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Bayerischer Wald Der Woid ruft

Bayrischer Wald: Der große Arber
© Florian Jaenike / Brigitte
Gipfelblick und Fichtenduft: Der Bayerische Wald ist ein Glücksfall für Naturverliebte. BRIGITTE-Autorin Nicole Schmidt kam jedenfalls ganz beseelt zurück.

Gerade eben am Parkplatz zum Silberberg dachte ich noch morgenmuffelig: Warum bloß bin ich so früh aufgestanden, nur um pünktlich um sieben Uhr zwischen Bäumen herumzutappen. Aber dann kam der "Woid Woife", wie sich mein Wanderführer auf Bayerisch vorstellte und gleich über mein Fragezeichengesicht lachte. "So sagen alle zu mir, auf Hochdeutsch heißt das einfach Wald Wolfgang."

Der Woife ist ein Bär von einem Mann, groß, stark, Vollbart, Filzhut, kariertes Hemd, blitzblaue Augen, Wanderstock. Gemütlich lehnte er sich gegen einen Baum, griff ins Laub, ließ feuchte Erde und Tannennadeln durch seine Hände rieseln. "Ist es nicht wunderschön, wenn der Bayerische Wald erwacht?" Und plötzlich ist der Schalter umgelegt, und ich bin angefixt. Die Luft riecht unfassbar rein. Tautropfen glitzern auf Farnen. Letzter Nebel wabert über einem glasklaren Bach.

Der, der mit den Tieren sprechen kann

Habe ich Harz je so intensiv gerochen, Vögel so intensiv zwitschern hören? Über uns in den Ästen, das sind Buchfinken, sagt der Woid Woife und setzt an, trillert "Tit-it-it-it-it", und am Ende klingt es wie: "Bring mir noh a Bier." Und wirklich, sie antworten! Es ist, als ob er mit ihnen spräche. "Meine Freunde, wie viele Waldtiere hier. Ich bin so dankbar, dass sie mir Vertrauen schenken. Das geht nur, weil ich die Krone der Schöpfung an einen Baum hänge und mich als Teil des Ganzen fühle. Und mit ganz viel Ruhe und Zeit."

Er ist ein echter Waldler, wie sich die Menschen hier im Bayerischen Wald nennen. Wolfgang Schreil hieß er im früheren Leben, war Bodybuilder, Kraftakrobat, Deutscher Meister im Steinheben, Totengräber. Vorbei. Am liebsten sitzt er allein vor seinem Bauwagen tief drinnen im Unterholz, kümmert sich um verletzte und verwaiste Marder, Meisen, Rehe, streift herum, wartet. Stundenlang, tagelang, fotografiert, schreibt Bücher über sein Leben im Wald. Aber manchmal nimmt er auch Gäste mit auf Tour.

Hier findet jeder genügend Plätzchen, wo er seine Ruhe hat.

Als wir weitergehen, langsam und mit Bedacht, Fährten suchen, von Mäusen fein abgenagte Fichtenzapfen und seltene Kräutlein finden, er von seinem Erlebnis mit einem Luchs erzählt, komme ich mir wie auf einer Safari irgendwo im Outback vor und nicht wie auf dem "Natur-Entdecker-Pfad" um die Ecke vom Urlaubsort Bodenmais. Woid Woifes Heimat. "Ich gehöre hierher“, sagt er. "Wir haben so eine große Artenvielfalt, noch feuchte Wälder, echte Wildnis, durch die Höhe ist es auch schön frisch im Sommer. Und jeder findet genügend Plätzchen, wo er seine Ruhe hat."

Gar nicht so hinterwäldlerisch

Ich war mir da nicht so sicher, bevor ich zu meiner Reise durch das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas aufbrach – vom tiefsten Punkt an der Donau hinter Passau bis hinauf auf den Großen Arber, mit 1455 Metern der höchste hiesige Berg. In meinem Kopf hatte ich ein nebulöses Bild von einer abgehängten Region im äußersten Südosten Deutschlands, bestückt mit 70er-Jahre-Charme-Pensionen und farblosen Orten, bevölkert von wortkargen Leuten.

Mir war schon klar, dass das Vorurteile sind, und dachte: Wie auch immer, ein paar Tage Wandern tun mir auf jeden Fall gut. Aber nie hätte ich mit so einer offenen, beinahe lieblichen Natur in den Tälern gerechnet. Mit so vielen sanft geschwungenen bewaldeten Bergketten dicht hintereinander, bis sie in der Ferne mit dem Himmel verschmelzen. Mit so vielen leicht ersteigbaren Über-1000-Meter-Gipfeln, auf denen mir vor lauter Glück die Tränen kommen. Und mit so gelassenen, echten Menschen, die frischen Wind in ihre Welt bringen, aber dabei sehr darauf achten, sie zu schützen.

Schon in Waldkirchen, keine Autostunde nördlich von Passau, wird mir klar: So hinterwäldlerisch sind sie gar nicht, die Waldlerinnen und Waldler. Sehr hübsch haben sie sich ihr Städtchen gemacht, mit sorgfältig renovierten Barockhäusern in Pastelltönen, einem schmucken Marktplatz, einem Dorfladen mit regionalen Produkten. Und dem Modehaus "Garhammer", das einst als Kolonialwarenhandlung gegründet wurde und sich inzwischen ansprechend inszeniert über 13 Gebäude erstreckt.

Gut beraten und verpflegt

Nein, beschließe ich, heute kein Wandern – wenn es schon mal eine persönliche Gratis-Einkaufsberaterin gibt … "Ich bringe Ihnen alles außer Trachten, auch die passende Kette oder Unterwäsche", sagt die nette Dame. Danach setze ich noch einen drauf und speise gepflegt in der obersten Kaufhaus-Etage mit Blick auf die anmutige Hügellandschaft ein Mittagsmenü für 49 Euro bei Sternekoch Michael Simon Reis: "Ganz Bayerwald-Geschmack: erdig, getreidig, kräutrig, mit süßer Note." Schaumsuppe aus Pastinake, Saibling mit Bärlauch-Graupen und Brust vom Bauernhendl mit Kohlrabi. Und zur Verdauung "Bärwurz", einen Klaren aus der Bärwurzpflanze. Gibt’s beim Penninger um die Ecke, einer hochmodernen, CO₂-neutralen Familienbrennerei.

"Wir sind schon ein eigener Schlag. Eher bescheiden und bedächtig, nicht so laut und krachledern wie die Oberbayern. Überhaupt nicht schlimm, wenn wir unterschätzt werden. Wir können überraschen. Und wie!" Diese Worte von Chef Stefan Penninger schwingen in mir nach, als ich weiter gen Norden fahre, tief hinein ins Herz des Bayerischen Waldes, wo die Bäume immer dichter stehen, die Täler enger und die Berge höher werden.

Im Nationalparkzentrum Lusen bei Schönau bin ich mit Rangerin Christiane Schopf verabredet. Wir spazieren durch urwüchsige Landschaft mit riesigen Freigehegen. Zwischen mächtigen Fichten erspähe ich zwei Elche, ich schaue einem Waldkauz in die Augen, will gar nicht weggehen von dem friedlich grasenden Wisent auf der sonnigen Wiese. Bären, Luchse und Wölfe lassen sich heute nicht blicken. Egal! "Sind eben alles wilde Tiere, die immer schon durch den Bayerischen Wald zogen", sagt die Frau in Khaki neben mir.

Die Geburt eines deutschen Urwalds

Nur ein paar Schritte abseits des Rundweges, und ich tauche ein in den Bergwald. Majestätisch die Methusalem-Fichten, die Buchen und Tannen. Knorrig, turmhoch, mit moosigen Füßen. Dazwischen umgestürzte, wild durcheinander gefallene Bäume, besiedelt von fußballgroßen Pilzen, aus der Erde herausgerissene Wurzelteller, nach Moder riechende hohle Stümpfe, in denen Insekten und anderes Kleingetier herumwuseln. "Hier darf sich der Wald seit der Gründung des Nationalparks vor mehr als einem Jahrhundert ändern, wie er will", schwärmt Christine Schopf. "Egal, wie stark ihm Stürme, Schnee, Borkenkäfer oder Pilze zusetzen. Er ist immer in Bewegung. Der Mensch schaut nur zu, wie sich die Natur regeneriert, aus Totholz neues Leben entsteht", sagt sie und zeigt auf eine lichte Stelle, wo sich im Schatten kinderkleine Birken, Vogelbeeren und Pappeln, Schösslinge von Buchen und Fichten Konkurrenz machen. "Nirgends sonst gibt es so schöne ursprüngliche und vielfältige Waldbilder. Es ist die Geburt eines deutschen Urwaldes", sagt die Rangerin.

Bayrischer Wald: Baumwipfelpfad
Hoch hinaus Über dem Blätterdach spazieren – auf dem Baumwipfelpfad im Nationalpark
© Florian Jaenike / Brigitte

Im Nachhinein betrachtet ist es also gar nicht so schlimm, dass der Bayerische Wald als Grenzregion zu Tschechien lange so abseits lag, denke ich beim Weiterfahren. Das hat die Natur gerettet und verhindert, sie zum Disneyland herauszuputzen, wie ich das hier und da im Schwarzwald erlebt habe. Und gerade deshalb setzen vor allem junge Leute wieder Vertrauen in ihre Heimat. Froh darüber, dass es hier entspannter zugeht, krempeln sie die Ärmel hoch und holen den Mief raus.

Hier ist die Welt noch in Ordnung

Wie in Zwiesel und Bodenmais, wo sie die alte Kunst des Glasmachens nicht sterben lassen wollen und ich zwischen dem beinahe schon erschlagenden Angebot im "Joska Glasparadies" einer jungen Frau über die Schulter schaue. Irre, wie sie in Minuten dank Feuer und allerlei Werk-zeugen Röhrchen in eine farbenfrohe Duftöllampe verwandelt. Ihr eigener Entwurf. "Der Job meines Lebens", sagt sie. "In Berlin hätte ich keine Chance. Aber hier ist dieses Handwerk wieder im Kommen." Oder im beschaulichen Sankt Englmar, wo ich mir im Mitmach-Museum Xperium tausendfach widergespiegelt vor lauter Lachen den Bauch halte und später im Wellnesshotel "Maibrunn" in der Bergkräutersauna schwitze. Oder im Lamer Winkel, wo ich umgeben von grandioser Berglandschaft zum uralten Einödhof "Hinterwaldeck" hochlaufe. So charmant und behutsam modernisiert. Zuletzt von der Tochter des Hauses, Anna Frisch, die aus der Schweiz zurückkam und mit ihrem Mann den Hof in siebter Generation übernahm. Gern führen sie Gäste herum, bewirten sie mit Brotzeiten. Und denken nicht daran, wegzugehen. "Bei uns ist die Welt noch in Ordnung", sagt sie.

Bayrischer Wald: Brotzeit
Schlemmen Brotzeit im Eindödhof "Hinterwaldeck"
© Florian Jaenike / Brigitte

Und über allem lockt der Große Arber, der Königsberg im Bayerischen Wald. Klar, da will ich auch hoch, bequem mit der Gondelbahn zum Gipfel. Und bin erst mal wieder miesepetrig. Von wegen erhaben. So ein Trubel! Aus der Hütte riecht es nach Pommes-Fett, Satellitenantennen und kugelförmige Radaranlagen stehen herum. Doch zum Glück hat der Arber ja nicht nur einen, sondern insgesamt gleich vier Gipfel.

Also gehe ich zum nächsten, der lässt sich in einer knappen halben Stunde leicht erklimmen. Und dann stehe ich allein ganz vorn am Felszipfel, nur geschützt durch ein durchhängendes Seil. Sehe unter mir zwei tiefdunkelblaue Seen, blicke über ein nicht enden wollendes hoch gewelltes Meer von Bäumen, höre, wie der Wind bläst, sauge die Grüntöne auf. Und in diesem magischen Moment denke ich: Woid Woife, du hast recht!

Bayrischer Wald: Kleiner Arbersee
See(len)ruhe am Kleinen Arbersee
© Florian Jaenike / Brigitte

Nicoles Tipps für den Bayerischen Wald

HINKOMMEN & RUMKOMMEN
Der Bayerische Wald breitet sich in Ostbayern zwischen Donau und Böhmerwald auf einer Länge von 100 Kilometern und mit Gipfeln bis zu 1455 Meter Höhe aus – vom Passauer Land im Süden bis zu Cham am Fluss Regen im Norden. Sein berühmtester Teil ist der Nationalpark Bayerischer Wald entlang der Grenze zu Tschechien, 1970 gegründet und damit Deutschlands erster. Der Goldsteig, mit 660 Kilometern einer der längsten deutschen Wanderwege, führt von Marktredwitz im Fichtelgebirge bis Passau, für Mountainbike-Fans empfiehlt sich die Route "Trans Bayerwald". Die "Moby"-App und der bayern-fahrplan.de helfen beim Rumkommen ohne Auto. Dank des "GUTi"-Logos ("Gästeservice Umwelt-Ticket") auf der Gästekarte ist der ÖPNV kostenlos.

ÜBERNACHTEN
Winterfeld Guest House. In einer ruhigen Wohngegend in Bodenmais, am Fuße des Silberbergs haben sich Stefan Hahn und Daniel Bersch ihren Traum erfüllt: zehn Zimmer mit Balkon, stilvoll-urban, mit Sauna im Garten und frischen Produkten zum Frühstück. DZ/F ab 110 Euro (Bodenmais, Ambrosweg 14, Tel. 099 24/905 93 30, winterfeld-bodenmais.de).

Hotel Fuchs. Endlich wieder ein richtiges Dorfgasthaus in Mauth, freuten sich die Leute im Ort über die General-sanierung der alten Pension. Nun ist das "Fuchs" ein gemütliches Hotel mit guter Küche und Brauerei nah am Nationalpark. DZ/F ab 130 Euro (Mauth, Am Goldenen Steig 16, Tel. 085 57/270, fuchs-mauth.de).

Berghotel Maibrunn. Hideway in den grünen Hügeln über Sankt Englmar. Mit modernen gemütlichen Zimmern und weitläufigem Garten nebst Pool, einen großen Wellnessbereich gibt es auch und hervorragende Küche. DZ mit ¾-Pension ab 104 Euro p. P. (Sankt Englmar, Maibrunn 1, Tel. 099 65/85 00, berghotel-maibrunn.de).

GENIEßEN
Garhammer. Bestens betreut von meiner persönlichen Beraterin (kostenlos, Voranmeldung unter garhammer.de) fand ich in dem tollen Modehaus endlich ein passendes Jackett zu meiner Hose und gönnte mir dann im lichten Restaurant "Johanns" im sechsten Stock ein köstliches Mittagsmenü, kreiert von Sternekoch Michael Simon Reis für 49 Euro (Waldkirchen, Marktplatz 28, Tel. 085 81/200 20 00, restaurant-johanns.de).

Das Franz. Das Restaurant auf einem Campingplatz ist ansprechend-modern eingerichtet, hat einen Biergarten mit Blick auf den Wald und gute regionale Küche (Bodenmais, Regener Str. 45, Tel. 099 24/94 32 08 41, camingresort.bodenmais.de).

Alte Mühle. Sehr romantisch, der Kurpark von Sankt Englmar – und mittendrin die "Alte Mühle" mit Biergarten und Sicht auf die waldigen Hügel. Serviert werden leckere Schmankerl wie Schlutzkrapfen mit Spinat und Ricotta und im angeschlossenen Hofladen regionale Produkte (Sankt Englmar, Alte Mühle 1, Tel. 01 72/669 46 90, genuss-altemuehle.eatbu.com).

SHOPPEN
Penninger. Seit 1905 brennt die Familie im Bayerwald Liköre und Schnaps. Der jetzige Chef Stefan ließ einen neuen Stammsitz im Grünen außerhalb Waldkirchens bauen, CO₂-neutral, mit großem Shop, Ausstellungsräumen und hochmoderner Whiskey-Destillerie. Aber der Star bleibt der gute alte "Blutwurz", ein hochprozentiger Kräuterlikör aus der Blutwurzel. Tipp vom Chef: als Longdrink mit Zitronensaft, "Schweppes Wild Berry" und Eis (Waldkirchen, Saßbach 2, Tel. 085 81/98 42 60, penninger.de, Brennerei-Tour nach Voranmeldung).

ERLEBEN
Donauschifffahrt. An Bord der "MS Donau" glitzern eine Million Swarovski-Kristalle, aber mich zog es nach draußen auf die Terrasse: so schön die Domstadt Passau und der erste Eindruck von den sanften Höhenzügen des Bayerischen Waldes! 2-Stunden-Tour bis Obernzell und zurück 19,50 Euro (Tickets bei Wurm & Noé, Fritz-Schäffer-Promenade Anlegestelle A11, Tel. 08 51/92 92 92, donauschifffahrt.eu).

Woid Woife. Begegnungen mit ihm gehören zum Besten, was man im Bayerischen Wald erleben kann! Einmalig, wie er Jung und Alt die Fauna und Flora seiner geliebten Heimat nahebringt. Entweder auf Touren (z. B. "Natur-Entdecker-Pfad") oder in Vorträgen (wolfgangschreil.de; Info: Bodenmais Tourismus, Bahnhofstraße 56, Tel. 099 24/31 29 60, bodenmais.de).

Mehr Infos über: bayerischer-wald.de

In eigener Sache: Zuweilen unterstützen uns Agenturen, Hotels oder Veranstalter bei den Recherchen. Unsere Reportagen und Informationen sind dadurch in keiner Weise beeinflusst.

Brigitte

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