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Falsch gedacht Leben auf dem Land: Good Bye, Privatsphäre!

Leben auf dem Land
© Getty Images
Seit unsere Autorin auf dem Land lebt, hat sie Naturerlebnisse, einen eigenen Garten und sogar einen Reiterhof vor der Tür. Nur das, was sie dort suchte, hat sie nicht gefunden: Ihre Ruhe!
von Marie Stadler

Ich weiß nicht, wie es den anderen geht, aber wenn ich mir früher mein zukünftiges Leben auf dem Land vorgestellt habe, dann war das eine sehr, sehr leise Vorstellung. Mit maximal dem Plätschern eines Gartenteichs und ein paar Singvogelstimmen. Naja, dass ich einmal Kinder haben würde und Kinder Lärm machen, war mir durchaus auch klar. Aber damals stellte ich mir diesen Lärm eher wie diese diffuse Freibad-Geräuschkulisse vor und nicht wie ein "Aber der hat mich geschubst!"-Gebrüll direkt neben meinem Ohr. Ich gebe es also zu: Ich war naiv. Ein bisschen, was die Kinder angeht. Ein bisschen sehr, was das Leben auf dem Land betrifft.

Mit dem Haus kommen Freunde dazu

Wir haben es natürlich herausgefordert. Wir bauten ein Haus im Neubaugebiet. Was das bedeutet, weiß jeder, der schon mal in einer feinsäuberlich abgemessenen Parzelle seine Zelte aufschlug. Mit einem Haus im Neubaugebiet gewinnt man eine Menge Bekannte. Die fühlen sich zu Anfang sogar wie sehr enge Freunde an, weil man nun mal ein gemeinsames Thema hat, was einem das wohlige Gefühl vorgaukelt, man sei insgesamt vom selben Stern. Und so teilt man Geheimnisse, Sorgen, Sägeblätter und Leitern, zieht gemeinsam Gartenhütten hoch und über schlechte Handwerker her. Man versteht sich. Auf dieser Ebene. Ob das auch sonst der Fall ist, bemerkt man leider erst, wenn alles steht und die Hecke nur halbhoch ist. Und irgendwann merkt man es. Da wohnen verdammt viele Menschen. Und man kennt sie nun alle. Wirklich die komplette Straße rauf und runter.

Ein ganz normaler Samstag

An Werktagen ist alles in Ordnung. Aber der Samstag hat es in sich. Letztens haben wir versucht, den ganzen Tag spielend und lesend im Bett zu verbringen. Nun ja. Um 9 Uhr klingelte es das erste Mal. Ob Inga, unsere Fünfjährige, denn Zeit habe, zu spielen? Äh, nein, wir machen Betttag. Zumindest dachten wir das da noch. Dann um halb 11 der Postmann. Fünf Pakete für die Etepetete-Nachbarn, denen man lieber nicht mitten am Tag im Pyjama die Tür öffnet. Seufzend duschte ich und zog mich an. Dann wieder ab ins Bett. Ein zages Klopfen an der Tür. "Dürfen wir unsere Kleine mal kurz zwei drei Stündchen bei euch parken? Notfall!" Vier bittende Kulleraugen lagen auf mir. Ich sagte ja, obwohl ich auch da schon wusste, dass ein Kinderbetreuungs-"Notfall" auf dem Land auch bedeuten kann, das einer grad keinen Bock auf den teuflischen Nachwuchs hat. Genervt von meinem JA beschloss mein Mann, den Rasen zu mähen, die Kinder fuhren im Schlafanzug Inlineskates und ich gab nach weiteren bockigen 20 Minuten im Bett auch auf. Mittags luden dann die Nachbarn zum Grillen ein. "Kannst ja vielleicht deinen leckeren Kartoffelsalat machen?" Äh, was? Äh, klar! Ich kochte Kartoffeln. Dann vielleicht wenigstens ein gemütlicher Abend zu zweit? Das dachte ich, bis vor unserem Haus plötzlich eine Tischtennisplatte stand. Drumherum sieben leicht angetrunkene Familienväter mit PingPong-Schlägern, unter anderem mein Mann. Zur Hölle, du schöne Landidylle! Obwohl... zumindest das mit dem Trinken fand ich eine gute Idee. 

Alles eine Frage der Einstellung

Mittlerweile habe ich gelernt, dass das eigentliche Problem meine Stadtattitüde ist. Ich Stadtkind erwarte, dass die Welt mich in Frieden lässt. Dass man anruft, bevor man vor der Tür steht. Dass man erstmal fragt, was die anderen vorhaben, ehe man ihnen aufträgt, einen Kartoffelsalat zu machen. Doch diesen Zahn zieht einem die Realität auf dem Land recht schnell – erst recht im Neubaugebiet. Hier ist man gezwungen, klare Grenzen zu ziehen und "Nein" zu sagen, wenn es einem gerade nicht passt. Das Verrückte: Es nimmt einem keiner übel. Das klappt bis zu einem gewissen Grad ganz gut, zumindest bis der Grill angeschmissen wird. Alleine grillen ist hier einfach nicht. Das muss man akzeptieren wie die Tatsache, dass man keine Meerjungfrau ist. Wird einfach niemals so sein. 

Und es geht doch

Mein Tipp für frischgebackene Landeier: Wenn man mal eine Pause braucht vom nonurbanen Dorfstress, kann man ja mal einen Ausflug in die Nachbardörfer machen. Denn "fremdes Land" ist genauso idyllisch und friedlich, wie man es sich so gerne vorstellt. Die Kinder kann man davor bei den Nachbarn in den Flur schieben. Nur so zwei drei Stündchen. "Kinderbetreuungs-Notfall", ihr wisst schon.

Solange keiner Nein sagt, kann man sich hier auf dem Land nämlich so ziemlich alles erlauben. Und wenn man das einmal kapiert hat, ist das eigentlich ganz entspannt. Nur für ganze Tage im Bett, da sollte man sich keine Illusionen machen und lieber gleich ein Hotelzimmer in der Stadt buchen. Stadt-Urlaub für die ruhige Seele. Wenn mir das vorher jemand erzählt hätte...

Barbara

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