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Mit dem Fahrrad durch Kuba

Der Rum ist lecker, die Natur paradiesisch, der Abhängefaktor top und das Fortbewegungsmittel sportlich: Harriet Wolff war mit dem Fahrrad auf Kuba unterwegs.

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Die Verkehrslage auf der A4 ist entspannt. Alle paar Minuten rauscht hupend ein bonbonfarbener Oldtimer, ein klappriger Lastwagen oder ein mehr oder weniger luxuriöser Touristenbus an uns vorbei. Ansonsten teilen wir uns die holprige Autobahn, die durch die Tropen in Richtung Las Terrazas führt, ganz legal mit winkenden und johlenden Schulkindern und ein paar Bauern auf Ochsen- oder Pferdekarren. Dazu säumen sozialistische Losungen wie "Immer bis zum Sieg" die Strecke, schwungvoll aufgemalt an Brücken, die auch schon mal ins Nichts führen. Vieles ist hier unvollendet - auch Castros in die Jahre gekommene Revolution. Fahrräder haben auf Kuba mittlerweile Seltenheitswert, obwohl das Regime noch in den neunziger Jahren unzählige verschenken ließ.

Übrig geblieben ist ein breites Grinsen der Kubaner für uns locos, Wahnsinnige, die sich freiwillig auf ihrer Insel abstrampeln. Wobei "abstrampeln" das falsche Wort ist - dazu ist die Tour viel zu entspannt, wir Teilnehmer auch, und 45 Kilometer sind unser moderates Tageshöchstpensum. Außerdem wird schön gemütlich das Gepäck im Bus hinterhergefahren, selbst schattenfreie Bergfahrten schrecken deshalb keinen so wirklich.

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Yunior aus Havanna, einer der beiden Reiseleiter, hütet uns wie seinen Augapfel. Und lässt sich von 17 Menschen, die im Eigentempo radeln oder fotografieren, nicht aus der Ruhe bringen. "¡Despacio, despacio!" ist sein Motto, während er uns auf seinem Rennrad überholt. Schön locker und langsam! Am besten also laufen lassen, immer nur laufen lassen - während der Reise wird mir mehr und mehr klar, dass dieser Rat hier nicht nur fürs Rad wichtig ist. Für Kontrollfreaks jeder Art ist Kuba die falsche Destination. Auf der kurvigen Bergabfahrt in der tropisch überwucherten Sierra del Escambray hin zu unserer Mittagspause wünsche ich mir jedoch sehnlichst mein olles Rad von daheim her, schön mit Rücktritt. Meine Hand ist schon ganz verkrampft vom Bedienen der Vorderradbremse des 21-Gang- Touringrads.

Die "Dschungelbuch"- Kulisse rings um mich herum nehme ich trotzdem mit allen Sinnen wahr. So muss das Paradies aussehen: Miniatur- Wasserfälle rauschen in Palmenhainen, die in allen Grüntönen leuchten. Strahlend rote und apricotfarbene Hibiskusblüten fallen in Kaskaden den Hang hinab, es duftet würzig und süß zugleich. Hoch über mir in der flirrenden Luft kreisen schwarze Truthahngeier, ihre roten Köpfchen blinken in der Sonne. Und jetzt treibt mich auch noch ein warmer Rückenwind unserer Mittagspause entgegen.

Wir sind zu Gast bei Familie Perez, in deren lauschigem Bauerngarten zwei kugelrunde schwarz-rosa Schweinchen ihr Leben fristen. Das dritte ist für uns bestimmt: Es gibt lechón, gegrilltes Spanferkel. Zwischen unseren geparkten Rädern picken Hühner, an Stacheldraht aufgehängte Wäsche flattert in der Brise. "Mi amor", ruft Monica zu Yunior, "mi amor, schäl mal die Süßkartoffeln." Monica kocht mit Verve in der separaten Küchenhütte, aufgetischt wird das mit Gewürzen und Gemüsen gefüllte Spanferkel in einem spartanischen, blitzblanken Holzhäuschen. Zum Schluss gibt es den vorgesüßten, extra starken Café Cubano, der einen weiterradeln lässt, statt, was hier überhaupt nicht verkehrt wäre, eine schön lange Siesta einzuschieben.

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Siesta ist übrigens eines der wenigen Klischees über Kuba, das stimmt. Es gibt eine ganze Reihe von Klischees in einer ganzen Reihe von Reiseführern, die nicht stimmen. Meistens laufen sie darauf hinaus: Der Kubaner ist arm wie eine Kirchenmaus, immer gut drauf und macht ständig fantastische Musik. Gut, das mit der Musik kommt manchmal schon hin. In einer Bar zu sitzen und zu erleben, wie die Familie am Nebentisch spontan Instrumente auspackt und anfängt zu musizieren, ist großartig. Permanente Fröhlichkeit jedoch ist nirgendwo zu spüren und wäre ein Wunder in der ökonomischen Dauerkrise. Die aber hat manch geschäftstüchtigem Kubaner zu viel Geld verholfen. So oder so gilt: Es wird gern einen Gang heruntergeschaltet, man lässt sich nicht hetzen.

Im Tal von Viñales würde ich am liebsten vom Sattel absteigen, mich auf einen sillon setzen, einen der Schaukelstühle, die auf jeder Terrasse der kleinen Holzhäuser stehen, und gucken, wer da so des Weges kommt. Welcher Cowboy hoch zu Ross seinen breitkrempigen Lederhut vor mir zieht, welche Pferdekutschen vorbeiklappern und was es hier in Kubas Westen noch für Fortbewegungsmittel gibt, die in unseren Breiten nicht mehr durch den Alltag ziehen.

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Oder ich würde am Strand Cayo Jutia mehr als nur einen faulen Nachmittag verbringen. Gäbe es bei der Stiftung Warentest internationale Strände im Test, Cayo Jutia an der Nordküste hätte garantiert den "Sehr gut"-Stempel. Hier stimmt nicht nur die Sandfarbe (Schneeweiß), sondern auch der Cocktail-Abhängfaktor. Der Strand heißt nach den vom Aussterben bedrohten Nagern, den Jutias, die jedoch mit Ratten nicht näher verwandt sind. Sie gehören zur großen Familie Stachelschwein und verstecken sich wahrscheinlich vor uns kleiner Horde, die da entlangrast; entlang an Pinien und Palmen, ein für mich ungewohnter Baum-Mix.

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Vom Meer weht eine salzige Brise, auf dem Asphalt glitzert der Sand, noch eine scharfe Linkskurve an einem Leuchtturm, und ich radle fast in die glasklare karibische Badewanne hinein. 25 Grad Wassertemperatur und das im sogenannten Winter.

"Wahnsinn", sagt Frauke, die Tierärztin, "Wahnsinn, wie türkis." Wir fotografieren uns gegenseitig, wie wir hingebungsvoll mit dem Rad im knöcheltiefen Wasser stehen. Und dann gibt es nur noch eins: Gleich ins Wasser oder erst einen Drink? Den gibt es an der Bar, die krachend laut alte Charts spielt. Lautstärkemuffel sollten besser nicht nach Kuba fahren, Abstinenzler auch nicht. Rum steht überall rum, er ist billig, und er hilft in kleinen Dosen gut über Reisehürden hinweg.

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Apropos Hürden: Auf dem Rückweg nach Havanna macht Joaquín, der ganz sicher zuverlässigste Busfahrer Kubas, fast eine Vollbremsung auf der Autobahn. Nicht, dass irgendetwas im Wege gestanden hätte, aber unser Reiseleiter Yunior möchte Zwiebeln kaufen und am Rand sitzen illegal zwei Männer mit frischen Stauden. Gerade hatte er uns erklärt, wie schwierig die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern ist. Noch schwieriger machen es die zwei Währungen des Landes. Wer viel von der Devisenwährung besitzt, dem Peso Convertible, hat die teure Auswahl. Wer mit dem Peso Nacional einkauft, zahlt viel weniger, das Angebot ist aber dürftig. Yunior zeigt uns auch seine libreta, einen staatlichen Bezugsschein für subventionierte Lebensmittel, den jeder Kubaner bekommt. "Davon kann aber keiner von uns überleben." Selbst Yunior, der als Reiseleiter in Devisen bezahlt wird, muss gucken, wie er mit seiner Familie halbwegs über die Runden kommt. Er hofft, wie viele Kubaner, auf ein Ende des seit fast 50 Jahren geltenden US-Embargos.

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Mit einem Berg Zwiebeln an Bord erreichen wir schließlich Havanna. Wir lassen die Räder stehen und schlendern durch die Altstadt, ganze Straßenzüge sonnengelber, hellblauer und mintgrüner Häuser im Kolonialstil sind bereits als Weltkulturerbe restauriert worden. Es gibt Edelboutiquen, luxuriöse Straßencafés und nur eine Ecke weiter eine gähnend leere Bar, die außer 50 Flaschen Havana Club nichts im Angebot hat. Yunior lotst uns zum Hotel Ambos Mundos, wo Hemingway im fünften Stock mit Blick über den Hafen seinen Roman "Wem die Stunde schlägt" schrieb. "Das Meer kann nicht weit sein", denke ich nach einem Piña Colada und mache mich auf die Suche nach der Malecón, der berühmten Uferpromenade Havannas, verlaufe mich jedoch im Gassengewirr der Altstadt. Ein altes Mütterchen geleitet mich zurück zum Hotel, möchte dafür aber mein Kleid mit goldenen Lurexfäden. Ich spendiere stattdessen Taschentücher, was angesichts der grassierenden Papierknappheit auch willkommen ist.

Am nächsten Morgen die letzte Radetappe quer durch die lebhaft wuselige Stadt. Ein bisschen wehmütig betrachte ich unseren Reisebus mit den abgerockten lilafarbenen Vorhängen, der uns zur überdimensionierten Plaza de la Revolución bringt, dem Regierungszentrum von Havanna. Ich versuche ein Gruppenfoto vor einer riesigen Kubafahne zu schießen. Aus unerfindlichen Gründen darf genau hier nicht fotografiert werden, doch die Security vor Ort drückt ein Auge zu und verabschiedet uns mit Daumen nach oben. Wir stürzen uns im Fahrrad-Gänsemarsch in den Verkehr. An einer Ampel halten neben mir ein von Cha-Cha-Cha-Rhythmen vibrierender, pinkfarbener Cadillac ohne Scheiben, daneben ein niegelnagelneuer Mercedes mit Autotelefon. Gegenüber an der Ecke repariert ein alter Mann Einwegfeuerzeuge. Auf seinem verwaschenen T-Shirt steht: "Miami Vice". Man darf gespannt sein.

Die Radreise "Kuba - Perle der Karibik" wird veranstaltet von Wikinger Reisen, Tel. 02331/90 47 43, Fax 02331/90 47 04. Die 16-tägige Reise kostet ab 2298 Euro, inklusive Flug und Verpflegung. Mehr Informationen unter www.wikinger.de

Text: Harriet Wolff Fotos: Harriet Wolff, TrekkingGuide.de (Andreas Happe), Frauke Runge Ein Artikel aus der BRIGTTE BALANCE 03/09

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