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Tour de Ruhr Mit dem Rad durchs Ruhrgebiet

Mit dem Rad durchs Ruhrgebiet: Doppelbogenbrücke
Der Rhein-Herne-Kanal ist ein Paradies für Radler
© Rupert Oberhäuser / Picture Alliance
Mit dem Rad quer durchs Revier: total entspannt, super nachhaltig – und ganz nebenbei Kunst entdecken, alte Bergbaukultur und gaaaaanz viel Grün.

Am Ende eines heißen Tages stelle ich mein Rad an einem der Revier-Büdchen ab, neben Mountainbikes und Tourenrädern. Jeder Platz an den Stehtischen und auf den Bänken ist besetzt. Neben zwei Frauen in Radlermontur spielt ein Junge Gitarre, Reggae-Songs. Zwei Anzugträger rasten. Keine Krawatten, aber Hosenklammern. Fünf fröhliche Typen prosten einer Frau zu, die in der Bude Frikadellen brät. Ihre Theke ist mit Graffiti besprüht, in der Kühlung steht das Sortiment der Bochumer "Privatbrauerei Moritz Fiege", man kann auch Flick- und Werkzeug bei ihr kaufen.

Unter Radfahrer:innen

Ich bin an der "Erzbahnbude" gelandet. Die steht auf der Grenze zwischen Gelsenkirchen und Herne, mitten im Ruhrgebiet also. Der Radwegweiser zeigt: Zeche Zollverein 10 km, Jahrhunderthalle Bochum 6,2 km, Halde Hoheward 11 km.

Ich bestelle ein Pils und frage die Männer, ob ich mich dazusetzen darf. Die lachen. "Als ich hier mal alleine saß, kam ich mit einem Radfahrer ins Gespräch. Seither ist er ein Freund", sagt Björn, Anfang 40, stoppeliges Haar. Mitradler Friedhelm sagt bloß:

"Hier bleibst du nicht lange allein, das hier ist Ruhrgebiet."

Noch vor 15 Jahren wäre niemand durch den Pott geradelt, allein schon die schlechte Luft, puh. Doch seit dem schleichenden Niedergang des Bergbaus wurden aus Halden Wanderreviere und aus den Werken Industriedenkmäler und Museen. Die verbindet inzwischen ein 1200 Kilometer langes Radwegenetz, das das Revier überzieht. Es läuft an stillen Kanälen entlang und führt über Bahntrassen, auf denen Güterzüge einst Kohle transportierten. Es verbindet Hamm, Kamen und Unna im Osten mit Duisburg, Dinslaken, Essen und Duisburg im Westen.

Brombeeren naschen im Pott

Ich erkunde den Pott mit einem Leihrad, fern von schick, halb Trekking-, halb Citybike, ich nenne es Esel. Mit Esel folge ich jetzt dem Schild, das von der "Erzbahnbude" zur Zeche Zollverein weist und rolle über eine echte Sausepiste Richtung Essen. Die Brombeeren am Wegesrand hätte ich fast übersehen, halte aber an, als ich zum dritten Mal eine Frau mit einem Körbchen bei der Ernte sehe, und genehmige mir eine süße Handvoll.

Im urbanen Essener Stadtteil Kray biege ich ab auf Kopfsteinpflaster und stehe vor einem Schlösschen mit Bogenfenstern, Türmchen und einem Giebel, der Kaufmannshäusern Ehre machen würde – es ist das Industriekulturhotel "Alte Lohnhalle". Daneben ragt ein rostroter Turm empor, gestützt von mächtigen Streben: das Fördergerüst der 1974 geschlossenen Zeche Bonifacius. Nach der Schicht holten die Kumpel im Schlösschen ihre Lohntüten ab. Ich tue es ihnen gleich, stelle mich an der Ausgabe an – und nehme meinen Zimmerschlüssel in Empfang.

In Essen grasen Pferde

Am nächsten Morgen rolle ich auf dem Zollvereinweg, einst eine Bahntrasse, Richtung Norden. Schwer zu glauben, dass ich immer noch durch Essen fahre, immerhin die zehntgrößte Großstadt Deutschlands, ich sehe nämlich nur Wiesen, Felder, das Dach einer Scheune und eine Weide, auf der Pferde grasen.

Mit dem Rad durchs Ruhrgebiet: Zeche Zollverein
Baden – Im Sommer gibt’s in der Zeche Zollverein ein kostenloses Schwimmbecken
© SASCHA STEINBACH / Picture Alliance

Das schönste Bergwerk der Welt

Vier Kilometer später stehe ich vor der Zeche Zollverein, als Kulturrevier weit über den Pott hinaus berühmt. Schnörkellose Hallen aus Backstein ragen zwischen Bahngleisen in die Höhe, manche mehrstöckig, allesamt gleich gestaltet: Die Strenge der Fassaden durchbrechen große Fenster, die sich als Band um die Gebäude ziehen. Dazwischen sind schräge Brücken gespannt, in denen einst Laufbänder rotierten. Aus Containern wurde ein Freibad. Das Ganze überragen ein 55 Meter hohes Fördergerüst, riesenhafte Kessel und ein Rohrgewirr: Schacht XII der Zeche Zollverein wurde 1932 im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut. Sie galt nicht nur als das größte Bergwerk der Welt, sondern auch als das schönste.

Ich schließe den Esel an und schüttele die Hand eines Mannes mit tätowierten Waden und Karohemd, Jörg Thiesling. Der hat einen Großteil seines Arbeitslebens unter Tage verbracht – bis zu seiner Pensionierung 2014 war er Reviersteiger auf Prosper-Haniel. Heute erklärt er Besucher:innen den Alltag im Bergwerk.

"Kameradschaft war zwingend nötig", erzählt Thiesling. "In 1000 Meter Tiefe muss man sich aufeinander verlassen können. Ein falscher Handgriff, und deinem Kollegen fällt ein Steinbrocken auf den Kopf." Während Thiesling mich zum größten Übertagebau auf Zollverein führt, der Kohlenwäsche, erzählt er, dass man sich bei 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, 40 Grad Temperatur und ständiger Lebensgefahr von den anderen weder abgrenzen noch die Nase über sie rümpfen kann. Und dass diese Verbundenheit auch nach der Bergbau-Ära anhält.

Mit dem Rad hoch zur Halde

Wo wir nun stehen, wurden einst Kohlebrocken nach Größe sortiert. Es riecht auch heute noch nach Staub und Maschinenfett. Thiesling drückt auf einen Knopf und grinst, als ich zusammenzucke, weil plötzlich der Lärm tonnenschwer beladener Förderwagen durch die Halle kracht – Originalaufnahmen aus der Zeit, als Zollverein noch aktiv war. Ich frage ihn, ob er das Einfahren in Schächte vermisst. "Die alte Zeit war schön", sagt er bloß. "Haken drunter, das Leben geht weiter."

Mit dem Rad durchs Ruhrgebiet: Hympendahlbrücke
Alte Brücke – Die Natur erobert die eingestürzte Hympendahlbrücke zurück
© Peter Schickert / Picture Alliance

Etwa zehn Kilometer sind es anschließend zur Halde Beckstraße, Teil der Zeche Prosper-Haniel. Ob es eine gute Idee ist, dass der Esel und ich da rauf wollen? Die Halde ist über 70 Meter hoch, und die Sonne tut immer noch so, als scheine sie über Andalusien. Der Ehrgeiz gewinnt, ich strampele los – und gebe schnaufend auf. Ich nehme die Treppe, die zur Kuppe führt und leere oben meine Wasserflasche in einem Zug. Die Halde ist kein Berg, doch sind ihre Hänge mit Birken bewachsen, wie die meisten der mehr als 250 Halden der Gegend. Auf manchen stehen Gipfelkreuze, auf vielen Kunst, so auch hier: Das "Haldenereignis Emscherblick" ist eine Aussichtsterrasse. Treppen führen hinauf, man sieht von oben: Hochöfen und Kraftwerke, eine der Förderanlagen von Prosper-Haniel und einen mächtigen Kasten – das Stadion des FC Schalke 04.

Immer in Gemeinschaft

Am letzten Tag radele ich nach Oberhausen-Eisenheim, eine der ältesten Bergarbeitersiedlungen. Mich erwartet Carsten Walden, hier aufgewachsen und einst Zechenarbeiter. Heute ist er so etwas wie der Stadtfotograf von Oberhausen. Wir spazieren vorbei an Kleinhäusern, jedes so um die 50 Quadratmeter groß, mit weißen Sprossenfenstern, Blumen auf den Simsen und Gärtchen. "Diese Häuser haben auf jeder Seite einen Eingang", sagt Walden, "weil früher in jedem Haus mehrere Familien wohnten." Ziemlich eng, denke ich, doch Walden erklärt, dass diese Bauten Mitte des 19. Jahrhunderts als fortschrittlich galten. Doch Eisenheim ist kein Museum. Vor einem Haus sitzt eine Runde beim Bier, um das nächste sausen Kinder, vor einem dritten wird gegrillt. Jeder grüßt, auch mich, als wäre ich kein Fremder, der durch anderer Leute Gärten tapst, sondern der Nachbarssohn.

Was von meiner Tour durch das Ruhrgebiet bleiben wird? Vielleicht das: ein bisschen Metropole, ein bisschen Provinz. Und es besteht fort, was die Arbeit unter Tage die Menschen einst lehrte: Man macht nicht allein weiter, sondern gemeinsam. Wer das erleben will, dem kann ich nur empfehlen, sich einen Esel zu leihen und loszuradeln.

Die Reisetipps fürs Ruhrgebiet

Hinkommen & Rumkommen

Das Auto braucht im Ruhrgebiet kein Mensch, damit würdet ihr sowieso nur im Stau stehen und mit der Bahn ist die Region bestens erreichbar. Die einzelnen Städte verbindet der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr mit S-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen (vrr.de). Den Rest schafft man mit dem Leihrad, das man an vielen Bahnhöfen und großen Attraktionen abholen und an jeder anderen Station wieder abgeben kann. Gepäcktransport (39,90 Euro pro Strecke für zwei Gepäckstücke) ist möglich (revierrad.de). Auf tourserviceruhr.de findet man gute Tagestouren, tour-de-ruhr.de organisiert auch mehrtägige Radreisen.

Hoteltipps im Ruhrgebiet

Alte Lohnhalle. Schlafen, wo früher Bergleute ihren Lohn abholten. Die Zimmer sind einfach, aber einwandfrei. Im Hotelrestaurant "Über Tage" wird verfeinerte Hausmannskost aufgetischt. DZ ab 100 Euro (Essen, Rotthauser Str. 40, Tel. 02 01/85 76 57 70, alte-lohnhalle.de).

Mintrops Stadt Hotel Margarethenhöhe. Fünf Kilometer südlich der Essener Innenstadt mitten in der Gartenstadt aus den 1920ern liegt dieses hübsche Hotel. Allein die Siedlung (mit Musterwohnung, die man auch besichtigen kann) samt Kirche, Marktplatz und viel Grün ist eine Attraktion. DZ ab 75 Euro (Essen, Steile Str. 46, Tel. 02 01/438 60, mintrops-stadthotel.de).

Ruhrcamping. Am Ufer der Ruhr gleich um die Ecke der ehemaligen Zeche Wohlverwahrt kann man auch Bauwagen (fast alle mit kleiner Küche) mieten, die im Schatten der Bäume stehen. DZ ab 60 Euro (Essen, In der Lake 76, Tel. 01 78/156 39 10, ruhrcamping.com).

In Hostel Veritas. Hostel im Verwaltungsgebäude der früheren Zeche Oberhausen mit einfachen Einzel- bis Achtbettzimmern. Im Biergarten wird im Sommer montags und donnerstags gegrillt. DZ ab 44 Euro (Oberhausen, Essener Str. 259, Tel. 02 08/869 08 84, in-hostel-veritas.de).

Restaurants im Ruhrgebiet

Wolperding. Ausflugslokal mit riesigem, sonnigem Garten unter Ahornbäumen mit Blick auf das Fördergerüst der ehemaligen Zeche Bonifacius. Kleine Karte mit Schwerpunkt auf knusprigen Hähnchen (Essen, Rotthauser Str. 34, wolperding-essen.de).

Bauernhof am Mechtenberg. Schöner alter Klinkerbau direkt an der Radtrasse "Kray-Wanner-Bahn". In den ehemaligen Pferdeställen befindet sich ein Hofladen, hinter dem Gebäude ist ein hübscher Garten samt Streichelzoo (Essen, Am Mechtenberg 5, bauer-budde.de).

Gdanska. Polnisches Restaurant mit kleiner Bühne im Zentrum von Oberhausen. Auf der Speisekarte stehen Gerichte mit Roter Bete, auf der Bühne Jazz- und Bluesmusiker oder Schriftsteller (Oberhausen, Altmarkt 3, Tel. 02 08/620 13 75, gdanska.de).

Walsumer Hof. Rustikales Fischlokal vor kurioserKulisse: Rückseitig fließt der Rhein, nach vorn fällt der Blick auf die gewaltigen Hallen und den Kühlturm eines Heizkraftwerks. Große Portionen und ruhrgebietsgemäß kecke Bedienung (Duisburg, Rheinstr. 16, Tel. 02 03/49 14 54, walsumerhof.de).

Erzbahnbude. Der ehemalige Fahrradkurier Holger Müller betreibt jetzt das berühmte Fahrradbüdchen und versorgt Radler mit Bier, Kaffee, Kuchen, Frikadellen, Flickzeug und Tourentipps (Gelsenkirchen. An der Radwegkreuzung Erzbahntrasse/Kray-Wanner-Bahn).

Erleben im Ruhrgebiet

Zeche Zollverein. Wohl die bekannteste Sehenswürdigkeit des Ruhrgebiets – und Besuch und Führung wert. Die gewaltige, in Anlehnung an den Bauhausstil errichtete Anlage ist Unesco-Weltkulturerbe. Auf gar keinen Fall verpassen: das Treppenhaus des Ruhrmuseums in der ehemaligen Kohlenwäsche, alles in Orange und wildbeleuchtet, designt von Rem Koolhaas. Viel Kunst findet sich auf dem Gelände. Nehmen Sie sich unbedingt Zeit dafür, manches ist etwas versteckt. Im Winter gibt es eine Eislaufbahn, während der Sommerferien ein kostenloses Schwimmbad in Containern (Essen, Gelsenkirchener Str. 181, zollverein.de).

Situation Kunst. Spannendes Ensemble im Park von Haus Weitmar mit Installationen und Skulpturen von Dan Flavin bis Richard Serra. Der neueste Museumstrakt "Unter Tage" zeigt "Weltsichten", Landschaftsmalerei vom 15. Jahrhundert bis heute. Außerdem ist viel Platz für Sonderausstellungen (Bochum, Nevelstr. 29c, Tel. 02 34/322 85 23, situation-kunst.de).

Halde Beckstraße. Eine der Halden des Bergwerks Prosper-Haniel. Hinaufführen gewundene Serpentinen sowie eine schnurgerade Treppe. Auf dem Plateau steht eine mächtige, pyramidenförmige Skulptur, der berühmte Tetraeder. Von hier aus reicht der Blick von Duisburg bis nach Gelsenkirchen (Bottrop, Beckstraße).

Landschaftspark Duisburg-Nord. 180 Hektar große Grünfläche mit Sommerfreiluftkino, Kletterpark in alten Erzbunkern oder einem Tauchbecken in einem ehemaligen Gasometer. Der Höhepunkt ist das alte Hüttenwerk Meiderich, wo einer von drei mächtigen Hochöfen bestiegen werden darf (Duisburg, Emscherstr. 71, landschaftspark.de).

Zeche Waltrop. Einheitliches, sorgfältig saniertes Ensemble von Backsteingebäuden aus dem frühen 20. Jahrhundert mit zahlreichen, über das Gelände verteilten Skulpturen. In den alten Kauen, den ehemaligen Umkleide- und Waschräumen, ist ein großer Manufactum-Laden. Die Spezialräder-Fabrikation von "Hase Bikes" im Magazingebäude kann nach Voranmeldung auch besichtigt werden (Waltrop, Landabsatz 25, hasebikes.com).

Zeche Schlägel & Eisen. Erst im Jahr 2000 geschlossenes Revier, das langsam umgewidmet wird. In den ehemaligen Umkleide- und Waschräumen finden Ausstellungen und Veranstaltungen statt (Herten, Glückauf-Ring 35–37, Tel. 023 66/18 09 26, schlaegel-eisen.de).

Blick zurück

Wie war das bloß unter Tage? Auf der Zeche Nachtigall in Witten können Besucher:innen das heute noch bei echten Grubenfahrten erleben (ca. 5½ Std., Tickets: 35 Euro inkl. Verpflegung, boerjenolte.de). Früh anfragen, die Touren sind schnell ausgebucht. Das gilt auch für die Touren auf dem Skywalk der Hochofenanlage Phoenix-West in Dortmund (Tickets ab 21,90 Euro, skywalk-dortmund.de). Rechtzeitig anfragen, es lohnt sich!

Brigitte

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