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Ostsee: Rügen im Winter

Wild, neblig-grau und einsam - das ist Rügen im Winter. BRIGITTE-Mitarbeiterin Vera Sandberg hat sich genau in diesen unterkühlten Charme verliebt.

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Da ist er! Der Königsstuhl! Und ich hab ihn ganz für mich allein. Das Rügen-Heiligtum, das weltberühmte Caspar-David-Friedrich-Motiv. Und ich sehe: nichts. Nieselschleier rinnen mir von der Kapuze. Außerdem: Wenn man draufsteht, sieht man ihn natürlich nicht, den gigantischen Kreidefelsen. Deswegen ist neben dem Schild, das "Lebensgefahr!" verkündet, auch ein kleines Foto angebracht. Darauf: der Königsstuhl, wie er bei schönem Wetter aussieht. Unschuldig weiß, von harmlosem Himmelsblau umrandet. Jetzt ist er viel beeindruckender: nass und grau, die Buchen an den Hängen stehen schwarz und kahl in der Einsamkeit. Da kommen nur selten Wanderer her. Solche wie ich, die Rügen im Frühling, im Sommer und im Herbst kennen und lieben - und es im Winter mal für sich haben wollen.

Zum Beispiel eben den Kreidefelsen. Im Sommer war ich nie da. Zu viele Busse, zu viele Bratwurststände. Auch im Winter fährt der Touristen-Shuttle vom Großparkplatz aus, was zwar nett ist, aber langweilig. Man kann auch vom Fischerdorf Lohme im Nordosten der Insel aus losstiefeln. Auf schneebedecktem Pfad, die Lungen tief gefüllt mit Waldluft und Meeresbrise, über Trampelpfade und nasse Ufersteine. Jeder Schritt kann ein Beinbruch sein, aber der Kreidefelsen, der nebeliggrau in den trüben Himmel ragt, lockt. Nur, wo bitte geht's nach oben? Wer will schon vier Kilometer über Steine zurückstolpern, ohne das Ziel erreicht zu haben? Die hölzerne Treppe zum Olymp taucht endlich auf und löst einen Glücksflash aus. Jetzt nur noch 25 Minuten Treppensteigen. Die Kaffeepause droben im Ausflugslokal "Caspar's" ist ein vorzüglicher Lohn: ein Stück Zimt-Rahm-Kuchen und bester Milchkaffee. Feucht erhitzt vom Wandererglück - da schmeckt beides unvergleichlich.

Foto-Show Rügen im Winter

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Rügen im Winter ist genau das: laufen, wandern, klettern, suchen, finden. Die unglaublich weiten Strände werden noch größer. Die stillen Wanderwege noch viel stiller. Die Märchenwälder mit ihren weiß gezeichneten Ästen um einiges märchenhafter. Und die wortkargen Einheimischen, die werden gesprächig. Zum Beispiel Uwe Strandmann. Im Sommer rudert er hunderte Gäste jeden Tag über den Selliner See von Baabe zum Fuß der Moritzburg, wo es Omas weltbesten Kuchen mit passendem Inselrundblick gibt. Im Winter ist die Gaststätte zwar dicht, aber der Anstieg lohnt sich trotzdem - eine Premium-Aussicht hat ja nie geschlossen. Also kommt der Fährmann auch mal für drei Leute und rudert sie durch die eisigen Fluten. Erzählt von dem alten Schwan da drüben, der den Sommer wohl nicht überstehen wird. Das sieht er am Federschwänzchen, das müde ins Wasser hängt, statt stolz in die Luft zu ragen. Aber nicht traurig sein, der hinterlässt viele Jungschwäne. Zwei starten mit mächtigem Luftsausen in den hohen weißen Himmel. Der Winter ist hier kein echtes Geschäft, der ist eher Kür. Diese besondere Stimmung: wolkengefiltertes Licht, reine Luft, tiefe Stille, wenige Leute, die keinen Müll machen und auch keinen Müll reden.

Keine Frage, der Insel-Winter ist komfortabel für wetterfeste Gäste. Lokale, die jetzt geöffnet sind, haben etwas zu bieten: tolle Küche, nette Wirte. Sonst hätten sie nämlich gar keine Gäste. Mit wohliger Mattigkeit in den Gliedern speist es sich übrigens viel besser als in der Sommerhitze mit sandiger Sonnenhaut. Und Sauna nach Auf- und Abstiegen im harten Wind - ein Hochgenuss! Klarheit. Innerlichkeit. Sinnlichkeit. So ist Rügen nur im Winter. Im Sommer ist es bunt, prall und sandig. Im Winter lichtgrau, zart und frisch.

Auch der tolle Rügen-Spaziergang in Groß Zicker hat jetzt ein überirdisches Flair. Sommers sind die lieblich gewellten Zicker Alpen berühmt für ihre blumenreichen Trockenwiesen. Jetzt sind sie von blendendem Weiß, zart bestäubt wie eine Sahnetorte. Und das Meer rollt grollend von drei Seiten unablässig heran. Der hölzerne Abstieg zum Steilufer ist unten irgendwann weggebrochen, die Brandung ist hier ziemlich wild. Ein vorsichtiger Sprung auf die knirschenden Steine, dann am schwarz glänzenden Wasser entlang, später dann vereistes Deichgras knirschend unter den Sohlen, von der Dämmerung umarmt. Und die Luft strömt in die Kehle erfrischend wie Eiszapfen. Als mich wenige Kilometer weiter ein unglaublich gut schmeckendes Steak im Restaurant "Odin" erwartet, weiß ich mit Sicherheit, was ich die ganze Zeit über bereits gespürt habe: Rügen ist zu jeder Jahreszeit schön. Aber im Winter ist es einfach purer Luxus.

Rügen: Die besten Adressen

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Mein Lieblingshotel Solthus am See. Im Sommer kam ich zum Ufer des Selliner Sees, um auf die Ruderfähre nach Moritzdorf zu steigen. Ich schloss mein Fahrrad an und sah die dicken Karossen vor dem Hotel "Solthus" stehen. Da wusste ich: Hier ist es voll und teuer. Aber jetzt, im Winter, habe ich es mir doch erobert - es herrscht Ruhe, und die Zimmer mit ihrem hohen Landhaus-Kuschelfaktor sind erschwinglich. Im Wellnessbereich geht's sehr entspannt zu, der Service ist perfekt. Das reetgedeckte weiße Haus hockt wie ein knubbeliger Hügel am Wasser, beim Frühstück blinkt es bleigrau vor den Fenstern, und die Schwäne ziehen weiß über den schweren Winterhimmel - gut für die Seele und wundervoll erholsam. DZ/F ab 53 Euro pro Person (Bollwerkstraße 1, 18586 Ostseebad Baabe, Tel. 03 83 03/871 60, www.solthus.de).

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Mein Lieblingslokal Biohof Bisdamitz. Jetzt haben Brigitte und Rolf Haug Muße, dem Gast beim Milchkaffee ihre Philosophie zu erklären: "Im Sommer die Leute abkassieren, im Winter nichts bieten? Nicht unsere Art." Ihr Hofgut ist mehr als Einkehren: Von hier stammt der Kuchen, der uns auf dem Königsstuhl über die Strapazen hinweggetröstet hat, und hier gibt es im gläsernen Bau unter alten Bäumen köstlichen Rohmilchkäse, Lammwurst und Wein. 200 Mutterschafe und 45 Milchkühle liefern die Rohstoffe, aus denen leckere Wegzehrung und tolle Mitbringsel für zu Hause werden. Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr (Dorfstraße 1, Lohme, Tel. 03 83 02/ 92 07, www.hofgut-bisdamitz.de).

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Mein Lieblingsladen Mönchgut Keramik. Im Winter verirren sich selten Kauflustige nach Middelhagen, deshalb ist der Keramik-Laden von Thom Wilcke eigentlich geschlossen. Aber der Künstler sagt: "Wir freuen uns auch über die Kunden, die jetzt zu uns kommen", und schließt den Laden gern auf, wenn man vorher anruft. Dann hat er Zeit zum Klönen, zeigt seine blauweißen Rügen-Muster auf Tellern und Krügen, seine Glas-Kunstwerke und seine Steinfische. Zu übersehen ist der Laden nicht: Vor dem alten Fachwerkhaus steht ein Pflaumenbaum, der zwar schon seit Langem keine Früchte mehr trägt, dafür aber hunderte blau-bunte Krüge und Tassen (Dorfstraße 18 b, Middelhagen, Tel. 03 83 08/252 27).

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Mein Lieblingsspaziergang DER Rügen-Spaziergang ist für mich der Hochufer-Weg vom Fischerdorf Lohme zum Königsstuhl. Los geht's direkt hinter dem "Panoramahotel Lohme". Der Vorteil: Weil ich Hin- und Rückweg geschafft habe, konnte ich als Belohnung ein Gourmet-Menü in diesem Hotel an meine Wanderung hängen. Vorher erwarteten mich vier Kilometer, die es in sich hatten. Erst lief ich durch dichten Mischwald, immer das schäumende Meer zu Füßen und sein Brausen in den Ohren. Dann weiter am Strand über dicke Steine. Und irgendwann schälte sich aus dem Nebel der Kreidefelsen, den Caspar David Friedrich mit seinem romantischen Gemälde weltberühmt gemacht hat. Im Winter strahlt er zwar selten so weiß wie in der Sommersonne, aber er liegt einsam da, und ich konnte ihn auf soliden Holzstufen erklimmen. Oben im Café gab's großartigen Blechkuchen, Wärme und einen grandiosen Ausblick nach unten. Und ich war verliebt.

Fotoshow "Rügen im Winter"

Text: Vera Sandberg Fotos: Espen Eichhöfer BRIGITTE Heft 03/08, Stand: November 2009

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