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In den Nebeln von Florenz

Wenn der Herbst sich über die Gassen legt, führen Spaziergänge durch die Hauptstadt der Toskana in ganz neue Welten. Die kürzlich verstorbene Schriftstellerin Magdalen Nabb hat sie in ihren Krimis beschrieben. BRIGITTE-Mitarbeiterin Anke Dörrzapf war auf ihren Spuren unterwegs.

Im Herbst ist diese Stadt ganz bei sich

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Die Sonne wärmt das Gesicht nur noch leicht. Sie hat nicht mehr die Kraft, das Rotbraun und Ockergelb der Palazzi zum Leuchten zu bringen. Es duftet nach Kaminholz, Mandarinen und Piniennadeln. Im Sommer ist es meist hektisch und laut, hier in der Innenstadt von Florenz. Doch jetzt, um diese Jahreszeit, schlendern nur wenige Menschen durch die Gassen - und die wenigen sind weichgezeichnet vom Herbstnebel: Ihre Schritte sind gedämpft, ihre Umrisse verschwommen, ihre Gesichter wirken sanfter.

Ich gehe am Dom entlang in die berühmte Einkaufsmeile Via dei Calzaiuoli. Florentiner laufen in Daunenjacken an mir vorbei. Nur zwei englische Touristen spazieren in Shorts an den Schaufenstern entlang und zeigen grinsend auf einen Italiener auf seiner Vespa, der Handschuhe trägt. Auf der Piazza della Repubblica bleibe ich vor einem Karussell stehen, die Holzpferde verharren still vor den glitzernden Spiegeln. Es sind noch keine Kunden da. Der Kassierer macht Kreuzworträtsel. Von der Via del Corso weht mir der Geruch von gerösteten Maronen entgegen. Selbst an der Galerie der Uffizien stehen nur ein paar Menschen an, trotzdem will ich lieber noch ein bisschen draußen bleiben und die Stimmung aufsaugen. Auf der berühmten Brücke Ponte Vecchio komme ich an drei Chinesinnen vorbei, die sich kichernd für ein Foto um einen Carabiniere in schicker schwarz-roter Uniform gruppieren.

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Dann, auf der anderen Seite des Flusses Arno, wird es plötzlich ganz ruhig. Die letzten Touristen sind aus meinem Umfeld verschwunden. Ich tauche ins Oltrarno ein, wo sich die Gassen verengen - nur wenige Meter entfernt von Ponte Vecchio, Dom und Palazzo Pitti, dem ehemaligen Stadtschloss der Medici. In ihnen fängt sich das Singen der Sägen aus den Schreinereien, das Klappern der Espresso-Tassen in den vielen Bars, das Rasseln des Rollladens einer Polleria, einer Hühnerfleischerei.

Ein bisschen fühle ich mich, als würde ich gerade die Grenzen der Fiktion überschreiten und mich in der Welt der Kriminalromane von Magdalen Nabb wiederfinden. Keine Autorin hat die Stimmung in den Handwerkervierteln Santo Spirito und San Frediano eingefangen wie sie in ihren Geschichten um den Maresciallo Guarnaccia, einen Carabiniere aus Sizilien, der in der Polizeiwache am Palazzo Pitti arbeitet. Im August diesen Jahres starb Nabb mit 60 Jahren in Florenz, ihr halbes Leben lang hatte die Engländerin hier gewohnt. Ihr letzter, kurz vor ihrem Tod beendeter Krimi "Vita Nuova" wird im Frühjahr auf Deutsch erscheinen.

Vor den Palazzi gehen früh die Laternen an

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Schuster Luciano Foggi blickt auf, grummelt ein "Buon giorno" und rückt seine große Brille zurecht. Dann hämmert er weiter Nägel in eine Sohle. Es riecht nach Leder. Absätze liegen auf einen Stapel geschichtet. Fußformen aus Holz und Plastik hängen an den Wänden im Geschäft "Mannina" in Santo Spirito. Ja, die Signora Nabb habe er gekannt, sagt Luciano Foggi nach einer Weile nachdenklich. "War oft hier." Er blickt kurz von seiner Werkbank auf. Nicht nur handgemachte Schuhe wollte sie von ihm, sondern auch Geschichten wie die der japanischen Lehrlinge, die fern der Heimat ihr Glück versuchen. Seit die Handwerksbetriebe in Florenz kaum noch italienische Lehrlinge finden, arbeiten hier viele Japaner. Im Vorraum von "Mannina" stoße ich fast mit einer jungen Japanerin zusammen. Sie lächelt kurz auf, haucht ein schüchternes "Ciao" und huscht mit ein paar Lederresten unter dem Arm hinaus. Ich muss an "Eine Japanerin in Florenz" denken, die im vorletzten Roman von Magdalen Nabb als Wasserleiche in einem Brunnen endet.

Morgens sind die Hügel der Toskana am Horizont in milchigen Dunst getaucht, die langen Zypressen zeichnen sich als dunkelgrüne Schatten gegen den Himmel ab. Der Wind treibt im Herbst den Geruch des Wassers aus dem Arno durch die Gassen der Handwerkerviertel. Ich bin wieder hier im Oltrarno gelandet, weil ich das Gefühl habe, hier in jedem Handwerksgeschäft eine kleine neue Welt zu entdecken. Ein Mann bespannt in seiner Werkstatt einen alten Stuhl mit bordeauxrotem Stoff, aus einem Radio dudelt eine Schnulze. An der Piazza Santo Spirito mit ihrer schlichten, gelb getünchten Renaissance- Kirche schnitzen zwei Männer Hutformen aus hellem Holz.

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Warme Luft schlägt mir entgegen, als ich die Tür der "Trattoria la Casalinga" öffne. Die Tische sind voll mit Männern in einst grauen, jetzt mit Farbresten übersäten Hosen. Mit groben Händen löffeln sie dickflüssige Suppen. "Attenzione", schreit ein Kellner mit weißer Schürze und trägt zwei Teller mit Brathähnchen vorbei. Hinter der Bar steht Paolo. Seit Magdalen Nabb Paolo vor 26 Jahren in ihrem ersten Roman "Tod eines Engländers" auftreten ließ, ist er eine lokale Berühmtheit. "Als gutmütigen Jungen hat Magda mich da beschrieben", grinst er. "Na ja, ein Junge bin ich ja nun nicht mehr." Paolo streicht sich über seinen Bauchansatz.

Draußen gehen die gelben Laternen an, die Zeit vergeht schnell in der Trattoria, und die Dämmerung ist früh hereingebrochen. In den beleuchteten Räumen der von der Stadtluft ergrauten Palazzi sind die dicken Balkendecken zu erkennen. Manchmal hängen Kronleuchter herab, massive, verschnörkelte Schränke aus dunklem Holz stehen an den Wänden. Ich schlendere über die Via Mazzetta zum Giardino di Boboli, dem Park hinter dem Palazzo Pitti. Vom Hof des Palazzo braust ein Fiat der Carabinieri mit Blaulicht auf die Straße. Hinter der Wache verschwimmen die Bäume im abendlichen Dunst. Piniennadeln liegen zwischen den Kieseln vor den Brunnen. Ganz leise nur ist die Stadt mit ihren Mofas und Hupen hier im Park zu hören. Vom Hinterland zieht der Geruch des Kaminholzes herauf. Ein paar Vögel zwitschern in der untergehenden Herbstsonne, das letzte Abendrot verschwindet gerade hinter den Hügeln der Toskana. Und über dem Arno steigt wieder der Nebel auf.

Lesetipp:

Seit 1981 hat Magdalen Nabb 14 Kriminalromane geschrieben. In "Tod eines Engländers" wird kurz vor Weihnachten ein dubioser englischer Antiquitätenhändler tot in seiner Wohnung gefunden. Mit stoischer Gelassenheit und langjähriger Kenntnis seines Viertels löst Maresciallo Guarnaccia seinen ersten Fall rund um Betrug und gestohlene Kunstschätze (Diogenes, 8,90 Euro). "Eine Japanerin in Florenz", Nabbs bisher letzter auf Deutsch veröffentlichter Krimi. Im Boboli-Garten treibt die Leiche einer jungen Japanerin in einem Teich. Seine Ermittlungen führen Guarnaccia in das Handwerkerviertel Santo Spirito, in dem das Mädchen eine Schuhmacherlehre absolvierte. Wunderbarer Einblick in das Leben des Bezirks (Diogenes, 19,90 Euro).

Text: Anke Dörrzapf Fotos: Monika Höfler BRIGITTE Heft 21/07

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