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Maja Lunde: Bestseller-Autorin und Optimistin

Maja Lunde: Die Autorin sitzt auf einem Steeg am Wasser
© Oda Berby / PR
Mit "Die Geschichte der Bienen" landete die Norwegerin Maja Lunde den Bestseller des Jahres 2017. In ihrem neuen Roman ist die Umwelt wieder in Gefahr - es herrscht Trockenheit, und die Europäer werden zu Klimaflüchtlingen.

Maja Lunde - literarischer Aufsteiger im Jahr 2017

Als Teenager hatte Maja Lunde mehr Wasser um sich herum, als ihr lieb war. Ein Schuljahr verbrachte sie die Zeit, die viele Jugendliche für einen Auslandsaufenthalt nutzen, an Bord eines Schulschiffes. Deck schrubben, Segel in schwindelerregenden Höhen setzen und Nachtwachen inklusive. "Ich erinnere mich, wie ich einmal am Heck stand und nach anderen Schiffen Ausschau hielt und mir so schlecht war, dass ich mich ständig übergab", erinnert sich die Schriftstellerin. "Aber ich war nicht krank genug, um abgezogen zu werden, andere waren viel schlimmer dran." Als Kind, das in der Osloer Innenstadt aufgewachsen war, spürte Lunde in diesem Moment die volle Wucht des Ozeans. Und trotzdem, oder gerade deshalb: "Wasser ist mein liebstes Element", sagt Maja Lunde, deren neuer Roman "Die Geschichte des Wassers" jetzt auf Deutsch erscheint.

Große Erwartungen lasten auf diesem Buch ("Es war, als ob mir beim Schreiben die Welt über die Schultern sähe"), denn Lunde ist der literarische Aufsteiger von 2017. Ihr Erstling "Die Geschichte der Bienen" war in Deutschland das meistverkaufte Buch des letzten Jahres. Vor Dan Brown, vor Daniel Kehlmann, vor allen anderen. "Surreal", sagt die 42-Jährige und rührt gelassen in ihrem Kaffee. In der Lobby des Hamburger Literatenhotels "Wedina" ist zur Frühstückszeit einiges los. Kaum einer beachtet die zierliche, blonde Frau, die doch wie keine andere den Markt aufgemischt hat. Maja wer?, fragte sich noch mancher Buchhändler im März, ein paar Monate später dankte er im Geiste der Norwegerin, die für knapp 400 000 verkaufte Exemplare in Deutschland sorgte. Maja Lunde schaffte es, einen mitreißenden Familienroman zu einem aktuellen und unbequemen Umweltthema zu schreiben, unverkopft, emotional - tatsächlich ein Novum. Auch wenn manche Kritiker ätzten, das sei Weltrettung vom Ikea-Sofa aus: Niemand hat in letzter Zeit das Schicksal der Bienen stärker ins öffentliche Bewusstsein geholt als Maja Lunde. In ihrem Roman geht es auf drei Zeitebenen um das Zusammenleben von Biene und Mensch, von Kindern und Eltern. Besonders eindrücklich ist ihr Blick ins Jahr 2098, wenn die Bienen ausgestorben sind und chinesische Arbeiter die Blüten mit Pinseln von Hand bestäuben müssen.

Der Fokus ihrer Bücher liegt auf dem Klimawandel

Dabei hatte die Autorin, die bis dahin Jugend- und Drehbücher geschrieben hatte, sehr wenig Bienenkontakt gehabt, bevor ihr die Idee zu ihrem ersten Roman kam. Ein Dokumentarfilm über die bedrohten Insekten rüttelte sie derart auf, dass sie sofort die verschiedenen Stränge des Romans im Kopf hatte. "Ich war wie eine Lokomotive", sagt sie. "Ich wusste einfach, ich mache das."

Was folgte waren zwei arbeitsreiche Jahre, sechs Monate davon allein Recherche. Dann acht Entwürfe: "Für mich ist Umschreiben ein großer Teil. Vielleicht weil ich aus der Filmindustrie so daran gewöhnt bin. Schreiben ist für mich Umschreiben", sagt Maja Lunde mit Nachdruck. Die Mühe lohnte sich, drei Verlage waren auf Anhieb interessiert, auf der Londoner Buchmesse 2015 war dann das Manuskript bereits hoch gehandelt und eroberte nach Erscheinen die norwegischen und europäischen Bestsellerlisten.

"Viele Leser sagen mir, sie sehen die Natur jetzt mit anderen Augen – dass der Klimawandel und Umweltfragen nicht nur global und abstrakt sind, sondern in unserem eigenen Garten passieren." Seit "Die Geschichte des Wassers" in Norwegen erschienen ist, bekommt sie noch etwas anderes zu hören: "Dass die Menschen dankbar sind, ein Glas Wasser trinken zu können. Sauberes Wasser." Denn darum geht es in dem neuen Buch, das der zweite Teil von Maja Lundes geplantem "Klimaquartett" ist. Wieder spielt der Roman auf verschiedenen Zeitebenen, es geht um Signe, die aus einem Dorf an einem Fjord stammt und im Jahr 2017 fast 70 Jahre alt ist. Der Fluss, der einst den Berg hinabströmte, wurde bereits vor Jahren in Röhren verlegt und speist ein Kraftwerk. Der Gletscher, an dem Signe einst spielte, wird jetzt in Blöcken zersägt nach Saudi-Arabien verkauft. Klingt wie ein düsteres Zukunftsszenario, ist aber bereits Realität: "Ungefähr 75 Prozent der Wasserfälle in Norwegen sind eingebunden in Systeme, es war die Wasserkraft, die das moderne Norwegen finanzierte. Bevor wir das Öl hatten." Es gab viele Konflikte, so wie im Buch, wo Dorfbewohner das Bauprojekt sabotieren, weil sie gegen die Zerstörung der sensiblen Ökosysteme am Wasser sind. "Eine große Sache, aber niemand spricht darüber oder schreibt gar Belletristik." Signe wurde durch die Zerstörung der Heimat zur radikalen Aktivistin, sie verzeiht weder ihrer Mutter noch ihrem Exfreund, dass sie von der Elektrifizierung profitierten. Und so macht sie sich in ihrem Boot namens Blau von Norwegen auf nach Südfrankreich, ein paar gefrorene Blöcke Gletschereis im Laderaum.

Der zweite Zeitstrang spielt 2041. Südfrankreich ist ausgetrocknet, die Menschen auf der Flucht vor dem Wassermangel. David und seine kleine Tochter Lou kommen in ein Flüchtlingscamp, auf der Suche nach Lous Mutter und dem Baby, die sie bei ihrer Flucht aus dem brennenden Argelès verloren haben. "Wie schnell alles gehen konnte", schreibt Lunde. "An einem Tag wachst du vom Klingeln deines Weckers auf, frühstückst, gehst zur Arbeit, lachst, streitest und liebst, wäschst ab (...) und denkst nicht daran, dass alles, was dich umgibt, einfach weg sein kann." Wie in Lundes erstem Roman ist die Zukunftsvision erschreckend real. Besonders, weil sie für ihre akribischen Recherchen ein Flüchtlingscamp in Griechenland besuchte. Das gegenseitige Misstrauen, das verzweifelte Festhalten an den letzten armseligen Überbleibseln des alten Lebens, der tief erschütterte Stolz - all das beschreibt sie ohne Pathos. "Ich hatte Angst, hinzugehen", erzählt sie über ihre Besuche in den Lagern, "aber in der Minute, in der man drin ist, sieht man die Bewohner nicht mehr als Flüchtlinge, sondern als die Menschen, die sie sind." 

Maja Lunde privat

Verlust ist ein großes Thema in ihren Büchern, niemals präsentiert sie
ihren Lesern auf den unterschiedlichen Handlungsebenen schlichte Happy
Ends. "Das Gefühl von Verlust ist das, was du am meisten fürchtest", erklärt Maja Lunde. "Und Liebe und Verlust
sind eng verbunden. Zwei Seiten einer
Sache." Für den Betrachter sieht die Geschichte der Maja Lunde dagegen
ziemlich verlustarm aus. Zwar wuchs
sie als einzige Tochter einer alleinerziehenden Studentin nicht in wohlhabenden Verhältnissen auf, aber es gab in ihrem Leben immer Bücher und elterliche Zuneigung. Mit ihrem Vater ging sie regelmäßig segeln, Signes Boot ist seinem nachempfunden.

Mittlerweile hat Maja Lunde selbst drei Söhne (7, 9 und 13 Jahre alt), ihr Mann arbeitet für eine große Buchhandelskette. "Manchmal sage ich, wenn du keine drei Jungs hast, dann darfst du nicht darüber reden, wie es ist, drei Jungs zu haben", sagt sie und lacht, wobei sie einen kleinen spitzen Eckzahn zeigt, der ihr etwas Vorwitziges gibt. "Aber es sind tolle Kinder. Und ich habe diese romantische Vorstellung, dass es gut ist, Geschwister zu haben, jemanden, der für den Rest deines Lebens für dich da sein wird. Die Phase, in der sie ständig streiten, ist ja sehr kurz."

Man spürt, dass Maja Lunde viel Kraft in ihrem Leben darauf verwendet, der Familie gerecht zu werden - und gleichzeitig hat sie einen Beruf, der wie kaum ein anderer schwer in Teilzeit zu meistern ist. Ist Kreativität doch etwas, das nicht unbedingt von neun bis vier Uhr an- und abzuschalten ist. Doch Lunde sagt, sie möge die Struktur, die ihre Kinder dem Tag vorgeben. "Sonst würde ich zu jeder Tages- oder Nachtzeit schreiben", sagt sie. Wo, sei ihr eigentlich egal: "Ich habe kein Problem damit, in der Öffentlichkeit zu schreiben. Schreiben macht mich glücklich, deshalb brauche ich keine bestimmte Umgebung oder besonderen Dinge. Nur meinen Computer und einen Platz, an den ich ihn stellen kann."

Der nächste Roman

Ihr neuer Roman entstand hauptsächlich auf den Reisen, die sie wegen des Erfolgs ihres ersten Buches machen musste, in Cafés und auf Flughäfen. "Leider fliege ich jetzt sehr oft beruflich", sagt Lunde; trotz ihrer Themen betrachtet sie sich nicht als Umweltaktivistin. Vielleicht ist das auch das Geheimnis ihres Erfolgs: Sie moralisiert nicht in ihren Büchern. "Ich bin weder extrem wie Signe in meinem Roman, noch verdamme ich ihren Ex-Freund Magnus, der durch die Umleitung des Flusses bessere Lebensumstände für die Bewohner des Dorfes herbeiführt."

Wir dürfen nicht glauben, dass wir nichts bewirken können

Natürlich liebe sie die Annehmlichkeiten eines warmen Heims, die Möglichkeiten des Reisens. "Es ist aber wichtig, nicht in Resignation zu verfallen, zu glauben das eigene Verhalten mache keinen Unterschied", sagt sie ernst. "Jedes Mal, wenn du eine Sache nicht kaufst, nicht fliegst, kein Fleisch isst, macht es einen Unterschied." So wie jeder Tropfen Wasser, der langsam ein Gefäß füllt. Oder in der Hitze verdunstet. "Ich würde diese Bücher nicht schreiben, wäre ich keine Optimistin", sagt Maja Lunde entschieden. Denn wenn wir beim Lesen vom Sofa aufgerüttelt werden, dann ist das schon der erste Schritt in die richtige Richtung.

Die Optimistin - Maja Lunde wurde 1975 in Oslo geboren. Nach ihrem Studium der Literatur- und Filmwissenschaft schrieb sie Drehbücher und mehrere Jugendromane. "Die Geschichte der Bienen" war ein Überraschungserfolg und 2017 das meistverkaufte Buch in Deutschland. Maja Lunde lebt mit ihrem Mann und drei Söhnen am Rand von Oslo.

Brigitte 07/2018

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