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Mittelmeer: Kreuzfahrt mit Kind

Ein riesiges Schiff, die kleine Tochter und der Traum von Weite. BRIGITTE-Mitarbeiterin Annette Rübesamen war zum ersten Mal auf Kreuzfahrt im Mittelmeer.

Deck "Las Palmas"

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Das ist bestimmt ganz oben. Wir sind auf Deck "Lisbona" und haben nur fünf Minuten. Vor einer halben Stunde sind wir im italienischen Hafen Savona an Bord der "Costa Fortuna" gegangen, das Schiff hat noch nicht einmal abgelegt, und schon stecken wir voll im Freizeitstress. Aus unausgepackten Koffern werden Badeanzüge und Gummischlappen gezerrt, wir stürzen aus der Kabinentür einen Gang entlang. Rein in den Lift, rauf auf Deck elf – "Barcelona", richtig? Nein, falsch, wieder zurück. Durch Treppenaufgänge voller Chrom und Spiegel nach unten, den Gang in die andere Richtung, mit dem verglasten Panoramalift nach oben. Völlig außer Atem erreichen wir Deck "Las Palmas", schnell, schnell, der Bademeister ist schon mit der Absperrungskordel zugange. Geschafft! Während sich meine Kreuzfahrtbegleitung mit einem Juchzer bäuchlings die Riesenrutsche hinunterstürzt, trockne ich mir die Stirn. Natürlich habe ich bereits an zahllosen Kreuzfahrten teilgenommen – allerdings nur vor dem Fernseher. In 20 Jahren mit der Serie "Traumschiff" hat sich in mir ein Bild von blank geschrubbten Schiffsbohlen, Schirmchencocktails, Galadiners mit reichen Witwen und Momenten voller Ruhe und Stille gefestigt. Ein Bild, das soeben von einer riesigen knallgelben, spaghettiartig verschlungenen Wasserrutsche durchkreuzt wird. Sie verbindet in sechs Kurven die Decks "Las Palmas" und "Napoli", stellt pünktlich nachmittags um halb vier den Betrieb ein und wird auf der ersten Kreuzfahrt meines Lebens eine wichtige Rolle spielen. Denn ich reise mit meiner Tochter Franzi, und die ist sieben.

Kabine 6393

Auf den ganz teuren Kreuzfahrtschiffen, das weiß ich von meiner Tante, die regelmäßig auf Fünf-Sterne-Dampfern durch den Indischen Ozean oder nach Spitzbergen schippert, bekommt man eine Liste mit den Namen der Mitreisenden. In unserer Kabine, die in Orangetönen dekoriert ist und einen Balkon hat, finden wir keine Liste – was daran liegen könnte, dass sie dem Telefonbuch einer mittelgroßen Ortschaft entsprechen würde. Die "Costa Fortuna" ist mit 272 Meter Länge, 17 Decks und 1358 Kabinen das größte Kreuzfahrtschiff Italiens und auf unserer Reise beinahe ausgebucht: Wir sind knapp 3400 Passagiere, darunter viele Familien, und 1000 Mann Besatzung. Ein Teil davon ist dafür zuständig, im Kinderclub "Squok" meine Begleitung zu unterhalten, was mir die Aussicht auf ein paar erholsame Tage eröffnet und den letzten Ruck gegeben hat, mich zum ersten Mal samt Grundschulkind zu einer einwöchigen Fahrt durchs Mittelmeer einzuschiffen.

Sammelpunkt H

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Als die Schiffssirene ertönt, schlüpfen wir in die orangefarbenen Schwimmwesten aus dem Kleiderschrank und jagen wieder los. Seenotübung! Diesmal geht es zum Sammelpunkt bei den Rettungsbooten, wo schmucke italienische Schiffsoffiziere mit Walkie-Talkies alle Passagiere in Reih und Glied aufstellen. Aus Lautsprechern schallen die Sicherheitshinweise – in sieben Sprachen, auch auf Japanisch. "Wie kann denn ein Schiff ein Loch kriegen?", fragt Franzi besorgt. "Durch einen Eisberg zum Beispiel", antworte ich, schränke aber ein, dass wir auf unserer Reise wahrscheinlich keinem begegnen werden: über Neapel, Palermo, Tunis, Mallorca, Barcelona und Marseille zurück nach Savona.

Deck "Napoli"

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Während das Schiff auf den Vesuv zuhält, liege ich in einem von 2500 Deckchairs, ein Buch in der Hand, das ich nicht lese. Die Vormittagssonne wärmt, die Fahrtbrise kühlt, die Luft schmeckt nach Salz. Schön wäre es, das Meer auch zu sehen, aber mein Liegestuhl steht am untersten Punkt des terrassenförmig angelegten Sonnendecks. Dort, wo man einen guten Kontrollblick auf Pool und Rutschenauslauf hat. Der Pool ist etwa vier mal fünf Meter groß und randvoll mit Kindern, die wild mit Wasser herumspritzen, Franzi mittendrin. Am Beckenrand warten übergewichtige Jungs mit triefenden Badehosen darauf, sich auftuende Lücken per Arschbombe zu schließen. Eine italienische Mamma, deren schwellende Formen nur notdürftig von einem Blümchenbikini zusammengehalten werden, beugt sich zu einem der badenden Buben und redet beschwörend auf ihn ein. Es fallen die Worte "Squok Club". Der Junge schüttelt den Kopf, ruft "Domani!" und taucht ab.

Kabinengang

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Ich frage mich, warum die Reederei einen rundum verglasten Geräteraum mit Laufbändern und Rudermaschinen eingerichtet und auf Deck "Cannes" eine Joggingbahn angelegt hat, wo doch der Tag an Bord sowieso aus jeder Menge Sport besteht. Meiner beginnt heute um sieben Uhr morgens: Ich muss meinen Landausflug umbuchen, um um halb acht wieder in der Kabine zu sein, weil dann der Steward mit dem Frühstück anrückt, Franzi zum Aufstehen motivieren, sie im Kinderclub abgeben und schließlich halbwegs präsentabel zum Kulturausflug "Geheimnisvolles Palermo" pünktlich um viertel nach acht in der Bar "Club Verde" antreten. Im "Squok Club" ist nicht viel los. Zwei Schwestern stehen da, Hand in Hand, und beäugen Franzi, die schweigend zurückäugt. "Heute malen wir Piratenschiffe!", ruft die Animateurin enthusiastisch. Ich winke und schleiche mit schlechtem Gewissen davon. Lange hält es nicht an. Dafür sind die Adelspaläste Palermos zu aufregend. Und die kunsthistorischen Ausführungen der Reiseleiterin zu ausführlich: Das Kind hätte sich bestimmt schrecklich gelangweilt.

Ristorante "Raffaello"

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Gedämpftes Licht, Gläserklingen und große Dekolletés: Zum Abendessen wird es feierlich auf der "Costa Fortuna". Unser Tisch ist eine kleine deutschsprachige Enklave im internationalen Getümmel: Wir teilen ihn mit dem Ehepaar F. aus Tirol, das einen Sohn im Alter von Franzi dabei hat. Die F.s haben schon einmal eine Schiffsreise unternommen und können packend von Sturm und Seekrankheit vor der afrikanischen Küste berichten. Am Nebentisch hält Celso, unser dicker philippinischer Oberkellner, einen Vortrag zum Thema Pünktlichkeit. Eine spanische Familie sitzt mit gesenkten Köpfen vor ihm. Sie ist zu spät zum Abendessen erschienen. Wer zur ersten Sitzung eingeteilt ist, muss abends um sieben antreten und nicht erst um halb neun, wenn Celso die Tische langsam für die zweite Runde herrichtet. Wo 3400 Passagiere zu verpflegen sind, zählt jede Minute. Sieben Uhr abends ist allerdings auch für mich ein schlechter Moment, denn um diese Zeit laufen wir meistens aus. Da möchte ich lieber draußen an der Reling stehen, die Möwen kreischen hören und auf die Küste schauen. Vom Meer sieht man an unserem Achtertisch im Restaurant gar nichts, es sei denn, man rechnet die "Tagliolini ai frutti di mare" dazu.

Tunis

Frühstück auf unserem Balkon. Die Blicke wandern über Petroleumdepots, Containerlager und vor sich hin rostende Schiffswracks. Irgendwo dahinter muss das Zentrum von Tunis liegen. "Ich will nicht nach Afrika", sagt Franzi, "ich will auf die Rutsche." Tunis, Höhepunkt der Reise! Ich setze zu einem Monolog an, in dem Kamele und Muezzins vorkommen, Wüsten und verschleierte Frauen, Silberschmuck und Gewürze. "Du wirst begeistert sein!", rufe ich und schleife sie mit in den Kartensalon, wo ein schnauzbärtiger tunesischer Zollbeamter unsere Pässe abstempelt. In Tunis herrschen gefühlte 40 Grad, Franzi schwitzt. Da, endlich der Souk, der große Markt! Gleich die erste Gasse wirkt einladend schattig, ein Laden neben dem anderen, Menschengewühl. Nackte Neonröhren flackern, aus Kassettenrekordern dringen arabische Gesänge und Britney Spears und vermischen sich zu einer grellen orientalischen Geräuschkulisse. "Na, was sagst du jetzt?", rufe ich meiner Tochter zu, die sich mit gesenktem Kopf durch die Menge schiebt, den ganzen kleinen Körper zu einem einzigen Vorwurf gekrümmt. Dann sehe ich mir die Waren genauer an: Links und rechts türmen sich Tischdecken und Vorhangstoffe, Nylon-Stores und Bettwäsche, Acrylteppiche und Küchenböden aus PVC, ordentlich zu dicken Rollen gewickelt. So endet unser Landausflug nach Afrika orientierungslos auf dem Markt für Heimtextilien.

Deck "Genova"

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Unser Schiff ist eine schwimmende Kleinstadt voller Geschäfte, Restaurants und Bars. Die Hauptstraße ist Deck "Genova", hier treffen wir uns abends nach italienischer Art zum Giro, dem großen Geschiebe. Alle sind unterwegs: junge Flitterwöchner, spanische Großfamilien mit Buggy und Oma, ältere Paare aus Amerika, ein junges Mädchen im Rollstuhl. Ein dichter Menschenstrom wie in einer Fußgängerzone. Wir probieren im Duty-Free-Shop Glasklunker-Ringe, lassen uns Parfümproben aufstäuben und durchsuchen die Vitrinen des Bordfotografen nach Bildern von uns. So viele Gesichter, und keines kommt mir bekannt vor. Kein Wunder: Die "Costa Fortuna" fährt den ganzen Sommer wie ein Linienbus im Kreis durch das westliche Mittelmeer, an jeder Haltestelle steigen Passagiere aus und andere ein. Ob es daran liegt, dass ich mich nach dem Abendessen immer gar nicht von den Tiroler Tischgenossen verabschieden mag? Für Franzi ist es einfacher, die hat den "Squok Club", erzählt von "Lauren aus Amerika" und "Rossella aus Sardinien". Und drängt schon wieder hin, zum Kindertanz in der Diskothek "Vulcania". Die Jungkreuzfahrer hopsen im Strobolicht wild zu "YMCA", ein Kellner fährt einen Rollwagen mit Nutellabrötchen herein. "Wir machen Programm bis halb eins!", brüllt Eugenio, der junge Animateur mit der Zahnspange, mir über die Musik hinweg zu. Und Franzi: "Du kannst ruhig gehen, Mami!"

Deck "Funchal"

Die Gelegenheit, meinen Lieblingsplatz zu erklimmen: Ganz oben, wo der gewaltige, gelb lackierte Kamin des Schiffes wie eine flach gedrückte Klopapierrolle auf dem Sonnendeck sitzt, gibt es einen Sportplatz, an den Kamin schmiegt sich eine Eisentribüne für die Zuschauer. Die Stufen kleben von der feuchten Salzluft, die Luft riecht nach Diesel und Ozean. Ewig könnte ich hier sitzen. Ich bin glücklich, weil dieses Plätzchen die Kreuzfahrt auf das reduziert, was mir an ihr am besten gefällt: eine Reise übers Meer.

Marseille

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Wir schwänzen den Landgang, in der letzten Woche hat Franzi Neapel, Tunis und Barcelona gesehen, das sollte reichen. Erst mal lange ausschlafen, dann gemütlich im Freibad treiben lassen. Wie entspannt so eine Kreuzfahrt sein kann! Ich sitze im Liegestuhl, Franzi im brodelnden Whirlpool. Aus den Lautsprecherboxen tönen gedämpft italienische Schlager, und auf der Bühne vor dem Restauranteingang jagt ein schwarzlockiger Animateur bei einer Art "Reise nach Jerusalem" Mitreisende, die sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten können, um eine Stuhlreihe herum. Zum Glück sind die "Costa"-Animateure wohlerzogen und zerren bei der Suche nach Kandidaten niemanden vom Liegestuhl. Am Kai nebenan hat das Konkurrenzschiff "MSC Sinfonia" festgemacht, das dieselbe Route fährt wie wir. "Unser Schiff ist natürlich schöner", sagt Franzi. "Es hat eine Rutsche." Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass sie sich auch dann amüsiert hätte, wenn wir sieben Tage lang in Bremerhaven gelegen hätten. Wenn es nach mir ginge, hätten wir gar nicht vor Anker gehen müssen.

Fotos: Isadora Tast

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