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Domitila Barros "Nachhaltigkeit ist nicht sexy genug – das versuche ich zu ändern"

Domitila Barros posiert für ein Foto.
Domitila Barros
© Philipp von Ditfurth / Picture Alliance
Domitila Barros ist Unternehmerin, Schauspielerin, Model, Speakerin, Greenfluencerin und seit Kurzem Gewinnerin der diesjährigen Miss Germany Wahl. Was die gebürtige Brasilianerin mit ihrer Teilnahme bewirken möchte, hat sie uns bereits vor ihrem Sieg verraten.

Domitila Barros hat mit ihren 37 Jahren schon ein bewegtes Leben hinter sich. Groß geworden in einer Favela im Norden Brasiliens verbrachte sie den größten Teil ihrer Kindheit in einem Straßenprojekt, das ihre Eltern vor rund 35 Jahren gegründet haben. Hier engagierte sich Domitila bereits sehr früh, brachte später anderen Kindern das Lesen und Schreiben bei. Doch als ihre beste Freundin mit nur 12 Jahren bei einer Schießerei in der Favela ums Leben kommt, wird Domitila klar – mit dieser Angst möchte sie nicht mehr leben.

Domitila Barros im BRIGITTE-Interview

BRIGITTE: Du bist damals im Straßenkinderprojekt deiner Eltern in der Favela aufgewachsen, musstest schon früh lernen, Verantwortung zu übernehmen, wurdest damit auch mit dem Millennium Dreamers Award der UNESCO belohnt. Wie haben dich diese Erfahrungen als Person geprägt?
Domitila: Die Zeit in der Favela hat mich sehr geprägt. Ich musste schon früh lernen, was es heißt, mit wenig Ressourcen aufzuwachsen. Aber es hat mir auch gezeigt, dass ich, wenn ich nur hart genug für eine Sache kämpfe, alles erreichen kann. Schließlich habe ich mit nur 15 Jahren den Award der UNESCO verliehen bekommen – das war unglaublich für mich und ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben. Meine Zeit in der Favela hat mir viel Gutes beschert, ich würde aber lügen, wenn ich sagen würde, dass die Zeit spurlos an mir vorbeigegangen ist.

Ich habe mit nur 12 Jahren meine beste Freundin bei einer Schießerei verloren. Sowas vergisst man nicht. Deshalb habe ich mich vor einiger Zeit auch für eine Therapie entschieden, um alles aufzuarbeiten. Das hat mir sehr geholfen.

Wann war für dich klar, dass du deine Heimat verlassen musst, um deine Träume zu verwirklichen?
Ich bin gegangen, weil ich unbedingt mehr Zugang zu Bildung haben wollte. Und in Deutschland habe ich die Möglichkeit bekommen, einen Master zu absolvieren. Dazu konnte ich nicht Nein sagen, denn ich wusste, ich kann mein Leben nur verändern, wenn ich mich weiterbilde.

Diese zwei Gründe halten sie noch immer in Berlin

Nach deinem Studium bist du nicht in deine Heimat zurückgekehrt, warum?
Meine Eltern haben mich gebeten, für das Straßenkinderprojekt weiterhin die Öffentlichkeitsarbeit aus Europa aus zu übernehmen. Denn ich war die Einzige, die die Sprache beherrschte und so auf das Projekt aufmerksam machen konnte. Durch meine Vorträge und mein Engagement konnte das Projekt wachsen. Außerdem habe ich mich in Deutschland in jemanden verliebt. Eine unschlagbare Mischung, die mich bis heute in Deutschland hält.

Mittlerweile bist du Unternehmerin, Model, Speakerin, Schauspielerin und Greenfluencerin. Wie hast du das geschafft?
Auf der einen Seite wollte ich etwas erreichen, auf der anderen Seite wollte ich meine Kreativität ausleben können. Diese beiden Komponenten habe ich in meinen Jobs vereint. Als Unternehmerin und Speakerin mache ich auf soziale Ungerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Umweltschutz aufmerksam und als Model, Schauspielerin und Greenfluencerin kann ich meine Leidenschaft für Kreatives ausleben. Manchmal lassen sich auch alle Jobs miteinander vereinen. Durch Corona sind beispielsweise viele Veranstaltungen abgesagt worden. Instagram hat es mir ermöglicht, trotzdem auf meine unternehmerischen Themen aufmerksam zu machen. Nur so konnten wir auch das Straßenprojekt meiner Eltern am Leben halten.

"Ich dachte lange Zeit, die Welt sei ein schlechter Ort"

Warum brennst du so für die Themen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit?
Ich bin in der Favela neben riesigen Müllbergen groß geworden, in denen Kinder nach etwas Essbarem gesucht haben.

Wir haben Kinder in unserem Straßenprojekt, die haben vorher noch nie eine frische Mahlzeit zu sich genommen, noch nie frisch gekocht. Lange Zeit dachte ich deshalb, die Welt sei ein schlechter Ort.

Doch als ich mit 15 Jahren den Award der UNESCO gewonnen habe und auf dieser Bühne stand, habe ich gemerkt, dass das nicht stimmt. Die Menschen sind gut, sie wollen etwas verändern. Zu dieser Erkenntnis wäre ich nie gekommen, hätte man mich nicht mit diesen Leuten zusammengebracht. Und nun setze ich mich dafür ein, dass diese Veränderung auch stattfindet.

Du hast mit "She is in the Jungle" dein eigenes nachhaltiges Label gegründet. Was war dein Antrieb und was möchtest du mit dem Label erreichen?
Die Idee kam mir, als ich Zeit mit meinen Freundinnen in Brasilien verbracht habe. Ich stand bereits durch das Modeln mit der Modebranche in Kontakt. Da dachte ich, warum nutze ich meine Kontakte und Erkenntnisse nicht? Gesagt, getan. Erst haben wir es mit Bikinis versucht, die kamen aber leider nicht so gut an wie erhofft. Doch dann ist mir ein Buch in die Hände gefallen, indem erklärt wird, wie schädlich es ist, Schmuck aus Gold herzustellen und wie viel Giftmüll dafür produziert wird. Daraufhin habe ich gehandelt und eine Schmucklinie entworfen, die auf Basis einer brasilianischen Pflanze hergestellt wird. Und diese Strategie ging auf.

Die Menschen haben die Kollektion geliebt und tun es nach wie vor. Und darauf bin ich sehr stolz, denn mein Anspruch an das Label war schon immer, global zu verkaufen, aber lokal zu produzieren. Dadurch haben Frauen in meiner Heimat einen Job, mit dem sie Geld verdienen können.

Oft sind nachhaltige Produkte sehr teuer. In deinem Shop finden sich aber Produkte zu humanen Preisen. Somit widerlegst du das Klischee nachhaltig gleich teuer. Wie geht das?
Ich denke, das Problem ist, dass viele Marken sicherlich günstigere Preise anbieten könnten, es aber nicht machen, weil sie dadurch weniger Geld verdienen würden. Wir verzichten zum Beispiel gänzlich auf Marketing-Ausgaben. Ich mache Werbung auf meinem Account, in Zeitschriften oder jetzt bei Miss Germany, damit sind wir immer gut gefahren.

Wie könnte man die Menschen dafür begeistern, vermehrt nachhaltige Produkte zu kaufen, wie zum Beispiel Clean Beauty oder Fair Fashion?
Zum einen ist das wirklich eine Preisfrage. Wir haben gerade drüber gesprochen – Nachhaltigkeit ist meist immer noch sehr teuer. Und zum anderen ist Nachhaltigkeit noch nicht sexy genug. Und das versuche ich gerade zu verändern. Denn man kann cool und sexy sein und toll aussehen, auch wenn man sich für das Thema Nachhaltigkeit interessiert. Damit möchte ich die Menschen inspirieren.

Domitila hat es geschafft: Sie ist Miss Germany 2022

Du hast an der Miss Germany Wahl teilgenommen. Warum?
Weil ich den Wandel des Miss Germany Wettbewerbs unterstützen möchte. Denn bis vor zwei Jahren hätte ich nicht mal die Chance gehabt, an diesem Format teilzunehmen. Nun habe ich die Chance und möchte sie auch nutzen. Denn durch den Contest komme ich mit ganz vielen Menschen zusammen, denen ich meine Botschaft näherbringen kann.

Miss Germany arbeitet mit vielen Marken zusammen, die an ihrer Nachhaltigkeit noch etwas feilen könnten. Wie gehst du damit um?
Das stimmt. Ich könnte diesen Marken natürlich die kalte Schulter zeigen, aber ich sehe es viel mehr als Möglichkeit, mit den richtigen Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich habe mich erst heute mit einer Vertreterin einer führenden Brand unterhalten. Ich konnte ihr von meiner Vision erzählen und mit meiner Geschichte eine Emotion bei ihr wecken. Und wer weiß, vielleicht denkt sie beim nächsten Termin, in dem es um die Nachhaltigkeit der Firma geht, an mich und eventuell setzt sie sich für eine Veränderung ein. Ohne Miss Germany hätte dieses Gespräch nie stattgefunden, ich hätte ihr nie meine Sicht der Dinge erzählen und näherbringen können. Daher bin ich sehr dankbar, dass ich durch dieses Format so viele neue Leute kennenlernen darf, mit denen ich zukünftig hoffentlich etwas verändern kann.

Brigitte

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