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Yusra Mardini "Es hat mir das Herz zerrissen, als ich mein Land verlassen musste"

Yusra Mardini wird für die Kampagne von arena fotografiert.
Yusra Mardini wird für die Kampagne von arena fotografiert.
© Mine Kasapoglu / PR
2015 floh Yusra Mardini mit ihrer Schwester aus Syrien nach Deutschland. Nur ein Jahr später nahm sie an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teil. Sieben Jahre später folgt die Netflix-Verfilmung ihrer Flucht. Im BRIGITTE-Interview wird sofort klar, warum sie und ihre Lebensgeschichte so inspirierend sind.

Für uns ist es kaum vorstellbar, mit 17 Jahren unsere Familie, Freunde und Heimat zurücklassen zu müssen, um vor einem grausamen Krieg zu flüchten. Weil die Zukunft aussichtslos war, mussten die Schwimmerinnen Yusra Mardini, 25, und ihre ältere Schwester Sara, 28, diese schwere Entscheidung treffen und wagten 2015 die Flucht nach Deutschland. Der Start einer Reise zwischen Tod und Neuanfang.

Yusra ist stark, ehrgeizig und menschlich. Sie gilt als Beispiel für vorbildliche Integration, aber sie ist noch viel mehr als das und deshalb auch unsere Frau des Monats. Im BRIGITTE-Interview sprechen wir mit ihr über Heimat, Familie und Ziele. 

Über Krieg, Heimat und Familie: Yusra Mardini im BRIGITTE-Interview

BRIGITTE: Es gibt nicht viele Frauen in deinem Alter, die so viel durchmachen mussten wie du. Du bist aus Syrien nach Deutschland geflohen und hast nur ein Jahr später an den Olympischen Sommerspielen teilgenommen. Wie war es damals, die Heimat zu verlassen?

Es hat mir das Herz zerrissen, als ich mein Land verlassen musste. Einzig meine Leidenschaft für das Schwimmen und der Wille, olympische Schwimmerin zu werden, haben mir ein besseres Gefühl gegeben. Ich war eine der Glücklichen, die es geschafft haben, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Für das ‘Refugee Olympic Team‘ anzutreten gab mir die Hoffnung und den Mut, eine starke Stimme zu haben, damit ich mich für Millionen von Geflüchteten auf der ganzen Welt einsetzen kann – und dafür bin ich noch bis heute dankbar.

Und wie war der Neuanfang in Deutschland? Wie konntest du das Erlebte verarbeiten?
Es fiel mir schwer; keine Freunde, Familie oder Vertrautes zu haben. Ich dachte: 'Ach ja, in ein oder zwei Jahren werde ich sowieso wieder zu Hause sein, warum also die Sprache lernen.' Aber durch das Schwimmen habe ich neue Freunde gefunden und hatte einen großartigen, unterstützenden Schwimmverein, der mir geholfen hat, mich langsam wieder wie zu Hause zu fühlen. Aber ich habe großes Heimweh und vermisse Syrien jeden Tag, meine Familie und Freunde. Der Krieg war so brutal und ich hoffe, dass er bald endet.

Im November 2022 erschien der Film "The Swimmers", der die Geschichte von dir und deiner Schwester erzählt. Wie nah ist die Verfilmung an der Realität?
Er ist sehr nah dran, ich würde sagen 80 Prozent sind Wahrheit. Ich war überwältigt vor Freude und vielen Emotionen, unsere ganze Lebensgeschichte im Fernsehen zu sehen.

Warum ist es so wichtig, dass dieser Film gemacht wurde?
Wir wollten, dass die Menschen verstehen, was Geflüchtete durchmachen und was es heißt, in den schwierigsten Zeiten des Lebens hoffnungsvoll zu bleiben. Wir wollten auch die Geschichte von Millionen von Geflüchteten erzählen, die die Grenze überqueren und sicherstellen, dass die Menschen verstehen, dass die Überfahrten noch andauern und die Geflüchteten Hilfe benötigen – unsere Hilfe. Wir hoffen, dass dieser Film die Erzählweise über Geflüchtete verändert und die Menschen dazu inspirieren kann, ihnen gegenüber freundlicher zu sein.

Neustart in den USA

Inzwischen hat Yusra Mardini Deutschland hinter sich gelassen. Neben ihrer Arbeit für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist sie auch Markenbotschafterin für den Sportartikelhersteller Arena und hat in den USA als Studentin einen Neuanfang gewagt. 

Jetzt lebst du in den USA und studierst. Wie kam es zu der Entscheidung? Und wie wichtig ist dir das Schwimmen mittlerweile?
Ich wollte etwas studieren, für das ich brenne. Durch mein Hauptfach, nämlich Film- und Fernsehproduktion, kann ich Geschichten von unglaublichen Menschen erzählen, die eine harte Reise wie meine durchgemacht haben. Die USC ist dafür einer der besten Orte.

Was bedeutet Heimat für dich?

Heimat ist ein Ort an dem ich mich friedlich, sicher und frei fühle und mich auszudrücken kann.

Was sind deine schönsten Erinnerungen an Syrien? Und möchtest du das Land noch einmal besuchen?
Mit meinen Freunden und meiner Familie zusammen sein, im Sommer ins Schwimmbad gehen und gutes Essen genießen. Ich vermisse es sehr und hoffe, dass ich das Land bald besuchen kann.

Du stehst für eine gelungene Integration. Wie geht es dir damit?
Ich denke, jede Geschichte ist auf ihre Art sehr einzigartig und jeder von uns kämpft mit seinen eigenen Problemen. Ich möchte jemand sein, der die Menschheit dazu motiviert, freundlich zueinander zu sein.

Was wünschst du dir für die Zukunft und deine Familie?
Ich hoffe, dass die Zukunft für mein Land und seine Menschen besser ist. Ich hoffe, dass die Welt ein friedlicher Ort sein wird, an dem wir uns alle gegenseitig unterstützen und stärken können. Was meine Familie betrifft, wünsche ich ihnen alles Gute und werde da sein, um ihre Träume zu unterstützen!

Yusra Mardini: Das Schwimmen rettete ihr Leben

2015 flüchteten die Mardini-Schwestern von Syrien nach Istanbul. In der Türkei angekommen, organisierten sie mit Hilfe von Schmugglern die Überfahrt nach Lesbos. Genau diese Fahrt wäre ihnen beinahe zum Verhängnis geworden. In einem motorisierten Schlauchboot, dessen Kapazität mit 18 Personen weit überschritten wurde, setzten sie von der Türkei nach Griechenland über. Die Fahrt sollte ungefähr 45 Minuten dauern.

Der Motor fiel aus. Um nicht mit dem Boot unterzugehen, blieb den Schwestern nichts anderes übrig, als ins Wasser zu springen, das Boot zu stabilisieren und zu schwimmen. Von 18 Geflüchteten konnte nur eine weitere Person schwimmen. Zu dritt kämpften sie sich stundenlang durch das offene Meer, überlebten und kamen letztendlich in Deutschland an. Eine Erfahrung, die viele Menschen wahrscheinlich gebrochen hätte; Yusra Mardini hat jedoch nie aufgegeben und an ihrem Traum "einmal bei den Olympischen Spielen dabei zu sein" festgehalten. 

Brigitte

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