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Queeres Reisen Diskriminiert werden, wo andere Urlaub machen

Queeres Reisen ist auch politisch
Nicht nur queeres Reisen ist politisch
© Annatamila / Adobe Stock
Wie schön ist doch das Reisen! Zumindest, solange man sich sicher fühlen kann. Ich kann das nicht.

Die Pyramiden von Gizeh in Ägypten sollen ein wahrlich faszinierender Anblick sein. Was dort von Menschenhand erbaut wurde – und das vor über 4.000 Jahren, durch und durch ein Weltwunder! Bedeutend jünger, aber nicht weniger imposant, thront die Hagia Sophia, die einstmals größte Kathedrale der Antike, über der Altstadt von Istanbul in der Türkei. Dem Quellwasser des Szechenyi Heilbads in Budapest, der Hauptstadt Ungarns, wird eine entspannende und heilsame Wirkung nachgesagt. 

Wie wunderschön diese Orte sicherlich sind, doch was weiß ich schon, ich kenne sie nur aus Erzählungen von Freund:innen und Bildern in Reiseführern und dem Internet. Denn an diesen wunderschönen Orten bin ich nicht willkommen.

Queere Menschen sind für manche Länder ein Dorn im Auge

Im Jahr 2020 wurde ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Ich bin Ägypter und ich bin schwul". Es erzählt von Selbsthass und Gewissensbissen, von Gedanken an Selbstmord. Denn Essâm, der dem Autor und Journalisten Mostafa Fathi 2009 seine Lebensgeschichte per Mail schickte, ist schwul und Muslim. Das Narrativ des tragischen queeren Menschen ist für Essâm und viele andere – nicht nur in Ägypten – bittere Realität.

Geldstrafen schützen queere Menschen vor Ort wohl kaum gegen Übergriffe und Diskriminierung.

Seit 2015 ist die Pride-Parade in der türkischen Millionenmetropole Istanbul untersagt. In diesem Jahr versammelten sich trotzdem queere Menschen, die für ihre Rechte und Freiheit demonstrierten. Ihnen begegnete ein massives Polizeiaufgebot, das alles dafür tat, die Menschen, ihre Fahnen und Symbole von der Straße zu tilgen. Es gab über 200 Festnahmen an diesem Tag, nur aus dem Grund, weil Menschen auf die Straße gingen und für ihre Rechte eintraten.

In Ungarn gibt es seit 2021 ein Anti-LGBTQIA+-Gesetz, nachdem jedwedes Aufklärungs- und Bildmaterial für Kinder und auch Werbung verboten ist, bei denen Sexualitäten dargestellt werden, die von der heterosexuellen Norm abweichen. Ein Jahr später verklagt die EU-Kommission Ungarn, weil sie die Minderheitenrechte sowie die Medienfreiheit verletzt sieht. Die Geldstrafen werden die queeren Menschen vor Ort wohl kaum gegen Übergriffe und Diskriminierung schützen.

Ägypten, Türkei, Ungarn – nur drei Beispiele von einer sehr langen Liste an Ländern, die wenig bis gar keine Akzeptanz gegenüber Menschen haben, die von der Heteronormativität abweichen, nach der ein Mensch am "liebsten" männlich, cis, weiß und heterosexuell ist.

Reiseunternehmen zeigen Interesse an Queeren

Immer mehr Reiseunternehmen entdecken queere Menschen als potentielle Kund:innen
Immer mehr Reiseunternehmen entdecken queere Menschen als potentielle Kund:innen.
© BRIAN_KINNEY / Adobe Stock

Kürzlich war ich auf einem Booking.com-Event. Die Online-Reiseagentur hat das Thema Queerness für sich entdeckt – kein Wunder, sollen doch queere Menschen tendenziell ein höheres Haushaltseinkommen haben als heterosexuelle Paare. Das ist einerseits verwunderlich, schließlich gibt es nicht nur den Gender-Gap, nachdem Frauen weniger verdienen als Männer, sondern auch den Gay-Wage-Gap zwischen Queeren und Heterosexuellen. 

Andererseits haben queere Paare tendenziell seltener den "Kostenfaktor Kind": In 12.000 Haushalten lebten laut der "Zeit" im Jahr 2021 gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern – laut dem Statistischen Bundesamt gab es hingegen Ende 2020 insgesamt 163.000 gleichgeschlechtliche Ehepaare, 34.000 Paare lebten zusätzlich in einer Eingetragenen Lebenspartner:innenschaft. Sicherlich begründet sich dieser Umstand aus der Tatsache, dass einfach nicht jeder Mensch Kinder haben möchte – und für manche mag ein Faktor sein, dass unsere Gesellschaft queeren Menschen beim Thema Kind möglichst viele Steine in den Weg legt, aber das ist ein anderes Thema.

"Katar habe ich als Reiseziel in die Wüste geschickt"

Auf dem Event stellte Booking.com eine selbst in Auftrag gegebene Studie vor, nach der über 80 Prozent der queeren Reisenden bereits weniger erfreuliche oder gar unangenehme Erfahrungen gemacht haben. Fast die Hälfte (47 Prozent) der Befragten hat auf Reisen bereits Diskriminierung erlebt, wobei fast ein Viertel (24 Prozent) Stereotypisierung ausgesetzt war und gar mehr als jede zehnte queere Person (12 Prozent) von anderen Reisenden oder Einheimischen misshandelt wurde.

Die Welt ist groß genug.

Queere Reisende müssen genau hinschauen, wo sie die Zeit verbringen, die für den Menschen doch eigentlich Entspannung bringen soll. Auf dem Event war auch Drag-Queen Olivia Jones zu Gast, die klare Worte fand bezüglich den Diskriminierungserfahrungen, die queere Menschen oftmals auf Reisen erleben müssen, wenn sie es "wagen" ein Land aufzusuchen, ohne sich vorher über die Akzeptanz ihrer Identität vor Ort zu informieren. Einfach, weil sie gerne etwas von der Welt sehen wollen oder vielleicht auch, weil sie so töricht sind zu erwarten, man begegne ihnen mit derselben Akzeptanz, die sie auch gegenüber anderen Menschen zeigen würden.

"Katar habe ich als Reiseziel in die Wüste geschickt", sagt Jones. "Länder, in denen das Geld willkommen ist, solange man seine Werte zu Hause lässt, werden es in Zukunft immer schwerer haben." Sie habe lange dafür gekämpft, akzeptiert zu werden, wie sie ist. "Und wenn ich woanders nur willkommen bin, wenn ich mich verleugne, reise ich inzwischen lieber woanders hin. Die Welt ist groß genug."

"Wir sind nicht die Regierung und auch nicht die Polizei"

Alexei Matouchkine, Regional Director bei Booking.com, war ebenfalls bei dem Event dabei. Er geht vorsichtig auf die Nachfrage einer anwesenden Reisejournalistin ein, die ein Dilemma anspricht, dass allen Anwesenden klar sein dürfte: Was kann ein Unternehmen, das kapitalistisch arbeitet, denn gegen globale Probleme wie Diskriminierung gegen queere Menschen und andere Minderheiten tun? Oder vielmehr: Was sollte es tun? Wird man Katar, Dubai, Ägypten, Ungarn, die Türkei und zig andere Länder "canceln"? Wohl kaum. "Wir sind nicht die Regierung und wir sind auch nicht die Polizei", macht Matouchkine klar. 

Sätze wie diese kennt man auch von Tourist:innen, die gerne Orte wie China, die Elfenbeinküste oder Indonesien besuchen. In solchen Fällen heißt so ein Satz dann aber selten etwas anderes als: Was dort passiert, geht uns nichts an.

Was Booking.com hingegen tut, ist eine 75-minütige Online-Training-Session anzubieten, um "Fachleute im Gastgewerbe dabei zu unterstützen, die Herausforderungen und Hindernisse zu verstehen, denen die LGBTQ+-Community beim Reisen gegenübersteht und ihnen praktische Fertigkeit und Techniken zur Verfügung zu stellen, die sie sofort in die Praxis umsetzen können". 

Das Programm "Proud Hospitality Training" startete im August 2021 weltweit auf Englisch und Französisch, ist inzwischen auch auf Deutsch verfügbar und in Kürze auf Spanisch. Unterkünfte, die das Training absolvieren, erhalten ein "Travel Proud"-Kennzeichen – queere Menschen sollen auf einen Blick Unterkünfte erkennen, die "sich verpflichtet haben, eine inklusivere Gastfreundschaft zu ihrem Standard zu machen", heißt es in der Pressemitteilung.

Diskriminierung geht uns alle etwas an

Diskriminierung ist nicht nur ein Problem anderer Länder
Diskriminierung ist nicht nur ein Problem anderer Länder
© Good Studio / Adobe Stock

Das ist sicherlich ein guter erster und wichtiger Schritt eines großen Reiseunternehmens, um Diskriminierungserfahrungen für queere Menschen zumindest im Urlaub möglichst einzuschränken. Auch andere Firmen haben schon länger erkannt, dass das Reisen für queere Menschen besondere Ansprüche mit sich bringt. Das Reiseunternehmen Over the Rainbow bietet unter der Rubrik "Queer Travel" neben einem Gay Cruise auch Reisen in unterschiedliche Länder an. Auf gayreisen.de finden queere Menschen ebenfalls Orte, an denen ihre Identität willkommen ist. 

Wir können als Tourist:innen gezielt Länder und Gesellschaften unterstützen, die unsere Werte teilen.

Doch ist damit den queeren Menschen außerhalb dieser Unterkünfte in queerfeindlichen Ländern geholfen? Nein, natürlich nicht. Das “Travel Proud”-Zertifikat von Booking.com, die queeren Reisen von anderen Reiseunternehmen – am Ende sind sie alle nur für die zahlenden Kund:innen als Orientierung gedacht. Nicht mehr, nicht weniger. Unterstützt jeder Mensch – ob queer oder nicht – mit einer Reise in Länder, die queere Menschen, Frauen, People of Color und andere Gruppen von Menschen unterdrücken, diskriminieren, misshandeln und ermorden eine Regierung, für die Menschenrechte höchstens eine Randnotiz sind? Ja, absolut. 

"Wir können als Tourist:innen gezielt Länder und Gesellschaften unterstützen, die unsere Werte teilen oder zumindest auf einem guten Weg sind", sagt Jones auf dem Booking.com-Event. Der Urlaub ist die Zeit, in der wir alle entspannen, uns um nichts Sorgen machen, in den Tag hineinleben und das Leben genießen wollen. Das haben wir alle verdient. Niemand hat es hingegen verdient, geschlagen, gefoltert, verhaftet, vergewaltigt, mit Steinen beworfen, beleidigt oder gar in den Selbstmord getrieben zu werden, nur weil er:sie nicht den willkürlichen Normen der Gesellschaft und Zeit entspricht, in der er:sie zufällig hineingeboren wurde. 

Diese Dinge passieren, jeden Tag, auch in unserem Urlaub, auch an den Orten, an denen wir "endlich mal entspannen" wollen.

Verwendete Quellen: auswaertiges-amt.de, tripadvisor.de, queer.de, deutschlandfunkkultur.de, tagesschau.de, zeit.de, destatis.de, lsvd.de, Pressemitteilung Booking.com

Brigitte

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