in Paris."

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Jacqueline und ich sind nun im 20. Arrondissement. Viele kennen Belleville als Problemviertel. Die Kreativen hier lieben es, weil es multikulturell und bunt ist. Stéphanie Coudert fühlt sich oft so sehr an Marseille erinnert, dass sie am Ende ihrer Straße das Meer zu sehen glaubt. Und wer ein Kleid der Designerin betrachtet, die beim Nachwuchsfestival von Hèyres einen Preis erhielt, ahnt, dass die fließenden Formen an einem solchen Tag entstanden sind. Sie wollte nie bei einem großen Modehaus anheuern. Was sind geregelte Einkünfte und tolle Kontakte gegen die Freiheit, eigene Ideen umsetzen zu können? Wenn die afrikanische Nachbarin ein goldenes Kleid in Größe 50 bestellt, sieht das Ergebnis oft eindrucksvoller aus als eine Stardesigner-Robe.

Wir gehen weiter zur Hutmacherin Estelle, stöbern in der Boutique Beau Travail, einer Design-Kooperative; bleiben am Eingang des Parc de Belleville stehen. Hier überblickt man die Stadt, über der gerade die Sonne untergeht. "Es wird viel geklagt", sagt Jacqueline, "mit gutem Design ließe sich kein Geld verdienen, die Couture habe keine Zukunft. Aber die Designer brauchen diese Stadt, um sich inspirieren zu lassen. Von ihren Schönheiten, Schwächen, ihrer Freude und Melancholie. Darum werden sie immer hierherkommen." Sie steigt in ihren Wagen. Die Dächer Bellevilles sind in kräftiges Rosarot getaucht. Stimmt, denke ich, egal, was mit dieser Stadt geschieht, sie sieht immer gut aus.

Text: Kristina Maroldt, Andin Tegen, Sina Teigelkötter Fotos: Mo Hoffmann

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