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Laut Studie Dieser Faktor ist für unsere Gehirnentwicklung maßgeblich

So wichtig ist Zuwendung im Kindesalter für unser Gehirn
© Marko / Adobe Stock
Das Liebe und Zuwendung für Kinder enorm wichtig sind, ist bekannt. Welche genauen Auswirkungen die Vernachlässigung im Kindesalter auf unser Gehirn hat, erforschten Wissenschaftler:innen in Rumänien.

Die Entwicklung unseres Gehirns dauert gut 20 Jahre lang – kein anderes Lebewesen lässt sich mehr Zeit. Ab der Geburt beginnen sich unsere Nervenzellen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit zu vernetzten, ab dem 10. Lebensjahr werden die Synapsen weniger. Welche Auswirkungen Vernachlässigung und fehlende Bezugspersonen im Kindesalter auf unser Gehirn haben, erforschten Wissenschaftler:innen in Rumänien. Es scheint eine sensible Phase in der Gehirnentwicklung zu geben, die sich auf unsere Intelligenz auswirkt.

Mit drei Jahren haben Kinder doppelt so viele Synapsen wie Erwachsene

Unser Gehirn ist das Zentrum des emotionalen Erlebens und steuert sämtliche lebensnotwendige Körperfunktionen. Es besteht aus einem riesigen Netzwerk von Nervenzellen, die über elektrische Impulse miteinander kommunizieren. Wie diese verknüpft sind, hängt davon ab, was das neuronale Netzwerk können muss. In einem ca. 20 Jahre dauernden Prozess wird es den Anforderungen der Realität immer wieder angepasst.

Ein Neugeborenes startet mit gut 100 Milliarden Nervenzellen, die sich schon vor der Geburt entwickelt haben, ins Leben. Ab dem Zeitpunkt der Geburt beginnen die Zellen sich dann zu vernetzen – pro Sekunde entstehen ca. 700 neue Zellverbindungen. Mit zwei Jahren haben Kleinkinder so viele Synapsen wie Erwachsene und mit drei Jahren sogar doppelt so viele.

Bei Vernachlässigung wächst das Gehirn ohne Ziel

Bis zum ca. 10. Lebensjahr bleibt die Anzahl der Synapsen konstant – ein Zeichen für die enorme Lernfähigkeit in diesem Alter. Danach verringert sie sich etwa um die Hälfte. Nicht benutzte und somit offenbar nicht benötigte Verbindungsstellen werden im Gehirn abgebaut, schon im Säuglingsalter. Auf diese Weise nimmt das, was Kinder erfahren, erleben und lernen, Einfluss auf die Struktur des Gehirns.

Wenn Kinder vernachlässigt werden – sie ihre Umgebung also nicht erkunden können und niemand mit ihnen spricht, wächst das neuronale Netzwerk ziellos. Dann können Lernstörungen oder Gedächtnisprobleme auftreten.

Das "Bucharest Early Intervention Project" zieht neue Erkenntnisse

Eine Studie des "Bucharest Early Intervention Project", ein Projekt von Wissenschaftler:innen verschiedener Universitäten, befasste sich ab dem Jahr 2000 mit 136 Kindern in Rumänien. Alle Kinder waren zum Zeitpunkt ihrer Geburt in Kinderheime gegeben worden, sie hatten also keine richtige Bezugsperson. Die Hälfte der Kinder wurde in Pflegefamilien untergebracht, während die anderen in den Heimen aufwuchsen. Untersucht wurden sie dann im Alter von 2, 3, 4, 8, 12 und 16 Jahren. 

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass eine frühe Heimunterbringung sowohl zu tiefgreifenden Defiziten in der Intelligenz als auch zu gestörten sozio-emotionalen Verhaltensweisen führen kann. Die Kinder, die in den Heimen aufwuchsen, zeigten beispielsweise Defizite in ihrem Bindungsverhalten, ihren sprachlichen Fähigkeiten und neigten eher zu psychiatrischen Beeinträchtigungen.

Die Kinder, die in Pflegefamilien kamen, entwickelten sich hingegen besser – und unterschieden sich auch in ihrer Intelligenz. Alle Kinder hatten zwar einen recht tiefen Intelligenzquotienten, doch die Kinder, die noch vor dem zweiten Lebensjahr in einer Pflegefamilie unterkamen, schnitten im Jugendalter in IQ-Tests besser ab.

Die "sensible Phase" der Denkfähigkeit

Dieses Ergebnis, das 2023 veröffentlicht wurde, ist auf zweierlei Weise bahnbrechend. Der Unterschied in der Denkfähigkeit der Kinder kann auf die Pflegesituation im Kleinkindalter zurückgeführt werden und es könnte für die Ausprägung der Denkfähigkeit eine sogenannte "sensible Phase" geben. Das sind Zeitfenster, in denen das Gehirn besonders anfällig für Erfahrungen ist. 

Vermutlich gibt es verschiedene sensible Phasen in der Gehirnentwicklung – wie viele ist allerdings noch unbekannt. Die Hirnregionen reifen nämlich nicht alle gleich schnell. Gut möglich also, dass sich für die Entwicklung der Intelligenz nach den ersten beiden Lebensjahren ein Zeitfenster schließt. Denn je früher ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht wurde, desto besser entwickelte es sich. 

Deshalb ist es für Kinder in dieser Phase besonders wichtig, Kontakt zur Umwelt und zu Menschen zu haben, ausreichend Interaktion und Rückmeldung zu erfahren, um die lernfähigen und lernwilligen Teile des Gehirns bestmöglich zu unterstützen. 

Verwendete Quellen: bucharestearlyinterventionproject.org, neurologen-und-psychiater-im-netz.org, nzz.ch

cjo Brigitte

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