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Jütland im Winter Hier tankt ihr Energie fürs neue Jahr!

Jütland: Dünen und Strand mit einem Stück sichtbaren Meer. Der Himmel ist blau mit einem Wolkenband
© LGieger / Shutterstock
Nordjütland ist im Winter eine Drama-Queen. Brecher krachen über den Strand, Möwen kreischen in den Wolken, Böen fegen über die Dünen. Autorin Annette Rübesamen war begeistert von der wilden Frische und den hyggeligen Abenden.

Es dämmert schon, als ich zum Strand von Løkken hinuntergehe. Ein eisiger Januarwind peitscht übers Wasser. Das Meer tobt. Dunkle Brecher stürzen zischend über der Strandmole zusammen, darüber finstere Wolken und die letzten lila Schimmer der untergehenden Sonne. Eine Zeltwand flattert im Sturm, davor brennt ein Feuerchen im Sand. Kasper Nørgaard hat es angezündet, ein junger Guide, der Outdoor-Unternehmungen veranstaltet. Am Feuer stehen zwei dänische Ehepaare und wärmen sich an Emaillebechern mit dampfendem Kaffee. Sie sind aus demselben Grund hier wie ich: Wir wollen Bernstein suchen, das Gold des Nordens. Die dänische Westküste, heißt es, ist ein ergiebiges Jagdrevier.

Im Bann des Meeres: entfesselte Stürme und krachende Brandung

Kasper, ein lockerer Typ mit Zauselbart, händigt uns Neoprenanzüge aus und hohe Gummistiefel. "Gestern war Sturm, das ist ideal, denn der wirbelt den Bernstein vom Meeresboden hoch und spült ihn mit Seetang vermischt an Land", sagt er, während wir in die wasserdichte Kluft schlüpfen. Wir sollen am Strand suchen oder im flachen Wasser. Während die Ehepaare mit UV-Lampen in der Hand durch Tanghaufen wühlen und sich immer wieder über Bernsteinbröckchen freuen, Millionen Jahre alten fossilen Harz, der im Schwarzlicht aufleuchtet wie Zahnersatz in der Disco, fische ich mit einem großen Netz durch die Wellen. Glücklos, aber glücklich. Diese Atmosphäre! Was hier alles los ist im vergehenden Licht.

Immer tiefer wate ich ins eisige Wasser hinein, magisch angezogen von der donnernden Brandung, den tanzenden Schaumkronen im Wind. Längst habe ich den Bernstein vergessen. Ein Kitesurfer jagt wie wild über die Wellen, ein moderner Schimmelreiter, der anschließend seine Ausrüstung in den Volvo-Kombi mit den Kindersitzen auf der Rückbank werfen wird. Am Strand ziehen dick eingepackte Spaziergänger vorbei, mit Hunden, deren Ohren im Wind fliegen und die vor Begeisterung ganz außer sich sind. So wie ich.

Hier wollte ich mal einen anderen Winter erleben als immer nur Schnee, Ski und Berge.

Nord- und Ostsee fließen in Nordjütland ineinander. Hier wollte ich mal einen anderen Winter erleben als immer nur Schnee, Ski und Berge. Ich wollte entfesselte Stürme, krachende Brandung, weiten Himmel, knackig-kalte Temperaturen. Und zwischendrin Sauna. All das, hieß es, sei in Nordjütland zu haben. Am Nordzipfel des dänischen Festlands, wo der Wind mal aus dem eisigen Sibirien herantobt und mal etwas milder aus dem Westen. Wo was los ist am Himmel und im Wasser.

Das Saunafass ist schon eingeheizt, gleich hinter dem Strand von Løkken. Eine schwarze Röhre mit Panoramafenster in Richtung Meer. Man kann sie mieten. Ich werfe meine Neoprenschichten ab und setze mich hinein. Das Feuer im Bollerofen wirft einen orangefarbenen Flackerschein auf das Fenster und auf die Fischkutter, die dahinter im Sand liegen. Es ist heiß, so heiß, dass meine Haare glühen. Die heißeste Sauna meines Lebens. Lange halte ich es nicht aus, aber die kälteste Abkühlung meines Lebens ist ja nur hundert Meter entfernt, die Nordsee. Drei Grad Celsius hat sie laut Wetter-App. Mehr kann man von einem Tauchbad nicht verlangen.

Jütland schenkt mir neue Energie

Als ich zum Strand runterrenne, reißt mir der Wind das Handtuch vom Leib. Ich laufe in die schäumende Brandung hinein. Es ist Ebbe und dauert ewig, bis das Wasser tiefer wird. Irgendwann setze ich mich einfach hin, lasse die Wellen über mich hinüberlaufen. Einmal, zweimal. Erst spüre ich kaum was. Doch nach wenigen Sekunden fängt die Kälte an zu beißen, wird hart wie Metall, und ich muss schnell wieder aus dem Wasser. Und dann kommt das Schönste: Mein Herz klopft. Das Blut pocht in den Ohren. Die Haut prickelt, Feuer strömt durch meine Adern. Leben, Frische, Energie! Das gibt es in Jütland? Dann will ich mehr davon.

Jütland
© Pusteflower9024 / Shutterstock

Die meisten Touristen kommen in den langen hellen Sommermonaten nach Nordjütland. Jetzt im Januar stehen die Ferienhäuser, die zu Hunderten die Nordseeküste sprenkeln, zum Großteil leer. Das meine duckt sich in der Nähe des Städtchens Hjørring in wogende Dünen. Ein moderner Bungalow aus dunklem Holz, mit Fensterfronten, offener Küche, Sauna, Kamin. Das Meer liegt gleich hinter den Dünen. Vom Haus aus kann ich nur einen flachen Streifen sehen, doch der Brandungsdonner und der Wind, der das Dünengras flachlegt, verrät, dass unten die Action ist. 

Ein schmaler Sandweg führt zum Strand hinunter. Jeden Tag wandere ich dort entlang, kilometerweit, es ist wie eine Sucht.

Bis ans Ende der Welt könnte ich gehen, wenn die Wolken jagen, der Wind an meinem Anorak zerrt und die Möwen sich kreischend dagegenstemmen.

Ich finde Muscheln, Steine, ein winziges Fischgebiss, ich schmecke Salz auf den Lippen. Danach, statt müde aufs Ferienhaussofa zu fallen, könnte ich jedes Mal Bäume ausreißen. "Es liegt daran, wie das Land hier abrupt abreißt und zum Wasser abfällt", sagt Dorte Visby. "Am Verhältnis von Land zu Meer. Das setzt eine unglaubliche Kraft frei. Und die spüren wir alle hier." Wir stehen auf dem Kliff von Lønstrup, 15 Meter über der Brandung. Es weht so gewaltig, dass wir fast über die Abbruchkante geblasen werden. Dorte hat rote Backen und einen roten Wuschelkopf, dem die Böen nicht viel anhaben können. Hinter uns krallen sich ein paar vereinzelte Bäume in den Boden, die das Wetter zu absurden, horizontalen Skulpturen verformt hat.

Lønstrup: Goldschmiede, Maler, Keramiker

Lønstrup war früher mal ein Fischerdorf. Heute ist es Sommerfrische und Kunsthandwerkerkolonie. An der Dorfstraße reihen sich hübsch restaurierte Katen aneinander, in denen Goldschmiede, Maler, Keramiker am Werk sind. Dorte und ihr Mann haben vor einigen Jahren nicht weit von der Kliffkante einen riesigen Bauernhof aus dem 17. Jahrhundert gekauft und restauriert. In einem Flügel wohnen sie, im anderen hat Dorte, die selbst Keramikerin ist, eine große Galerie eingerichtet, in der sie Kunsthandwerk aus Dänemark und dem Rest der Welt ausstellt. Außerdem hält sie Schafe, die lustige schokoladenbraune Gesichter haben und sturmfest und völlig ungerührt in der Wiese grasen. "Schafe gehören hier einfach dazu", sagt sie und muss lachen. "Nur deshalb haben wir uns auch welche zugelegt."

Jütland: ein kleines weißes Holzboot liegt an einem Strand, vor einem dunklen Meer mit grauem Himmel
© Ms Jane Campbell / Shutterstock

Die Wintertage in Nordjütland sind kurz. Durch die großen Fenster im Ferienhaus kann ich immer schon ab drei Uhr zusehen, wie sich eine lavendelblaue Abenddämmerung über die Dünen legt und sie in etwas verwandelt, was verschwommen und zugleich realistisch aussieht, wie ein Bild von Gerhard Richter.

Ich gucke, bis das letzte Licht vergangen ist, dann mache ich Feuer im Kamin. Es gibt Tee, dazu einen Flødeboller, einen Schaumkuss, rosarot glasiert und so süß, dass er an den Vorderzähnen festpappt. Draußen rüttelt der Wind an der Holzfassade. Weit weg glüht in einem anderen Ferienhaus ein einsames warmes Licht. Wer auch immer dort sitzt, es fühlt sich an, als wären er oder sie und ich allein auf dieser Welt zurückgeblieben. Wahrscheinlich sollte ich mich durch das große Stürmen mal hinüberkämpfen, anklopfen und sagen, was Dänen in solchen Fällen sagen: "Hej hej!"

Töpfern in Tornby

Ich lasse es dann doch bleiben. Dafür klopfe ich am nächsten Tag bei Janice Hunter an der Tür. Die bewohnt im Nachbardorf Tornby das alte Schulhaus, stellt Keramik her und ist an Besuch gewöhnt. Draußen fegt ein nasskalter Wind um die Ecken, drinnen, im ehemaligen Klassenzimmer, ist es warm und behaglich. Weiches Januarlicht fällt durch die Sprossenfenster auf erdfarbene Keramikschalen, auf Topfpflanzen und allerlei Natur-Fundstücke in den Fenstern und Regalen: Gehäuse von Meeresschnecken, eine in Alkohol konservierte Natter, getrocknete Zweiglein, die wie fein ziselierte Kunstwerke in den getöpferten Vasen stecken. Ein paar schlichte Kerzen brennen und verströmen ihr warmes gelbes Licht.

Mittendrin sitzt Janice an ihrer Töpferscheibe, in Cordhosen und bunten Wollsocken, das Gesicht ungeschminkt, die langen grauen Haare ein bisschen zerdrückt. Entspannt und gemütlich sieht es aus. Hyggelig, das können sie in Dänemark. Wahrscheinlich, weil die Gleichung so einfach ist: je unfreundlicher draußen, desto heimeliger drinnen.

Es stellt sich heraus: Janice hat Geburtstag. Später sollen Gäste kommen. Wie viele? "Keine Ahnung", sagt das Geburtstagskind fröhlich. "Es ist ein Open House. Aber ich will hier erst noch ein paar Becher fertigmachen!" Die Töpferscheibe dreht sich, Janice’ Finger liegen sicher im weichen Ton, und sie lässt ihre 71 Jahre Revue passieren. Wie sie als gebürtige Engländerin vor über 40 Jahren zufällig in Tornby vorbeikam, dem kleinen Dorf. Sich in Peter verliebte, einen bärtigen Herings- und Dorschfischer. Ihn heiratete und ihre Werkstatt eröffnete. Schlichte Gefäße formt sie hier, glasiert sie dann in den Farben des Strandes, des Meers, der Wolken. Oder Miniaturskulpturen, die aussehen wie Muschelfragmente. Als hätte die Brandung sie ans Ufer gespült. Nebenbei töpfert sie mit traumatisierten Geflüchteten und Angstpatienten. Es kann ihnen nur guttun, denke ich. Selbst mir fällt es schwer, diese warme Insel des Lichts wieder zu verlassen.

Ganz schön frisch: Beim "Vinterbadefestival" auf Skagen

Am letzten Tag meines dänischen Winters stehe ich um acht Uhr morgens in einen Bademantel gehüllt in den Dünen von Skagen. Skagen ist die Halbinsel, die wie ein gekrümmter Zeigefinger von Jütlands Spitze in Richtung Schweden zeigt. Ein Sylt des Nordens, mit dottergelben Häuschen unter roten Ziegeldächern, einer Vergangenheit als Malerkolonie und Badehotels im Stil der Jahrhundertwende.

In der kalten Jahreszeit ist auch in Skagen wenig los, doch es ist "Vinterbadefestival", und deshalb tummeln sich an diesem Morgen, bei fünf Grad Lufttemperatur, weit über 300 Menschen am Strand. Im Winter im Meer zu baden ist ein dänisches Nationalphänomen. "Ach, meine Freundinnen und ich machen das jeden Morgen", hat mir eine Frau mit riesiger Hornbrille beim Umziehen im Garderobenzelt erzählt. "Wir treffen uns früh um sechs am Strand und gehen kurz ins Wasser. Ist besser als jeder Kaffee. Danach geht’s zur Arbeit."

Jütland: 5 ältere Frauen in Badeanzügen, Mützen und Handschuhen gehen zum Winterbaden ins Meer
© Marcus Norman / Shutterstock

Beim "Vinterbadefestival" dagegen machen wir erst mal ein paar Aufwärmübungen zu Schlagermusik. Dann geht es los. Im Gänsemarsch über die Düne, wo eisig der Wind pfeift. Dann weiter in die schäumende Brandung. Die meisten von uns sind nackt oder nackt mit Wollmütze. Manche tauchen nur kurz unter, andere bleiben länger drinnen, schwimmen sogar ein paarmal hin und her, bevor sie wieder an Land laufen. Danach gibt es heiße Zwiebelsuppe für alle im Zelt. Ein Mann schwenkt die Ziehharmonika, und alle singen mit, laut und so inbrünstig, dass die Bademäntel beben und die nassen Haarsträhnen erzittern. Die letzte Strophe endet auf "Paradies", das immerhin verstehe ich. "Die dänische Nationalhymne?", frage ich leise die Frau am Suppenausschank. "Nein, einfach nur ein Morgenlied!", sagt sie. Und strahlt.

Annettes Tipps für Jütland

Übernachten

Ferienhäuser Sologstrand. Ob in herrlicher Alleinlage oder im kleinen Ferienort – die Einrichtung der Häuser von "Sonne und Strand" ist meist hyggelig und hübsch designt. Ab ca. 300 Euro/Woche, sonneundstrand.de

Ruth’s Hotel. Eine Institution in Skagens Altstadt, die Anlage verteilt sich auf mehrere kleine Häuser, überall dominieren weiß lackiertes Holz und Meeresfarben (o.). Am hübschesten ist das "Strandhotel" aus dem 19. Jahrhundert. DZ/F ab 308 Euro, ruths-hotel.dk

Brøndums Hotel. Im Haus aus dem 19. Jahrhundert stiegen schon die berühmten Skagen-Maler ab, deren Werke im Museum gegenüber hängen. Höchst liebevoll frisch renoviert mit knarzenden Dielen, hübschen Tapeten, geölten Antiquitäten. DZ/F ab 127 Euro, broendums-hotel.de

Erleben

Keramik. Die Schüsseln und Vasen von Janice Hunter sind Unikate. Tornby, Gl. Skolevej 4a, nordjyskekeramikere.dk

Bernsteine. Kaspar packt die Teilnehmer wasserdicht ein für die Suche nach dem "Gold des Nordens". Zwei Stunden 20 Euro, outnature.dk

Meereswelt. Das "Nordsøen Oceanarium" in Hirtshals ist das größte Aquarium Nordeuropas. Sehr sehenswert, nordsoenoceanarium.dk

Winter am Meer. Infos über Nordjütland und das "Vinterbadefestival" unter visitdenmark.de

Genießen

Skagen Fiskerestaurant. in einem alten Hutzelhäuschen am Fischereihafen. Der Boden ist lässig mit Sand bestreut, die Tische schick weinrot eingedeckt. Lecker: in Weißwein gedünstete Miesmuscheln mit Pommes frites (skagenfiskerestaurant.dk).

Café Møller. Im Hafen von Hirtshals versorgt Lise Møller in ihrem modernen Glaskasten Touristen und Hafenarbeiter mit gebratenem Fischfilet, das mit Garnelen und Lachs dick belegt ist, oder einem Wintersalat mit Cashewnüssen (cafemøller.dk).

Dieser Text stammt aus der BRIGITTE WOMAN.

Brigitte

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