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Italien: Florenz - ein Bild von einer Stadt

Florenz: Wo man geht und steht - Schönheit, die man festhalten möchte. BRIGITTE-Redakteurin Doris Ehrhardt machte einen Foto-Workshop und sah die toskanische Metropole mit neuen Augen.

Die amerikanische Urlauberin hat einen Schatten. Sie steht auf dem kleinen Platz neben dem Piazzale degli Uffizi und dreht sich langsam um die eigene Achse. Den Kopf im Nacken, blickt sie auf den Prachtbau der Uffizien, auf die Skulpturen der Bogenhalle Loggia del Lanzi, dann taxiert sie mit Kennermiene den knackigen blanken Hintern von David, Michelangelos berühmter Statue. Tief versunken in die Kunst, merkt sie nicht, dass ein Straßenclown wie ein Schatten jede ihrer Bewegungen mitmacht. Er kommt ihr so nah, dass er um Haaresbreite ihre Ohren und Schultern berührt. Aber sie nimmt ihn nicht wahr. Sie hört auch nicht das Kichern der rund 50 Spontan-Zuschauer, die alles beobachten - und sich in der Frau wiedererkennen: Jaja, so sind wir Florenz-Touristen, sehen vor lauter Skulpturen die Menschen nicht.

Eine lustige Szene, leider hab ich sie nicht im Kasten. Seit einer Viertelstunde fotografiere ich den quirligen Clown von rechts nach links, aber keine Aufnahme passt. Mal fehlt seine weiße Nasenspitze, mal hab ich nur ein rotes Haarbüschel. Kein Zweifel: Im Umgang mit meiner Kamera brauche ich Nachhilfe.

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Bislang habe ich Fotos immer nach dem Schrotkugelprinzip geschossen, darauf spekulierend, mit rund 30 Aufnahmen pro Motiv wenigstens einen Treffer zu landen. Das soll ein Foto-Workshop ändern. Und Florenz ist dafür der ideale Ort: Skulpturen und Fresken, Palazzi und Kirchen, Menschen und Mode - die Hauptstadt der Toskana ist ein Gesamtkunstwerk, über Jahrhunderte geprägt vom Geschmack der Medici-Dynastie. Was ich zuerst lerne: genau hinsehen, den Blick für Details und fürs große Ganze schärfen. Was mir langsam klar wird: Beim Fotografieren kommt es auf ähnliche Dinge an wie im Leben, auf Einstellung, Haltung und Timing.

Mit der Umsetzung hapert es leider hier wie dort. Immer kommt mir was dazwischen - vor allem, wenn ich auf so belebten Plätzen wie vor den Uffizien fotografiere. In unserer Fotogruppe sind wir vier Frauen und drei Männer zwischen 29 und 66, wobei alle Männer technisch so ausgerüstet sind, dass ich mir anfangs nicht sicher war, wer von ihnen den Workshop leitet. Michael Schultes, Fotograf aus Engelstadt, macht den Job. Ich bin die einzige Dilettantin unter Könnern, die sich als echte Kameraden erweisen. Andreas zum Beispiel hilft mir bei den Grundeinstellungen meiner Digitalkamera. Dieter brauche ich nur anzuschauen, damit er mir die richtige Blende für eine schattige Gasse zuraunt: "Nimm 4,5 - dann hast du mehr Licht drauf." Von Ulla darf ich spezielle Perspektiven spicken, Laura steht mir oft Modell. Und Christel macht mir vor, dass es möglich ist, nur das Nötigte zu fotografieren. Praktisch nutze ich meine 8-GB-Speicherkarte aber wie eine Flatrate: immer drauflos!

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Auf dem großen Platz vor dem Dom Santa Maria del Fiore weiß ich schon mal gar nicht, was ich zuerst fotografieren soll: Die von Spätsommerhitze geröteten Touristen, die matt auf den Stufen vor dem Dom (und damit im Bild) sitzen? Oder die dreifarbige Marmorfassade, die breiter ist, als mein Display erlaubt? Die Paradiespforte, gestikulierende Einheimische, einen jungen Kutscher samt Pferd, eilige Radfahrer, fliegende Souvenirhändler, Straßenmaler, die wie am Fließband nebeneinanderhocken und Toskana-Landschaft pinseln? Hilfe!

"Wenn du dich neben das Verkehrsschild an der Ecke Via dei Pecori/Piazza del Duomo stellst", rät mir Workshop- Leiter Michael, "kriegst du den Dom samt Kuppel und Turm drauf." Stimmt. Allerdings verwandelt die Kamera den geraden Turm in einen schiefen. Michael: "Die Verzerrung biegen wir mit Photoshop wieder hin." Soso. Weil ich auch im wahren Leben möglichst nicht ohne Not schummle, fokussiere ich schließlich auf das, was mir hier und jetzt am wichtigsten vorkommt: zwei Drittel knallblauer Himmel, ein Drittel Domkuppel mit goldenem Kreuz, das den Himmel zu berühren scheint. Dieses Bild vermittelt auch ein wenig von der erstaunlichen Ruhe, die trotz der Menschenmenge auf dem Platz herrscht. Warmer Abendwind fegt die Stimmen wie Blütenstaub zusammen und bündelt sie in einer unaufdringlichen heiteren Melodie.

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Um 5.15 Uhr piept mein Handy. Morgenstund hat gutes Licht für Fotografen, das weiß sogar eine Anfängerin. Als wir eine Stunde später vor der Basilika Santa Croce stehen, in der Grabmäler an Stadtgrößen wie Michelangelo, Dante, Machiavelli erinnern, schimmert die Fassade tatsächlich golden. Perfektes Timing.

Eine Viertelstunde später gehen die Scheinwerfer aus. Dafür tüncht die aufgehende Sonne die zarten Wölkchen am pastellblauen Himmel rosa - ergibt in Kombination mit einer schnörkeligen Laterne ein perfektes Kitschbild. Wie fast alles, gelingt auch dieses Foto mit ruhiger Hand besser, weshalb ich mich am Denkmal des sehr großen Dichters Dante Alighieri anlehne.

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Herrlich, so früh unterwegs zu sein! Warmes Licht, milde Temperaturen, nichts los. Es ist derart still, dass man das Surren eines einzelnen Fahrrads hört. Normalerweise treten sich in den Gassen im Viertel Santa Croce die Touristen auf die Füße - was teils an den schmalen Gehwegen liegt, teils daran, dass man den Blick ständig auf Renaissance-Architektur richtet. Als "normale" Besucherin würde ich frühestens um neun meinen ersten Cappuccino an der Piazza Santa Croce trinken und zu den gut angezogenen Italienerinnen rüberschielen, die vorbeihuschen. Umso spannender finde ich es, jetzt unter netten, noch bummligen Einheimischen auf den Beinen zu sein. Auf dem Markt Sant' Ambrogio arrangiert eine Pasta-Verkäuferin die Ravioli fürs Foto extra langsam.

Parks, Palazzi, Skulpturen: Ich lerne, ganz genau hinzusehen

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David läuft uns eh nicht weg, er wartet oben auf dem Piazzale Michelangelo. In leicht narzisstischer Pose blickt er über die Stadt - als wäre er was Besseres als nur eine Kopie der berühmten Statue Michelangelos. Plastik-Plastiken von Seinesgleichen verkaufen die Souvenirhändler zehn Meter weiter, die mit haufenweise hässlichem Tand offenbar ein Gegengewicht zu all der Schönheit in Florenz schaffen wollen.

Egal, wir sind sowieso nur wegen des Panoramablicks auf die Aussichtsterrasse gekommen. Florenz ist eine buchstäblich überschaubare Stadt. Freie Sicht bis zu den flachen Hügeln der Toskana. Keine Hochhäuser, reichlich Grün. Ich zoome und zoome: Den Arno, in dem sich weiße Villen spiegeln. Die mittelalterliche Krämerbrücke Ponte Vecchio mit den eingebauten Schmuckläden. Die blaue Kuppel der Großen Synagoge. Den spitzen Glockenturm der Basilika Santa Croce. Und im Überschwang merke ich nicht, wie sich der Akku geleert hat - passiert mir öfter.

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Hey, das ist ja eine ganz andere Seite von Florenz! Ich bin am linken Ufer des Arno entlangspaziert, zum Bereich Oltrarno nahe der Brücke Santa Trinita. Kommt mir vor wie ein italienisches Dorf. Schülerscharen, Quasselgrüppchen, knatternde Mopeds, Mini-Supermärkte, Bäckereien, kleine Werkstätten.

Meine Kamera lasse ich stecken, würde hier stören. Durch die geöffnete Tür einer Tischlerei wirbelt Staub, in einem Innenhof prüft ein Rahmenmacher die Goldauflage, irgendwo hämmert ein Schmied. Hinter einer großen Scheibe sitzen junge Frauen mit Flammenwerfern an Werkbänken - was machen die da? Schmuck, es ist die Designwerkstatt "Alchimia" an der Piazza Piattelina. Ich bin im Künstler- und Handwerkerviertel San Frediano. "Handwerk spielte in Florenz immer eine große Rolle", sagt Doris Maninger, gebürtige Österreicherin und Mitgründerin der Designwerkstatt, "leider geht es damit auch in unserem Viertel dem Ende zu. Die Immobilienpreise steigen enorm, viel zu hoch für kleine Betriebe." Aber noch habe San Frediano Charakter, seien Alteingesessene in der Mehrheit. "Im Alltag ist es wie früher. Auf dem Markt an der Piazza Santo Spirito zum Beispiel kauft die reiche Contessa die gleichen Melonen wie die Friseurgehilfin. Und keiner sagt was, wenn sich die Contessa vordrängelt."

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Rund 500 Meter Luftlinie von San Frediano, nun wieder auf der geschäftigen Seite des Arno, drücke ich mein Kamera-Objektiv an die Schaufenster in der Via di Parione. Handgeschöpftes Papier. Geschnitzte Marionetten. Seidene Dessous. Palazzotaugliche Marmorskulpturen. Bin ich etwa ins Hoheitsgebiet alter Florentiner Adelsfamilien vorgedrungen? Die Gasse ist seltsam menschenleer. Dabei ist der touristische Ballungsraum rund um die Uffizien keine zehn Gehminuten entfernt.

Als wir am Abend des letzten Workshop-Tags wie üblich die Ausbeute checken, erschrecke ich: 644! So oft habe ich allein heute auf den Auslöser gedrückt. Ist das noch Neugier oder schon Gier?

Okay, ein paar Motive mussten sein: Die Aussicht vom Hügel des Nobelvororts Fiesole auf typische Toskana- Landschaft mit eleganter Zypressen-Linie. Die mächtige Domkuppel als Teil eines Dächer-Puzzles im verschachtelten Stadtzentrum. Die Posen einer Designstudentin, die für uns in eigenwilliger Mode Modell stand. Die kühlen Schaufenster und Türsteher der Florentiner Designer Pucci und Gucci in der Via de' Tornabuoni. Aber da sind auch Bilder eines Rauschs: Stillleben aus Laterne, Graffito und Abflussrohr. Straßenschilder mit Graffito- Männchen. Unzählige Türknauf-Varianten, von Löwenkopf bis hin zu Seepferdchen. Sogar Gullideckel habe ich geknipst - wegen der Florentiner Lilie drauf. Und wie üblich scharfe Hinterköpfe vor unscharfem Clown.

Auf dem Markt an der Piazza Santo Spirito im Viertel Oltrarno fühlt sich Florenz fast an wie ein Dorf

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Trotz Bilderflut: Ohne ein stimmiges Clown-Foto reise ich hier nicht ab! Als ich vor seiner "Bühne" eintreffe, ist der Clown schon in Aktion. Ich stelle mich auf die oberste Treppenstufe. Haltung gut, Einstellung richtig. Timing egal, denn ich filme jetzt, das ist einfacher. Die vierte Szene klappt, juhu! So, jetzt noch ein Foto... Unerwartet macht der Clown eine Pause, setzt sich auf die unterste Stufe, schaut gedankenverloren in die Luft. Ich zoome, beachte alles, was ich gelernt habe. Bitte, bitte stillhalten! Zweimal Klick, ein Treffer. Geht doch!

Mal die Augen schließen

Villa Merlo Bianco.

Gut ausgestattetes Kloster-Hotel mit Garten. Busverbindung ins Zentrum. EZ/F ab 50 Euro (I-50126 Florenz, Via di Ripoli, 82, Tel. 00 39/055/ 680 23 94, www.merlobianco.it).

Gallery Hotel Art. 

Design-Hotel in einem alten Winkelbau, absolut zentral. Durchgestylt bis hin zum Frühstücksbuffet. DZ ab 340 Euro (I-50123 Florenz, Vicolo dell' Oro, 5, Tel. 00 39/055/272 63, www.lungarnohotels.com).

Pasta, Wein & Eis

Osteria del Nacchero. 

Voll italienisch! Tageskarte mit saisonalen Speisen ab 10 Euro (Piazza Gavinna, 4r, Tel. 055/658 70 58, www.osteriadelnacchero.it).

Golden View Open Bar. 

Stylishes Groß-Restaurant direkt am Fluss Arno, aber kein Nepp. Lange Weinkarte, prima Essen (Via dei Barde, 58r, Tel. 055/21 45 02, www.goldenviewopenbar.com).

Caffetteria delle Oblate. 

Oben in der Biblioteca delle Oblate gibt's einen tollen Blick auf die Dächer von Florenz - und mittags (Di.-Sa.) gute Küche (Via dell'Oriuolo, 26, Tel. 055/263 96 85).

Gelateria Carabé. 

Neben Eiscreme zehn verschiedene Sorten Granita, z. B. Wassermelone. Becher 2,70 Euro (Via Ricasoli, 60).

Kunststücke

Uffizien. 

Tipp für flotten Eintritt in die Gemäldesammlung der Uffizien: Wer online ein Ticket kauft, spaziert zur vereinbarten Zeit an schier endlosen Warteschlangen vorbei: www.uffizi.firenze.it und www.uffizi.com

Museo Salvatore Ferragamo. 

Ausstellungsstücke sind hier Schuhe. Fazit: Wer heute mehrere Ferragamo-Paare besitzt, hat keinen Schuhtick, sondern eine Kunstsammlung (Piazza Santa Trinita, 5r, www.ferragamo.com).

Palazzo Strozzi. 

Wenn in Florenz zeitgenössische Kunst zu sehen ist, dann in diesem Meisterwerk der Renaissance-Architektur (Piazza Strozzi, www.palazzostrozzi.org).

Nachts feiern. 

Studenten machen Party rings um die Kirchen Santa Croce und San Niccolò Oltrarno und auf den Plätzen Santo Spirito und Sant' Ambrogio. Ausgeh- Tipps unter www.firenzenotte.it

Clown Grey. 

Der gelernte Schauspieler Luigi Benassai aus Sizilien treibt als Clown Grey auf dem Piazzale degli Uffizi seine Späße, tägl. dreimal von 15 bis 17 Uhr, www.teatrogrey.com; hier geht's zum Video.

Foto-Workshop

Wenig Theorie, viel Praxis: Während Workshop-Leiter Michael Schultes mit den Teilnehmern durch Florenz geht, lernt man fast nebenbei, worauf es beim Fotografieren ankommt. Schwerpunkte: Kunst, Architektur, Mode. Jeden Abend wird die Foto-Ausbeute besprochen. Termin für den nächsten Fotoworkshop in Florenz: 18. bis 24. April 2015. Weitere Infos unter www.schultes-photo.de, ab 680 Euro p. P. ohne Hotelkosten.

Fotos: Monika Höfler, Doris Ehrhardt BRIGITTE 20/2012

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