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Grönland So viel mehr als Eisberge

Grönland: Rotes Haus am Wasser
© Gulliver Theis
Trotz des Klimawandels gibt es in Grönland noch Eisberge. Die größte Überraschung für unsere Autorin waren die Teppiche aus Wollgras, Flechten und Moosen, die vielen Blüten. Und sie verstand: Grönland ist Grünland!

Wenn Makkak und Lars Nielsen im Sommer aus dem Fenster schauen, streifen ihre Blicke sanft abfallendes Land, wandern über das tiefblaue Meer ihres Fjords und bleiben an den weißen Bergen hängen. Flache Plateaus breiten sich aus wie Fußballfelder, Spitzen ragen in den Himmel wie geschrumpfte Matterhörner. Jeden Tag haben die Berge eine andere Form, verändern sich minimal oder dramatisch, mit donnerndem Geräusch, als wollten sie ihre althergebrachte Macht heraufbeschwören. Jahrtausendealte Materie auf dem Weg Richtung Süden, eingefangen von einer Strömung, die sie in den Fjord treibt.

Grönland ist bunt

Man rechnet damit, Eisberge zu sehen, wenn man nach Grönland reist. Man reist möglicherweise nur ihretwegen dorthin. Die schönste Überraschung aber, die man am Fjord Kangerluarsorujuk erlebt, wo die Nielsens wohnen, sind nicht die Eisberge. Es ist die Umgebung. Das Land, in das sich das rothölzerne Haus der Schafbauern duckt, ist leuchtend grün, strahlend gelb, betörend lila, bezaubernd weiß und prinzessinnenrosa, eine strotzende Vielfalt aus Gräsern, Flechten, Moosen, Blüten. Ein lebender Teppich im überdrehten Sonnenlicht, gewebt aus Hahnenfuß, Rittersporn, Erika, Glockenblumen, Fingerkraut und Wollgras. Grönland, Grünland, hier wird wahr, was der Legende nach nur ein böser Trick des Wikingers Erik des Roten gewesen sein soll: Aus Island wegen Mordes auf die noch eisigere Insel verbannt, gab er ihr den Namen Grönland, um andere Siedler anzulocken.

Grönland: Rote Kirche
Rot und gelb: Die Erlöserkirche in Grönlands Hauptstadt Nuuk ist nicht nur zur Löwenzahnblüte ein beliebtes Fotomotiv. Offizielle Gebäude wurden in den Zeiten des Kolonialismus grundsätzlich rot gestrichen.
© Gulliver Theis

Die Nielsens könnten stundenlang in ihrer Aussicht versinken. Ihre 550 Schafe sind sehr unabhängige Geschöpfe, sie klettern im Umkreis von 30 Kilometern die Hänge auf und ab und ernähren sich im Sommer selbst. Doch Makkak und Lars sind zu sehr damit beschäftigt, ihr Glück zu teilen. Sie beherbergen Gäste in einer heimeligen Hütte, bekochen und umsorgen sie mit selbst gemachter Lammwurst und hauseigenen Eiern.

Bei Makkak fühle ich mich Zuhause

Auf jeder Reise gibt es idealerweise einen Ort, an dem sich das Gefühl einstellt, zur Seele eines Landes vorgedrungen zu sein. Ich sitze am Tisch in Makkaks Küche, wo sie, die alterslose Schönheit mit den stets heiter wirkenden Zügen, behände einen Lachs zerteilt. Es fallen nur wenige Worte, Makkak spricht gebrochen Englisch, doch es reicht, um zu verstehen, dass ihr Mann Lars mit jungen 20 diesen Fjord für sich gefunden hat, eine Heimat fürs Leben und die Schafe, die er züchten wollte. Das ist nun fast 50 Jahre her. Zwei Söhne und eine Tochter haben sie großgezogen in Kangerluarsorujuk.

Den Fisch hat Lars eben noch aus dem dunklen Meer gezogen, beim nachmittäglichen Spaziergang hatte er uns auf seinem Quadbike überholt und fröhlich über die Schulter gerufen: "Ich hol mal schnell das Abendessen." 

In Kangerluarsorujuk gibt es keinen Supermarkt. Es gibt noch nicht mal Nachbarn.

"Nicht jeder ist für diesen Ort gemacht", sagt Makkak, und ich zeichne im Kopf den weiten Weg nach, der uns zu ihr geführt hat.

Grönland: Frau mit Kind lacht
Bunt und fröhlich: Makkak Nielsen hat fürs Foto ihre traditionelleInuit-Tracht angelegt, sehr zur Freude von Enkelin Panu.
© Gulliver Theis

Hier bewegt man sich fast nur übers Wasser fort

Allein zwei Tage braucht man, bis man in ihrem Land ist, dazwischen eine Nacht in der Peripherie um den Flughafen von Kopenhagen. Ich reiste mit schwerer Tasche, darin Mütze, Handschuhe, wollene Unterwäsche, Anorak. Letzteres übrigens ein aus der Sprache der Inuit entlehntes Wort.

Keine Rollen am Gepäck, so mahnte ein Merkblatt der Gastgeber, denn es gibt in Grönland kaum geteerte Straßen.

Jenseits der Hauptstadt Nuuk bewegt man sich fast nur auf dem Wasser fort. Durch Meerengen und Eisbergversammlungen fuhren wir gen Süden, über das schwarzblaue Meer die zerfurchte Küste entlang. Sie ist in Grönland spärlich besiedelt, allein ein Drittel der knapp 56 000 Bewohner der größten Insel der Welt leben in Nuuk. 80 Prozent der 2,16 Millionen Quadratkilometer Fläche des Landes sind von Eis bedeckt.

Das klingt bedrohlich und doch, so Kunuk, der Sohn, der Makkak und Lars einst beerben wird, schenkt die Kälte, der Winter, ihnen Freiheit. Weil dann Schneemobile die Wege verkürzen und der abgeschiedene Fjord nur noch eine schnelle Fahrt über den Berg von der nächsten Siedlung entfernt ist. Oft sitzen sie im Sommer fest auf der Farm, tagelang, weil Stürme toben oder Nebel das Meer bedeckt.

Fernbeziehung auf Grönländisch

Kunuk hat sich ein Haus auf das Farmland gebaut, doch seine Freundin Aviaaja und die zweijährige Tochter Panu leben in Nuuk. Aviaaja stammt aus dem Norden Grönlands, mit Stolz im Blick erzählt sie von der dortigen Natur, von Jagd und Hundeschlitten, wie es sie im Süden nicht gibt. Nie hätte sie damit gerechnet, dass sie sich während des Studiums in der Hauptstadt ausgerechnet in einen Südgrönländer verliebt. Und so lernt man, dass es selbst in einem so dünn besiedelten Land regionale Unterschiede gibt: Die Schafbauern aus dem milden Süden gelten den Jägern aus dem Norden als Weichlinge.

Grönland: Eisberge
Eis und gletscherblau: Eisberge sind abgebrochene Teile kalbender Gletscher, die blauen Adern, die sie durchziehen, bestehen aus Schmelzwasser. Über der Wasseroberfläche ist nur ein Bruchteil ihrer Masse sichtbar.
© Gulliver Theis

Die Liebe aber hat einen Teilsieg errungen, Aviaaja wollte kaum glauben, was sie sah, als sie Kunuk zum ersten Mal in seinen Fjord begleitete: "Es kam mir vor wie ein Märchenland." Mit der gemeinsamen Tochter verbringt sie nun Ferien und Wochenenden in Kangerluarsorujuk.

Wir führen eine moderne grönländische Beziehung 

Doch Aviaaja will ihren Job als Sportbotschafterin im Dienst der Regierung nicht aufgeben, und erst recht nicht ihre Freiheit. "Wir führen eine moderne grönländische Beziehung", sagt sie mit Nachdruck in der Stimme. Das heißt unter anderem: Wenn das Wetter verrücktspielt, muss sie einen Helikopter-Shuttle organisieren, um pünktlich ihren Dienst in der Hauptstadt anzutreten.

Die Farben der Häuser haben alle eine Bedeutung

Wer Kangerluarsorujuk unter normalen Bedingungen besuchen will, braucht mit dem Boot eine gute Stunde von Qaqortoq, dem Zentrum Südgrönlands. Zentrum, das heißt hier: 3200 Einwohner, ein Hotel, zwei Hostels, ein Pub. Qaqortoq ist ein freundlicher Ort, wenn das Sonnenlicht den Himmel so blank putzt, wie es nur im arktischen Sommer geschehen kann. Manchmal sind die Konturen derart scharf, dass einem die Augen schmerzen. Bunte Holzhäuser stehen auf den Anhöhen, die Farben dienten zur Zeit des Kolonialismus nicht der Schönheit, sondern markierten die Funktionen der Gebäude. Rot waren Verwaltung und Handelshäuser, gelb das Krankenhaus, blau die Fischereizentrale, grün das Fernmeldeamt, schwarz die Polizei.

Ein Bächlein bahnt sich seinen Weg durch löwenzahngelbe Wiesen, vorbei an einem ochsenblutroten Gotteshaus mit zartem Glockenturm. Auf dem Dach eines Bootshauses sonnt sich die Jugend temperaturgerecht in Neopren-Anzügen, vor dem Supermarkt verkauft ein etwas zerzauster Grönländer selbst geräucherten Fisch. Im Inneren des Ladens würde man danach vergeblich suchen, auch auf der Speisekarte des Hotels stehen Burger, nicht die Rohstoffe des Landes, frischer Fisch, Rentier- oder Moschusochsenfleisch.

Grönland: Bunte Häuser
Inselmetropole: Mit gut 3200 Einwohnern ist Qaqortoq die fünftgrößte Stadt Grönlands.
© Gulliver Theis

Wer Grönland kennenlernt, kann seine Brüche, seine Wunden nicht übersehen. Inunnguaq Hegelund hatte uns gewarnt in einer flammenden Rede an unserem zweiten Tag in Nuuk. Dort, wo die meisten Menschen wohnen, versammeln sich naturgemäß jene, die die Zukunft ihres Landes gestalten wollen. Wie Hegelund, der junge Koch von zierlicher Gestalt, der sich mit hochgezogenen Schultern in einer Daunenjacke verschanzte, als wollte er seinem Ärger damit Nachdruck verleihen.

In einem holzgetäfelten Pub der Hauptstadt, der sich seit Jahrzehnten mit antiquierten Kajaks und Skiern schmückt, und früher, so Hegelund, räudiger Schauplatz von Schlägereien und Drogendeals war, hat er ein Restaurant eröffnet – zunächst als Pop-up-Restaurant, das vielleicht nach einer Winterpause wieder aufmacht.

Er servierte Lokales, erforschte die Möglichkeiten von Fermentierung und die Toleranzgrenzen seiner Gäste mit eingelegtem Seegras und weich gekochtem Eisbärenfleisch.

Er reist durch das Land, sammelt die Rezepte der Alten in den entlegenen Siedlungen. Mit funkelnden Augen erzählt er von seinen Begegnungen. Im selben Fjord, an gegenüberliegenden Küsten, hätten die Menschen früher eigene kulinarische Traditionen entwickelt, andere Wörter in ihrer Sprache benutzt, nur getrennt von ein paar Hundert Meter Meer. Heute kauften alle in Supermärkten Importware aus Dänemark und jede Menge Alkohol. Ein Schlüssel zur mangelnden Unabhängigheit, meint Hegelund.

Die Grönländer haben ein neues Selbstbewusstsein entwickelt

Die Dänen waren bis 1979 die Herren Grönlands. Die Ankunft der Europäer zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte das Leben der Inuit von Grund auf verändert. Der Gemeinschaftsgedanke, das Teilen und Tauschen wurde durch Geld und Handel ersetzt, die Mythen und Erzählungen der Heimat durch die Lehre der Bibel. Ein Volk von Jägern musste sich mit Fangquoten und Tierschutz arrangieren, wurde in brutalen Umsiedlungsprogrammen aus Natur und Weite in städtische Wohnblocks verpflanzt. Und sucht bis heute nach einer eigenen Identität.

In Nuuk, der Hauptstadt, ist die Geschichte spürbar wie kaum an einem anderen Ort. Vor der Kulisse historischer Holzhäuser üben Kajakfahrer mutige Kenterrollen, am kleinen Strand waten Kinder barfuß durchs eisige Wasser, die Wohnkasernen im Hintergrund ragen wie ein böser Kommentar in das idyllische Bild.

Grönland: Gelbes Nuuk-Water-Taxi im Wasser
Tagesfisch: Wunderschön ist der Ausflug in den Fjord von Qooqqut, wo ein kleines Restaurant aus dem, was die Gäste unterwegs gefangen haben, asiatische Gerichte zaubert.
© Gulliver Theis

Doch hinter den Kulissen wirken Vertreter einer neuen Generation von Grönländern, die nicht wie ihre Eltern in resignativer Wut verharren, sondern mit Stolz die eigene Kultur zurückerobern.

Nivi Christensen, die Leiterin des Nuuk Kunstmuseums, ist die erste grönländische Kunsthistorikerin, die es je gegeben hat. Sie ist in einem kleinen Dorf im Osten des Landes groß geworden, hat in Kopenhagen studiert und gearbeitet. Als die Stelle in Nuuk ausgeschrieben wurde, wusste sie, dass sie sich bewerben muss: "Ich hatte das Gefühl, ich hätte sonst nicht mehr das Recht, mich über die mangelnde Rezeption grönländischer Kunst zu beklagen." 

Christensen hat alles umgekrempelt in dem Museum, das Werke einheimischer Künstler von frühesten Tagen bis zur Gegenwart zeigt. "Nur drei Bilder hängen noch da, wo sie vorher waren", erzählt sie lachend über einen mächtigen Babybauch hinweg. Vor ein paar Monaten hat sie geheiratet: "Wir haben die Feier zwei Tage vorher angekündigt, und es kamen über 60 Leute. Das würde in Kopenhagen nie passieren." Ihre Ausstellungen gehen auf Reisen in ganz Europa, doch Nivi Christensen will vor allem eines: ihren Landsleuten die Deutungshoheit über die eigene Geschichte zurückgeben. "Nur wenn das Museum für uns relevant ist, kann es Besuchern etwas erzählen."

Grönland: Nivi Christensen
Guter Hoffnung: Nivi Christensen ist die erste grönländische Kunsthistorikerin, die es je gegeben hat. Sie leitet das Kunstmuseum in Nuuk.
© Gulliver Theis

Einmal pro Woche verlässt die "Sarfaq Ittuk" den Hafen von Nuuk, um die Orte des Südens anzusteuern. Reist man mit, lässt sich sehr unmittelbar erfahren, was Distanzen hier bedeuten. Am Pier stehen Mütter, Väter, Liebende, um Abschied zu nehmen. Zwei Frauen halten einander still im Arm, gut eine halbe Stunde lang, eine junge Frau bittet inständig, über die fast schon entfernte Gangway an Bord gehen zu dürfen. Es wird ihr gewährt, sie nimmt ihre Kinder ein letztes Mal in den Arm, kehrt mit unsicherem Schritt zurück, winkt und winkt vom Ufer, versucht ein Lächeln dabei. Fast alle, auch die Männer, weinen, als das Schiff endlich ablegt.

Die Natur ist zu mächtig für Reisepläne

Wo immer es ankommt, herrscht das gleiche Ausmaß an Freude. Kleine Empfangskomitees schwenken Papierfähnchen mit der grönländischen Flagge, als kämen Staatsgäste zu Besuch, alle liegen sich überglücklich in den Armen. Reisepläne sind unwägbar in Grönland, zu mächtig ist die Natur. Wir fuhren von Nuuk bis Qaqortok, zwei Tage und eine Nacht lang. Zusammen mit stoisch gelassenen Grönländern und ausgelassenen Frauengruppen, die, stets ein Strickzeug im Anschlag, die Zeit verplauderten.

Der Wind peitschte den Ozean zu meterhohen Wellen, im Café schlitterten die Suppenteller über die Tische, als speisten wir in einer Achterbahn, die Kinder schrien vor Vergnügen. Das schwere Schiff stampfte trotzig, nachts verkeilten wir uns in den Kojen. Kaum vorstellbar, dass sie die Wege auf dem Wasser hier Straßen nennen, dass winzigste Boote alltägliche Verkehrsmittel sind, mit denen auch wir oft stundenlang über das eisige Meer fuhren, von Nuuk aus zum Abendessen in ein Restaurant in einem einsamen Fjord, von der Stadt Qaqortoq zum Bad in den heißen Quellen von Uunartoq. Man dümpelt dort sehr behaglich in natürlichen Becken inmitten von blühendem Heideland, die Nase im eiskalten Wind, im Fernblick die Schneereste auf den Bergen. An einem sonnigen Tag herrschte reger Betrieb, fröhliche Familien gaben sich an der Anlegestelle die Festmacher in die Hand. Und doch ist jeder Ausflug ein Vabanquespiel.

Man darf nicht zimperlich sein als Reisende in der Arktis, das Leben dort gibt eine andere Gangart vor.

Nur wenige machen in der Kälte Urlaub, und weil die Möglichkeiten der Unterbringung überschaubar sind, grüßt man sich immer wieder an den entlegensten Orten. Auf der Terrasse der Herberge von Igaliku, einem winzigen Dorf, das sich östlich von Qaqortoq an einem tiefen Fjord versteckt, herrschte zum Sonnenuntergang täglich Hochbetrieb. Es trafen sich Rentner aus Österreich mit des Mittelmeers müden Hochseeseglern aus Mallorca und erschöpften Geologiestudenten aus Oslo.

Die quirlige Schicksalsgemeinschaft ist ein seltsamer Kontrast zum trägen Frieden des kleinen Dorfes. Jeden Tag schwärmten die Besucher auf Wanderrouten aus, kaum wahrgenommen von alten Inuit-Frauen, die auf Bänken am Wegesrand verharrten und lieber der Sonne beim Wandern zusahen. Gemeinsamer Taktgeber für alle: die Öffnungszeiten des Dorfladens, zwei Stunden am Nachmittag, um zu kaufen, was jeder so braucht, Gummibärchen, Tiefkühlgemüse, Gewehre.

Grönland: Rotes Haus in der Natur
Alte Heima: In Igaliku gibt es zwei Herbergen, von denen aus Touristen wandern gehen. Inuit leben hier seit Langem nicht mehr.
© Gulliver Theis

Eine Reise in eine archaisch anmutende Welt

Ellen Frederiksen ist Lehrerin in Qassiarsuk, einen Fjord weiter nördlich, Erik der Rote hat sich hier 982 niedergelassen und die erste christliche Kirche auf dem nordamerikanischen Kontinent errichtet. Ellens Mann Carl ist ein Enkel des dänischen Schafzüchters, der das Dorf 1924 gegründet hat. Ellen beherbergt Gäste, bewirtet sie mit phänomenalem Lammbraten, ihr Geheimnis sind die verwendeten Kräuter. Gesammelt in Saqqamiut, dem verlorenen Paradies ihrer Kindheit. Ellens Großvater war Jäger, ihre Großmutter Geburtshelferin in jener Siedlung, die lange verlassen ist.

Wenn Ellen von früher erzählt, reist man mit ihr in eine archaisch anmutende Welt. Die Wand ihres Wohnzimmers schmückt ein Bild aus Vogelhäuten, ihre Großmutter hat es gefertigt, hat mit Muscheln das Fett von der Pelle gekratzt. Frühgeburten wurden einstmals in Federkleider gehüllt, mit den Knochen der Vögel spannte man Robbenfelle, in Vögelköpfen wurde Robbenfett transportiert, sie aßen es gern mit getrocknetem Fisch. Ihre Großeltern waren die letzten, die Saqqamiut verlassen haben, 1960. Sucht man heute nach dem Namen des Dorfes im Internet, taucht er nur in der Bodenstudie eines Energiekonzerns auf, der dort nach Gas- und Erdölvorkommen forscht.

Grönland: Naturpool mit Blick auf Gletscher
Badetag: Die „Uunartoq Hot Springs" sind ein beliebtes Ziel für sommerliche Familienausflüge. Planschen mit Blick auf spektakuläre Gletscher gefällt schließlich Jung und Alt.
© Gulliver Theis

Auf der anderen Seite des Fjords liegt der ehemalige Militärflughafen Narsarsuaq, die USA unterhielten dort bis 1958 einen Stützpunkt. Im Heimatmuseum ist die Vergangenheit der Airbase dokumentiert: Marlene Dietrich ist zu sehen, die Stöckelschuhe mit schweren Wanderstiefeln tauscht, eine Gedenktafel zu Ehren jener Soldaten, die "The Raven Roost", eine Tanzbar, selbst gebaut haben, als Washington ihnen das Geld dafür verwehrte, Karikaturen, die die gefühlte Strafversetzung ins ferne kalte Land verarbeiten: "12 Months on the Rocks“. Zwölf Monate "auf Eis". Die Inuit leben seit mehr als 4000 Jahren in der Arktis.

In Narsarsuaq treffen sich alle Besucher Südgrönlands, um wieder nach Hause zu fliegen. Es gibt in der Maschine niemanden, der nicht nach unten blickt, auf den Eispanzer, der das Land bedeckt. Erst von dort oben bekommen sie eine Ahnung, wo sie wirklich gewesen sind.

Martinas Reisetipps für Grönland

Hotels

Hotel Hans Egede. Die Arktis ist kein Ort für Deko-Schnickschnack und gehobene Innenarchitektur. Selbst das erste Haus der Hauptstadt, zentral gelegen, ist im schlichten skandinavischen Design gehalten. DZ/F ab 300 Euro (Nuuk, Aqqusinersuaq 1–5, Tel. 34 80 00, hhe.gl).

Inuk Hostels. Einfache, aber gemütliche Hütten mit schönster Aussicht auf einen Fjord, 20 Minuten Fußmarsch vom Zentrum entfernt. Das zugehörige Café bietet gutes Essen und Panoramafenster. DZ ab 133 Euro (Nuuk, Qernertunnguit Kangerluat, Tel. 32 21 28, inukhostels.gl).

Siniffik Inn. Mit viel Charme beherbergt Besitzerin Heidi die Gäste in ihrem weiß strahlenden Holzhaus. Wer als Erster vom Wandern zurückkommt, freut sich über den schönsten Sonnenplatz des Ortes auf der Terrasse des zugehörigen Cafés. DZ/F ab 110 Euro (Quaqortoq, Aaninngivit B 242, Tel. 64 27 28, siniffik-inn.dk).

Kangerluarsorujuk Schaffarm. Wer die Schönheit Südgrönlands ganz für sich haben will, mietet sich bei Makkak und Lars ein. Eine warme Hütte auf ihrem Farmland im entlegenen Fjord bietet grandiose Ausblicke auf Meer und Eisberge. Sonst gibt es nichts zu tun, außer die rührende Gastfreundschaft zu genießen. DZ/F ab 100 Euro (Kangerluarsorujuk, Tel. 19 92 07).

Igaliku Country Hotel und Gardar Hostel. Der Tourveranstalter Blue Ice Explorer betreibt zwei Herbergen in der idyllischen Siedlung Igaliku, die eine gute Basis für Wandertouren ist. Die Auswahl reicht von Mehrbettzimmern im Hostel bis zu komfortablen Holzhütten. Das bodenständige, gute Essen im Café ist für alle gleich. DZ/F im Hostel ab 86 Euro, Hütte/F ab 234 Euro, DZ/F im Hotel ab 179 Euro (Igaliku, Blue Ice Explorer, Tel. 497371, blueice.gl).

Bed & Breakfast Illunnguujuk Qassiarsuk. Gastgeberin Ellen Frederiksen macht den besten Lammbraten der Welt und ist außerdem eine Quelle für spannende Geschichten aus dem traditionellen Leben der Inuit. DZ/F ab 96 Euro (Qassiarsuk, Tel. 49 71 85).

Restaurants

Kalaaliaraq Gastropub by Hegelund. Inunnguaq Hegelund, der Botschafter der grönländischen Küche, experimentiert in seinem Restaurant mit allem, was auf der Insel wächst und gedeiht. Nach dem ambitionierten, wohlschmeckenden Essen wird sein Lokal wieder das, was es immer schon war: der heimelig ruppige Pub "Takuss" (Nuuk, Imaneq 30).

Cafe Toqqorfik. Vor dem kleinen Café am historischen Hafen kann man an milden Tagen sogar im Freien sitzen und mit glücklichen Grönländern Eiscreme essen. Außerdem im Angebot: ein Tapas-Menü aus grönländischen Spezialitäten, also Fisch, Lammpastete und Rentierschinken (Nuuk, Hans Egedesvej 29, Tel. 25 79 72).

Einkaufen

Atlantic Music Aps. In einem kleinen Holzhaus schlägt das Herz der grönländischen Musik. Plattenladen, Labelbüro, Aufnahmestudio, wer sich das Land erhören möchte, bekommt hier bisweilen sogar Beratung von Chris und Frederik Elsner, den Köpfen der berühmtesten grönländischen Band Nanook. Ihren Eltern gehört der Laden (Nuuk, H. J. Rinksvej 7, atlanticmusicshop.gl).

Erleben

Nuuk Kunstmuseum. Über vier Häuser erstreckt sich die Sammlung grönländischer Kunst von frühesten Tagen bis zur Gegenwart, wechselnde Ausstellungen ergänzen das Programm. Die Macher haben einen Artwalk konzipiert, den Plan dazu gibt es im Museum (Nuuk, Kissarneqqortuunnguaq 5, nuukkunstmuseum.com).

Nationalmuseum Nuuk. Exponate aus Inuit-Kultur und Kolonialzeit erzählen, mit viel Sorgfalt und Wissen kuratiert, die wechselvolle, nicht immer glückliche Geschichte des Landes (Nuuk, Hans Egedesvej 8, nka.gl).

Catch & Eat Tour. Die einstündige Bootsfahrt zwischen Eisbergen und den Höhenzügen der Küste endet in der idyllischen Abgeschiedenheit der Siedlung Qooqqut, wo ein kleines Restaurant asiatisch inspirierte Küche serviert. Den frischen Fisch dafür darf man auf der Fahrt selbst angeln. Gruppencharter für insgesamt sechs Personen ca. 800 Euro (Start in Nuuk, Tel. 54 56 90, watertaxi.gl).

Uunartoq Hot Springs. Die tollste Badewanne der Welt liegt eine zweieinhalbstündige Bootsfahrt von Qaqortoq entfernt. Der lokale Veranstalter "Greenland Sagalands" bringt Sie hin, unterwegs werden oft Wale gesichtet. 38 Grad warm ist das Wasser in den natürlichen Thermalbecken, an Sonn- und Feiertagen teilt man sich das Vergnügen mit grönländischen Familien auf Festtagsausflug (Qaqortoq, Vatikanbakken 68, Tel. 64 24 44, sagalands.com).

Wandertouren um Igaliku. Von Igaliku aus lässt sich die südgrönländische Landschaft am besten erlaufen. Eine leichte Tagestour führt auf ein Plateau mit Panoramablick auf die Eismassen im Fjord Qooroq, der bis an die Gletscher des Inland-Eises heranreicht.

Kajakausflug in der Tasiusaq Bay. Die Eisberge von der Wasserlinie aus betrachten und dabei in der Stille versinken: Hält man die Paddel ruhig, kann man die blauen Schönheiten leise knacken und knistern hören. Eine zweistündige Tour kostet 85 Euro (Tasermiut South Greenland Expeditions, Tel. 66 50 10, tasermiut.com).

Unbedingt probieren

Man sollte nicht abreisen, ohne südgrönländisches Bier zu trinken. Die großartigen Flaschen-Etiketten der Marke Qajaq zeigen Robben, Eisberge, Narwale und Moschusochsen. Köstlich: Die Craftbiere aus Narsaq, mit Schmelzwasser der Eisberge gebraut.

Lieber lassen

Es wäre töricht, die Warnungen vor Mückenplagen im Sommer zu ignorieren.

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