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Chor-Workshop in der Toskana

Wer hier Urlaub macht, erlebt Ferien mit allen Sinnen: Riecht Lavendel. Sieht Olivenhaine. Schmeckt Chianti. BRIGITTE-Redakteurin Meike Schnitzler wollte hören, wie es klingt, wenn man in den Kirchen der Region singt. Und besuchte einen Chor-Workshop.

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Das Nachmittagslicht strahlt hell durch das Rundbogenfenster über dem Altar der Abtei von Sant' Antimo. Ein Benediktinermönch in weißer Kutte entfernt sich lautlos zwischen den hohen Säulen. Es riecht nach Weihrauch. Dieser Ort ist so still, dass man unwillkürlich flüstern muss.

Wir aber machen unseren Mund auf: "Alta Trinitá Beata" singen zwölf Frauen und vier Männer in das Schweigen hinein; und die Wände schmettern die Klänge hin und her wie Pingpong-Bälle. Überrascht schauen ein paar Touristen von ihren Reiseführern auf, in denen sie wahrscheinlich gerade gelesen haben, dass das wunderbar realistisch gemeißelte Kapitell im Säulengang den Propheten Daniel in der Löwengrube zeigt. Umzingelt wie der steinerne Daniel - so fühle ich mich gerade auch angesichts unseres unfreiwilligen Publikums.

Skeptisch beobachte ich beim Singen unsere Zuhörer aus den Augenwinkeln. Aber niemand wirkt, als wolle er aufspringen und hinaus in den Olivenhain flüchten - oder uns wie ein Löwe anfallen, um uns zum Verstummen zu bringen. Im Gegenteil. Manche schließen die Augen, scheinen zu versinken in unserem Programm aus mäandernden gregorianischen Gesängen und altertümlichen Renaissance-Harmonien. Und dann ist es auch schon vorbei: unser Abschlusskonzert. Der Höhepunkt unserer Reise.

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"Vokalexpedition - der Klang der Kirchen" heißt der einwöchige Kurs, zu dem ich mich im trüben deutschen Vorfrühling angemeldet hatte. Und gemeint sind nicht irgendwelche Kirchen, sondern die schönsten der Toskana. Wenn man die Homepage des Musikferien-Anbieters "Musica Viva" aufruft, erscheint als Erstes eine Cappuccino- Tasse, auf deren Schaum jemand mit Kakaopulver zwei Noten gestäubt hat. Perfekt, dachte ich: Cantare und Cappuccino. Ich singe so gern, dass ich in den vergangenen Jahren schon ausgiebig "den Klang der Badezimmer" erkundet und ganze Arien unter der Dusche geträllert habe. Da lasen sich die Namen der toskanischen Kirchen wie sanfte, verlockende Melodien: Sant' Antimo, San Galgano, La Mulas. Ich buchte und reiste an Pfingsten. Die Sache mit dem Abschlusskonzert hatte ich wohl überlesen. Dieser Auftritt ist noch angenehm weit weg, als unsere Gruppe beim Mittagessen auf der Terrasse unseres Kurshauses sitzt - des tausendjährigen Castello di Monte Antico zwischen Siena und Grosseto. Ringsherum sanfte Hügel, die wie auf den Gemälden alter italienischer Meister im dunstigen Sfumato verebben; auf unseren Tellern Bruschetta aus Tomaten und toskanischem Weißbrot. Wir knüpfen erste Kontakte: Monika aus Wuppertal ist mit Anfang dreißig die Jüngste der Gruppe, Peter - ein pensionierter Lehrer aus Zürich - mit knapp siebzig der älteste. Doris hat zu dem Kurs ihren Mann mitgebracht. Der hat die Reise zum ermäßigten Preis als passiver Begleiter gebucht und bildet in den folgenden Tagen in allen Kirchen unser meist singuläres, stets stoisches Publikum.

Ich bestelle den ersten Cappuccino des Urlaubs. Im cremigen Milchschaum ist auf jeden Fall Musik drin, auch wenn keine Noten drauf sind. Von denen bekommen wir aber auch so reichlich, denn Kursleiterin Ute von Genat hat unser Singprogramm straff organisiert: Jeden Morgen machen wir YogaÜbungen im sonnendurchfluteten Hof oder unter einem Ahornbaum im Garten des Castello, zupfen die "Müdigkeitsgeister" aus unseren Körpern; saugen die Luft des toskanischen Frühlings in unsere Lungen, um sie im Musiksalon dann wieder zu "Ning" und "Nong" herauszuatmen.

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Schnell ist klar: Wer hier singen will, dem darf nichts peinlich sein. Um zu spüren, wo die Töne im Körper am meisten Schwingungen erzeugen, halten wir uns abwechselnd Ohren und Nase zu. Bei einer anderen Übung drücken wir unsere Nasenspitzen nach oben - mit dieser Miene könnten wir auch gut für ein Familienfoto von Miss Piggy posieren.

Angenehmer ist es da, die Nase aufzumachen, wenn wir nachmittags das Burgareal verlassen. Wenn uns der Kleinbus auf einer der Straßen ausspuckt, die sich durch die Hügel schlängeln. Schon an der Bustür schlägt uns der Duft von Ginster und Lavendel am Wegesrand entgegen. Ein paar Ambitionierte packen ihre Walking-Stöcke aus, aber unser Wander- und Kirchenführer Jörg hat leichte Routen ausgesucht. Ich schnuppere den Geruch von Salbei, Olivenbäumen, Steineichen - nur die Früchte des Erdbeerbaums, die ich zwischen den Handflächen rolle, geben kaum Aroma ab: Sie sind noch nicht reif. In den von Klatschmohn durchsprenkelten Feldern zirpen Insekten vielstimmig durcheinander.

So ähnlich wie unsere Gruppe bei den ersten Versuchen im Ensemble-Gesang, bei dem unsere morgendlich verräusperten Stimmen noch etwas unentschlossen zu "Du Stern des Abends" zusammenfanden. Dabei sind wir als Chor nicht mal übel - nur an der Anzahl der Männer hapert es. Zum Glück kennt Jörg von seinen früheren Einsätzen bei Vokalexpeditionen alle Stücke, die wir lernen. Sein Bass ist unser unerschütterliches Fundament. Und manchmal hilft auch Ute mit ihrem perfekt ausgebildeten Mezzosopran nach, wenn wir eine Melodie etwas zu frei interpretieren.

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Mit der Zeit verlieren wir jedoch unsere Scheu vor der eigenen Stimme. Im Santuario della Madonna della Carità von Seggiano legen wir sogar richtig los: Stoßen spitze Noten aus. Langgezogene Brummlaute. "Uhhs" und "Ahhs". Die Töne und ihre Echos vermengen sich zu einer Soundkulisse, die sich ein Zwölftonkomponist nicht radikaler hätte ausdenken können.

Ab und an mischt sich ein Kichern in den Klangteppich. Zum Lachen wäre bestimmt auch den Bewohnern von Seggiano, wenn sie sehen könnten, wie in ihrem Gotteshaus ein paar Deutsche singend herumstaksen. Sich an den Wänden entlangtasten. Gegen das Kirchgestühl rempeln: Ute und Jörg haben uns, bevor wir die Kirche durch die Tür aus Eichenbalken betraten, die Augen verbunden. So nehmen wir die Töne, die wir beim Umherwandern von uns geben, viel besser wahr: Unter der Kuppel hallt es stärker. Im Seitengang klingt die Stimme filigraner. Wie Fledermäuse versuchen wir, am Echo zu erkennen, wie hoch die Decke an dem Ort ist, an dem wir gerade entlangtapsen. Mir wird klar: Bei dieser Vokalexpedition erkundet man beides - innere und äußere Resonanzräume.

Zum Abschluss machen wir noch eine kleine Polonaise um die Bänke, ohne Tücher, zum Pilgerlied "Stella splendens". Immerhin sind wir hier in einer Wallfahrtskirche. Die gemalte Muttergottes über dem Altar mit Spitzendeckchen lächelt.

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"Versucht, nicht alles zu bewerten", hat Ute uns am ersten Nachmittag empfohlen. Ein guter Rat - sonst würde mich meine entfesselte Sangeswut wohl selbst ein wenig befremden. Meine Badezimmer-Arien zu Hause fielen gedämpft aus, schon wegen der Nachbarn. Hier dagegen benehme ich mich, als stünde ich den ganzen Tag auf einer Opernbühne: Wenn ich morgens die Fensterläden öffne, schicke ich dem fernen Vulkankegel des Monte Amiata ein "Ave vera virginitas" entgegen. Gefolgt von einem "Maria Himmelskönigin" beim Sprung ins Schwimmbecken im Garten. Immerhin kann ich mich beim Abendessen, das wir an großen Holztischen im ehemaligen Rittersaal serviert bekommen, noch beherrschen. Und breche nicht beim Anblick von Orecchiette, Crespelle mit Auberginenfüllung oder Lasagne al forno in "Halleluja" aus.

Den anderen geht es ähnlich. An einem Abend schleiche ich nach zehn Uhr in den Garten, um die Glühwürmchen zwischen den Sträuchern zu beobachten. Da weht durch die geöffneten Spitzbogenfenster des Musiksalons der Ohrwurm der Reise in meine Richtung: "Zwei kleine Wölfe geh'n des Nachts im Dunkeln". Ein Klassiker jeder Chorfreizeit, den auch die Nicht- Kenner unter uns ziemlich schnell draufhatten. Angespornt von ein paar Gläsern Chianti Classico versammeln sich die meisten von uns jeden Abend im Musiksalon. Die Gruppe ist mittlerweile so in Schwung, dass sie wahrscheinlich der Abtei von San Galgano, einer der letzten Stationen unserer Tour, das Dach weggepustet hätte. Doch zum Glück hat das alte Gemäuer ohnehin schon lange kein Dach mehr.

Jetzt singen sie "Abendstille überall". Abend? Ja - über mir leuchtet das Sternbild des Orion. Stille? Nein. Aber der nächste Ort, Paganico, ist weit entfernt. Und die Betreiberfamilie des Castello trägt unsere Anwesenheit mit Fassung - und Routine: Hier finden regelmäßig auch Anfängerkurse für Saxofon statt.

Ein Tag in der Woche ist frei. Zeit, um die Noten mal aus dem Kopf zu fegen. Wie die meisten fahre ich ins nahe Siena. Auf dem Campo vor dem Rathaus brennt die Mittagshitze, der Kaffee ist dreimal so teuer wie im Castello, aber es tut gut, einfach mal dazusitzen und zu schweigen. Kinder fahren mit ihren Rollern über das Pflaster, umrunden die auf dem Campo in der Sonne liegenden Touristen. Auch die anderen im Chor genießen ihre gesangsabstinente Phase. In der Altstadt kreuzen sich unsere Wege, aber wir grüßen uns nur kurz, schlendern Eis schleckend weiter durch das Gassengewirr, die Tüten voll süßem Sieneser Panforte. Betrachten das Angebot an Dolci in "Nanninis" Konditorei, kauen Pizza mit Salsiccia. Und finden in der Menge, die sich auf dem Domplatz zwischen Souvenirständen drängt, die Ruhe, die den Einzelnen in der Masse überkommen kann.

Ich betrete das gestreifte Mittelschiff des Doms. Es ist riesig im Vergleich zu den kleinen, ländlichen Kirchen, die wir bisher besucht haben. Das Murmeln der Besucher hallt vom Deckengewölbe wider, lässt mich die tolle Akustik des Raumes erahnen. Schon bekomme ich einen Rückfall - und möchte spontan "Laudamus virginem" jubilieren. Beim Anblick der vielen Touristen mache ich meinen Mund dann aber doch ganz schnell wieder zu. Den Mut spare ich mir lieber auf. Fürs Abschlusskonzert.

Reise-Infos Chor-Workshop in der Toskana

Musica Viva.Der Musikferien-Veranstalter bietet Gesangstouren zwischen Siena und Grosseto an, im Arnotal südlich von Florenz sowie im Südtiroler Vinschgau. Vormittags Stimmübungen und Einstudieren von Gregorianik- und Renaissance-Werken, nachmittags Wanderungen zu Kirchen: Hier erkundet man die Wirkung der Stimme auf den Raum (eine Woche DZ/HP 810 Euro, plus 150 Euro für Bustransfers und Wanderführer). www.musica-viva.de

ANREISE Zum Beispiel mit Lufthansa von München oder Frankfurt nach Florenz: hin und zurück ab 99 Euro. Mit TUIfly ab Hannover (ab April), Köln/ Bonn und Stuttgart (ab 12. März) nach Pisa: hin und zurück ab rund 48 Euro.

TELEFON Vorwahl nach Italien 00 39, dann immer die 0 der Ortswahl mitwählen.

LESEN Toskana & Umbrien. Lonely Planet, erstmals in deutscher Sprache; neben vielen Insider-Tipps bietet das Buch Kästen zu Spezialthemen sowie verschiedene Routenvorschläge: eine Reise zu verschiedenen Welterbe-Stätten, eine Tour für Kinder, einen Fünf-Städte-Trip. Detailliert: Das Kapitel über Florenz umfasst fast 80 Seiten (Lonely Planet Publications, 17, 50 Euro). Zeit für die Toskana. Bummeln in Lucca, Radfahren in Florenz, Kuren in Montecatini Terme: In Essays und opulenten Bildern stellen Autor Thomas Migge und Fotograf Mirko Milovanovic 33 Ziele vor, an denen man sich wohl fühlen kann. Mit Tipps für Besichtigungen, zum Shoppen, Übernachten und Schlemmen (C. J. Bucher Verlag, 29,90 Euro). Toskana. Literarische Reiseberichte, die Sehnsucht wecken: nach endlosen Zypressenalleen, romantischen Bergdörfern und Brunello. Autorin Felicitas Mayall schildert die Toskana abseits gängiger Touristenpfade. Ein sinnliches Buch, nicht nur aufgrund der zahlreichen Rezepte (Sanssouci, 14,90 Euro).

INFO Florenz und Umgebung: Via Cavour 1 r, I-50129 Florenz, Tel. 055/29 08 32, www.firenze turismo.it. – Maremma und Umgebung: Viale Monterosa 206, I-58100 Grosseto, Tel. 05 64/ 46 26 11, www.lamaremma.info.

Text: Meike Schnitzler Fotos: Gregor Lengler BRIGITTE Heft 5/2007

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