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Endstation Wintermärchen

Klirrende Kälte. Einsteigen in die Transsibirische Eisenbahn. Kurzer Halt in Tjumen oder Nowosibirsk. Schneefelder ziehen vorbei. Immer weiter gen Osten, auf den längsten Schienen der Welt. Bis zum Baikalsee. Kommen Sie mit in eine Zauberwelt aus Eis

Dies ist ein Wintermärchen. Es spielt in der Taiga, am Ufer der Angara, die ein paar Kilometer flussaufwärts dem Baikalsee entspringt. 4200 Kilometer östlich von Moskau, 2200 westlich vom japanischen Meer – und auf der Höhe von Berlin. "Heiliges Meer" nennen die burjatischen Einwohner den großen Baikal. Er hat mehr Wasser als alle Great Lakes in Nordamerika zusammen, er ist so klar, dass man eine Porzellankugel noch in 40 Meter Tiefe sieht.

Jetzt, im Februar, ist der Baikal eine Eisfläche von mehr als 600 Kilometer Länge und bis zu 80 Kilometer Breite, über die Autos, Lastwagen und Schneemobile fahren können. Als ich das "Heilige Meer" betrete, da knackt leise das Eis, der Schnee knirscht unter meinen Moonboots, und manchmal höre ich einige Meter unter mir das Wasser gurgeln. Ein ergreifendes Ziel.

Um es zu erreichen, sind wir fünf Tage und Nächte lang mit der Eisenbahn gefahren, auf den Gleisen der Transsibirischen, in einem Sonderzug: 5700 Kilometer Strecke, mit 70 Stundenkilometern zurückgelegt, die längsten Schienen der Welt, die Russlands Westen mit Wladiwostok im Osten verbinden und Europa mit Asien.

Es war spät am Abend, als wir uns am Bahnhof in Sankt Petersburg versammelten.Unser Einzug in die Bahnhofshalle wirkte wie eine Völkerwanderung: 80 Deutsche mit Koffern voll dicker Pullis, Schnee-anzügen und Pelzmänteln trotteten zu den ihnen zugeteilten Waggons. Wir bestiegen den Zug, der uns von Petersburg nach Irkutsk und einige noch weiter bis Peking bringen sollte. Da standen am Gleis die Lok und dahinter Waggons mit klingenden Namen wie Tolstoi, Puschkin und Sputnik. Ein Speise-, ein Salonwaggon und fünf Wagen mit Schlafabteilen. Pro Waggon gibt’s eine Toilette, stets sauber und nach Duftspray riechend.

Ich logiere in der ersten Klasse, Nostalgiekomfort genannt, mit dem Charme eines alten Louis-Vuitton-Schrankkoffers. Alle Abteile sind drei Quadratmeter groß, nicht nur im Stockbett fühle ich mich wie ein Hering in der Dose. Teppiche, Vorhänge, Tagesdecken in Großmutters Plüsch, alle Ecken und Kanten mit Messing verkleidet.

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Kurzer Halt an einem Bahnhof irgendwo in Russland, damit die Schaffner die Zugräder abklopfen können, der Barkeeper Oleg die Wodkavorräte aufstocken und der Küchenchef Sergej frische Lebensmittel einladen kann. Denn wir essen viel - eigentlich nur. Morgens Kascha, den russischen Grützbrei, mit Quarkpfannkuchen und Spiegelei. Mittags Hering "im Pelzmantel" aus Aspik, Borschtsch, panierte Schnitzel mit Pilzen, Biskuitrolle. Abends Pelmeni, die russischen Teigtaschen, paniertes Fischfilet mit Kartoffeln, Eis.

Wir starren aus den Fenstern, Gespräche zu Tisch oder an der Bar werden in stillem Einverständnis durch lange Pausen unterbrochen, wenn sich unsere Blicke nach draußen richten – und Russland sehen. Aber was für ein Russland? Das Land der Weite, der Ebene, des Winters. Landschaft, immer gleich über tausende von Kilometern. Von Schnee bedeckte Fläche, hin und wieder ein Dorf aus Holzhäusern oder eine dunkelgraue Stadt der sozialistischen Moderne. Hinter den Hügeln des Ural zieht Stille ein. Die Landschaft dringt von draußen nach drinnen. Alles wird ruhig. Das leise Klacken der Schienen gibt den Rhythmus vor, die Stromleitungen wie ein Faden zum Geleit, alles weiß bis zum Horizont, und direkt neben den Gleisen ein schmaler Streifen von Birkenstämmen. Am Morgen des dritten Tages erreichen wir Nowosibirsk, die junge Hauptstadt Sibiriens, und dieser, unser erster längerer Stopp, übertrifft die anderen in seiner Skurrilität um vieles. Die Fenster des Busses, mit dem wir eine Stadtrundfahrt machen, sind so beschlagen, dass wir nichts sehen. Die Reiseleiterin schwärmt uns von ihrer Stadt vor, hier rechts der Bahnhof in Form einer Lokomotive, da links die Alexander-Newskij-Kathedrale, die die Sowjets zum "Museum des Atheismus" umfunktionieren wollten, und dort drüben das größte Operntheater Russlands – und wir schauen auf blinde Scheiben.

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Am fünften Tag Ankunft in Irkutsk – und diese Stadt ist die lange Fahrt wert. Irkutsk ist eine alte Stadt mit charmanter Patina: verblasstes Pastell auf den Fassaden, Schnitzereien an den verwitterten Holzhäusern, von Weihrauch benebelte Kirchen, Birkenalleen, breite Plätze zum Flanieren und Eisessen, das mögen Russen auch bei Kälte.

Die Zeit im Zug ist nicht allzu schnell vergangen, obwohl der Tag in der Transsib nur 23 Stunden hat. Fünf Zeitzonen liegen zwischen Petersburg und Irkutsk, jeden Tag durchfuhren wir eine – und verloren je eine Stunde. Fünf Tage benötigte der Zug für 5740 Kilometer. Sechs Stunden brauchte das Flugzeug von Irkutsk zurück nach Moskau.

Gruppenreisen

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  • Gruppenreisen in der Transsibirischen Eisenbahn:
  • Bund Naturschutz Service, Spitalstr. 21, 91207 Lauf, Tel. 091 23/ 99 95 70, Fax
  • 999 57 99, www.bund-reisen.de.
  • Der Sonderzug Zarengold fährt z.B. von Moskau bis Peking oder von Wladiwostok nach Moskau. (Lernidee Erlebnisreisen, Eisenacher Str. 11, 10777 Berlin, Tel. 030/786 00 00, Fax 786 55 96, www.lernidee.de).

Auf eigene Faust

  • Wer auf eigene Faust mit der Transsibirischen Eisenbahn reisen möchte, kann sich bestens vorbereiten z. B. bei >Knop-Reisen (Herbststr. 13, 28215 Bremen, Tel. 0421/ 988 50 30, Fax 350 96 28), auch Travel
  • Service Asia (Schmelzweg 10, 88400 Biberach, Tel. 07351/37 32 77, Fax
  • 373 211, www.tsa-reisen.de) oder
  • Ventus Reisen (Krefelder Str. 8, 10555
  • Berlin, Tel. 030/39 10 03 32, Fax 399 55 87, www.ventus.com). Sie vermitteln Fahrkarten, Flüge, Unterkünfte, Besichtigungen. Infos zu Geschichte, Strecke und Zug sowie praktische Reisetipps auch unter www.transsib.de.

Buchtipps

  • Klaus Bednarz: "Ballade vom Baikalsee. Begegnungen mit Menschen und Landschaften" (Bastei Lübbe). Über die natürliche Schönheit und die ökologischen Verbrechen, die am Baikalsee begangen wurden.
  • Andreas Wenderoth: "Mit Ach und Krach nach Wladiwostok. Transsibirische Reise" (Picus). Über eine Reise in der regulären Transsib und den Seelenzustand Russlands.
  • Unerlässliche Reiseführer für alle Individualreisenden: das "Transsib-Handbuch" mit Fahrplänen, Zugbeschreibungen, Sprachführer. Und das "Transsib-Lesebuch" mit Beiträgen von Sven Hedin bis Hardy Krüger. Beide Bücher aus dem Trescher Verlag.

Winterzüge in Europa

Drinnen herrlich gemütlich, draußen eine traumhafte Schneewelt: hier noch mehr Winterzüge, die in Europa und Kanada fahren.

  • Deutschland
  • Auf schmaler Spur im Harz: Durch zerklüftete Berge und schneeverwehte Hochflächen fährt die Harzer Schmalspurbahn hinauf zum 1125 Meter hoch gelegenen Brocken-Bahnhof. Vom höchsten Gipfel Norddeutschlands schaut der Besucher über tief verschneite Wälder und Wiesen. Drei Dampfzüge verkehren im 131 Kilometer weiten Harzer Schmalspur-Netz: die Brockenbahn, die Selketalbahn und die Harzquerbahn. Entdeckerpaket mit einer Übernachtung im Hotel oder in einer Pension inkl. Frühstück und zwei Fahrten, Erweiterung möglich (Infos: Harzer Schmalspurbahnen, Friedrichstraße 151, 38855 Wernigerode, Tel. 039 43/558-0, Fax 558-148, www.hsb-wr.de).
  • Norwegen
  • Von Null auf 1222: Knapp über dem Meeresspiegel nimmt die Bergenbahn ihre Fahrt in Oslo auf. In nur sieben Stunden überwindet sie mehr als tausend Höhenmeter, hinauf nach Flinse, dem höchsten Bahnhof Norwegens (1222 m), und wieder hinunter, an Gletschern und Fjorden vorbei nach Bergen (Infos: Norwegische Staatsbahn, Tel. 00 47/81/50 08 88, oder Norwegisches Fremdenverkehrsamt, Postfach 113317, 20433 Hamburg, Tel. 0180/500 15 48, Fax 040/22 71 08 15, www.visitnorway.com.
  • Schweiz
  • Express durchs Eis: Über 291 Brücken, durch 91 Tunnel und auf den 2033 Meter hohen Oberalppass braust der Glacier Express. Im Panoramawagen genießen die Reisenden die Fahrt durch die Schweizer Alpenwelt. Rund sieben Stunden braucht der bekannteste Zug der Schweiz von Zermatt nach St. Moritz (Infos: BVZ Zermatt-Bahn, CH-3900 Brig, Tel. 0041/27/921 41 11, Fax 921 41 19, www.bvz.ch.
  • Kanada
  • Luxus auf Rädern: Der Zug ist ausgestattet wie ein rollendes Hotel: Schlafwagen im Art-déco-Design, Salon- und Speisewagen sowie zwei Aussichtswagen mit gläsernen Kuppeln. Mitten durch die Rocky Mountains fährt der Klassiker-Zug "The Canadian". Von Vancouver bringt er seine Passagiere über Nacht in den Nationalpark Jasper, eines der schönsten Skigebiete Kanadas, berühmt für seine gewaltigen Gletscher und den feinen Pulverschnee, Champagne Powder genannt. Buchung z.B. beim Canada Reise Dienst CRD, Stadthausbrücke 1–3, 22355 Hamburg, Tel. 040/30 06 16-0, Fax 30 06 16-55, www.crd.de, Infos: www.snowtraintojasper.com, Travel Alberta, Tel. 018 05/52 62 32).
Text: Nataly Bleuel Stand: Dezember 2002

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