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Die Poesie von Wales: Elke Heidenreich auf Dylan Thomas' Spuren

Wales: Laugharne Castle
© Shutterstock / Ian Woolcock
Auf den Spuren des Dichters Dylan Thomas ist Elke Heidenreich durch Wales gereist. Gar nicht so einfach, den berühmten Sohn von Swansea zu finden ...

Für manche ein Held, für andere der "Dorfsäufer"

Ein paar Gedenkstätten, ein merkwürdiges Denkmal, ein paar vergilbte Fotos in verrotteten Kneipen, ein weißes Holzkreuz auf einem Friedhof in Laugharne - mehr haben wir eigentlich nicht gesehen, und doch war er überall ...

... Er war in der Melancholie der Landschaft und in den langen stillen Abenden am Meer, er war in den tristen Pubs und im Kreischen der Möwen, er war im Cwmdonkin Park seiner Kindheit, und er war in den Herzen der Menschen, die wir trafen und die sein Andenken hochhalten, seine Geschichten, seine Gedichte kennen. Es sind wenige, die ihn nur vom Hörensagen kennen, für sie war er "just a village drunk", nur ein Dorfsäufer.

Dylan Thomas ist ein weltberühmter Unbekannter. Überall sind seine Spuren, aber nur Literaturenthusiasten kennen mehr von ihm als allenfalls das poetische Hörstück "Under Milk Wood", "Unter dem Milchwald". Der junge Robert Allen Zimmerman las Gedichte von ihm, die ihn so begeisterten, dass er sich fortan Bob Dylan nannte.

Viele seiner Songs gehen auf Dylan Thomas' Texte zurück, auch einer der schönsten: "Tangled up in blue". "In the groin's endless coil a man is tangled", schreibt Dylan Thomas über den ewig in die Probleme seiner Lenden verstrickten Mann, und "Like it was written in my soul from me to you: tangled up in blue", singt Bob Dylan - "Als stände es tief in meiner Seele für dich geschrieben: Ich bin verstrickt in Traurigkeit".

Die schöne Waliserin Catherine Zeta-Jones hat ihren Sohn Dylan und ihre Produktionsfirma "Milkwood" genannt, Van Morrison und John Cale haben Songs nach Thomas' Texten komponiert, die Waliser Richard Burton und Anthony Hopkins haben seine Texte gesprochen, und Sir Paul McCartney hat gesagt: "We all used to like Dylan Thomas. I read him a lot. I think that John started writing because of him", also: Auch die Beatles wurden von ihm beeinflusst.

"Swansea erinnert mich an das Ruhrgebiet meiner Kindheit"

Dylan Thomas Statue in Swansea
Dylan-Thomas-Statue in seiner Heimatstadt Swansea
© Shutterstock / Tony Baggett

Wir haben seine poetischen Wortkaskaden im Kopf, als wir in Cardiff landen. An der Küste entlang fahren wir nach Swansea, und manchmal ist es, als wären wir in Rosamunde-Pilcher-Land: grüne Hügel, schöne Landhäuser, nette kleine Orte, dann wieder fühle ich mich an das Ruhrgebiet meiner Kindheit erinnert - Industrieanlagen, schmutzige Städte, trostlose Arbeitersiedlungen, sogar einen Lastwagen mit Kohlensäcken habe ich seit Jahren mal wieder gesehen. Eine Kneipe ist dicht an der anderen, und Schilder sagen, was man tun soll: "Drink till late", ja, was auch sonst.

In der Innenstadt von Swansea, Dylan Thomas' geliebter Heimatstadt, ein paar schöne alte Häuser, deren Dächer zerfallen und die unten entweder vernagelt sind oder Billigläden beherbergen. Er hat diese Stadt geliebt, "eine hässliche, liebenswerte Stadt", und er hat sie immer wieder beschrieben: "Diese Seestadt war meine Welt. Außerhalb ging ein fremdes Wales, kohlenzergraben, gebirgig, flussdurchlaufen und meines Wissens voll von Chören und Schafen und hohen Geschichtenbuchhüten, seinen Geschäften nach, die mich nichts angingen."

Dylan Thomas kann man nur in seinen Werken finden

Wales: Die Gower-Halbinsel westlich von Swansea
Die Gower-Halbinsel westlich von Swansea
© Shutterstock / Billy Stock

Er muss ein hochintelligentes Kind gewesen sein, ein früher Säufer, ein sinnlicher, ausschweifender Mensch, er war derb und düster und zugleich zart und voller Mitleid, er war immer wahrhaftig und selten ehrlich, er hatte Zeit seines Lebens Schulden, nie genug Geld, er hat an beiden Enden gebrannt, war überströmend kreativ und sehr streng mit seiner Dichtung. Schlampig in allem anderen, unordentlich, unorganisiert, war er doch ordentlich und gründlich mit den Worten, mit seiner Dichtung, an der er feilte und arbeitete, bis sie leuchtete.

Amerika lag ihm bei seinen rhythmischen Lesungen zu Füßen, Amerika brachte ihn auch um - zu viele Reisen, zu viel Vereinnahmung, zu viele Partys, Affären, Lesungen, Hotels, zu viele Bars, zu viele Whiskys - 18 Whiskys vor einer Lesung waren es, die ihn am 5. November 1953 in ein vier Tage dauerndes Koma fallen ließen, aus dem er nicht mehr erwachte.

Um ihn herum gibt es keine Dylan-Thomas-Andenken-Industrie, es gibt ihn nicht wie Goethe auf Kaffeetassen, nicht wie Mozart auf Schokoladenkugeln, nicht wie Bob Dylan auf T-Shirts. Es gibt ihn eigentlich gar nicht, nur in seinen Werken kann man ihn wirklich finden.

Fotos zeigen sein waches, sensibles Jungengesicht unter dichten karamellfarbenen Locken. Es wird im Laufe seines so kurzen Lebens vom Alkohol aufgedunsen und dick, die hellen Augen rot unterlaufen. So, wie er als Bronzedenkmal im Hafen von Swansea sitzt, hat er nie ausgesehen, so stark und kräftig. Er war zart, als er ein junger Mann war - keine 1,60 Meter groß, 45 Kilo wog er, als er seine Frau Caitlin, eine irische Tänzerin, kennenlernte. Sie heirateten erst im dritten Anlauf - zweimal hatten sie das Geld für das Aufgebot vertrunken.

Später wurde Dylan Thomas vom vielen Trinken schwer und aufgeschwemmt, nannte sich selbst "a bombastic provincial bohemian", aber er muss wohl ein Mensch mit einer unglaublichen Ausstrahlung von Leidenschaft, Wärme, Temperament gewesen sein, ein Mensch voller Angst, voller Liebe, umgeben von Frauen, die ihn anhimmelten.

Thomas' Leben in Laugharne

Wales: Das Boathouse von Dylan Thomas
Im Boat House in Laugharne hat Thomas mit Frau und Kindern gelebt
© Shutterstock / Julia St

Wir fahren nach Laugharne, dem Vorbild für die Stadt "Unter dem Milchwald". Hier hat Dylan Thomas mit Frau und Kindern im Boat House am Meer gewohnt, man kann seine Möbel dort noch stehen sehen. Hier hat er schon morgens im tristen "Browns Hotel" getrunken, wo heute Fotos von ihm und Caitlin an den schmuddeligen Wänden hängen.

War er hier glücklich? Wir fliehen die triste Bude und setzen uns gleich nebenan auf dem kleinen Friedhof mit Bier und Zigaretten an sein Grab und lesen ihm vor, was er 1949 an seinen amerikanischen Verleger geschrieben hat.

Wir besuchen sein kleines, einfaches Elternhaus in den Uplands: No. 5 Cwmdonkin Drive. Hier wurde Dylan Marlais Thomas am 27. Oktober 1914 geboren, Sohn eines Lehrers und einer Bauerntochter. Gut informierte, freundliche Führer zeigen einem alles, was man sehen möchte. Nichts ist besonders hergerichtet, alles wirkt bescheiden, einfach, seine Wohnorte, seine Kneipen, sein Grab, in dem 1994 auch Caitlin beigesetzt wurde.

Das Dylan Center in Swansea, von Ex-Präsident Jimmy Carter 1995 eröffnet, bietet eine rührende Sammlung von Büchern, Fotos, Erinnerungsstücken und Tondokumenten. Aber alles bleibt seltsam klein und bescheiden, eine Angelegenheit für die echten Fans. Dylan Thomas ist ein Dichter für Eingeweihte, und die werden von dem, was Wales zur Erinnerung an ihn anbietet, entzückt sein. Aber wirklich finden kann man ihn nur in seinen Texten. "Ein gutes Gedicht ist ein Beitrag zur Wirklichkeit. Die Welt ist nie mehr, was sie war, wenn man sie einmal um ein gutes Gedicht vermehrt hat."

Reise-Infos Wales: Auf Dylan Thomas' Spuren

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Telefon: Vorwahl für Großbritannien: 0044, die 0 der Ortsvorwahl dann weglassen.

Hotels

Norton House Hotel: georgianische Villa in Mumbles/Swansea, wenige hundert Meter vom Ufer entfernt, schöner Garten, gepflegtes Restaurant. Etwas plüschüberladene Zimmer. DZ/F ab 80 Euro (Norton Road, Mumbles, Swansea, Tel. 017 92/40 48 91, www.nortonhousehotel.co.uk).

Fairyhill Hotel: Fünfsterne-Haus inmitten hügeliger Landschaft der Halbinsel Gower. Große Zimmer mit Blick auf das herrliche Parkgelände, im Salon bestellt man sein Dinner, in der Bar klingt der Tag bei gedämpfter Musik aus. DZ/F ab 200 Euro (Reynoldston, Gower, Swansea, Tel. 017 92/39 01 39, www.fairyhill.net).

Fourcroft Hotel: Am alten Fischereihafen von Tenby gelegen, ist dieses größere Hotel etwas für Freunde gediegener britischer Gastlichkeit. Nicht zu edel, schön plüschig. DZ/F ab 59 Euro (North Beach, Tenby, Tel. 018 34/84 28 86, www.fourcroft-hotel.co.uk).

The Croyland Guest House: familiengeführtes Bed-and-Breakfast. Nicht allzu große Zimmer, aber ordentlich und sauber. DZ/F ab 55 Euro (10 Deer Park, Tenby, Tel. 018 34, www.thecroyland.co.uk).

Auf den Spuren von Dylan Thomas

Dylan Thomas Centre: sehr gut zusammengestellte Ausstellung, außerdem Restaurant, Cafeteria, Theater, Lesungen, Book-Shop und eine kleine Galerie. Eine geführte Dylan-Thomas-Tour kann hier gebucht werden, u. a. zu seinem Geburtshaus (Somerset Place, Swansea, Tel. 017 92/46 39 80, www.dylanthomas.com).

Zur Einstimmung: Eine vierbändige Werkausgabe von Dylan Thomas ist im Carl Hanser Verlag erschienen. "Unter dem Milchwald" ist auch als Hörbuch erhältlich, auf zwei CDs gesprochen von Harry Rowohlt und Sophie Rois (Amazon, 22,99 Euro).

Info

Visit Swansea Bay: Viele nützliche Infos unter www.visitswanseabay.com, mehrere "Swansea Bay’s Visitor Information Points" (VIPs) vor Ort.

In Deutschland: Visit Britain www.visitbritain.de, Wales im Internet: www.visitwales.com.

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Fallback-Bild
Text: Elke Heidenreich

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