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Steile These Warum Flugverzicht und Ökostrom den CO2-Ausstoß nicht reduzieren

Achim Wambach: Wald von oben mit CO2-Wolke
© Kalawin / Adobe Stock
Ökostrom, Solaranlagen, nicht fliegen – all das bringt nichts, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, sagt der Ökonom Achim Wambach. Wie bitte?!

BRIGITTE: Bisher dachte ich: Wenn ich von Hamburg nach Paris mit dem Zug fahre, statt zu fliegen, handle ich umweltbewusst. Nun behaupten Sie: Das verändert gar nichts am CO2-Ausstoß. Warum?

ACHIM WAMBACH: Weil innereuropäische Flüge unter den Emissionshandel fallen. Das bedeutet: Aktuell muss jede Fluggesellschaft wie auch jedes Industrieunternehmen pro Tonne CO2, die sie ausstoßen, ein Zertifikat kaufen. Wenn nun Sie und noch ein paar andere lieber Zug fahren nach Paris, braucht die Fluggesellschaft vielleicht weniger Zertifikate, aber diese verschwinden deshalb nicht vom Markt. Was übrig bleibt, kauft dann ein anderes Unternehmen. Und am Ende ist der CO2-Ausstoß in der EU wieder gleich hoch. Bei Stromerzeugern verhält sich das genauso, die sind auch im Zertifikatehandel.

Das heißt: Auch den Ökostrom könnte ich mir schenken oder den Bau einer Solaranlage auf meinem Hausdach?

Aus Umweltgründen ja. Eine Solaranlage lohnt sich aber finanziell bei den aktuellen Strompreisen. Oder eine Wärmepumpe. Das ist genau der Zweck des Emissionshandels – fossile Energien teurer machen, damit erneuerbare Energien im Vergleich günstiger werden.

Ist es gut für die Umwelt, wenn die Zertifikate so verhökert werden und sich alle Fluggesellschaften, Energieerzeuger und die Industrie europaweit daran bedienen können?

Das ist eine Maßnahme, mit der wir den CO2-Ausstoß sukzessive reduzieren können. Aktuell kosten die Zertifikate pro Tonne fast 100 Euro. Das Schöne an dem aktuellen System ist, dass immer mehr Unternehmen sagen: Für einen Preis von 90 Euro hätte ich das Zertifikat noch gekauft, aber ab 100 rentiert sich für mich das ökologischere Vorgehen. Das überlegen sich gerade alle europaweit. Und wenn es durch die Politik immer weniger Zertifikate gibt, nimmt der CO2-Ausstoß ganz automatisch ab. Aktuell lassen sich damit bei uns 40 Prozent aller Emissionen runterfahren.

Bringt uns denn der ökologische Fußabdruck jedes einzelnen Menschen überhaupt weiter?

Nein, wir werden die Energiewende durch Appelle an die Moral nicht hinbekommen.

Würden Sie demnach der Gesellschaft keine Verantwortung für den Umweltschutz übertragen?

Dieser Bereich muss über die Politik laufen wie alle anderen Felder auch. Bei der Jugendarbeitslosigkeit würde auch keiner denken: Ich darf jetzt nur noch bei Rewe einkaufen, weil die viele Jugendliche ausbilden. Beim Umweltschutz ist es dazu gekommen, da viele den Eindruck hatten, dass die Politik das nicht hinbekommt. Der Kunde kann die Verantwortung aber überhaupt nicht übernehmen. Der weiß nicht, ob die Tomate im Supermarkt aus der Region oder aus Spanien am Ende umweltfreundlicher ist. Dafür braucht es Gesetze und Regelungen.

Aber es muss doch möglich sein, selbst etwas zu tun, das wirklich die Umwelt schützt.

Dann sollten Sie auf Interkontinentalflüge verzichten, weniger Auto fahren und weniger Fleisch essen. All das fällt bisher noch nicht unter den Zertifikatehandel und hat somit eine direkte Auswirkung.

Achim Wambach: Ökonom Achim Wambach
Achim Wambach, 55, zählt zu den einflussreichsten Ökonom:innen Deutschlands. Er ist Präsident des ZEW-Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Mannheim.
© Anna Logue / PR

Schwören Sie denn auf den Emissionshandel als eine Art Allheilmittel für alle Sektoren?

Nein. In der Landwirtschaft ist das schwierig: Wie viel Methan stößt wohl eine Biokuh aus? Eventuell mehr als das Nicht-Biorind. Da ließe sich zwar eine vergleichbare Größe pro Tier für einen Zertifikatehandel bestimmen, aber hier braucht es eher neue wirtschaftliche Modelle bei gleichzeitiger Fleischreduktion. Aber für "Gebäude" und "Verkehr" gibt es ab 2027 in Europa auch Zertifikate. Zusätzlich brauchen wir eine bessere Infrastruktur und mehr Forschung zu grünem Wasserstoff. Der Emissionshandel allein wird nicht reichen. Wenn allerdings Benzin und Diesel durch die Zertifikate schon mal teurer würden, steigen die Menschen eventuell in den günstigen Zug um.

In Ihrem Buch "Klima muss sich lohnen" steht: Unsere Wirtschaft ist seit 1990 um 60 Prozent gewachsen, die Emissionen sind über Kompensationszahlungen um 24 Prozent gesunken. Ist unser Weg doch besser, als ihn Untergangsszenarien zeichnen?

Wir sind auf einem guten Weg. Die Klimapolitik muss aber einen Schritt zulegen, damit wir in der EU bis 2050 klimaneutral sind. Da kommen sich jedoch erhöhte Preise aus Umweltschutzgründen und das, was kleine Haushalte noch bezahlen können, sehr schnell in die Quere. Das ist also nicht so einfach, da immer die richtigen Hebel anzusetzen. Die Gesellschaft muss man mitdenken. Aber Europa ist weltweit auch nur für zehn Prozent der Emissionen verantwortlich.

Heißt: Es ist wieder fast egal, was wir hier in Europa machen?

Überhaupt nicht. Wir sollten ein Vorbild sein, also einen Pfad einschlagen, der kopierbar ist. China hat ja nun auch den Zertifikatehandel eingeführt, weil der hier funktioniert. Deshalb ist unsere Verantwortung gerade so hoch: Es geht um den CO2-Ausstoß weltweit.

Brigitte

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