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Wolfgang Niedecken: "Sie hilft mir, das Leben leichter zu nehmen"

Wolfgang Niedecken: "Sie hilft mir, das Leben leichter zu nehmen"
© Florian Ebener / Getty Images
Er ist privat ein stiller Grübler, sie eine Frohnatur. Beruflich steht er auf großen Bühnen, sie am liebsten hinter ihrer Kamera. Die Fotografin Tina Niedecken, 44, und der BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken, 58, lieben aneinander genau das, was sie voneinander unterscheidet.

Arm in Arm schlendern sie auf die Caféterrasse am Rhein, mit zwei wuseligen Hunden an der Leine. Sie in einem wallenden Sommerkleid, er mit einem leuchtend blauen Leinenhemd. Er flüstert ihr etwas zu, sie lacht. Entspannt und lässig sehen sie aus. Als seien sie eben herausgefallen aus einem Hippie-Roadmovie. Tatsächlich kommen die Niedeckens gerade aus dem Urlaub mit den beiden Töchtern. Vier Wochen Griechenland. "Eine ziemliche Ausnahme, so viel Zeit zusammen zu haben", sagt Tina Niedecken. Vielleicht wirken die beiden deshalb immer noch wie ein frisch verliebtes Paar. Weil die gemeinsamen Momente so kostbar sind, sie nicht oft nahe beieinandersitzen können wie jetzt und den anderen beiläufig berühren im Gespräch.

Denn im Alltag sind sie oft getrennt. Tina Niedecken bleibt mit den Töchtern, 13 und 14 Jahre, zu Hause, während ihr Mann mit seiner Band BAP und seinem sozialen Engagement durch die Welt reist. Diese Aufteilung passt zu ihren Talenten und Vorlieben: Er sucht die Öffentlichkeit, veranstaltet Konzerte gegen Rassismus oder reist mit dem Bundespräsidenten zu Entwicklungshilfeprojekten in Afrika. Tina Niedecken steht schon von Berufs wegen lieber hinter der Kamera, porträtiert Musiker und Künstler. Allerdings kümmert sie sich meist allein um den Alltag der Familie.

Von der Rockgruppe BAP hatte die Modefotografin Tina Golemiewski noch nie gehört, als sie vor 20 Jahren auf dem Kölner Flughafen hinter der Band in der Abfertigungsschlange stand. Sie war auf dem Rückweg von einer Fotoproduktion, BAP flog zu einem Fernsehauftritt nach München. Die Fotografin wunderte sich über die Gruppe wilder Kerle, die bei der Sicherheitskontrolle einen Stau verursachten: Sie hatten einen ausgebleichten Ochsenschädel im Gepäck, ließen ihn mehrmals durch den Durchleuchtungsapparat laufen und freuten sich über das seltsam verzerrte Bild auf dem Monitor. Wolfgang Niedecken fiel ihr auf: "Ich fand ihn interessant. Mehr allerdings nicht."

Bei ihm war es anders. Wenn Wolfgang Niedecken davon spricht, wie er seine Frau kennen gelernt hat, wird er ernst: "Ich wusste sofort, die soll es sein. Ich war noch nie einer Frau begegnet, von der so viel Fröhlichkeit ausgeht. Sie hatte was von einem Engel." Glaubt man seinen gesammelten Liebesliedern, stellt man fest: Wenn ihm eine Frau gefällt, dann verehrt er sie wie eine Heilige. Diesmal allerdings hatte er ein Problem: "Ich hatte nur eine Stunde und keine Ahnung, wie ich sie nutzen sollte", sagt er. "Denn ich bin unglaublich schlecht im Baggern."

Offenbar ist ihm dann aber doch noch etwas eingefallen. Am Ausgang des Münchener Flughafens jedenfalls verabredeten die beiden sich noch für denselben Abend. Sie schlug das "Nachtcafé" vor, einen In-Treff für Models, Promis und Nachtschwärmer. Für einen alternativen Mundart-Rocker aus der Kölner Südstadt, der sich in schwitzigen Stadien zu Hause fühlt, muss so ein Ort die Hölle sein. Wolfgang Niedecken saß neben Tina auf einem Designer-Barhocker und konnte sich nicht entscheiden: "Bin ich im Himmel oder im falschen Film?"

Es wurde eine langsame Annäherung. Bei aller Verliebtheit - die Unterschiede waren groß. Tina war Mitte 20, genoss ihre Unabhängigkeit und die Arbeit in ihrem Traumberuf, Wolfgang Niedecken war 13 Jahre älter, hatte bereits eine Familie und steckte in einer Dauer-Ehekrise. Seine erste Frau hatte nur wenig Verständnis dafür, dass der Musiker nach dem schlagartigen Erfolg seiner Band dauernd unterwegs war. Sie machte ihm Vorwürfe. Und er machte sich Vorwürfe, dass sie recht haben könnte. Schließlich hatte sie den Künstler Niedecken geheiratet, einen, der Bilder malte und ständig mit ihr zusammen in Köln lebte.

Vielleicht betont Wolfgang Niedecken deshalb immer wieder, wie dankbar er dafür ist, dass Tina seine Art zu leben versteht und teilt. Wenn man seinem Partner dauernd etwas erklären müsste, das wäre schlimm, sind sich die beiden einig. Sie harmonieren im Alltag miteinander, jeder hat Respekt vor der Arbeit, vor den Bedürfnissen des anderen. Und manchmal blödeln und rangeln sie miteinander wie Zehntklässler im Schulbus, vergessen darüber ganz, dass ein Tonband mitläuft.

Nähe: Das Wort fällt oft, wenn die beiden über ihre Beziehung sprechen. Noch nie vorher, sagt Tina Niedecken, habe sie einen Mann getroffen, der so direkt war, mit dem sie so gut reden konnte. "Ich habe ziemlich schnell eine große Nähe zu ihm gespürt", erinnert sie sich. - "Das liegt daran, dass ich, wenn ich will, ziemlich gut zuhören kann", sagt ihr Mann. Beide lachen. Hier, in unserem Gespräch, hat bisher vor allem er geredet.

In ihrer Beziehung ist es eher umgekehrt: Er ist ein Grübler, sie meist fröhlich. Sie leicht, er schwer. Sie Sonne, er Mond. Ein Magnetismus der Gegensätze, der sich im Zusammenleben ständig zeigt. Zum Beispiel, wenn sie ins Kino gehen: Sie will, dass es ein Happy End gibt. Immer. Er mag am liebsten düstere Art-House-Filme. Wenn Klaus Kinski schreiend ein Schiff durch den Dschungel zieht, ist das für Wolfgang Niedecken pure Inspiration, für seine Frau kaum auszuhalten. Trotzdem guckt sie mit. Dafür schaut er ihr zuliebe Liebeskomödien mit Meg Ryan oder Julia Roberts. "Ich wusste vorher gar nicht, dass es solche Filme gibt", gibt er zu. Heute genießt er solche Abende. "Wie man das Leben auch mal von der leichten Seite nimmt, zeigt Tina mir jeden Tag", sagt Wolfgang Niedecken. Sie zieht ihn hoch, wenn er zu tief ins Grübeln versinkt. Sie kann sehr entschlossen sein, wenn es darauf ankommt. Und sie ist eine, die den Mut hat, das Leben zu pflücken wie eine Blume. Vielleicht war auch das entscheidend dafür, dass die beiden trotz aller Gegensätze und Hindernisse ein Paar geworden sind.

Erst vier Jahre nach ihrem Kennenlernen zog die Fotografin schließlich zu dem Musiker nach Köln. In die Südstadt, wo Wolfgang Niedecken eine Größe ist, zu der jeder eine Meinung hat. Wo auch seine erste Frau mit den beiden Söhnen lebte. Der Bäcker, der Metzger, die Verkäuferinnen im Supermarkt - alle waren sich einig: Das junge Ding hat sich den Mann geangelt und seine Familie zerstört. In der Severinstraße, der Hauptschlagader der Südstadt, wurde sie anfangs in den Geschäften nur widerwillig bedient. "Mindestens ein Jahr lang", erinnern sich die beiden, war Tina Niedecken an ihrem neuen Wohnort die Unperson. "Zum Glück haben mich deine Familie und dein engster Freundeskreis freundlich aufgenommen", sagt sie.

Sie hat viel geweint in dieser Zeit. Und fing an, sich ins Private, in die Arbeit in ihrem Studio zurückzuziehen. Das tut sie bis heute, äußert sich selten öffentlich, gibt normalerweise auch keine Interviews. Wolfgang Niedecken hat in dieser ersten schwierigen Zeit gelernt: "Auch einen Sonnenschein wie Tina darf man nicht ständig anzapfen. Ich musste begreifen, dass ich sie nicht dauernd mit meiner Schwere beanspruchen darf."

Das allerdings passiert ihm leicht. Tina Niedecken lebt im Augenblick, kann Belastendes abstreifen, lässt sich nicht niederdrücken vom Elend der Welt. Ihr Mann dagegen muss sich geradezu zwingen, es auch einmal zu vergessen. Als er das erste Mal aus Norduganda zurück nach Köln kam, war er voll grausamer Bilder, erzählte überall von der Not, dem Krieg und dem Schicksal der Kindersoldaten: "Die Welt muss das wissen!" Tina gab ihm recht. Aber auch mit Freunden beim Bier konnte der Musiker nicht mehr aufhören, von der Not der Kinder zu sprechen. Seine Frau gab ihm zu verstehen, dass das auf Dauer nicht auszuhalten sei. Dass seine Freunde und auch sie selbst gelegentlich eine Pause brauchten. Das Paar machte für solche Situationen ein Zeichen aus. Wenn Tina Niedecken sich im Gespräch wie zufällig an die Nase fasste, hieß das: genug Afrika für heute.

Dass sie die beiden Töchter zeitweise allein erzieht wegen seiner Reisen, erwähnt Tina nicht. Die Nähe ihres Mannes wird ihr oft gefehlt haben, als sie mit zwei Kleinkindern zu Hause war. Natürlich hat das die Beziehung auch belastet. Zumal Wolfgang Niedecken, wenn er zu Hause ist, so intensiv arbeitet, dass er manchmal gar nicht richtig anwesend ist. Später, wenn die Kinder aus dem Haus sind, will seine Frau mehr mitreisen, selbst nach Afrika.

So wie in den ersten Jahren ihrer Beziehung. Tina Niedecken kam oft mit auf Tour, sogar noch nach der Geburt der ersten Tochter, machte Tourfotos für die Band oder entwarf und fotografierte die Cover der BAP-CDs, was sie bis heute tut. Für beide muss es eine herrliche Zeit gewesen sein, so begeistert, wie sie davon erzählen. Von dem Tourbusfahrer, der sich als begnadeter Babysitter erwies.

Oder wie Wolfgang Niedecken einmal direkt vor dem Auftritt der Kleinen noch die Windeln wechselte, seiner Frau das Baby in den Arm drückte und dann auf die Bühne rannte, während die Band schon spielte. Vom Feiern nach den Konzerten mit der ganzen Crew. Dort gehörte die Fotografin sofort mit zur Familie. Und auch bei Musikpreisverleihungen und anderen Veranstaltungen mit rotem Teppich stand Tina Niedecken nie lange allein herum. "Erst war es ungewohnt. Aber bei jeder Party lernte ich drei oder vier neue Leute kennen." Ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen fällt ihr leicht. "Heute stehe ich am Rand, wenn wir weggehen", sagt Wolfgang Niedecken. "Klar: Wer Tina einmal kennt, will in ihrer Nähe sein."

Mitte der neunziger Jahre, nach der Geburt der zweiten Tochter, war für die Niedeckens erst einmal Schluss mit dem gemeinsamen Rock-'n'-Roll- Leben. "Spätnachts sind wir ins Hotel geschlichen, jeder ein Kind auf dem Arm, wir beide total erschöpft", sagt Wolfgang Niedecken. Und um halb sechs schrie schon wieder das Baby. Nach zwei Wochen fuhr die junge Mutter mit den Kindern zurück ins Haus im Kölner Süden. Dort ist bis heute die gemeinsame Basisstation. Der Ort, an dem Wolfgang Niedecken sich nach seinen Reisen "erdet". Den Alltag mit der Familie genießt, auf Elternabende geht, Schulfeste besucht. Und an dem die beiden sich wieder nahekommen. Einander überraschen mit kleinen Liebesbeweisen oder auch mal einem großen Geschenk. Einmal hat Wolfgang Niedecken seiner Frau von einer akustischen Gitarre vorgeschwärmt, die er auf einer Musikmesse ausprobiert hatte. Ein Instrument, wie es die ganz Großen spielen, meinte er. Nichts für einen Songschreiber und "Mitklampfer" wie Wolfgang Niedecken - und deshalb hat der erfolgreiche Musiker die Gitarre nicht gekauft.

Das hat dann seine Frau für ihn getan. "Man muss sich auch mal was gönnen", findet sie. Wolfgang Niedecken war sprachlos. Seitdem trennt er sich kaum noch von der Gitarre, spielt auch mehr als früher. Er ist besser geworden durch das gute Instrument. Und schreibt mehr Balladen.

Die beiden können wunderbar voneinander schwärmen. Es kommt aber auch schon mal vor, dass Türen knallen oder der Telefonhörer aufgeworfen wird. Fast fröhlich schildern die beiden solche Szenen: "Meine Mutter war eine Frau, die alles geradeheraus gesagt hat", sagt Wolfgang Niedecken. "Ich komme damit gut klar." Und man versöhne sich immer noch am selben Tag. Seine Frau winkt ab: "Wir wollen es aber nicht nur schönreden." Mit ihrer Art, Gefühle ungefiltert herauszulassen, habe sie es ihrem Mann früher nicht leicht gemacht: "Erst mal geistig um den Block gehen, das habe ich von Wolfgang gelernt", sagt sie. - "Und ich dachte immer, das kommt von deinem Yoga", sagt er erstaunt.

Manchmal schreibt Wolfgang Niedecken ein Liebeslied für seine Frau. Tastet nach Worten für seine Gefühle, für das, was die beiden erleben. Nach einer gemeinsamen Marokko-Reise etwa schreibt er ein Lied über Tausendundeine Nacht, die seine Königin schon bei ihm liegt. Und dass er immer wieder an jede dieser Nächte denkt. Solange das geht, sagt er, sei die Liebe lebendig. Und wenn seine Frau der Song auch noch berührt, sind sie einander wieder ganz nah. In einem Lied auf seiner aktuellen CD heißt es sinngemäß: "Wenn das letzte Lied geschrieben ist und das letzte Bild gemalt, dann bete ich, dass du noch da bist." Diese Zeit, wo alles getan ist, hat Tina Niedecken da vor sich gesehen und Angst bekommen. Und gespürt: Wichtiger als alles, was die beiden in ihrem Leben vielleicht noch schaffen, ist ihnen ihre Liebe. Er nickt ernst. Und sie tupft sich verschämt eine Träne aus dem Augenwinkel.

Wolfgang Niedecken hat bereits als Schüler in Bands gespielt, dann aber zunächst Malerei studiert. 1976 gründete er gemeinsam mit dem Gitarristen Hans Heres die inzwischen legendäre Kölsch-Rockgruppe BAP (www.bap.de). Mit BAP hat er zuletzt im März 2009 die Dreifach-CD "Live und in Farbe" herausgebracht, 2008 erschien das hoch gelobte Album "Radio Pandora". Daneben beteiligt Wolfgang Niedecken sich an anderen Musikprojekten, u. a. mit Bruce Springsteen und der WDR Big Band, und hat Ausstellungen als Kunstmaler. Nach seinen Erfahrungen als Botschafter für die Hilfsaktion "Gemeinsam für Afrika" hat Niedecken zusammen mit seinem Freund Manfred Hell das Reintegrationsprojekt "Rebound" für ehemalige Kindersoldaten in Norduganda gegründet (www.worldvision.de).

Tina Niedecken brach mit Anfang 20 ihr BWL-Studium ab, um beim Münchener Modefotografen Lutz Dürichen als Assistentin zu arbeiten. Bald hatte sie selbst Erfolg als Fotografin, vor allem mit Modeproduktionen und Porträts. Sie hat viele Musiker fotografiert, unter anderem für das Magazin "Rolling Stone". Sie fotografiert für CD-Cover und arbeitet an freien Projekten. Demnächst beendet sie ihre Ausbildung zur Iyengar-Yoga-Lehrerin. Das Paar ist seit 1994 verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 13 und 14 Jahren.

Text: Anne Otto Ein Artikel aus der BRIGITTE WOMAN 05/09

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